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Dario Fo:
DIE WIRKLICHKEIT IST EXTREMER ALS JEDE FARCE
Terz: Die Rechte formiert sich nicht nur in Österreich und
Deutschland, sondern auch in Italien ...
Dario Fo: ... die Rechten sind dabei, zurückzukommen.
Terz: Merken Sie das in Ihrer täglichen Arbeit?
Dario Fo: Sagen wir, wir haben eine lange Erfahrung mit der Democrazia
Italiana, die die Rechte war, da gibt´s nichts. Wir haben
sie jahrelang ertragen, es gab zwei Lager: Auf der einen Seite waren
die kommunistische und die sozialistische Partei, auf der anderen
Seite waren alle rechts gerichteten Regierungsparteien - auch, wenn
sie sagten, sie seien aus der Mitte.
Was passiert heute? Jetzt existiert eine größere Vermischung,
weil es eine rechte Mitte, bestehend aus Mitgliedern der Democrazia
Cristiana, Faschisten, Leuten, die früher die Sozialisten wählten,
gibt. Auf der anderen Seite sind Mitglieder der Democrazia Italiana
(lacht), Sozialisten. Es gibt keine Klarheit.
Verstehst du, damals wusstest du wenigstens, mit wem du es zu tun
hattest: Du kamst nach Bergamo und in Bergamo wusste man, dass man
hier nicht auftreten konnte. Du kamst einfach nicht auf die Bühne,
ebensowenig wie in Brescia und in Vicenza.
Terz: Weil die Leute etwas dagegen hatten?
Dario Fo: Weil es die Stadt nicht erlaubt hat ... Die Theater, die
zur Gemeinde gehörten, gaben dir einfach nicht die Erlaubnis,
zu spielen. Dann war da der Bischof, der Kardinal ... . Uns haben
sie so viele Aufführungen blockiert, das kannst du dir gar
nicht vorstellen. Sie lassen uns sogar heute noch manchmal nicht
auftreten.
Terz: Gibt es heute noch eine Zensur?
Dario Fo: Es gibt eine Maschine, eine Hindernismaschine, die manchmal
in Gang gesetzt wird. Da wird dir gesagt: "Nein, hierher kommen
Sie nicht.", oder: "Es tut uns leid, aber leider ist alles
verplant". Also fragen wir nicht mehr nach, weil wir schon
wissen, warum ...
Manchmal passiert es uns, aus seltsamen Gründen, wie letzthin,
dass wir in Bergamo spielen, in Vicenza, weil hier sonderbare Konstellationen
eingetreten sind, deren Ausführung zu kompliziert wäre.
Terz: Ist das Theater für Sie ein Instrument der Rebellion?
Dario Fo: Sicher, über die Provokation, über das Paradoxe,
Absurde.
Mir geht es darum, die Bürger über die Dinge zu informieren
und, wenn es mir gelingt, wie immer die Macht und ihre Fallen, ihre
Falschheit, "über die Geschichten", aufzudecken.
Terz: So wie die Komödien aus den 60er Jahren eine Agitation
gegen die bestehenden Verhältnisse waren?
Dario Fo: Ja, es reicht ja an: "Siebtes Gebot: Stiehl ein bisschen
weniger" zu denken. Das war eine Vorwegnahme der Ereignisse,
die zwanzig Jahre später aufgedeckt wurden.
Zuerst schien es paradox und dann hat sich gezeigt, dass es Tatsachen
waren. So, wie die Diskussionen über die Organisation der Repression,
die maßlose Ausbeutung.
Und heute: das Problem der totalen Luftvergiftung. Das Problem der
verpesteten Städte, eingenebelt von Autoabgasen. Der Zynismus
der Macht angesichts der Gesundheit der Bürger. Das ist von
grosser Aktualität im Moment. Das ist ein Diskurs, den wir
seit Jahren führen.
Terz: Und Sie möchten die BürgerInnen informieren, so
dass diese...
Dario Fo: ... zum Lachen gebracht werden. Und zwar über das
Paradoxe, über die Groteske, die Satire - so, dass sie sich
klar werden, dass sie über die eigene elende Lage lachen.
In "Zufälliger Tod eines Anarchisten" lachen die
Leute, aber dann merken sie, dass die Macht getötet hat und
fortfährt, Unschuldige zu töten. Und nicht nur das: Dann
bringt sie Unschuldige ins Gefängnis, indem sie sagt, dass
sie es waren, die kriminelle Handlungen begangen haben. Legen Bomben
und kassieren dann die Anarchisten ein. Die Faschisten sind am Werk,
und später sagen sie, dass es die Linke war.
Terz: Und gegen die aktuelle politische Situation kann man etwas
tun?
Dario Fo: Aber sicher, es läßt sich beobachten, dass
da ein Bewusstseinswandel stattgefunden hat.
Ein Beispiel aus der Gegenwart, aus dieser Zeit: Man ist sich der
Tatsache bewusst, dass die Qualität der Luft auf ein Minimum
reduziert ist. Das macht sich bemerkbar am Pseudokrupp der Kinder,
an bestimmten Lungenkrankheiten und so weiter und so fort. Man weiss,
dass dank der Autoabgase und der Erwärmung jedes Jahr Millionen
von Menschen sterben, krank werden ...
Gut - und was macht er Staat? Er nimmt Steuern für das Öl,
das Benzin, das er verkauft. Das ist doch idiotisch, dass er daran
interessiert ist, immer mehr Öl zu verkaufen. So sind der Staat
und die Regierung mitverantwortlich für die Verbrechen, die
passieren. Das heisst, sie ihrerseits sind Kriminelle.
Aber dieses Geschehen lässt sich so nicht erzählen. Du
musst es auf komische Art erzählen, auf groteske, paradoxe
Weise. Du musst eine Handlung, einen Modus finden, diese Tragödie
zu darzustellen.
Terz: In 40 Jahren Theater, was ist Ihnen besonders im Gedächtnis
geblieben?
Dario Fo: Was mir im Gedächtnis geblieben ist? - Vieles. Das
besondere Ereignis, der Knaller? Dass die Sachen, die wir erfunden
haben, wobei wir uns oft fragten "Gehe ich vielleicht mit der
Anklage der Macht über das Maß hinaus?", immer von
der Wirklichkeit übertroffen wurden. Jedesmal hat die Realität
gezeigt, dass diese Befürchtungen umsonst waren: Die Wirklichkeit
war viel extremer, viel schlimmer, als wir es uns in den übertriebensten
Farcen ausmalen konnten.
Aus: TERZ - Autonome Stattzeitung für Politik und Kultur in
Düsseldorf und Umgebung. (September 2000).
Dank an Terz für die Erlaubnis Archiv Sterneck.net aufzunehmen.
Dario Fo, Franca Rame, Jacobo Fo: Gebt dem Frieden eine Chance (Zum 11.09.2001).
Archivio Dario Fo e Franca Rame
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