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Wolfgang Sterneck & Nicole Smidt:
DIE ENERGIEN DER MONDIN
- DIE KULTUR DER HEXEN -
- Ganzheitlichkeit und Selbstbestimmung -
- Die Scheiterhaufen des Patriarchats -
- Die neuen Hexen -
- Die Musik der Hexen -
- Musik und Heilung -
- Elemente einer neuen Kultur -
- Magische Rituale -
- Die rituelle Verbindung -
In der Mitte der siebziger Jahre ging die neue Frauenbewegung mit
der Parole Zittert, zittert - Die Hexen sind wieder da
auf die Straße. Sie stellten sich dabei in die Tradition der
Frauen, die insbesondere im 15. bis 17. Jahrhundert mit einer kaum
vergleichbaren Grausamkeit als Hexen verfolgt wurden. Damit verbunden
war die Aufarbeitung und Wiederbelebung der Kultur der Hexen als
Ausdruck des Widerstandes in einer patriarchalen Gesellschaftsordnung.
GANZHEITLICHKEIT UND SELBSTBESTIMMUNG
Die Hexen waren weder während der Zeit ihrer grausamsten Verfolgung
noch in der Gegenwart eine gleichförmige Bewegung. In ihren
unterschiedlichen Strömungen sind sie jedoch durch eine Reihe
wesentlicher Merkmale miteinander verbunden. Das grundlegende Selbstverständnis
der Hexen ist ein ganzheitliches, in dessen Rahmen der einzelne
Mensch ausdrücklich als Teil des Ganzen, als Teil von Natur
und Kosmos verstanden wird, woraus sich nicht zuletzt auch die Notwendigkeit
eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Umwelt ableitet. Ganzheitlichkeit
steht zudem für ein Leben in Einklang mit dem Körper,
für das Erkennen der eigenen Fähigkeiten, Kräfte
und des inneren Willens, sowie darüber hinaus für ein
in jeder Hinsicht bewußtes Sein bzw. für Bewußtsein
im eigentlichen Sinn des Wortes.
Das in diesem ganzheitlichen Ansatz wurzelnde enge Verhältnis
zur Natur drückte sich unter anderem in einem besonderen Wissen
in Bezug auf Verhütung, Schwangerschaft und Geburt, über
Krankheiten und Heilungsmethoden aus. Entsprechend waren vielen
Hexen, die auch als Weise Frauen bezeichnet wurden, als Kräuterkundige,
Hebammen oder Heilerinnen tätig. Auch die Feste der Hexen,
die sogenannten Sabbate und Esbate, sind Ausdruck einer ganzheitlichen
Lebensauffassung. Ihr Zeitpunkt wurde nach dem Lauf der Gestirne
bestimmt. Ein wesentlicher Aspekt der Feste sind magischen Rituale,
die auf die Sammlung, Bündelung und Ausrichtung von inneren
und äußeren Energien zielen, um die eigene Stärke
zu festigen, zu heilen oder über psychokinetische Abläufe
bestimmte Handlungen und Ereignisse zu beeinflussen. Magie wurde
und wird auch von den heutigen Hexen als selbstverständlicher
Bestandteil des Lebens verstanden: Magie ist nicht eine fremde,
ferne, schwer erreichbare Hexenkunst und nur einigen Wenigen vorbehalten.
Magie ist das Wissen und die Fähigkeit mit Naturkräften
umgehen zu können. Magie ist die Macht des Glaubens, der aus
dem inneren Selbst kommt. Magie ist die Macht der Gedanken, die
aus diesem Glauben kommen. Magie ist die Macht der eindeutigen Wünsche.(1)
Ein beträchtlicher Teil der Hexen waren Frauen, die ihr Leben
selbst bestimmten und sich der vorgegebenen patriarchalen Norm verweigerten,
auch wenn sie sich dessen nicht bewußt waren oder sich nicht
als Hexen betrachteten. Zwangsläufig damit verbunden war eine
ablehnende Haltung gegenüber der Herrschaft von Klerus und
Adel. So richtet in einer alten, symbolhaften Überlieferung
die Hexenmutter Diana die folgenden Worte an ihre Tochter Aradia:
Und du sollst die Kunst des Giftmordes lehren. Jene zu vergiften,
die sich große Herren über alles dünken. Ja, in
ihren Palästen sollst du sie sterben lassen... Und wenn ein
Priester dich kränken sollte. Mit seinen Segenssprüchen.
Dann sollst du es ihm doppelt zurückzahlen. Und zwar in meinem
Namen, Diana, Königin aller Hexen... Denn ich bin gekommen,
die Schlechten vom Angesicht der Erde zu fegen. Die Männer
des Bösen, sie alle werde ich vernichten!(2)
DIE SCHEITERHAUFEN DES PATRIARCHATS
Die systematische Verfolgung der Hexen setzte um 1430 ein und reichte
bis ins 18. Jahrhundert. Ihr fielen rund neun Millionen Menschen,
hauptsächlich Frauen, zum Opfer. Zumeist wurden sie zu Tode
gefoltert oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Den Hexen wurde
vorgeworfen mit dem Teufel zu paktieren, obwohl deren Mythologie,
die wesentlich älter als das Christentum ist, keinen Teufel
kennt. Generell konnte jede Person, die in irgendeiner Weise von
der scheinbaren Normalität abwich, von der Verfolgung betroffen
sein. Ein eigenständiges Leben oder eine homosexuelle Beziehung
konnten dabei genauso zur Hinrichtung führen wie rotes Haar
oder eine körperliche Behinderung. Die katholische Kirche bzw.
die reformierten Kirchen arbeiteten dabei eng mit den weltlichen
Machthabern zusammen.
