FREE JAZZ UND KINDER
In einer Reihe unter dem Titel "Kinder und Künste"
in der die verschiedensten kunstdidaktischen Versuche zusammengefaßt
wurden, versuchte auf Einladung der Akademie der Künste eine
Gruppe von Free Jazz Musikern - Brötzmann, van Hove, Bennink
- mit einer Gruppe von Kindern mit den Möglichkeiten freier
improvisierter Musik Stücke zu erarbeiten. Die fünfzehn
eingeladenen Kinder im Alter von acht bis zehn Jahren waren zu Beginn
der Arbeit gebeten worden, vier Tage hintereinander zu kommen, so
daß mit einer festen sich nicht verändernden Gruppe gerechnet
werden konnte. In der Praxis ließ sich das schwer durchführen,
da jeden Nachmittag mehr Kinder mit ihren Eltern. die von diesem
kleinen Kurs gehört hatten, dazukommen wollten. Trotz dieser
organisatorischen Schwierigkeiten ergaben sich Ansätze zu echter
musikalischer Gruppenarbeit. Mit den Instrumenten der Musiker -
Saxophon, Piano, Schlagzeug - und mehr experimentellen ,,Klangerzeugern"
- auseinandergenommene Klaviere, Schläuche zum Blasen u. a.
- sollte versucht werden, mit Gesprächen, Spielen, Erklärungen
und musikalischen Aktionen der Musiker und Kinder Klänge zu
organisieren und innerhalb fixierter Bereiche individuelle Musikäußerungen
der Kinder zu provozieren.
Wenn man bedenkt, daß für diesen Versuch in der Akademie
der Künste nur vier Tage zur Verfügung standen, ist das
musikalische Ergebnis ganz erstaunlich und zeigt, welche didaktischen
Möglichkeiten hier noch zu entwickeln wären.
Nele Hertling
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Während des WORKSHOP FREIE MUSIK '71 wurde von uns erstmalig
der Versuch unternommen, mit Kindern ohne musikalische Vorbildung
zu musizieren. Leider mußte es bei dem Versuch bleiben, da
weder die Akademie der Künste noch wir als Initiatoren mit
so großem Interesse bei Eltern und Kindern gerechnet hatten.
Wir hatten mit maximal 150-200 Kindern gerechnet und dafür
Instrumentarium aller Art bereitgestellt und waren plötzlich
mit 1000-1500 Besuchern konfrontiert.
In der Reihe ,,Kinder und Künste" '72 versuchten wir
nun unter besseren Bedingungen, das heißt: mit einer begrenzten
Gruppe von Kindern über einen Zeitraum von vier Tagen in der
großen Ausstellungshalle, die Erfahrungen des Vorjahres zu
erweitern und zu besseren Ergebnissen zu gelangen.
Basis für die Beschaffung des Instrumentariums, mit dem gearbeitet
werden sollte, war die Zusammensetzung unserer Gruppe:
Brötzmann - saxofone
van Hove - piano
Bennink - percussion
Jeder von uns hatte damit einen abgesteckten Rahmen, der folgende
Bereiche umfaßte:
- saxofone = atmen = Luftballons und Wurfpfeile, Pfeifen, Plastikschläuche
mit unterschiedlichen Mundstücken
- plano = fühlen, tasten = präpariertes Piano, konventionelles
Piano, Transistorradios
- percussion = Motorik = Trommeln, Becken, präpariertes Klavier
- Rahmen, Steine, percussive Geräuscherzeuger
Die schrittweise Benutzung dieser Bereiche und ihre Verschmelzung
sollte einen Aspekt, eine Möglichkeit zeigen mit einer Gruppe
von musikalisch nicht vorgebildeten Kindern, von willkürlicher,
motorischer Geräuscherzeugung zu gemeinschaftlichen musikalischen
Erlebnissen und einfachen Strukturen zu gelangen.
Am ersten Tag, an dem wir das Instrumentarium aller Bereiche zur
Verfügung stellten, zeigte sich, daß fast alle Kinder
der Gruppe sich hauptsächlich den percussiven Instrumenten
zuwandten. Nach unseren Beobachtungen:
1. um Aggressionen abzubauen und sich zu befreien
2. um einfache hörbare und sichtbare Resultate zu erzielen
3. weil sich bei den Kindern (8- bis 11-jährige) schon gewisse
Klischee- und Idolvorstellungen von Musik und ihren Interpreten
manifestieren.
Selbst unserem Schlagzeuger gelang es nicht, die monotone Rhythmik
zu variieren.
Am zweiten Tag verzichteten wir vorerst auf die Percussionsinstrumente
und arbeiteten in mehreren kleinen Gruppierungen und mit einzelnen
Kindern mit den verschiedenen anderen Instrumenten. Dabei mußten
wir feststellen, daß sich aus der Gesamtgruppe kleine Kombinationen
und Einzelkinder mit Interesse an speziellen Instrumenten und Klängen
herauslösten. Im Gegensatz zum ersten Tag wurde zu unserem
Erstaunen schon deutlich, daß innerhalb der kleinen Zirkel
und der Gesamtgruppe Bemühungen und Absprachen zum Zusammenspiel
stattfanden, ein Eindruck, der sich während der folgenden zwei
Tage weiter verstärkte.
Wie im Vorjahre mußten wir auch jetzt wieder feststellen,
daß das Bedürfnis nach Aktivitäten dieser und ähnlicher
Art sehr groß ist. Demzufolge waren trotz der Begrenzung der
Gruppe in Große - etwa 12 bis 15 Kinder - und Alter - 8 bis
10 Jahre - schon am zweiten Tag mehr und, was besonders unglücklich
war, Kleinkinder in unserem Kreis. Wir waren nicht mehr in der Lage,
konsequent mit unserem Konzept weiterzuarbeiten. Bei Gesprächen
mit den Kindern am letzten Tag wurde natürlich die Frage nach
weiteren Nachmittagen laut und auch mit Kritik nicht gespart. In
erster Linie wurde uns von Seiten der Kinder gesagt, wir hätten
vielleicht mehr erklären sollen. Die Gespräche und Erläuterungen,
die wir während der vier Tage gegeben haben, richteten sich
zu sehr an speziell interessierte Einzelne und zu wenig an die gesamte
Gruppe.
Nach Abschluß dieser nach unserer Meinung wichtigen und vorbildlichen
kunstdidaktischen Reihe der Akademie der Künste müssen
wir folgendes Resümee ziehen:
1. Wir Musiker konnten in diesen vier Tagen Erfahrungen sammeln,
die sich für unsere eigene Arbeit, in gewissen Bereichen, als
nützlich und wichtig erwiesen.
2. Bei dieser Reihe zeigte sich das große Bedürfnis nach
anderen, den konventionellen Kunsterziehungsmethoden zum Teil widersprechenden
Möglichkeiten.
3. Fragwürdig allerdings bleibt die Effektivität derartiger
Kurse, solange nur eine kleine Zahl von Privilegierten davon profitiert.
Solange die Gesellschaft solche Dinge nicht als selbstverständliche
Möglichkeiten der Kunsterziehung in den entsprechenden Einrichtungen
- Kindergarten, Vorschule und Schule - akzeptiert und nutzt, bleiben
diese Versuche Schau- und Hörprojekte elitärer Minderheiten.
Peter Brötzmann, Jost Gebers, 1972.
Aus dem Text zur Doppel-EP:
15 Kinder & Brötzmann, Van Hove, Bennink / Free Jazz und
Kinder.
(Free Music Production, 1972).
Free Music Production (FMP)
www.freemusicproduction.de
Dank an Jost Gebers und Peter Brötzmann.
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