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DIE HERRSCHAFT DES EMPIRE:
- Redaktion So oder So / Theorie in Kriegszeiten
- Michael Hardt / Die globalen Institutionen sind nicht demokratisch
reformierbar.
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Redaktion So oder So / Libertad!:
THEORIE IN KRIEGSZEITEN
- In welcher Welt leben wir eigentlich? -Empire. Die neue
Weltordnung, das neueste Buch von Michael Hardt und Tonio
Negri, ist in vielem eine Provokation. Eine Provokation im positiven
Sinne, weil es dazu anregt,, bestimmte vertraute Begriffe und Denkweisen
zumindest zu überprüfen oder neu zu diskutieren. Das beginnt
mit dem Titel. Der Imperialismus ist tot, was lebt, ist das Imperium,
das Empire. Für Negri/Hardt gibt es keinen Imperialismus
mehr, weil es nichts mehr zu erobern gibt. Im Empire läuft
demnach die Geschichte nicht auf ein Absterben der Staatsgewalt
hinaus, sondern auf ihre universelle Verallgemeinerung. Ihr Ergebnis
ist ein Weltreich der Globalisierung, das keine Eroberung und Expansion
seiner Märkte mehr kennt. Suchte der Imperialismus die kapitalistische
Produktionsweise durch Aneignung neuer Territorien (Ressourcen,
Arbeitskraft, Märkte) zu erweitern, so zielt das Empire nach
der Eroberung der Welt auf die vollständige Unterwerfung des
Lebens selbst. Die Autoren nennen das Bio-Macht - die
Kapitalisierung aller Lebensäußerungen. Damit ist der
Krieg nicht abgeschafft, vielmehr mutiert er zur lokalen wie globalen
Polizeiaktion mit der Tendenz zum Bürgerkrieg. Heute
wird der Feind wie auch der Krieg selbst, so Negri und Hardt,
zugleich banalisiert und verabsolutiert, er wird reduziert
auf ein Objekt der polizeilichen Routine und dargestellt als der
große Feind, die absolute Bedrohung der ethischen Ordnung.Empire
wurde zwischen dem Golfkrieg 1991 und dem Eintritt in den Kosovokrieg
1997 geschrieben, erscheint aber erst jetzt auf deutsch. Bislang
lag Empire nur in seinem englischen Original und - auch dies eher
ungewöhnlich - in einer türkischen Übersetzung vor,
die neben unzähligen Raubdrucken bereits ihre 3. Auflage erfuhr.
Aber nicht nur in der anglophonen und türkisch-sprachigen Linken
wird die Theorie des Empire gleichermaßen emphatisch wie hitzig
kontrovers diskutiert. Selten zuvor in den letzten Jahren hat auch
in Deutschland ein theoretisches Buch vor seiner Veröffentlichung
in unzähligen Rezensionen in Zeitschriften und Debattenbeiträgen
auf Webseiten derart für Gesprächsstoff gesorgt; von einer
eher diskursorientierten Linken bis hin zur jüngsten Ausgabe
der antifaschistischen phase 2. Für nicht Wenige gilt Empire
als ästhetische Reflexion, sogar als vorweggenommenes theoretisches
Manifest der Antiglobalisierungsbewegung, die in dem Begriff der
Multitude ihre Charakterisierung als offene Sammlung,
Menge, Vielfältigkeit und geschichtliches Subjekt finden könnte.Nach
Hardt/Negri ist das Imperium nicht nur ein totalitäres, sondern
auch ein extrem verletzbares Weltsystem. Jeder Angriff trifft die
Macht nunmehr zwangsläufig in ihrem Innern, und gerade diese
Allumfassendheit sei es, die das System so verwundbar macht. Gründe
genug also auch für Linksradikale, sich mit dieser Einschätzung
praktisch wie auch theoretisch auseinander zu setzen. Erst recht
sollte das gelten, wenn sich bewahrheiten würde, was andere
argwöhnen, die das Buch als politisches Programm lesen wollen,
und in ihm aufgrund seines radikalen Produktivismus schon die Gefahr
einer neuen Herrschaftsideologie (ak) vermuten.Der US-amerikanische
Literaturwissenschaftler Michael Hardt sprach zuletzt u.a. auf dem
2. Sozialforum von Porto Allegre im Februar 2002. Tonio Negri saß
bis vor kurzem aufgrund seiner Geschichte als einer der Begründer
der operaistisch orientierten militanten Organisation Potere Operaio
(Arbeitermacht) und führender Theoretiker der italienischen
Autonomia in den Siebzigern im römischen Rebbibia-Gefängnis
ein, und steht noch immer unter verschärftem Hausarrest. Der
Text von Michael Hardt ist eine zusammenfassende Transkription der
Rede, die er anlässlich der deutschen Veröffentlichung
von Empire am 20. März in der Berliner Volksbühne hielt.