1487 veröffentlichten zwei Inquisitoren mit dem Hexenhammer
einen bald weitverbreiteten Leitfaden zur Ausrottung der Hexen.(3)
In ihm wurden die angeblichen Taten der Hexen, sowie die Methoden
des Verhörs und der Folter, der peinlichen Befragung,
beschrieben. Herausragendes Merkmal des Hexenhammers
war die extrem ausgeprägte Frauenfeindlichkeit (Schlecht
ist das Weib von Natur), welche detailliert mit Zitaten aus
der Bibel begründet wurde. Bis heute spiegelt er, wenn auch
in einer äußerst zugespitzten Weise, das Frauenbild der
katholischen Kirche.
In Anbetracht von Vergewaltigungen und grausamen Foltermethoden,
darunter Auspeitschungen, Beinschrauben und Verbrennungen mit heißem
Pech und Schwefel, waren die meisten Beschuldigten schnell bereit
wahllos weitere Personen zu denunzieren und die wahnhaften Vorstellungen
der Inquisitoren, so zum Beispiel von Sexorgien von Hexen mit dem
Teufel, zu bestätigen. Vielfach projizierten die Vertreter
der Kirche dabei ihre eigenen unterdrückten und deformierten
sexuellen Bedürfnisse auf die angeklagten Frauen und ließen
diesen Bedürfnissen im Rahmen eines grenzenlosen Sadismus während
der Folterungen freien Lauf.
Eine wesentliche Ursache für die Verfolgung der Hexen bildeten
eine Reihe ökonomischer Faktoren. So diente die Verfolgung
der Hexen zur Ausschaltung der umherziehenden, handelnden Frauen
und zur Akkumulation von Landbesitz durch die Landesfürsten,
denen das Eigentum der Hingerichteten zufiel. Im Vordergrund stand
jedoch das Bestreben die Autonomie von Frauen zu brechen und deren
Wissen über den Körper und natürliche Zusammenhänge
auszulöschen. Vor allem die christlichen Kirchen erhofften
sich davon eine Ausweitung ihrer patriarchalen Macht. Bezeichnender
Weise wird von ihnen bis in die Gegenwart der massenhafte Mord an
den Hexen geleugnet bzw. in verschiedener Hinsicht sogar gerechtfertigt.
Ebenso charakteristisch ist es, daß die gängige Geschichtsschreibung
die damaligen Massaker wenn überhaupt nur in einer völlig
unzureichenden Weise wiedergibt.
DIE NEUEN HEXEN
Bis in die siebziger Jahre dieses Jahrhunderts war der Begriff
Hexe fast ausschließlich negativ belegt. Hexen wurden entweder
wie in Märchen als böse alte Frauen beschrieben oder in
einen direkten Zusammenhang mit satanistischen Praktiken gestellt.
Erst in der Mitte der siebziger Jahre erfuhr die Bezeichnung Hexe
durch die neue Frauenbewegung wieder eine positive Definition. So
wurden auf Frauendemonstrationen in Italien und der Bundesrepublik
Deutschland Parolen wie Zittert, zittert - Die Hexen sind
wieder da und Die Frauen erobern die Nacht zurück
gerufen und bald darauf auch die Walpurgisnacht, die traditionelle
Nacht der Hexen, wieder öffentlich gefeiert.
Die vorrangige Herangehensweise an die Kultur der Hexen war zu
dieser Zeit eine gesellschaftspolitische. Die Hexen wurden zum Symbol
für den antipatriarchalen Widerstand gegen die tägliche
Unterdrückung und die zwanghafte Selbstentfremdung, sowie für
den Kampf um wirkliche Emanzipation. Einige Gruppen, die insbesondere
in den achtziger Jahren auf ein stark ansteigendes Interesse stießen,
konzentrierten sich jedoch darüber hinaus auf die Wiederbelebung
des magischen Wissens und die Mythen der Hexen. Zu den bekanntesten
Vertreterinnen dieser Strömung gehören bis heute, insbesondere
auf Grund ihrer Buchveröffentlichungen Zsuzsanna Budapest,
Luisa Francia und Starhawk.
Die sogenannten Neuen Hexen sind, soweit sie sich nicht als Einzelgängerinnen
verstehen, in kleinen Zirkeln und Konventen zusammengeschlossen.
Eine übergeordnete Instanz besteht dabei zumeist nicht, jeder
Zirkel bestimmt autonom die eigenen Schwerpunkte, die vielfach im
magisch-spirituellen, aber teilweise auch im psychotherapeutischen,
gesellschaftspolitischen oder ökologischen Bereich liegen.
Ein Teil der Konvente lehnt autoritäre Strukturen ab, andere
betonen dagegen die Notwendigkeit hierarchischer Strukturen insbesondere
im Zusammenhang mit der Vermittlung von Wissen und bei Ritualen.
In mehreren, aber keineswegs in allen Zirkeln sind Männer grundsätzlich
ausgeschlossen.
