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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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THE EX:

- The Ex / Das Medium ist die Massage
- W. Sterneck / The Ex und die Autonomie

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The Ex:

DAS MEDIUM IST DIE MASSAGE


Punk hatte sich schnell verbreitet und es schien als gäbe es überall Konzerte. Eine gewisse Stimmung lag in der Luft, dieses ”Hey, warte mal einen Moment - Wir können das auch...”. Und wie so viele andere beschlossen auch wir eine Band zu gründen. Damals bedeutete es einfach Spaß (zu versuchen) Musik zu machen und wir konnten nicht ahnen, was sich daraus entwickeln sollte.

Es war die Zeit als die holländischen HausbesetzerInnen die neue Königin äußerst aufrührerisch begrüßten. Eine Zeit, zu der es noch möglich war gegen die Polizei zu gewinnen. Nachdem die staatliche Gewalt immer mehr eskalierte wurde dies später unrealistisch, was aber selbstverständlich nicht bedeutete, daß von da an auf den Straßen alles ruhig wurde - die sozialen Mißstände blieben bestehen. Zweifellos waren wir von dieser Bewegung beeinflußt, nicht zuletzt weil wir selbst HausbesetzerInnen waren.

Der Vorteil eine Punk-Band zu gründen, lag darin, daß niemand besonders gut spielen mußte. Gerade für uns ist dies ein glücklicher Umstand, denn wir haben immer noch viel zu lernen. Wir kümmerten uns nicht um Akkord-Schemen oder Kompositionsrichtlinien, weil unserem Verständnis nach Punk bedeute, daß du musikalisch tun kannst was du willst.

Am Anfang stand für uns kein besonderes Ziel oder Ideal im Vordergrund. Die Band entwickelte sich und wir wuchsen mit ihr, vor allem weil wir große Freude daran hatten (und noch immer haben) Musik zu machen. Wir lernten die Instrumente zu benutzen (auch wenn wir niemals richtige MusikerInnen werden wollten - sie sind einfach nur langweilig) und wir erkannten, daß es mehr gibt als Musik nur zum Zweck der Musik zu veröffentlichen.

Du kannst im Proberaum rumhängen und herkömmliche Konzerte geben, aber du kannst auch bei Demonstrationen und bei Aktionen spielen, du kannst den Leuten Informationen weitergeben, die sie nicht in der bürgerlichen Presse finden, musikalische Projekte auf die Beine stellen und für einen guten Zweck spielen. Musik steht für uns vor allem für die Freiheit des Ausdrucks. Wir sehen Musik als Mittel des Strebens nach Freiheit. Und es gibt nur eine Freiheit - dort wo es keine Unterdrückung gibt.

Über die Jahre hinweg änderten sich unsere Überzeugungen nicht wesentlich. Wir verloren allerdings etwas von unserer Naivität und wurden hinsichtlich unserer Möglichkeiten etwas realistischer. Durch unsere eigenen Erfahrungen und Entscheidungen fanden wir im Laufe der Zeit die Strukturen in denen wir arbeiten wollten.

Die ganze Band ist an der Entstehung der Musik beteiligt. Es gibt keinen Chef, der den anderen sagt was zu tun ist. Jemand hat eine Idee und die anderen tragen zu ihr bei. Dann ist es ein Prozeß des Austüftelns und Ausprobierens bevor der Song seine definitive Gestalt erhält. Auch wenn wir in den Jahren einen bestimmten Stil des ”Songschreibens” entwickelt haben, so kann prinzipiell die Musik jede mögliche Form annehmen - wir sind keinem bestimmten Schema verhaftet (Wir machen keine Pop-Musik!). Es ist immer wieder äußerst reizvoll nach neuen Wegen der Zusammenarbeit und der Kreativität zu suchen, die eigenen Möglichkeiten zu erkennen und die eigenen Grenzen zu erforschen und zu überwinden.