Die
Redaktion So oder So / Libertad!
Aus:
So oder So - Die Libertad!-Zeitung - Nr. 11- Frühjahr 2002
- Seite 6/7
http://www.sooderso.de
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Michael Hardt:
DIE GLOBALEN INSTITUTIONEN SIND NICHT DEMOKRATISCH REFORMIERBAR
Unser Begriff des Empire lässt sich am ehesten verstehen,
wenn man vom Konzept der Souveränität ausgeht. Empire
heißt eine neue Form der Souveränität. Empire ist
die souveräne Macht in der Epoche der Globalisierung der kapitalistischen
Produktion und Zirkulation.
Man kann gewiss davon ausgehen, dass mit den kapitalistischen Globalisierungsprozessen
die Souveränität der Nationalstaaten zerfällt, obwohl
diese immer noch eine bedeutende Rolle spielen. Die grundlegenden
Momente der Produktion und Zirkulation - also in der Terminologie
der politischen Ökonomie Geld, Technologie, Menschen und Güter
-diese Faktoren bewegen sich zunehmend über nationalstaatliche
Grenzen hinweg. Nationalstaaten besitzen immer weniger die Macht,
diese Ströme zu lenken und sich gegenüber der Ökonomie
durchzusetzen. Selbst die führenden Nationalstaaten sollte
man sich nicht als höchste und souveräne Autoritäten
vorstellen. Weder innerhalb noch außerhalb ihrer Grenzen.
- Die Herrschaft des Empire kennt keine Schranken -
Der Niedergang der Souveränität von Nationalstaaten bedeutet
jedoch nicht, dass Souveränität als solche im Niedergang
begriffen wäre. Die Veränderungen der Gegenwart, also
die ökonomische und soziale Produktion und Reproduktion, sind
weiter durch politische Kontrolle und Intervention beherrscht. Unsere
grundlegende Hypothese ist deshalb, dass Souveränität
eine neue Form angenommen hat, dass Souveränität heute
eine Reihe nationaler und supranationaler Organismen verbindet,
die eine einzige Herrschaftslogik eint. Diese neue globale Form
der Souveränität nennen wir Empire. Das Empire ist weder
homogen, noch überall gleich. Es weist Differenzen und Konflikte
auf. Gleichzeitig kann man erkennen, dass die Kräfte im Empire
weder einheitlich, noch in die gleiche Richtung wirken. Um die Machtverhältnisse
innerhalb einer einzigen globalen Konstitution zu analysieren, greifen
wir auf die These einer Gemischten Konstitution zurück.
Der antike Philosoph Polybius verwendete den Terminus Gemischte
Konstitution, um das römische Imperium zu beschreiben.
In dessen Verfassung sah er die Grundformen der Herrschaft vereinigt:
Monarchie, Aristokratie und Demokratie.
Als monarchische Form der Macht erscheinen heute bisweilen
das Pentagon oder die WTO, oder der IMF, manchmal auch Hollywood.