Zu seinem Selbstverständnis schrieb der Susan B. Anthony Coven,
dem auch Zsuzsanna Budapest angehört, in einem Manifest: Wir
glauben, daß feministische Hexen Frauen sind, die in ihrem
Innern nach dem weiblichen Prinzip des Universums suchen und sich
als Tochter der Schöpferin betrachten. Wir verpflichten uns,
liebevoll mit uns und unseren Schwestern umzugehen. Wir sind entschlossen,
die patriarchale Unterdrückung zu überleben, gegen sie
zu kämpfen und sie zu überwinden...(4) Auch Luisa
Francia, die sich selbst als Anarchistin bezeichnet, stellt ihr
Selbstverständnis als Hexe ausdrücklich in einen gesellschaftlichen
Zusammenhang: Wenn du dich konsequent entwickelst, zu deinen
Kräften hin, dann fällt dir jede Unterdrückung, jede
Ausbeutung auf. Je wahrhafter du mit dir selbst bist, desto genauer
siehst du Zerstörung, wer über wen Macht ausübt,
wer wen ausbeutet.(5) Daneben betont Starhawk wie die meisten
Hexen den ökologischen Aspekt der Bewegung: Liebe zum
Leben in all seinen Formen ist das ethische Grundprinzip des Hexenkultes.
Das bedeutet Schutz der Vielfalt im Leben der Natur, bedeutet Kampf
gegen Umweltzerstörung und Artenausrottung.(6)
Ein weiteres wesentliches Element der Kultur der neuen Hexen ist
die Rückbesinnung auf matriarchale Mythen und dabei insbesondere
auf das Bild der Großen Göttin. Diese wird, wie die genannten
Autorinnen immer wieder betonen, als ein Symbol für kosmische,
wie für innere Kräfte verstanden. Die Göttin
beherrscht nicht die Welt. Sie ist die Welt. Da sie in jedem von
uns lebendig ist, kann jeder Mensch sie in seinem Inneren in all
ihrer Herrlichkeit erkennen. Im Hexenglauben müssen alle ihre
eigene Wahrheit finden.(7) Trotz solcher erklärender
Äußerungen ist jedoch die Gefahr gegeben, daß die
Energien über entsprechende Symbole personalisiert und männliche
Gottheiten bzw. vermeintlich männliche Eigenschaften durch
Göttinnen und weibliche Werte ersetzt werden, wobei nur ein
Bezugsfeld durch ein anderes ersetzt wird. Nicht minder gefährlich
ist der Rückzug in eine völlig subjektive und individualistische
Weltsicht, in deren Rahmen die angestrebte Weiterentwicklung der
eigenen Persönlichkeit losgelöst von der gesellschaftspolitischen
Situation betrachtet wird. Insbesondere dort, wo fließende
Übergänge zwischen dem Hexenkult und der New-Age-Bewegung
bestehen, sind solche Entwicklungen deutlich zu erkennen.
DIE MUSIK DER HEXEN
Im Zuge des Massenmordes an den Hexen wurde das Wissen über
deren Kultur weitgehend ausgelöscht. Nur wenige Informationen
wurden über die Jahrhunderte hinweg mündlich weitergetragen
und spiegeln sich bis heute oftmals stark verschlüsselt in
einzelnen Erzählungen, Volksliedern und Bräuchen. Aus
der Zeit der Verfolgung existieren einige wenige Dokumente, in denen
am Rande auch auf die Musik der Hexen eingegangen wird. Sie vermitteln
aber zwangsläufig ein verfälschendes Bild, da die Beschreibungen
auf Aussagen basieren, die unter der Folter erzwungen wurden oder
den wahnhaften Vorstellungen der Inquisitoren entsprachen. Zu berücksichtigen
ist zudem, daß im 13. und 14. Jahrhundert Frauen völlig
von der sakralen Musik ausgeschlossen waren, vielfach entsprach
es schon einer Provokation gegenüber der Kirche wenn Frauen
sich überhaupt musikalisch betätigten. Bis in dieses Jahrhundert
wurden sogar männliche Jugendliche kastriert, um als Kastratensänger
hohe Frauenstimmen in den Chören des Vatikans nachahmen zu
können. Vor diesem Hintergrund gehört die folgende Aufzeichnung
aus dem Jahre 1613 zu den vergleichsweise realistischen Darstellungen:
Sie tanzen zum Ton der kleinen Trommel, der Flöte und
manchmal zu einer Violine. Aber das sind nicht die einzigen Instrumente
des Sabbats, denn wir haben von vielen erfahren, daß man dort
jede Art von Instrumenten hat, von einer solchen Harmonie, daß
es kein Konzert in der Welt gibt, das dem gleichgestellt werden
könnte(8)
Zu den wenigen heute noch bekannten traditionellen Liedern, in
denen sich Bezüge zur Kultur der Hexen erkennen lassen, gehört
Besenruten, Besenruten: Feuer, Feuer, brenn
geschwind und vertreib vom kleinen Kind Phurüsche (Erdgeister)
und Nivaschi (Wassergeister) auch. Soll vertreiben jetzt den Rauch!
Gute Urnen (Feen) lock herbei, daß dieses Kind gesegnet sei.
Hier auf Erden soll es glücklich werden. Besenruten, Besenruten,
Besenruten,und noch einmal Besenruten, Besenruten und Besenruten
leg ich in die Feuersgluten. Feuer, Feuer, brenne nur geschwind.
