Mumia Abu-Jamal:
AUS DER TODESZELLE
Erzählt mir nichts vom Schattenreich des Todes. Ich lebe dort. Im Landkreis Huntingdon im mittleren Süden Pennsylvanias steht ein hundert
Jahre altes Gefängnis. Seine düsteren gotischen Türme verheißen nichts Gutes, zu ihren Füßen meint man den Hauch
des finsteren Mittelalters zu verspüren. Wie ich verbringen ungefähr 78 andere Gefangene täglich 22 Stunden in zwei mal drei Meter
groben Zellen. Die verbleibenden zwei Stunden dürfen wir unter der Kontrolle der Wachtürme draußen verbringen, in einem Käfig
aus Maschendraht.
Willkommen in den Todeszellen von Pennsylvania.
Ich kann es immer noch nicht fassen. Vor ein paar Jahren hat der Oberste Gerichtshof von Pennsylvania das Todesurteil gegen mich mit den
Stimmen von vier Richtern bestätigt (drei nahmen an der Sitzung nicht teil). Als schwarzer Journalist, der in jungen Jahren ein Black Panther war,
habe ich mich intensiv mit der langen Geschichte der legalen Lynchjustiz an AfrikanerInnen in Amerika beschäftigt. Ich erinnere mich an eine
Titelseite der Black-Panther-Zeitung mit dem Zitat: ,,Kein schwarzer Mann hat Rechte, die ein weißer Mann respektieren müßte".
Es wird Richter Roger Taney zugeschrieben, dem damaligen Vorsitzenden des Obersten US-Bundesgerichts, und es soll in dem berühmt-berüchtigten
Dred-Scott-Prozeß gefallen sein, in dessen Verlauf das Gericht befand, daß weder AfrikanerInnen noch ihren freien
Abkömmlingen verfassungsmäßige Rechte zustünden. Kaum zu glauben, aber wahr.
Vielleicht bin ich naiv, vielleicht auch einfach nur dumm - aber ich habe trotz allem fest daran geglaubt, daß man sich in meinem Fall an
das Gesetz halten und das Urteil revidieren wurde. Wirklich!
Trotz des brutalen Massakers vom 13. Mai 1985 in Philadelphia gegen MOVE, das der Verhaftung Ramona Africas vorausging, trotz der nie geahndeten,
blutigen Polizeimorde an Eleanor Bumpurs, Michael Stewart, Clement Lloyd, Allan Blanchard und an zahllosen anderen AfroamerikanerInnen von New
York bis Miami, ich glaubte daran. Selbst angesichts der aktuellen Welle massiven Staatsterrors gegen Schwarze meinte ich noch, daß meine Berufung
erfolgreich sein würde. Tief in mir hielt ich noch immer an dem Glauben an die Gesetze der Vereinigten Staaten fest, und ich war fassungslos,
als ich schließlich realisierte, daß die Berufung wirklich abgewiesen worden war. Intellektuell hatte ich zwar begriffen, daß die
amerikanischen Gerichte ein Sammelbecken des Rassismus sind und historisch betrachtet schwarze Angeklagte vor allem als Feinde behandelt hatten.
Doch die lebenslange Propaganda über Gerechtigkeit in Amerika hat auch bei mir ihre subtile Wirkung nicht verfehlt.
Um die Wahrheit zu erkennen, die hinter schwarzen Roben und Versprechungen von gleichen Rechten verborgen ist, brauche ich mich eigentlich
nur im eigenen Land umzusehen: 40 Prozent der zum Tode Verurteilten waren im Dezember 1994 Schwarze, in Pennsylvania waren es sogar 111 von 184
Personen, also über 60 Prozent. Dagegen machen Schwarze insgesamt nur knapp über 9 Prozent der Bevölkerung Pennsylvanias aus und etwas weniger
als 11 Prozent der US-amerikanischen Gesamtbevölkerung.
Es ist, wie gesagt, schwer, der Propaganda über Gerechtigkeit
nicht aufzusitzen, aber gemeinsam können wir es vielleicht schaffen. Wie? Sehen wir uns nur einmal dieses Zitat eines führenden Anwalts
aus Philadelphia namens David Kairys an, das ich in einer juristischen Veröffentlichung von 1982 gefunden habe: ,Das Recht ist die Fortsetzung
der Politik mit anderen Mitteln.
Ein solcher Satz wirft ein grelles Licht auf die Funktionsweise von Gerichten, sei es nun heute oder vor 138 Jahren im Fall Dred Scott. Es
geht nicht um Recht es geht um Politik mit anderen Mitteln. Liegt darin nicht die ganze Wahrheit?
Ich kämpfe weiter gegen das ungerechte Urteil gegen mich. Vielleicht gelingt es uns ja, einige der gefährlichen Mythen zu zerstören,
die unserem Denken übergestülpt worden sind - zum Beispiel der Mythos vom Recht auf ein nicht befangenes und unparteiisches
Geschworenengericht mit Geschworenen
aus unserer Mitte (jury of our peers), der Mythos vom
Recht, sich selbst zu verteidigen, oder gar der Mythos vom Recht auf einen fairen Prozeß. All dies sind nämlich
nicht wirklich Rechte, sondern Privilegien der Mächtigen und der Reichen. Für die Schwachen und die Armen sind sie Seifenblasen, die zerplatzen,
sobald man nach ihnen greift und sie als etwas Reales, Substantielles für sich in Anspruch nehmen will. Erwartet nicht, daß euch die
Medien hierüber informieren. Sie können es nicht, denn die Interessen von Medien und Regierung und auch von den Großkonzernen, in
deren Dienst beide stehen, sind zu eng miteinander verflochten.
Aber ich kann es.
Und ich werde es tun, selbst wenn ich gezwungen bin, es aus dem Schattenreich des Todes heraus zu tun.
Aus der Todeszelle - Mumia Abu-Jamal.
(Dezember 1994)
Aus dem Buch: Mumia Abu-Jamal / ... aus der Todeszelle
Bücher zu Mumia Abu-Jamal im Atlantik-Verlag
Freiheit für Mumia Abu-Jamal
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