Zu einem anderen Zeitpunkt scheinen aristokratische
Kräfte die Macht auszuüben: Transnationale Konzerne sind
in diesem Sinn aristokratisch, oder häufig auch Nationalstaaten.
Und schließlich kann man als demokratische Mächte
jene ansehen, die zumindest dem Anspruch nach das Volk repräsentieren.
Auch diese Funktion übernehmen häufig Nationalstaaten.
Doch die interessantesten demokratischen Kräfte im Empire sind
die Nichtregierungsorganisationen oder NGO.
Die These der Gemischten Konstitution erlaubt uns die
Analyse dieser Machtverhältnisse in einem globalen Konstitutionszusammenhang.
Die Anforderung für die Analyse des Empire bleibt aber bestehen,
nämlich zu zeigen, welche Machtdimensionen es gibt, wie sie
interagieren, wie sie einander einschließen und unterordnen,
wie sie zusammenwirken oder in Konflikt zueinander geraten. Der
Terminus Gemischte Verfassung benennt also die Problematik;
die Dynamik der Herrschaft bleibt jedoch zu analysieren.
Wenn ich vom Zerfall der Souveränität der Nationalstaaten
sprach, so muss darauf hingewiesen werden, dass Nationalstaaten
weiterhin über große Macht verfügen und eine wichtige
Rolle spielen. Die verschiedenen Momente der Macht des Nationalstaats
- Wirtschaft, Finanzen, Gesellschaft, Recht und so weiter - werden
neu zusammengesetzt. Nationalstaatliche Macht besteht fort, sie
wird durch das Empire reorganisiert, sie geht in die imperiale Form
der Souveränität ein.
Die Souveränität des Nationalstaats war der Eckstein
des Imperialismus. Unter Empire verstehen wir allerdings
etwas vollkommen anderes als Imperialismus. Für
den europäischen Kolonialismus ebenso wie für die ökonomische
Expansion waren die durch das moderne System der Nationalstaaten
geschaffenen Grenzen grundlegend. Die Territorialgrenzen der Nation
umschlossen ein Zentrum der Macht, das die Ströme der Produktion
und Zirkulation systematisch kanalisierte und blockierte, abwechselnd
förderte und unterband, und so über fremde Territorien
Herrschaft ausübte. Der Imperialismus dehnte die Souveränität
europäischer Nationalstaaten über deren eigene Grenzen
hinaus aus. Im Gegensatz zum Imperialismus etabliert das Empire
kein territoriales Zentrum der Macht, und es beruht auch nicht auf
festgelegten Grenzziehungen und Schranken. Es ist dezentriert und
deterritorialisierend, ein Herrschaftsapparat, der Schritt für
Schritt den globalen Raum in seiner Gesamtheit aufnimmt, ihn seinem
offenen und sich weitenden Horizont einverleibt. Das Empire organisiert
und arrangiert hybride Identitäten, flexible Hierarchien und
eine Vielzahl von Austauschverhältnissen durch abgestimmte
Netzwerke des Kommandos.
Um das kurz zusammenzufassen:
Den Begriff Empire charakterisiert maßgeblich das Fehlen von
Grenzziehungen: Die Herrschaft des Empire kennt keine Schranken.
- Erstens setzt der Begriff Empire ein Regime voraus, das den Raum
in seiner Totalität vollständig umfasst. Keine territorialen
Grenzziehungen beschränken die Herrschaft.
- Zweitens stellt sich im Begriff Empire kein historisches Regime
dar, das aus Eroberungen hervorging, sondern vielmehr eine Ordnung,
die Geschichte vollständig suspendiert. Aus der Perspektive
des Empire ist alles so, wie es immer sein wird und wie es immer
schon sein sollte.
