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Naomi Klein:
"DIE GLOBALE BEWEGUNG MUSS LOKAL VERANKERT WERDEN"
- Was hat Dich veranlaßt, "No Logo" zu schreiben?
- Das Buch habe ich geschrieben, weil ich dachte, die Bewegung gegen
die Konzerne wird die Zukunft der Linken. Schon damals zeichneten
sich die ersten unscharfen Konturen in Form von kleinen Kampagnen
beispielsweise gegen die Sweatshops oder den Gen- und Chemiegiganten
Monsanto ab. Die Politiker erzählen uns, sie seien machtlos gegen immer
mächtigere und mobilere Konzerne für den Nationalstaat
ist es angeblich unmöglich, sich ihnen entgegenzustellen. Klar,
daß Aktivisten dann die Konzerne direkt angreifen.
- In Deinem Buch schreibst Du sehr viel über die Markenpolitik
der multinationalen Konzerne. Denkst Du, dass "Branding"
und aggressives Marketing ein moderner Ausdruck für die Gier
der Konzerne ist?
- Branding bedeutet eine tiefgreifende Privatisierung unserer Lebenswelt
auf allen Ebenen: die Privatisierung der Stadt, des öffentlichen
Raumes, der Kunst, der Kultur und sogar unseres Denkens. Das Denken
ist die intimste und grundlegendste Eigenschaft des Menschen. Genau
deshalb wird es zur wertvollsten Ware in einer markenorientierten
Wirtschaft.
- Kommen Leute zu Dir und sagen: Hey, dieses Buch hat mir Mut gemacht
und mir geholfen, mich zu wehren?
- Ja, das kommt vor. Das beste Erlebnis hatte ich vor zwei Wochen
in Florida. Ich traf mexikanische Bauern und Arbeiter, die gerade "No Logo" gelesen hatten und inspiriert von dem
Buch eine Kampagne gestartet haben. Sie haben seit 20 Jahren
keine Lohnerhöhung erhalten, leben zu zehnt in einem kleinen
Wohnwagen und haben keinerlei Rechte.
Die Gewerkschaftsvertreter haben "No Logo" zu Weihnachten
bekommen und begannen nachzuforschen. Sie fanden heraus, das der
größte Abnehmer für Tomaten ihres Farmers Tacco
Bell [Fastfood-Kette, Anm. der Redaktion] ist. Daraufhin starteten
sie eine landesweite Kampagne gegen Tacco Bell, die internationale
Aufmerksamkeit erhielt. Sie organisierten Protestaktionen vor Filialen
und vernetzten sich mit Studenten, die Tacco Bell auf ihrem Campus
hatten. Schon nach zwei Wochen erzielten sie mit der Kampagne mehr
Aufmerksamkeit als in Jahrzehnten von Versuchen, mit ihren Boß
zu verhandeln, der sich im Gegensatz zu Tacco Bell überhaupt
nicht um sein öffentliches Ansehen scherte.
Diese Geschichte ist besonders interessant, weil es sich um einen
amerikanischen multinationalen Konzern handelt, der mexikanisches
Essen verkauft und mit dem Slogan wirbt: "Tacco Bell
wir versorgen euch gut!" Die ausgebeuteten mexikanischen Arbeiter
haben den Slogan benutzt und eine Kampagne unter dem Motto "Du
versorgst uns nicht gut, Tacco Bell!" gestartet haben. Das
ist fantastisch!
- "No Logo" beginnt mit dem Zitat: "An der Oberfläche
sieht man noch nichts, aber darunter brennt es bereits." Es
ist aus dem Jahr 1998 was meinst Du, hat sich seitdem geändert?
- Ich denke, daß die Bewegung sichtbarer geworden ist. Wenn
ich damals erzählte, daß ich ein Buch über Aktivisten
gegen Konzernherrschaft schreibe, fragten Leute: "Warum? Wovon
sprichst Du überhaupt?"
Für mich war Seattle die "coming-out party" der Bewegung.
Es war aber nicht ihr Beginn. Seattle war der Ort und der Moment,
an dem die ganzen Bewegungen zusammengekommen sind, die vorher an
vielen Orten unabhängig voneinander entstanden sind und weitgehend
ignoriert wurden. In Seattle konnte man die Vernetzung der Bewegungen
leibhaftig sehen, die vorher nur übers Internet bestand.
Ich würde sagen, daß alles mit dem Aufstand der Zapatisten
in Chiapas im Januar 1994 begann. Mit ihrer Erhebung wollten die
Ureinwohner dort auch darauf hinweisen, daß weltweit Probleme
bestehen, sie sind nicht lokal begrenzt. Deshalb begannen sie ihren
Aufstand an dem Tag, an dem der NAFTA-Vertrag in Kraft trat.
- Worauf sollten wir heute achten, wenn wir gegen die multinationalen
Konzerne mobil machen?
- Wir sollten auf ein Problem achten: Es gibt zwei Sorten von Aktivisten.
Einerseits globale Aktivisten, die von einem Ereignis zum anderen
hüpfen: Seattle, Prag, Genua was bald kommt und
das Weltwirtschaftsforum. Durch ihre Erfolge fühlen sie sich
stark sie blockierten die WTO in Seattle, die Verhandlungen
scheiterten, sie sahen, daß IWF und Weltbank zumindest ihre
Sprache ändern mußten, so daß sie fast wie die
Aktivisten selbst klangen. Sie hatten Aufmerksamkeit erregt.