Die Texte sind genauso wichtig wie die Musik. Beide drücken unsere Vorstellungen und Überzeugungen aus. Wir glauben, daß jede Form kulturellen Ausdrucks eine politische Aussage hat - entweder ist es eine geistlose, verdummende Flucht vor der Wirklichkeit oder eine des Glücks und des Zorns.

Wenn wir wissen, daß ein Straßenzug weiter ein Haus geräumt wird, daß die Polizei Menschen ohne Grund verprügelt oder einige Manager eine große Zahl von ArbeiterInnen entläßt, dann sind wir einfach nicht in der Verfassung alberne Liebeslieder zu singen. Die Dinge, die wir sehen, machen uns zornig. Wir singen über die Ungerechtigkeit und die Heuchelei, die um uns herum oder weit von uns entfernt gegeben ist. Andererseits singen wir aber auch über Dinge, die wir mögen, Dinge die uns inspirieren, Alternativen zu dem Mist, den uns die ”Zivilisation” ins Gesicht geschleudert hat.

In einer Band zu spielen ist für uns keineswegs das wichtigste in unserem Leben, aber es ist ein Teil unserer Lebensweise. Weder die Texte noch die Musik können von unserem Leben außerhalb der Band getrennt werden, da alles in einem engen Zusammenhang steht. Sollte dies einmal nicht mehr der Fall sein, verliert die Band für uns ihre Existenzberechtigung.

Wir sind auf Gleichheit und Demokratie innerhalb und außerhalb der Band bedacht. Für uns geht es im Leben um Solidarität und Zusammenarbeit, nicht um Egoismus, Habgier oder Konkurrenz. Dies führt dazu, daß wir es vorziehen mit Leuten und Bands zusammenzuarbeiten, die eine ähnliche Einstellung haben. Konkret bedeutet dies: kein sexistischer, rassistischer oder faschistischer Schwachsinn in den Aussagen und Handlungen. Und in Bezug auf die Auftritte keine Unterteilung in ”Haupt-” und ”Vorgruppe” (jede Band ist gleichwichtig), sondern gegenseitige Unterstützung, wenn es beispielsweise darum geht Equipment auszuleihen, sowie eine faire Aufteilung des Geldes. (Dies hört sich so einfach und selbstverständlich an, aber in der Rock-Kultur scheint eine derartige Einstellung äußerst ungewöhnlich zu sein - und darum hassen wir Rockstars, besonders die ”alternativen”.)

Wir sind keine Idealisten und stehen auch nicht außerhalb dieser Welt, wir sind realistisch. Wir sehen die Musik nicht als Mittel, um reich oder berühmt zu werden (tatsächlich führt dies zu abscheulichen Menschen). Es sind diejenigen, die davon träumen, die auf einer Wolke schweben, denn um dies zu erreichen, muß man alle anderen ausnutzen.

Für uns ist Musik mehr als nur eine Geräuschtapete. Neben der reinen Unterhaltung geht es vor allem um Kommunikation. Einerseits bedeutet dies Konfrontation, ein Angriff auf die vorgegebene Weise des Hörens, und auf der anderen Seite bedeutet es die Identifikation mit bestimmten Einstellungen, sowie deren Ausdruck und Vermittlung. Es ist eine Form, um gemeinsame Ideen und Ideale zu erkennen. Es ist ein Weg der Kommunikation, der die Barrieren von Ländern und Sprachen überwindet.

G. W. Sok / The Ex

The Ex, P.O.Box 635, 1000 AP Amsterdam, Holland. www.theex.nl
The Ex: Live-Pics

Thanks to G. W. Sok & The Ex.