- Drittens bearbeitet die Herrschaft des Empire alle Register der
sozialen Ordnung. Das gesellschaftliche Leben in seiner Gesamtheit
wird zum Gegenstand der Herrschaft. Das Empire stellt so die paradigmatische
Form von Biomacht dar.
- Viertens ist das Empire in der Praxis ein fortwährendes Blutbad
- dem Begriff nach aber der ewige und allumfassende Frieden außerhalb
der Geschichte.
- Der imperiale Bürgerkrieg -
Auf diese neue Epoche von Krieg und Frieden möchte ich nun
genauer eingehen.
Die Welt befindet sich erneut im Krieg. Krieg heißt in der
Neuzeit, der bewaffnete Konflikt zwischen Nationalstaaten, also
allgemeiner: zwischen souveränen politischen Entitäten.
Doch da es oberhalb oder außerhalb des Empire keine souveräne
Macht gibt, ist auch kein Krieg in diesem Sinne möglich. Zugleich
gibt es im Empire ungezählte bewaffnete Konflikte. Das Empire
ist per definitionem das Reich des Friedens, und zeigt sich zugleich
permanent im Krieg. Das ist nur scheinbar paradox: Die zahlreichen
bewaffneten Konflikte überall auf der Welt sind Etappen eines
Bürgerkriegs. Denn Bürgerkrieg heißt der bewaffnete
Konflikt zwischen nichtsouveränen Kombattanten innerhalb eines
souveränen Territoriums. Jede Etappe des Bürgerkriegs,
jeder lokale Krieg kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern
ist Teil einer umfassenden Konstellation, ist verknüpft mit
anderen Kriegsschauplätzen und Gegenden, in denen gegenwärtig
kein Krieg herrscht. Keine der Konfliktparteien ist souverän
oder kann Souveränität erringen. Die Auseinandersetzung
spielt sich innerhalb der Hierarchien des imperialen Weltsystems
ab.
Die Angriffe auf das Pentagon und das World Trade Center am 11.
September 2001 haben diese Situation nicht grundlegend verändert.
Doch sie zwingen uns, den Kriegszustand im Empire anzuerkennen,
zu erkennen, dass kein Ende in Sicht ist.
Der imperiale Kriegszustand erodiert die Unterscheidung zwischen
Krieg und Frieden.
Diese Welt im Krieg erinnert an die Situation Europas im Dreißigjährigen
Krieg. Im Roman Simplicissimus von Johann Jakob von Grimmelshausen
finden wir, nebenbei bemerkt, diese Situation gestaltet. In gewisser
Weise entstand die europäische Moderne als Antwort auf den
allgemeinen Kriegszustand des Dreißigjährigen Kriegs
und der Bürgerkriege in England. Ein zentrales Moment im politischen
Projekt der Aufklärung und des Liberalismus war es, dem Kriegszustand
die Grundlage zu entziehen: Man drängte den Krieg an den Rand
der bürgerlichen Gesellschaft und erklärte ihn zeitlich
zur Ausnahme.
Nur die souveräne Macht - also der König oder der Staat
- konnte Krieg gegen eine andere souveräne Macht führen.
Der Krieg verschwand vom innenpolitischen Feld, nur der Konflikt
zwischen Staaten hieß fortan Krieg. Entsprechend die Unterscheidung
zwischen Polizei und Armee: Aufgabe der ersteren ist die Aufrechterhaltung
des gesellschaftlichen inneren Friedens, letztere ist für die
äußere Kriegsführung zuständig. Krieg wurde
zur Ausnahme, Frieden zur Norm.
Die Trennung von Krieg und Politik war für das politische
Denken und für die politische Praxis der Moderne zentral. Dies
gilt auch für Vertreter der so genannten realistischen Schule.