Hör, es weint ein kleines Kind. (...)(9)
Eine Annäherung an die Musik der Hexen ist nur unter Berücksichtigung
des Prinzips der Ganzheitlichkeit und dessen Umsetzung im Rahmen
von Ritualen möglich. Generell sahen die Hexen Gesang, Musik
und Tanz als einen ständigen Bestandteil des alltäglichen
Lebens an und keineswegs als eine von diesem abgetrennte Kunstform,
die nur wenigen vorbehalten war. Die Musik, so schrieb
die Musikwissenschaftlerin Meri Franco-Lao, entstand aus dem
Zusammenklang und Zusammenwirken menschlicher Sinnenhaftig- und
Körperlichkeit mit der Natur. In rituelle Handlungen eingebettet
hatte sie einen kommunikativen und heilenden Charakter.(10)
Zumeist tanzten die Hexen während ihrer Feste gemeinsam im
Kreis um ein Feuer herum, ahmten dabei vielfach Tiere nach, musizierten
und sangen dazu. Der gleichermaßen ekstatische und erotische
Charakter der Rundtänze wurde durch verschiedene Salben, die
Rauschzustände auslösten, und anregende Kräuter verstärkt.
Der Gesang bestand dabei nicht nur aus der Wiedergabe von Worten,
sondern insbesondere auch aus der Wiedergabe von Tierlauten und
Naturgeräuschen, sowie unter anderem aus Schreien, Gelächter
und Seufzern. Neben herkömmlichen Musikinstrumenten benutzten
die Hexen auch Steine und Äste, sowie ihren eigenen Körper
zum Erzeugen von Klängen.
Der ekstatische Tanz ermöglichte es den Hexen im Rahmen von
rituellen Handlungen in einen Zustand der Trance zu gelangen und
dadurch in andere Bewußtseinsstufen überzutreten. Die
Hexen stehen dabei nicht allein, vielmehr sind in zahlreichen Kulturen
trancehafte Tänze bekannt, bei denen sich die Beteiligten weitgehend
automatisch ohne Kontrolle durch das Bewußtsein bewegen, während
es gleichzeitig zu einer Intensivierung der sinnlichen Wahrnehmungen
kommt. Die Tänze tragen zur Lösung körperlicher und
geistiger Spannungen bei, sie ermöglichen aber auch weit darüber
hinaus gehende Reisen ins Innere der entsprechenden Person, sowie
Erfahrungen kosmischer Unendlichkeit, wobei in vielen Kulturen von
einer Verbindung mit Göttern und Göttinnen ausgegangen
wird.
MUSIK UND HEILUNG
Auch heute spielt die Musik im Alltag der Hexen eine wesentliche
Rolle. Die Musik ist dabei nicht auf ein Publikum ausgerichtet,
sondern zielt auf die beteiligten Personen. Notenkenntnisse oder
gar eine musikalische Ausbildung sind dabei nicht erforderlich,
vielmehr werden jeder Person musikalische Fähigkeiten zugestanden.
Die Musik selbst muß keineswegs zwangsläufig im herkömmlichen
Sinne schön oder harmonisch klingen, entscheidend sind die
Gefühle und die Energien, welche durch sie zum Ausdruck gebracht
werden. Ute Manan Schiran schrieb dazu: Die meisten unserer
Gesänge entstehen spontan bei den Zeremonien selbst und lassen
sich auch nicht festhalten, sie sind aus dem Augenblick heraus geboren
und verschwinden nach dem Anlaß, der sie hervorgerufen hat,
wieder. Manche von ihnen sind Gesänge der Bekräftigung,
manche haben die stetig auflösende Funktion von Medizin. Dies
sind meist sehr einfache, aber machtvolle Worte und Melodien, die
lange und ausdauernd wiederholt werden. Ich selbst bevorzuge die
Chirurgie des Gesanges jedenfalls im Gegensatz zur Chirurgie des
Messers. Gesang durchdringt Membranen und löst in den Wassern
der Körpererinnerung heilsame chemische Prozesse aus. Neben
all diesen und anderen Möglichkeiten von Tanz und Gesang gibt
es eine, die ich nicht minder bewerten will: Wir tanzen und singen
auch einfach grundlos, als Freude am Dasein und aus Freude am Miteinandersein.(11)
Gerade bei Ritualen erlangen besondere Musikstücke durch die
Einfachheit und Monotonie von Melodie und Rhythmus eine besondere
Wirkung, da sie den Übergang in einen Trancezustand bzw. den
Zugang zum Unterbewußtsein und zu inneren Kräften ermöglichen.
Zumeist werden dabei, neben dem Gesang, Trommeln und Rasseln benutzt.
Neben der rituellen Musik kam es zur Entstehung sogenannter Hexenlieder,
die sich mit Themen beschäftigen, welche in einem engen Zusammenhang
mit dem Hexenkult stehen. So setzen sich beispielsweise viele Lieder
mit Heilmethoden und mit dem Verhältnis zum Körper auseinander.
Ein charakteristisches Beispiel dafür ist The witches
are back, das 1974 bei einem internationalen Frauentreffen
auf der dänischen Insel Femø entstand. In dem Text heißt
es: We refuse all drugs using yoghurt and honey. We believe
in mother nature and save the money. Were sick of contraceptions
doctors sell. They can take the pills themselves or go to hell.
The witches are back...
Insbesondere in den USA sind viele Lieder musikalisch an der nordamerikanischen
Folkmusik ausgerichtet und basieren zumeist auf einer einfachen
und kurzen, beliebig oft wiederholbaren Melodie. Der Text ist entsprechend
aufgebaut und besteht oftmals, wie das Lied Born of water
der Reclaiming Community, nur aus einigen wenigen Zeilen: Born
of water, cleansing, powerful, healing, changing, we are.