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Wolfgang Sterneck:

THE EX UND DIE AUTONOMIE

Eine wesentliche Wurzel von The Ex liegt in der holländischen Kraaker-Bewegung, die versuchte über Hausbesetzungen Freiräume zu schaffen, in denen es möglich ist ein weitmöglichst selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Band selbst versteht sich als ”geräuschvoller Teil der autonomen Bewegung”, in der sich anarchistische, kommunistische und feministische Inhalte widerspiegeln. Zur Zeit der Bandgründung um 1980 bestand allerdings ein derartiges Selbstverständnis nur ansatzweise. ”Vor allem weil es uns große Freude bereitete Musik zu machen, entwickelte sich die Band und wir wuchsen mit ihr. Wir lernten die Instrumente zu benutzen, auch wenn wir niemals richtige MusikerInnen werden wollten, und wir erkannten, daß es mehr gibt als Musik nur zum Zweck der Musik zu veröffentlichen. Du kannst im Proberaum rumhängen und gewöhnliche Konzerte geben, aber du kannst auch bei Demonstrationen und bei Aktionen spielen, du kannst Informationen weitergeben, die sich nicht in der bürgerlichen Presse finden lassen.”

Geblieben ist über die Jahre hinweg der typische Stil der Band, welcher Punk, Hardcore und experimentelle Einflüsse vereint, auch wenn dieser beständig weiter entwickelt und durch neue Elemente bereichert wurde. Ein wesentliches Merkmal ist dabei die Offenheit gegenüber verschiedenen musikalischen Ausdrucksformen. So kam es unter anderem zu gemeinsamen Veröffentlich-ungen und Auftritten mit der kurdischen Folkloregruppe Awara und der Hardcoreband BGK, mit Mitgliedern von Chumbawamba und den Dog Faced Hermans, sowie mit dem Schlagzeuger Han Bennink und dem Cellisten Tom Cora. Dieser beschrieb die alle scheinbaren Grenzen überwindenden Gemeinsamkeiten wie folgt: ”Das Image, das wir haben, das uns die Leute gegeben haben, ist völlig entgegengesetzt. Aber wer genauer hinschaut, der sieht viele Übereinstimmungen in den grundlegenden Ideen.”

Das bei Konzerten immer wieder auftretende Problem, daß die Texte kaum zu verstehen waren, versuchte die Band teilweise über das Verteilen von Textheften und das Aufhängen von Postern auszugleichen. ”Es wird aber auch durch unsere Musik deutlich, was wir sagen wollen. Es ist eben keine Bürgermusik. Auch Lärm hat eine Aussage.” Dieser Position liegt das Verständnis zu Grunde, daß jede kulturelle Ausdrucksweise einen politischen Charakter hat. Ein Stück über eine Liebesbeziehung ist letztlich genauso politisch wie ein Stück, das sich mit dem Befreiungskampf in Palästina beschäftigt. Ein entscheidender Aspekt ist dabei jedoch die Frage, ob durch die Ausdrucksform bzw. durch die vermittelten Inhalte von den tatsächlich bestehenden Problemen abgelenkt wird und sie damit erhärtet werden oder ob sich mit ihnen auseinandergesetzt und gegebenfalls eine Veränderung angeregt wird.

Im Vergleich zu anderen Bands ist die Vielzahl der Veröffentlichungen von The Ex auffallend. In der Regel sind ihnen die Texte der Stücke, sowie meist auch verschiedene Flugblätter und Poster beigelegt. Der Preis der Schallplatten ist so ausgerichtet, daß er die Herstellungs-kosten deckt und einen kleinen Gewinn für neue Veröffentlichungen oder politische Projekte abwirft. Zu den herausragenden Veröffentlichungen von The Ex gehört eine Doppel-Single mit einem Buch zur spanischen Revolution (1936), in dem Fotos aus den Archiven der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNT abgedruckt sind. Auf den Schallplatten befinden sich Neuvertonungen revolutionärer Lieder. ”Die Zerstörung des anarchistischen Experiments schmälert nicht unsere Bewunderung und die Inspiration, die wir bis heute von ihm erhalten. Außerdem zeigt es, daß es selbstverständlich möglich ist, eine anarchistische Gesellschaft in der Praxis zu realisieren und es zeigt, daß diese mit allen Mitteln verteidigt werden muß.”

Aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck:
Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft. (1998).

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