Man denke etwa an den vielzitierten Satz Carl von Clausewitz, wonach
der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. Nach
Ansicht von Clausewitz ist der Krieg als Mittel, außenpolitische
Interessen zu verfolgen, den politischen Kämpfen und Konflikten
innerhalb der Gesellschaft fremd. Ähnlich geht die berühmte
Definition von Carl Schmitt, wonach Politik auf der Unterscheidung
zwischen Freund und Feind beruhe, von der Politik souveräner
Staaten aus. Der Staatsfeind Schmitts ist zunächst der souveräne
Staat. Liberale wie Antiliberale eint so die Auffassung, dass Politik,
da man den Krieg von den Konflikten in der national verfassten Gesellschaft
getrennt hatte, unter normalen Bedingungen kein Krieg sei.
Der Zerfall nationalstaatlicher Souveränität und die
Entstehung souveräner Formen auf supranationaler Ebene bedeutet
das Ende dieser modernen Strategie, den Krieg auf den Konflikt zwischen
Staaten einzugrenzen, und so Krieg und Politik voneinander zu isolieren.
Da die räumliche und zeitliche Beschränkung des Kriegs
- als Konflikt zwischen souveränen Staaten - sich auflöst,
zerfällt auch die klare Unterscheidung zwischen Akten zur Erhaltung
des Friedens und Akten des Kriegs. Krieg verallgemeinert sich in
alle Bereiche des gesellschaftlichen Felds.
Diese Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts, gekennzeichnet
durch die Herausbildung des Empire, legt es nahe, von einer tatsächlichen
Kontinuität zwischen Krieg und Politik auszugehen, oder die
Funktionsweise der Macht selbst als Krieg zu zeigen.
Michel Foucault kehrt in diesem Sinn Clausewitz' Formulierung polemisch
um. Er nennt Politik die Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln.
Krieg ist das Prinzip, das die Gesellschaft organisiert. Ähnlich
hatten auch Theoretiker in der kommunistischen Tradition Krieg und
Politik als Zusammenhang begriffen: Man denke an Mao Zedongs Formulierung,
Politik sei Krieg ohne Blutvergießen, oder an Gramscis Unterscheidung
zwischen Stellungs- und Bewegungskrieg für die politische Strategie.
Foucault aber sieht den Krieg als allgemeine Matrix von Machtbeziehungen
und Herrschaftstechniken. Politik wäre die Sanktionierung
und Erhaltung des Ungleichgewichts der Kräfte, wie es sich
im Krieg manifestiert. [...] Die politische Macht hätte nach
dieser Hypothese die Aufgabe, dieses Kräfteverhältnis
mittels einer Art stillen Krieges beständig von Neuem in die
Institutionen, die ökonomischen Ungleichheiten, in die Sprache
und in die Körper einzuschreiben. (Vorlesung vom 7. Januar
1976). Foucaults Hypothese begreift die Herausbildung des Empire
im späten 20. Jahrhundert. Sein Machtkonzept legt das Ende
der modernen Trennung von Krieg und Politik offen.
Die metaphorische Rede vom Krieg war schon lange Teil von Alltagsdiskursen,
um von Wettbewerb und Kräftemessen zu sprechen, sei es im Sport
oder in der Innenpolitik. Die metaphorische Rede unterstreicht die
Risiken, die Heftigkeit und die Konflikte, beruht jedoch selbst
auf der Differenz zum wirklichen Krieg. Die metaphorische Rede vom
Krieg wird politisch strategisch eingesetzt; sie dient der totalen
Mobilisierung divergierender sozialer Kräfte. Im Krieg
gegen die Armut, den in den USA Mitte der sechziger Jahre
die Johnson-Regierung ausrief, diente der Kriegsdiskurs beispielsweise
dazu, im nationalen Rahmen soziale Konflikte auszuschalten.
Mit dem Krieg gegen die Drogen seit den Achtzigern,
und mehr noch mit dem aktuellen Krieg gegen den Terrorismus
beginnt die Kriegsrhetorik sich zu verschieben. Wie schon in der
früheren Kriegsmetaphorik sind die Feinde weder Nationalstaaten,
noch politische Gruppen oder Individuen, sondern Vorstellungen oder
eine bestimmte Praxis.