Andererseits gibt es die vielen Leute, die vor Ort aktiv sind, zum
Beispiel für die Arbeitserlaubnis von Migranten, für die
Bekämpfung der Obdachlosigkeit und für die Verteidigung
dessen, was noch vom Öffentlichen Dienst, vom Gesundheitswesen
und von staatlichen Bildungseinrichtungen übrig ist. Und die
sagen: "Worüber seid ihr eigentlich glücklich? Alles
wird doch nur schlimmer, nicht besser." Deshalb glaube ich,
daß die globale Bewegung viel mehr lokal verankert werden
muß und die lokalen Aktivisten inspirieren kann.
- Du warst schon in den 80er Jahren politisch sehr aktiv. Was hat
sich seitdem geändert?
- Es wäre falsch zu glauben, in den 80ern diskutierte die Linke
nur über Gender-Politik und Antirassismus und heute nur über
die Globalisierung. Von den Auswirkungen der Globalisierung sind
vor allem Frauen und Farbige, am allerschlimmsten farbige Frauen,
betroffen. Das Aids-Problem in Afrika zeigt, wie rassistisch dieses
System ist. Wer heute aktiv ist, merkt, daß er sich auch ganz
entschieden gegen Frauenunterdrückung und Rassismus wenden
muß.
Der große Unterschied zu den 80ern liegt darin, daß
damals eine breite Ablehnung von ökonomischen Erklärungen
bei den Aktivisten und an den Universitäten vorherrschte. Sie
glaubten, man könne die Welt dadurch ändern, daß
man die gewählten Vertretungen ändert. Sie machten die
Medien für die Verbreitung von sexistischen und rassistischen
Vorurteilen verantwortlich und forderten, daß Frauen und Minderheiten
gleichberechtigt in Führungspositionen vertreten sein sollten.
Mit der Zeit wurde aber klar, daß es sich dabei nur um Oberflächlichkeiten
handelte. Die Ungleichheit wuchs, obwohl die Darstellung von Frauen
und Minderheiten in den Medien immer fortschrittlicher wurde und
sie bessere Positionen bekamen.
Was sich in den letzten Jahren verändert hat, ist, daß
immer mehr Menschen die Wirtschaftsordnung als Ursprung für
soziale, rassistische und sexuelle Unterdrückung ansehen.
- Wie siehst du die Zukunft der Bewegung?
- Ich glaube, daß auf kleiner Ebene Veränderungen stattfinden
werden. Überall dort, wo Menschen sich wehren, werden noch
mehr Menschen anfangen, Widerstand zu leisten. Ich denke da an die
Landlosenbewegung in Brasilien oder die Rebellion in Chiapas. Sie
erobern sich einfach Stück für Stück Raum zurück
und gleichzeitig leben sie eine Alternative. Diese neuen Formen
des Zusammenlebens inspirieren viele Menschen.
Insbesondere viele junge Aktivisten stehen den "großen
Ideen" sehr skeptisch gegenüber; genauso wie sie der Zentralisierung
von Macht mißtrauen. Sie wollen direkte Demokratie.
Das Problem der Linken war immer, daß sie Feuer mit Feuer
beantwortet hat. Sie hat immer versucht, der herrschenden Ideologie
eine noch größere Ideologie gegenüberzustellen.
Ihr habt Eure, hier ist unsere! Laßt uns kämpfen.
In der aktuellen Bewegung mißtrauen die Aktivisten diesen
großen Ideologien und suchen nach Alternativen. Die sind kleiner,
aber feiner. Sie wollen eine dezentrale Bewegung, in der es mehr
Aktivisten gibt, die Verantwortung übernehmen und weniger starke
Anführer.
Die radikale Demokratie der Bewegung ist ein großartiges Beispiel
für eine andere Lebensweise. Die Leute erleben echte Demokratie
und schließen sich nicht irgendeiner Gruppe an, in der sie
die aktuelle Parteilinie vorgebetet bekommen.
- Wir schauen zur Zeit neidisch zu Euch nach Nordamerika, weil
es bei Euch schon eine antikapitalistische Bewegung gibt. Ihr habt
... George W. Bush!
- Okay, das ist wirklich schlimm. Anders gefragt: Bei uns in Deutschland
steckt die Bewegung noch in den Kinderschuhen. Was würdest
du tun, um die Bewegung aufzubauen?
Wenn ich in Deutschland wäre, würde ich meine ganze Energie
in eine Kampagne gegen die Lebensmittelindustrie stecken. Du mußt
da anknüpfen, womit sich die Leute alltäglich auseinandersetzen.
Die aktuelle Krise im Lebensmittelbereich, wirkt sich nicht nur
auf das Konsumverhalten aus: Werde ich Vegetarier oder esse nur
noch Produkte aus ökologischer Herstellung.
Ich glaube, daß die Frage der Ökologie eine viel größere
Chance in sich birgt, als wir sie derzeit in Nordamerika haben.
Die gesamte ökologische Bewegung, also auch die der Kernkraftgegner,
hat eine riesiges Potential. Sie muß es aber schaffen, die
Verbindung zwischen Umweltzerstörung und den Interessen der
Wirtschaft, die dahinter stehen, deutlich zu machen.
Das Interview führte Susanne Kim
aus: Sozialismus von unten, Nr. 6, Frühjahr 2001.
- Naomi Klein
- Naomi Klein: Shock Doctrine (Short-Film)
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