Für die Blockade eines Waffenlaboratoriums schrieb Starhawk
1982 den Firesong, in dem sie metapherhaft das Heilen
in einen gesellschaftlichen Zusammenhang stellt. We can rise
with the fire of freedom. Truth is a fire that burns our chains.
And we can stop the fire of destruction. Healing is a fire running
through our veins.
Von einem anderen Ansatz geht der Frankfurter Hecksenkreis Yggdrasil
aus, der 1993 die Kassette Runasöngr - Musick aus dem
heiligen Hain veröffentlichte. Die Musikstücke sind
nicht zum Mitsingen, sondern zur Untermalung von Tänzen und
Ritualen, sowie zur Vermittlung und Beschwörung konzipiert.
Der sprachliche Vortrag, der inhaltlich an der keltischen und germanischen
Mythologie ausgerichtet ist, hat einen starken erzählenden
Charakter, der gegenüber der Musik im Vordergrund steht. Zu
den verwendeten Instrumenten gehören Schellen, druidische Klangkugeln,
Gongs und Glocken. Daneben werden natürliche Geräusche
wie das Rauschen des Wassers in die Stücke einbezogen.
In einem engen Zusammenhang mit heilenden Prozessen sieht Kay Gardner
ihre Schallplattenveröffentlichung Mooncircles,
die 1975 auf dem Frauenlabel Urana Records erschien. Heilung wird
dabei im Sinne einer meditativen Ruhe und einer ausgeglichenen Atmosphäre,
sowie den damit verbundenen psychosomatischen Prozessen verstanden.
Ausgangspunkt der Kompositionen ist der Prozeß des bewußten
Hörens: Komponieren ist nicht mehr, als wenn du dich
ganz in deine Umwelt hineinsinken läßt, um dann die vorhandenen
Klänge, die dort sind, zu verbinden und hörbar zu machen. Daneben
ist ein feministischer Ansatz prägend: Ich habe versucht,
mich ganz mit all dem zu umgeben, was Frauen gemacht haben, um dann
Musik entstehen zu lassen, die darauf aufbaut.(12)
In den Kompositionen nimmt der Mond in vieler Hinsicht eine wesentliche
Rolle ein. Gardner bezieht sich dabei auf das alte Wissen von der
Bedeutung der Mond auf Abläufe in der Natur, so beispielsweise
in einer besonders deutlichen Form auf die Gezeiten des Meeres,
und den inneren Rhythmus der Menschen, insbesondere von Frauen.
Hexen sprechen deshalb teilweise betont von der Mondin und nicht
vom Mond. Charakteristisch für den Aufbau der Stücke ist
Lunamuse, das mit einer gleichmäßigen Melodie
beginnt, die sich langsam steigert, in einen Höhepunkt mündet
und dann langsam abklingt. Gardner betont dabei Parallelen zu den
Zyklen der Frau, dem weiblichen Orgasmus, zur Meditation und zum
Tanz. Die Melodien an sich strahlen meist eine sanfte und ausgeglichene
Atmosphäre aus. Prägendes Instrument ist die Flöte,
die unter anderem von verschiedenen Trommeln und Gitarren, aber
auch einer Geige, einem Cello und einem Klavier begleitet wird.
Einen zwiespältigen Eindruck hinterläßt dabei der
starke Einfluß der nordamerikanischen Folkmusik, sowie in
anderen Kompositionen verschiedene klassische Elemente. Deutlich
wird dabei, daß die Musik von Kay Gardner in einzelnen Punkten
noch fest in den von Männern bestimmten Musikstrukturen verwurzelt
ist, auch wenn sie diese durch ihren Ansatz grundlegend in Frage
stellt.
Ein ganzheitliches Musikverständnis, wie es einst die Hexen
besaßen, setzt ein bewußtes Hören, ein bewußtes
Erfahren und Erleben von Geräuschen und Klängen voraus.
Gerade in der heutigen Zeit, in der ständige Maschinengeräusche,
angefangen beim Brummen des Kühlschranks bis zum Lärm
der Automotoren, genauso wie die Musik aus Kassettenrecordern, Radio-
und Fernsehgeräten eine fast allgegenwärtige Geräuschkulisse
bilden, ist ein solches Verständnis kaum verbreitet. Vielen
Menschen dient die Geräuschkulisse längst zur zerstreuenden
Ablenkung und auch zur Flucht vor sich selbst. Entsprechend wird
eine Abwesenheit dieser Geräuschkulisse zumeist als äußerst
unangenehm empfunden. Ein bewußtes Erleben eines Zustandes
der Stille, den es genau genommen nicht gibt, da selbst bei völliger
äußerer Stille, die Rhythmen des Körpers vernehmbar
sind, kann helfen, sich auf die eigentliche Persönlichkeit
zu konzentrieren. Es kann auch dazu beitragen, einzelne Klänge
und Geräusche, die sonst nicht wahrgenommen werden, in ihren
Vielfältigkeiten zu erfahren und ein neues Verhältnis
zu den umgebenden wie auch zu den inneren Abläufen zu erlangen.
Luisa Francia schrieb dazu: In der Stille wächst das,
was bei den sibirischen Küstenbewohnern das eigene Lied ist.