Der Krieg gegen den Terrorismus zeigt den Übergang
von der metaphorischen und rhetorischen Anrufung des Kriegs zum
wirklichen Krieg gegen nicht definierte, immaterielle Feinde. Die
erste Konsequenz dieser neuen Art Krieg ist das Verwischen jeglicher
räumlichen und zeitlichen Schranke des Kriegs. Er kennt keinen
Sieg, keine Niederlage und keinen Waffenstillstand. Der Krieg gegen
Vorstellungen und Praxen ähnelt von daher Religionskriegen.
Die zweite Konsequenz ist die Auflösung jeder Vorstellung
von Konfliktpartei. Insofern der Feind abstrakt bleibt, ist die
Front der Alliierten expansiv und potenziell universal. Das Wiederaufleben
des Topos vom Gerechten Krieg im Namen der Menschenrechte
im Zusammenhang des Kriegs gegen den Terror ist ein überzeugender
Hinweis auf diese Seite des Empire. Die Vorstellung der Gerechtigkeit
dient dazu, den imperialen Krieg jenseits der Partikularinteressen
zu universalisieren.
Wir sollten nicht vergessen, dass das politische Denken der Moderne
darauf zielte, den mittelalterlichen Gerechten Krieg
der Kreuzzüge und Religionskriege zu tilgen. Die Kriegsvorstellung
der Moderne verknüpft Krieg nicht nur mit der Politik des Nationalstaats,
sondern trennt den Begriff zugleich von ethischen oder religiösen
Vorstellungen, säkularisiert ihn also. In der traditionellen
Vorstellung vom Gerechten Krieg war die Banalisierung
des Krieges und seine Überhöhung als ethisches Mittel
mit eingeschlossen. Mit der Erneuerung des Topos vom Gerechten
Krieg im Empire taucht auch die Entsprechung wieder auf, das
Böse als Feind der gesamten Menschheit.
Ein letztes: Ebenso wenig wie Gerechtigkeit gehört Demokratie
zur Ordnung des Kriegs. Krieg mobilisiert und totalisiert die Gesellschaft.
In der Moderne galt die Aussetzung demokratischer Verfahren in Kriegszeiten
als Ausnahmezustand. Im Empire wird der Kriegszustand zur permanenten
Bedingung, die Ausnahme zur Regel. Dies gilt es weiter zu untersuchen:
wie der Kriegszustand nicht mehr länger eine Ausnahme darstellt,
sondern selbst zur Herrschaftsform wird. In diesem Horizont existieren
weder Frieden noch Demokratie.
Ich möchte diese kurzen, einleitenden Bemerkungen einer Analyse
des imperialen Kriegs noch einmal zusammenfassen.
- Wenn erstens das Empire heute die einzige souveräne Macht
ist, dann kann es keine Kriege, wie sie die Moderne sah, mehr geben,
das heißt Kriege zwischen souveränen Nationalstaaten.
Kriege sind heute Bürgerkriege. - Die moderne Vorstellung des Kriegs beruhte zweitens auf der Trennung
des Kriegs von der Politik.
- Drittens bereitet die neue Epoche des Bürgerkriegs der Trennung
des Kriegs von der Politik ein Ende. Politik lässt sich also,
wie es Foucault beschrieb, vom Krieg nicht länger unterscheiden.
- Der allgemeine Kriegszustand macht viertens Demokratie nach modernem
Verständnis unmöglich.
- Demokratie -
Was bedeutet nun Demokratie angesichts des permanenten Bürgerkriegs
im Empire? Demokratische Vorstellungen und demokratische Praxis
befinden sich überall in der Krise. Man kann allerdings nicht
einfach das moderne Konzept von Demokratie übernehmen. Demokratie
war in der Moderne gebunden an den Nationalstaat, an verschiedene
repräsentative Institutionen und Verfahren, wie Wahlen, Parteien,
Gewerkschaften etc. Demokratie beruhte auf nationaler Souveränität.
