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Wolfgang Sterneck
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LIEDER, MIT BLUT GESCHRIEBEN

Esther Bejarano, die letzte Überlebende des Mädchenorchesters von Auschwitz.


Auschwitz, Treblinka, Bergen-Belsen... Es ist nicht möglich, das was dort geschehen ist angemessen in Worte zu fassen. Jeder Versuch der Beschreibung kann nur eine Annäherung sein.

Während die Züge in Auschwitz einfuhren und die TodeskandidatInnen ausstiegen, mussten einige Lagerinsaßinnen musizieren. Unterhaltsame und fröhliche Lieder, die einige Momente lang, die Schreie aus den Gaskammern übertonen sollten.

Esther Bejarano gehörte zu den Musikerinnen des Mädchenorchesters von Auschwitz. Sie ist heute die letzte Überlende. Ihr Leben wurde durch den Terror der Nazis geprägt. Erst nach dem Endes des Krieges und der Befreiung erfuhr sie, dass ihre Eltern und ihre Schwestern von den Faschisten ermordet wurden. Sie selbst durchlebte Auschwitz und später das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, und musste in dieser Zeit unter anderem für Siemens zwangsarbeiten. Sie ging, wie sie selbst sagt, durch die Hölle.

Es dauerte Jahre bis sie über diese Zeit sprechen konnte. Heute sieht es Esther Bejarano als ihre Verpflichtung an, über das Erlebte zu berichten. "die Untaten von Gestern verlangen Taten von heute." Zusammen mit der Gruppe Siebenschön trägt sie auf ihren Konzerten Lieder aus den KZs, den Gettos und aus dem antifaschistischen Widerstand vor. Lieder, die mit Blut geschrieben sind...

Ihre Auftritte sind Mahnung, sie erinnern an das Geschehene und fordern auf, sich gegen jede Form faschistischer Tendenzen zu wehren.

- Wolfgang Sterneck -



Du hast die Hölle von Auschwitz überlebt. Wie kann ein Mensch das verkraften, wie kann es möglich sein, danach wieder zu lachen? Wie ist es möglich zu verarbeiten?

Esther Bejarano: Es ist schwer über das zu sprechen, was ich erlebt habe. Ich habe jahrelang gebraucht um soweit zu sein. Ich empfinde es heute als meine Aufgabe zu vermitteln, was damals geschehen ist. Ich tue es nicht gerne, aber ich sehe darin eine Notwendigkeit.

Hier in der BRD wurde von Anfang an versäumt die Vergangenheit aufzuarbeiten. Es wurde nichts getan, um die Täter zu fassen. Nur wenige wurden vor Gericht gestellt, die meisten von ihnen wurden freigesprochen...

Man kann das, was man erlebt hat, überhaupt nicht vergessen. Ich habe bis heute Träume, die mich nachts hochschrecken lassen. Ich sehe zum Beispiel SS-Stiefel, die auf mir rumtrampeln. Es ist wie eine Seuche, es geht nicht aus meinem Sinn.

Das Schlimme ist, dass ich durch die Situation in der BRD immer wieder daran erinnert werde. Wenn ich zum Beispiel die Ausländerfeindlichkeit sehe, den Neofaschismus oder den Antisemitismus... Die meisten Deutschen haben aus der Geschichte nichts gelernt.


Du lebst in Hamburg. Wie gehst Du mit all den Menschen Deiner Generation um, die vielfach Täter waren, oder noch heute sagen, sie hätten von nichts gewusst?

Esther Bejarano: Ich kann mit diesen Menschen überhaupt nicht umgehen. Keiner kann sagen, erhätte nichts gewusst...

Ich habe fünfzehn Jahre lang in Israel gelebt. Als ich dann zum ersten Mal wieder nach Deutschland kam, habe ich einen richtigen Schock bekommen, wenn ich Soldaten, Polizisten oder irgendjemanden in Uniform gesehen habe, Auch dachte ich bei Jedem, den ich auf der Straße gesehen habe, und der etwas älter war als ich: 'Vielleicht ist der der Mörder meiner Eltern oder meiner Schwester' ...

In Hamburg bin ich dann schnell mit Neonazis konfrontiert worden. Ich habe vor einem Infostand der NPD protestiert, der von Polizisten geschützt wurde. Einen von ihnen habe ich gefragt, 'Warum schützen sie soetwas? Warum wird das nicht verboten? Was haben die für ein Unglück über Deutschland gebracht und jetzt stehen die schon wieder da und dürfen ihre Parolen verbreiten...' Darauf hat einer der Polizisten zu mir gesagt: 'Gehen Sie lieber nach Hause, sonst kriegen Sie noch einen Herzinfakt.'

Ich kann heute nur in der BRD leben, weil ich weiß, es gab auch Deutsche, die gegen das Nazi-Regime gekämpft haben, die auch im KZ saßen und dass es bis heute Menschen gibt, die den Faschismus bekämpfen...


Welchen Zusammenhang siehst Du zwischen Kapitalismus und Faschismus?

Esther Bejarano: Es ist klar, das Übel kommt durch den Kapitalismus. Damals waren die Großkapitalisten wie die IG Farben und Thyssen die Geldgeber Hitlers und haben erst ermöglicht, dass er an die Macht kam...

Und es war auch das Großkapital, dass auch von den KZs profitiert hat, indem sie von dort Arbeitskräfte bekamen, die sie bis zum Tod ausbeuten konnten Ich selbst habe anderthalb Jahre für Siemens Zwangsarbeit leisten müssen.

Die eigentliche Macht befindet sich weiterhin in den Händen des Großkapitals, also derer die Hitler an die Macht brachten. Daran hat sich nichts geändert. Die Wurzel hat sich nicht geändert. Ich kann deshalb der jungen Generation nur immer wieder sagen: Lernt aus der Vergangenheit und übertragt, dass was ihr gelernt habt auf die Gegenwart und die Zukunft ...

(Oktober 1988).


Dank an Esther Bejarano.

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