Das eigene Lied finden heißt, wie ein Kind da sitzen, nichts
tun, Töne aus einem Meer wie Luftblasen aufsteigen lassen,
bis sich eine Folge ergibt, singen, summen, brummen und immer dabei
auf die Stimme des Erdinneren lauschen.(13)
ELEMENTE EINER NEUEN KULTUR
Im Zusammenhang mit Überlegungen zu einem Theaterstück
über Hexen entwickelte Meri Franco-Lao die Vorstellung einer
zeitgemäßen Hexenmusik, die sich scharf von den patriarchalen
Musiktraditionen abgrenzt und auf einem feministischen Standpunkt
basiert. Als grundlegendes Element des Theaterstücks und der
damit verbundenen Musik empfiehlt sie ein ständiges Hintergrundgeräusch:
Es könnte ein Aneinanderstoßen von Kristallgläsern,
Amphoren, Waagen und Mörsern sein, gemeinsam mit dem Dampfen
und Sieden in den Küchen und den alchimistischen Laboratorien.
Nicht zu vergessen der Gesang der Nachtvögel und das Knistern
des Feuers.(14)
Der Gesang soll unterschiedlichste Ausdrucksformen umfassen, darunter
sprachliche Elemente genauso wie Summen, Schreien und ein bewußtes
Atmen. Er muß dabei keineswegs harmonisch sein, vielmehr liegt
die Kraft des Gesangs in seinem Ausdruck. Von der Verwendung traditioneller
Instrumente rät sie mit Ausnahme des Tamburins ab. Dagegen
empfiehlt sie Musikinstrumente selbst zu erfinden und herzustellen.
So könnten beispielsweise ausgehöhlte Kürbisse, Muscheln
oder auch Beeren für Rasseln benutzt werden. Zudem soll insbesondere
auch der eigene Körper als Klanginstrument eingesetzt werden.
Als weiteren wesentlichen Bestandteil beschreibt Franco-Lao die
Geräusche und Klänge der natürlichen Elemente. Generell
sind den Vorstellungen der Beteiligten bei der Auswahl und der Gestaltung
der Klänge kaum Grenzen gesetzt. Kratzen, schaben, reiben,
schütteln, schlagen. Kleine Bronzeglocken, Knarren, einen Zweig
mit daran festgebundenen Glöckchen, Tonkrüge mit oder
ohne Wasser. Das Zerreißen von Seide. Glasstücke, die
klingeln, zerbrechen, sich aneinander reiben....
Von einem ähnlichen Grundverständnis ausgehend entwickelte
Heide Göttner-Abendroth ihre Neun Thesen einer matriarchalen
Ästhetik(15), die sie als Grundlage einer ganzheitlichen
Kunsttheorie versteht. Ausgangspunkt sind für sie die Mythen
und Symbole alter, zumindest tendenziell matriarchaler Gesellschaftsordnungen,
wie zum Beispiel im vorhellenischen Griechenland. Im Gegensatz zur
Kunst in patriarchal aufgebauten Gesellschaften entspricht die matriarchale
Kunst einem ganzheitlichen Prozeß, der alle Bereiche des Lebens
umfaßt. Entsprechend kennt sie keine Trennung der Bereiche
Kunst und Leben und hebt die Unterteilung in Vorführende und
BetrachterInnen auf. Dabei werden keineswegs, wie oft fälschlich
unterstellt, nur Künstler durch Künstlerinnen ersetzt.
Vielmehr liegt ihr ein völlig anderes Wertesystem zugrunde:
Gemeinschaftssinn, Mütterlichkeit und Geschwisterliebe
sind die Grundregeln und nicht väterliche Autorität, Gatten-Herrschaft,
Privat- und Gruppen-Egoismus. Die Fortdauer des Lebens als Zyklus
von Wiedergeburten ist das oberste Prinzip und nicht Krieg und Heldentod.
Eine Verkörperung ihrer Thesen sieht Göttner-Abendroth
in verschiedenen Ritualen, auch wenn sie davon ausgeht, daß
ein matriarchales Kunstverständnis letztlich erst in einer
entsprechenden Gesellschaft umsetzbar ist. Das rituelle Tanzfest
ist Musik, Gesang, Dichtung, Bewegung, Ornamentik, Verbildlichung,
Komödie, Tragödie in einem, wobei alles dem Zweck dient,
die Göttin anzurufen, zu beschwören, zu preisen.....
MAGISCHE RITUALE
Rituale haben gleichermaßen als eigenständiges Ereignis,
wie auch als Element von Festen mehrere Funktionen. Sie sollen dazu
beitragen, innere Mauern zu überwinden und eine zwischenmenschliche
Nähe zu entwickeln. Sie dienen zudem zur Konzentration von
Energien und zum bewußten Erkennen, Erfahren und Beeinflussen
verschiedenster Abläufe. Eines der ältesten Rituale, welches
auch heute noch ausgeübt wird, ist das Ritual der Jahreszeiten.
In ihm werden an acht, gleichmäßig über das Jahr
verteilten Terminen die Zyklen der Jahreszeiten gefeiert, deren
Wechsel sich unter anderem in den Sonnenwenden ausdrücken.
Zu Grunde liegt das Verständnis eines Kreislaufes, der keinen
endgültigen Tod, sondern nur fließende Übergänge
von einem Zustand in einen folgenden kennt. Wie die Feste im einzelnen
gefeiert werden, hängt von der Ausrichtung der verschiedenen
Gruppen und Zirkel ab. So bestehen neben den Jahreszeiten-Ritualen,
die sich an den alten matriarchalen Mythen und Symbolen orientieren,
Rituale, bei denen die Schwerpunkte in gruppendynamischen oder psychotherapeutischen
Prozessen liegen. In den achtziger Jahren erhielten zudem feministische
und ökologische Auslegungen von Ritualen eine größere
Verbreitung.