Die demokratischen nationalstaatlichen Institutionen repräsentierten
das Volk, und von daher nahm die nationale Souveränität
tendenziell die Form der Volkssouveränität
an. Nationale Souveränität ist Souveränität
des Volkes.Doch was oder wer ist das Volk?
Das Volk ist die Repräsentation, die aus einer Bevölkerung
eine Einheit schafft. Das Volk ist weder eine unmittelbare Einheit,
noch beruht es auf einer Identität, sondern es ist das Ergebnis
eines komplexen Prozesses im Innern einer historischen Gesellschaftsformation.
Drei Momente sind hier entscheidend und verknüpfen die Konzepte
von Volk und Nation.
- Erstens bedarf das Volk als Souverän einer Identität
und Einheit.
- Zweitens wird aus der heterogenen Bevölkerung das Volk durch
Mechanismen der Repräsentation - Repräsentation sowohl
im politischen wie im ästhetischen Sinn.
- Drittens liegen der Repräsentation Kalkulationen und Grenzziehungen
zugrunde. Nur eine kalkulierte und begrenzte Menge kann als Einheit
repräsentiert werden, nicht die maßlose und grenzenlose.
Im Prozess der Globalisierung, den wir den Übergang zum Empire
nennen, beginnt der nationale Raum seine Begrenzungen und seine
Definitionsmacht zu verlieren.
Die Souveränität verschiebt sich vom Nationalstaat zum
Empire, und mit ihr der Maßstab der politischen Realität.
Aus einer institutionellen Perspektive betrachtet gerät die
imperiale Souveränität in Konflikt mit Vorstellungen von
Volkssouveränität. Man denke nur an das Funktionieren
supranationaler Institutionen wie Weltbank, Welthandelsorganisation
oder Internationaler Währungsfond. Es ist klar, dass diese
supranationalen Institutionen zur Repräsentation weder willens
noch in der Lage sind. Wenn man also in diesen Institutionen Repräsentation
sucht, wird man unweigerlich auf ein demokratisches Defizit
stoßen.
In diesem Sinn ist der Ausdruck Demokratie heute präsent.
An Vorschlägen zur Demokratisierung der supranationalen Institutionen
mangelt es nicht, etwa von reformorientierten Liberalen wie Robert
Keohane oder Ulrich Beck: Schlagworte wie Transparenz, Verantwortung
und Führung werden ausgegeben. Doch stammen sie aus dem Planungsvokabular
kapitalistischen Managements. Sie zielen auf ökonomische Effizienz
und Stabilität, und nicht auf irgendeine Form demokratischer
Kontrolle.
Ich will darauf hinaus, dass innerhalb des traditionellen Rahmens
moderner Demokratievorstellungen eine demokratische Reform der globalen
Institutionen gar nicht denkbar ist. Die moderne Vorstellung von
Demokratie, die verschiedenen Mechanismen demokratischer Repräsentation
und Willensbildung, waren auf den nationalen Raum zugeschnitten
und können im globalen Maßstab nicht funktionieren. Die
globalen Institutionen sind nicht demokratisch reformierbar. Demokratie
ist erneut das Problem, vergleichbar dem der frühen Neuzeit
in Europa. Wir stehen vor diesem Problem, weil wir heute in einem
vergleichbaren historischen Übergang leben, vor dem Problem,
eine Theorie und Praxis der Demokratie neu zu erfinden.
(Zusammenfassung und Übersetzung Thomas Atzert)
Aus: So oder So - Die Libertad!-Zeitung für internationale Zusammenarbeit
und Solidarität - Nr. 11- Frühjahr 2002.
Empire. Die neue Weltordnung. Michael Hardt, Antonio Negri.
Campus Verlag, Frankfurt, New York 2002.
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