Murray Bookchin:
POLITISCHE ÖKOLOGIE
Die Vorstellung, daß der Mensch die Natur beherrschen müsse,
steht in einem engen Verhältnis zur Beherrschung des Menschen
durch den Menschen selbst. Die patriarchale Familie hat die Saat
der Herrschaft in die zentralen Aspekte der menschlichen Beziehungen
gesät. Der klassische Bruch in der antiken Welt zwischen Körper
und Geist hat die Herrschsucht gefördert und auch die repressiven
Positionen des Christentums haben diese Saat wachsen lasen. Aber
erst als sich die organische Beziehung zwischen den bäuerlichen
Gemeinden in Marktbeziehungen auflösten, wurde der Planet zu
einer Rohstoffquelle reduziert, die man ausbeutete. Diese Jahrhunderte
lang währende Tendenz findet ihre schlimmste Entwicklung im
modernen Kapitalismus. Entsprechend der ihrer Wettbewerbsstruktur
stellt die bürgerliche Gesellschaft nicht nur die Menschen
einander feindlich gegenüber, sie stellt auch die Masse der
Menschheit feindlich der Natur gegenüber. So wie Menschen in
Waren verwandelt werden, so wird auch jeder Teil der Natur zur Ware
und damit zu einer Rohstoffquelle, die man nach Belieben bearbeiten
und verkaufen kann. Begriffe wie Wachstum und Industriegesellschaft dienen dazu diesen Zusammenhang zu verschleiern.
Wenn man die Erde als Zusammenballung von Mineralien versteht,
dann kann der Planet die ständige Zunahme von Abfällen
sicherlich verkraften - dies ändert sich jedoch, wenn man sie
als komplizierte Lebensstruktur auffaßt. Die entscheidende
Frage ist die, ob die Erde diesen Raubbau lange genug überstehen
kann, bis der Mensch das zerstörende gegenwärtige Gesellschaftssystem
durch eine humanere, an ökologische Gesichtspunkten orientierte
Gesellschaft ersetzt hat.
ÖkologInnen werden oft ziemlich spöttisch gebeten mit
wissenschaftlicher Genauigkeit den Zeitpunkt des ökologischen
Kollapses der Natur zu bestimmen, also den Zeitpunkt an dem die
Natur über dem Menschen zusammenbrechen wird. Das ist so ähnlich,
als wenn man einen Psychiater nach dem genauen Zeitpunkt fragt,
an dem aus einem Neurotiker ein unberechenbarer Psychopath wird.
Man wird eine derartige Auskunft niemals geben können. Aber
die ÖkologInnen können strategische Einsichten darüber
vermitteln, in welcher Richtung sich die Menschheit auf Grund ihres
Bruchs mit der natürlichen Umwelt weiterentwickeln wird.
Der Prozeß der Ausbeutung der menschlichen Umwelt, der diese
immer wüster und rauher macht, hat sowohl eine kulturelle als
auch eine physische Dimension. Die Gesellschaft ist trotz ihrer
demokratischen Fassade in wesentlichen Teilen totalitär, zentralistisch
und gleichgeschaltet. Alles was spontan, kreativ und individualistisch
ist, wird von standardisierten Elementen eingeengt. Der Mensch wird
wie ein Rädchen im Getriebe behandelt, anstatt seine individuelle
und qualitative Eigenschaften zu erkennen, den größten
Wert auf die ureigenste Persönlichkeit zu legen, auf freien
Ausdruck und kultivierte Vielfalt. Die Bedürfnisse werden von
den Massenmedien gelenkt, um ein allgemeines Bedürfnis für
vollkommen nutzlose Waren zu erwecken, von denen jede absichtlich
so hergestellt ist, daß sie nach einer vorherbestimmten Zeit
kaputtgeht. Der Plünderung des menschlichen Verstandes durch
den Markt entspricht die Ausbeutung der Erde durch das Kapital.
In einem besonderen Maße findet die rücksichtslose Ausbeutung
der Natur in der modernen Landwirtschaft statt. Um Produktivität
und Effektivität zu erhöhen, um die Kapitaleinlagen zu
maximieren muß die Natur an den Maximen der Verwertung ausgerichtet
und die Bodenbepflanzung klar reguliert werden. Im übertragenden
Sinne wird sie zu einem Fabrikboden eingeebnet, welcher die natürliche
Vielfalt verschwinden läßt. In weiten Landgebieten wird
inzwischen nur noch eine einzige Frucht angebaut, was den Boden
langfristig unfruchtbar und die Pflanzen wesentlich anfälliger
macht. Deshalb werden in großem Umfang chemische Wirkstoffe
verwendet, was wiederum weitreichende Folgen nicht nur für
die Pflanzenwelt, sondern auch für Tiere und innerhalb der
Nahrungskette auch für den Menschen hat.
Riesige Gebiete der Erde werden ausschließlich an speziellen
industriellen Aufgaben ausgerichtet oder zu Rohstofflagern degeneriert.
Viele Städte und Landstriche spezialisieren sich auf bestimmte
Produkte, wodurch das komplizierte Ökosystem, welches auf verschiedenen
Zonen basiert, nachhaltig beeinträchtigt wird. Diesem Ansatz
entsprechend werden ganze Gebiete und Länder nur noch als ökonomische
Einheiten betrachtet; jede auf ihre Weise ein Glied in einer riesigen,
zerstörenden Industriekette, die weltweit die Erde umspannt.Der
Mensch bewirkt daurch eine Rückentwicklung der Biosphäre,
die nur noch einfachere Lebensformen beherbergen kann. Wenn diese
elementare Umkehrung des evolutionären Prozesses anhält,
ist es keineswegs übertrieben, wenn angenommen wird, daß
die Voraussetzungen für höher entwickeltes Leben in irreparabler
Weise zerstört werden und die Erde letztlich auch nicht mehr
fähig sein wird, menschliches Leben zuzulassen.
Die politische Ökologie leitet ihren Anspruch nicht nur aus
der Tatsache ab, daß sie als weitgehend einziger Wissenschaftszweig
diese grauenvolle Botschaft verkündet, sondern auch daraus,
daß sie diese Botschaft in einem gesellschaftlichen Zusammenhang
verkündet. Von einem ökologischen Standpunkt aus ist die
derzeitige, äußerst bedrohliche Situation das Resultat
der Widersprüche zwischen Staat und Gemeinde, Industrie und
Landwirtschaft, Zentralismus und Regionalismus, kapitalistischen
und menschlichen Maßstab.
Auszug aus: Murray Bookchin / Ecology and Revolutionary Thought
Murray Bookchin Archive
Thanks to Murray Bookchin.
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