Die Performance-Künstlerin Mary Beth Edson betont in ihrer
Definition von Ritualen das Verhältnis von innerer und äußerer,
von individueller und gesellschaftlicher Veränderung. Es
klärt nachhaltig den Geist und hilft Perspektiven zu finden.
Dinge, die mit dem Ritual nichts zu tun haben, die Psyche aber besetzt
halten, lösen sich plötzlich. Es erzeugt Einsichten in
Lebenssituationen, du gehst gestärkt weg und bist bereit, diese
Dinge zu lösen. Rituale sind daher eine Technik Probleme zu
lösen, weil sie uns ganz direkt zu unseren eigenen Einsichten
und unserem Wesen führen. Sie bringen uns persönliche
Informationen, die wir schon längst haben, voll zu Bewußtsein.
Deshalb geben sie uns Kenntnisse zur Schöpfung unserer neuen
Frauenkultur...(16)
Edson entwickelte selbst eine Reihe von Performance-Darbietungen
bei denen die Übergänge zum Ritual fließend sind.
Mehrfach beschrieb sie dabei die Unterdrückung der Frau und
griff darüber hinaus Formen des antipatriarchalen Widerstandes
auf. In diesem Zusammenhang steht das 1978 in New York realisierte
Projekt Erinnerung an neun Millionen Frauen, die als Hexen
in der christlichen Ära verbrannt wurden. Ausgangspunkt
war ein von Kerzen erleuchteter Raum in dem entsprechende Informationen
ausgelegt waren., In der Halloween-Nacht tanzten neun Frauen in
diesem Raum und zitierten aus Texten zum Thema. Danach zogen sie
durch die Straßen der Stadt und sangen: Die Göttin
ist hier, die Göttin sind wir!.
Rituale können in vieler Hinsicht in die gesellschaftliche
Realität eingreifen. Ganz konkret geschah dies mehrfach während
der im wesentlichen von einem Frauenfriedenscamp getragenen Blockade
der NATO-Air-Base von Greenham Common. Das direkt neben der Air
Base errichtete Camp wurde zu einem Symbol für den Widerstand
gegen die Stationierung von Cruise-Missle-Raketen in England und
darüber hinaus für den Widerstand gegen die patriarchale
Gesellschaftsordnung. Im Dezember 1983 organisierten Frauen aus
dem Camp unter dem Motto Sounds around Greenham eine
ritualhafte Aktion. Sie riefen dazu auf, mit Klangkörpern jeglicher
Art gegen die Air Base symbolhaft anzuspielen. Zudem waren Schweigeminuten
geplant, die von gemeinsamen Gesängen abgelöst werden
sollten. Ein weiteres Element des Rituals war ein Tanz der beteiligten
Frauen im umliegenden Wald und um die Air Base herum, sowie die
Umgarnung der Zäune mit Wollfäden. Rund 50.000
Frauen folgten dem Aufruf. Sie umschlossen und überschwemmten
die Base. Ihre Hände griffen in den Maschinenzaun. Sie zogen
und rüttelten bis der Zaun mitsamt den Zementpfosten wankte,
herausriß und zusammenbrach. Begleitet vom Gesang der Glocken
und Pfannen, auf denen getrommelt wurde und von Singen und Geheule.
Die Autoritäten rächten sich mit stählerner Gewalt.
Aber die Frauen sangen: Alt und stark, sie geht weiter und
weiter. Du kannst den Geist nicht töten. Sie ist wie ein Berg...(17)
DIE RITUELLE VERBINDUNG
Besonders für Feste mit vielen TeilnehmerInnen entwickelte
der Hexenzirkel Ursa Maior in der ersten Hälfte der siebziger
Jahre ein Körperritual, das bei einem Frauenfest mit vierzig Beteiligten
durchgeführt wurde. In ihm spiegeln sich psychologische, politische
und spirituelle Elemente des neuen Hexenkultes in einer ganzheitlichen
Form beispielhaft wider. Es ist politisch wichtig, Kontrolle
über unsere Körper zu erlangen, indem wir ihn lieben,
für ihn sorgen und ihn heilen, ihn stark machen und Bande der
Frauenliebe zwischen den Körpern schaffen. Deshalb brauchen
wir ein Ritual, daß unsere Selbstliebe bestätigt, uns
heilt, uns stärkt und unsere Sexualität positiv verstärkt.
(18)
Das Ritual begann mit dem Aufbau eines großen Kreises durch
einen Geburtsritus. Zwei Frauen bildeten mit ihren Armen einen
Bogen und jede Frau lief hindurch und schloß sich der Reihe
an, um die Hälfte eines neuen Bogens zu bilden, bis ein langer
Tunnel entstand. Jede hindurchkommende Frau wurde von jedem
Paar im Tunnel umarmt und geküßt. Dem Geburtsritus folgten
einige Lieder, Gedichte und Tänze, die sich mit dem vielfach
entfremdeten Verhältnis von Frauen zu ihrem Körper auseinandersetzten.
