Treibsand:
DIE POLITIK MIT DEM HUNGER
Der Hunger und die Armut in den meisten Ländern Asiens, Afrikas
und Südamerikas sind die Hauptargumente die zur Begründung
der Bevölkerungspolitik angeführt werden. Angesichts der
Bedrohung, die die wachsende Überbevölkerung
angeblich für den Fortbestand der Menschheit darstellt, erscheinen
selbst Zwangssterilisationen im Interesse der Betroffenen als legitim und angemessen.
Das Bild einer aus den Nähten platzenden Erde wird an die
Wand gemalt: Wenn es nicht gelänge, die Bevölkerungsexplosion
(schon allein das Wort soll Weltuntergangsassoziationen wecken)
einzudämmen, so würden Hunger und Armut sich unaufhaltsam
ausbreiten und nicht nur in den drei Kontinenten massenhaft Menschen
vernichten, sondern angesichts der knappen Ressourcen letztlich
auch den Wohlstand in den Industrieländern bedrohen.
Das Heraufbeschwören der Katastrophe wird so zu einem Mittel
zum Zweck. Es soll dadurch eine Politik gerechtfertigt werden ,
die im Grunde genommen das genaue Gegenteil von dem bewirkt was
sie eigentlich vorgibt. Sie zielt nicht auf die Abschaffung des
Hungers, sondern auf die Abschaffung der Hungernden.
In den letzten Jahren ist schon zigmal darauf hingewiesen worden,
daß Hunger keine Naturkatastrophe ist, sondern ein Verteilungsproblem
und daß mit der Verfügungsgewalt über die Nahrungsmittel
Geschäfte gemacht werden und eine erpresserische Politik durchgesetzt
wird. Dennoch hält sich hartnäckig die Mär von der
Überbevölkerung und der Notwendigkeit, die Geburtenrate
in den Ländern der drei Kontinente zu senken. Und je mehr sich
auch hier in den Metropolen ein Krisenbewußtsein breitmacht,
desto besser ziehen angstmachende Floskeln wie: Die fressen
uns uns die Haare vom Kopf oder in Bezug auf die Menschen,
die vor dem Hunger fliehen: Das Boot ist voll.
Dabei ist es wohl eher umgekehrt: Der reiche weiße
Mensch mit seinem übertriebenen Verbrauch an Fleisch und seiner
mangelnden Großzügigkeit gegenüber armen Völkern
verhält sich wie ein Kannibale - und zwar wie ein indirekter.
Indem wir das Fleisch verbrauchen, für das Getreide verfüttert
wurde, das sie hätte retten können, fraßen wir die
Kinder der Sahel-Zone, von Äthiopien und Bangladesch. Und wir
fressen sie bis heute mit unvermindertem Appetit weiter. (René Dumont).
Viele der Länder, in denen Menschen an Hunger sterben, sind
noch nicht mal auf die Großzügigkeit des weißen
reichen Menschen angewiesen. Karitative Zuwendungen wie Brot
für die Welt verschleiern nur die wahren Ursachen des
Hungers. Eine Reihe der Länder, von denen behauptet wird sie
seien von Nahrungsmittelimporten abhängig, sind landwirtschaftliche
Exportländer. Besonders kraß ist das Beispiel der Sahel-Zone
zur Zeit der großen Trockenheit zu Beginn der siebziger Jahre.
Während sich der Hunger ausbreitete, wuchs der Export von Rindfleisch
aus der Region. Gemüseexporte erreichten Rekordhöhen,
westeuropäische Supermärkte wurden mit Bohnen, Melonen,
Tomaten, Auberginen, Erdbeeren und Paprika beliefert.
Ein anderes Beispiel ist Brasilien, daß zu den größten
Soja-Exportländern der Erde gehört. Die etwa fünfzehn
Millionen Tonnen Soja, die es jährlich produziert, würden
wahrscheinlich zur Beseitigung der Unterernährung im Land ausreichen
- wenn sie nicht exportiert und in Europa vorwiegend zu Viehfutter
verarbeitet würden. Gleichzeitig bauen brasilianische Landarbeiter,
die meist unter armseligen Bedingungen leben müssen, für
Großgrundbesitzer und multinationale Konzerne auf Plantagen
Zucker für den Export an und züchten Rinder, deren Fleisch
sich in Brasilien allenfalls die reiche Oberschicht leisten kann.
Die Reihe der Beispiele ließe sich noch lange fortsetzen.
Deutlich wird schnell, daß die Menschen in den drei Kontinenten
nicht hungern weil sie zu viele Kinder haben, sondern weil sie für
den Überfluß in den Industrieländern und die Profite
der Nahrungsmittelkonzerne und der Futtermittelindustrie produzieren.
Aber Hunger ist nicht nur das Geschäft des Agrobusiness, sondern
wird mindestens seit den fünfziger Jahren gezielt als Waffe
imperialistischer Politik eingesetzt. Dies geschieht, um Menschen
aus bestimmten Gebieten zu vertreiben und den Boden in diesen Gegenden
zur Gewinnung von Rohstoffen oder zur Nutzung durch Großunternehmen
frei zu machen, sowie um billige Arbeitskrähe für Industrieprojekte
zu rekrutieren.
Außerdem wird der Hunger als politische Waffe eingesetzt,
um mißliebige Regierungen zu beseitigen oder so zu erpressen,
daß sie sich den Diktaten imperialistischer Politik, so insbesondere
denen des Internationalen Weltwährungsfonds (IWF), beugen.
Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Getreide- bzw. insbesondere
die Weizenpreise. Die USA haben als größter Weizenproduzent
einen enormen Einfluß auf die Weltmarktpreise indem sie unter
anderem durch Subventionen den Weizenanbau auf US-Farmen fördern
oder den Weizen eine Zeitlang in den Getreidesilos verschwinden
lassen bzw. ins Meer schütten und damit vom Weltmarkt abziehen.
Der ehemalige US-Senator Humphry bezeichnete in einer Rede einmal
die Nahrungsmittelvorräte der USA als wichtiger als die Atomwaffenvorräte
- vermutlich weil es weniger Aufsehen erregt, wenn man die Leute
gezielt verhungern läßt, als wenn man sie durch einen
Atomkrieg vernichtet.
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