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DER TOD CARLO GIULIANIS
In Genua kam es im Zuge der staatlichen Kriminalisierung des Protestes
gegen die weltweite Entfaltung kapitalistischer, rassistischer und
militärischer Interessen zum bisherigen Höhepunkt der
Repression gegen die seit Seattle (WTO-Treffen im November 1999)
als "GlobalisierungsgegnerInnen" bezeichnete Bewegung
gekommen:
Am 20.07.2002 erschießt der in Polizeidiensten stehende Wehrpflichtige
des Bataillons Lombardei, Marco Placanica, den 23-jährigen
Aktivisten Carlo Giuliani. In der Folge dieser staatlich legitimierten
Exekutionunternimmt die "vierte Macht im Staate Berlusconis",
die regierungstreuen Medien, unaufhörlich den Versuch, mit
einem kruden Mix aus Unterstellungen, Fakten, Indiskretionen, Recherchematerialien
und Unglaubwürdigkeiten aus der Tötung Giulianis einen
"akzeptablen", "normalen", "notwendigen" Vorfall zu konstruieren.
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ITALIENISCHE IMPRESSIONEN
- Ein halbes Jahr nach dem Tod von Carlo Giuliani -
Am 19. Januar 2002 demonstrierten 150.000 in Rom gegen die neuen
Immigrationsgesetze der italienischen Regierung. Zwei Tage zuvor
wurde auf die Gedenkstätte von Carlo Giuliani in Genua ein
Brandanschlag verübt. Adelaide Giuliani, Carlos Mutter, schrieb
daraufhin in der Tageszeitung L'Unità einen offenen Brief
an die Demonstration:
Vorige Nacht ging ein Teil der Gedenkstätte für meinen
Sohn an der Piazza Alimonda in Flammen auf. Es verbrannte auch eine
Fotografie meines Sohnes. Doch davon haben wir noch viele Abzüge.
Es verbrannten auch etliche Briefe, Gedichte und Sprüche, die
meinem Sohn gewidmet waren. Doch ich denke, dass ich sie schon alle
abgeschrieben habe. Es verbrannten die Trikots, die Schärpen
und Fahnen der Fußballvereine, eine kleine Krippe, Heiligenfiguren,
ein Kreuz; es verbrannte Spielzeug, das Kinder dort abgelegt hatten,
ein Buch, eine CD, eine Videokassette, eine Feuerwehrmütze,
ein sehr schön gemachtes Spruchband... es war aber nicht möglich,
alles zu verbrennen. Und schon am darauf folgenden Morgen, als wir
die kleine Mauer und die Blumen gereinigt hatten, kamen sie, um
neue Briefe anzubringen, um ein Trikot hinzulegen, um ein Gedicht
beizufügen - um ein kleines Geschenk und die eigene solidarische
Anwesenheit darzubringen.Warum? Sechs Monate sind vergangen, große
tragische Ereignisse haben sich auf dieser achtlosen Welt ereignet,
die gewöhnt ist zu konsumieren und schnell zu vergessen. Die
Erinnerungen aber an die Ereignisse vom 20. Juli verschwinden nicht,
die Gefühle werden nicht geringer. Warum? Eigentlich handelt
es sich doch nur um einen Jungen, um einen Sohn wie viele andere
auch, der sich mit vielen anderen Jungen und Älteren der Ungerechtigkeit
ausgeliefert sah. Vielleicht steht Carlo stellvertretend für
all die, die in den Julitagen Ungerechtigkeiten erleiden mussten:
Sie wurden angegriffen, geschlagen, gedemütigt, weil sie ihre
eigenen Ideen ausdrücken wollten. Vielleicht gibt Lello Voce,
Schriftsteller, Dichter und Freund auch eine Erklärung dafür,
wenn er schreibt: ...Er ist ein feiner, etwas kleiner unbewaffneter
aber empörter Junge, und er ist genauso, wie die Kleinen, Unbewaffneten,
Empörten sind, für deren Rechte er demonstrierte.
Vielleicht können wir es auch durch ein anonymes Gedicht begreifen,
von einem der vielen, die am Gitter an der Piazza Alimonda angebracht
wurden:
Als ich klein war, dachte ich,
dass die Menschen sterben würden,
wenn das Herz nicht mehr schlägt.
Später ist mir aufgefallen,
dass es welche gibt, die ganz gut
mit erloschenem Herzen leben -
Und das sind keine Ausnahmen.
Darauf entdeckte ich,
dass es welche gibt,
die weiterleben
auch wenn ihnen jemand den Schlag
des funktionierenden Herzens anhielt
das entdeckte ich.
Vielleicht leben sie.
weil sie weiterleben müssen
aus zu viel Liebe
wie du Carletto.
Was ich sagen will, mein Sohn, der immer so schlau war, aus jeglicher
Situation herauszukommen, weil er so tat, als ginge ihn das alles
nichts an - dann, wenn einer ein Foto schoss - dieser Ragazzo ist
zu einem Symbol geworden. Wir müssen hinzufügen, wir wollen
aus ihm keinen Helden machen. Vielleicht deshalb, weil das Leiden
ganzer Völker, die Heere ausgebeuteter Kinder, der Notleidenden
und der Ermordeten sehr schwer mit unserem menschlichen Verstand
zu verstehen ist und zu groß ist für unser Herz. Vielleicht,
weil Carlo zuerst zum Tode verurteilt, dann zerstückelt, dann
für schuldig befunden und schließlich beleidigt wurde,
ohne dass er je einen Prozess erhielt. Vielleicht sind wir heute
aus diesen Gründen auch hier, um seiner zu gedenken....
Adelaide Giuliani,
La mamma di Carlo Giuliani - Die Mamma von Carlo
Aus: So oder So - Die Libertad!-Zeitung Nr. 11 / Frühjahr 2002
www.piazzacarlogiuliani.org
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