Besonders deutlich wird die Entfremdung im Zusammenhang mit der
Menstruation, die, wie ständig die Werbung vermittelt, von
vielen Frauen als etwas negatives und unreines empfunden wird. Dadurch
wird verhindert, daß die natürlichen Vorgänge im
eigenen Körper als solche akzeptiert werden und die mit der
Menstruation verbundenen Energien erkannt und genutzt werden. Die
Lieder und Gedichte zielten darauf, über die Schaffung und
Nutzung von symbolhaften Bildern ein verändertes Bewußtsein
und ein neues Verhältnis zum Körper zu erlangen, um die
herrschenden Definitionen zu überwinden. Entsprechend hieß
es im Lied des Bauches: Mein Bauch ist die Erde:
Sie gibt Nahrung, sie gibt Leben. Aus meinem Bauch fließt
Blut auf die Mitte der Erde, wo es sich in Milchblumen verwandelt.
Mein Bauch ist der Ozean! Er hat Ebbe und Flut... Eine Frau stirbt
mit jedem Mond. Und das ganze Universum wurzelt in ihrem Grab ohne
zu klagen. Sie wird zurück kommen größer als das
Leben und sich wieder im Abendhimmel erheben...
Nach dem Lied nahmen zwei Frauen einen Kelch mit dunklem,
stark riechendem Frauenblut und gingen im Kreis herum, tauchten
ihre Hände hinein, bemalten das Gesicht jeder Frau und sagten:
Dies ist das Blut, das Erneuerung verspricht. Dies ist das Blut,
das Nahrung verspricht. Dies ist das Blut, das Leben verspricht.
Später wurde ein Lied gesungen, in dem Geräusche von Frauen
während der Geburt, der Liebe und der Arbeit nachgeahmt wurden.
In einem weiteren Lied wurde die Unterdrückung des Rechts der
Frau, über ihren eigenen Körper selbst zu entscheiden,
in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang mit der Zerstörung
der Umwelt gestellt. Anschließend hielten sich die Frauen
in einem großen Kreis an der Hand und riefen mit einem Gedicht
die Göttin an: Wir rufen die Göttin, deren Körper
wir in unserem eigenen Körper sehen und widergespiegelt fühlen.
Wir rufen die Göttin deren Kreis niemals gebrochen ist.(19)
Dabei nahm eine Frau ein rotes Garn und reichte es im Kreis herum
bis alle miteinander durch dieselbe Nabelschnur, durch dasselbe
Blut mit derselben Mutter, denselben Schwestern verbunden
waren. Nachdem das Garn aufgeschnitten und jeder Frau, als Zeichen
der Verbindung, ein Stück davon umgebunden worden war, endete
das Ritual mit Umarmungen. Zumindest während des Rituals, aber
wahrscheinlich auch weit darüber hinaus wurden innere und äußere
Mauern durchbrochen, sowie Wege zu einem Bewußtsein eröffnet,
wie es einst die Hexen besaßen.
(1998)
Anmkerkungen:
1) Jannberg, Judith / Ich bin eine Hexe. (Verlag Gisela Meussling)
Bonn, 1983.
2) Leland, Charles (Hrsg.) / Aradia - Die Lehren der Hexen. (1899).
(Goldmann). München, 1988.
3) Sprenger, Jakob und Institoris, Heinrich / Der Hexenhammer. (1487).
(DTV). München, 1983.
4) Budapest, Zsuzsanna / Herrin der Dunkelheit, Königin des
Lichts. (Hermann Bauer). Freiburg, 1987.
5) Luisa Francia zitiert in: Gaube, Karin und Pechmann, Alexander
von / Magie, Matriarchat und Marienkult. (Rowohlt). Reinbek bei
Hamburg, 1986.
6) Starhawk / Der Hexenkult als Ur-Religion der Großen Göttin.
(Hermann Bauer). Freiburg, 1983.
7) Siehe 6).
8) Lancre, Piere de / Tableau de l Inconstance de mauvais
Anges et Demons. (1613). Zitiert in: Murray, Margaret / The God
of the witches. (1931). (Faber and Faber). London, 1951.
9) Meussling, Gisela (Hrsg.) / Alte Hexenlieder. (Edition Die Maus).
Bonn, 1985.
10) Franco-Lao, Meri / Hexenmusik. (Frauenoffensive). München,
1979.
11) Schiran, Ute Manan / Menschenfrauen fliegen wieder. (Knaur).
München, 1988.
12) Kay Gardner zitiert im Begleittext zur LP: Kay Gardner / Mooncircles.
(Urana Records). 1975.
13) Francia, Luisa / Zaubergarn. (Frauenoffensive). München,
1989.
14) Franco-Lao, Meri / Hexenmusik. (Frauenoffensive). München,
1979.
15) Göttner-Abendroth, Heide / Die tanzende Göttin. (Frauenoffensive).
München, 1988.
16) Aus einem Interview mit Mary Beth Edelson. Zitiert in: Göttner-Abendroth
/ Göttin. (Siehe 15).
17) Sarah / Und wenn sie unsere Lippen zum Schweigen bringen, werden
die Steine sprechen. In: Marks, Stephan / Neue Politik, Spiritualität,
Aktionen. (Focus). Gießen, 1984.
18) MyOwn, Barbara / Ursa Maior: Sommersonnenwendefest. In: Rush,
Anne Kent (Hrsg.) / Mond, Mond. (Frauenoffensive). München,
1978.
19) Siehe 18).
gNW.
Aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck:
Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft. (1998).
contact@sterneck.net
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