|
|
Dr. Motte:
BUDDHA UND DIE LOVEPARADE
1989 entwickelte der Berliner DJ Dr. Motte die Idee der Loveparade,
die längst zum herausragenden Symbol der Techno-Kultur wurde.
Über Ursprünge und Entwicklungen sprach Motte mit b-Eden
und Wolfgang Sterneck. (1995).
DIE LOVEPARADE
Motte: Die Loveparade ist aus einer Idee entstanden, die eigentlich
ganz banal ist. Ich fand das ziemlich klasse, was beim Karneval
in Brasilien oder beim Nottingham-Carnival in London abgeht. Ich
habe mir vorgestellt, daß wir das auch in Berlin hinbekommen
können und so gärte die Idee einer Streetparty in meinem
Kopf.
Im Mai 89 stand ich während einer Party draußen
vor dem Club und mir kam diese Gedankenblase: Einfach eine Demonstration
anzumelden und über einen Lautersprecherwagen Musik laufen
zu lassen - was ich dann auch tat.
Das Motto lautete Friede, Freude, Eierkuchen: Friede
für Abrüstung, Freude für Musik als Mittel der Völkerverständigung
und Eierkuchen für eine gerechte Nahrungsmittelproduktion.
Seitdem demonstrieren wir in der Tat die Liebe. Liebe auf der Straße
mit Musik.
Im ersten Jahr (1989) kamen nur 150 Leute und die Berliner Szene
belächelte das Ganze. Dann haben die Leute aber gesehen, wie
toll es ablief und 90 waren es 2.000, 91 schon 6.000,
92 rund 10.000, 93 etwa 30.000 und danach tanzten Hunderttausende
auf dem Ku-Damm.
Es ist ein Selbstläufer. Wir haben nicht mit riesigem Werbeaufwand
gearbeitet, es ist über Mund-zu-Mund-Propaganda gewachsen und
nicht über Promotion.
Vom spirituellen her gesehen, ist es für mich total wichtig,
daß die Loveparade stattfindet. Selbst wenn viele einfach
nur hingehen, weil es riesiger Fun ist, haben sie das Ding Love
im Kopf. Das ist für mich der Samen, der sich entwickeln kann.
Die Loveparade ist mein Beitrag, das Glück zu vervielfältigen.
Wir haben so viel Leid auf der Erde und Du kannst das nur durch
die Liebe beseitigen. Jeder Mensch hat ein Anrecht glücklich
zu sein, nicht nur während der Loveparade oder an Weihnachten.
Wir sollten das zu keinem Zeitpunkt vergessen und jeden Tag versuchen
dazu beizutragen.
DIE SZENE
Motte: Die ganze kommerzielle Geschichte, die um die Musik herum
abgeht, ist völlig in die falsche Richtung gelaufen. Bei den
ganzen komischen Techno-Raves oder Sachen wie Ich mache jetzt
auch mal ne Platte und die soll so und so werden, damit sie
ein Hit wird geht es im Prinzip nur ums Geld.
b-Eden: Das Geld fließt vor allem auch in die falschen Taschen.
Wenn es innerhalb der Community fließen würde, innerhalb
der Leute, die veranstalten, die auftreten, aber auch der Leute,
die kommen und sich einbringen. Meist ist es jedoch so, daß
die Leute an der Kasse schon soviel zahlen, daß sich jeder
denkt, nun habe ich schon so viel gezahlt, dann bietet mir jetzt
mal was an...
Motte: Ganz extrem sind da auch die Medien schuld. Alle die irgendetwas
verkaufen, egal ob Trendmagazine, Fernsehen oder Zeitungen. Die
gaukeln Dir alle etwas vor und sagen, das hier ist das Ding, das
Du jetzt machen mußt. Im Prinzip wirst Du dadurch auf den
Kapitalismus immer mehr eingeschworen und weiter eingebunden...
Diese Phraserei von der Raving Society ist so schlecht,
so sinnleer. Dann siehst Du noch die Werbeclips dazu im Fernsehen.
- Nehmen wir mal an es gebe tatsächlich eine Raving Society
und die wäre so wie im Werbeclip...
b-Eden: Ich finde es völlig daneben, daß eine Firma wie
Camel mit dem Air Rave (drei Tage lange Rave-Party in einem Flugzeug
und verschiedenen Städten) etwas anbietet, daß nur fünfhundert
kriegen können. Durch Anzeigen und hunderttausende von Flyern
wird Millionen von Leuten gesagt, schau mal her, was du nicht kriegst...
Aber vielen Leuten, die an den Müll bei der Loveparade denken,
bleibt dieser blaue Camel-Air-Rave-Flyer in Erinnerung und das finde
ich gut so.
Motte: Das Müllproblem ist extrem. Der Müll verdreckt
die Erde und das ist genau das Gegenteil der Aussage der Loveparade.
Wir sind ein Teil der Erde und dafür verantwortlich. Wenn du
wirklich eine Parade für die Liebe machst, dann heißt
das natürlich auch Liebe für diesen Planeten.
W. Sterneck: Die Kommerzialisierung und Vereinnahmung ist eine typische
Entwicklung, die mit allen Jugendbewegungen verbunden war. Sobald
sich im Underground eine eigenständige Kultur entwickelt, die
in irgendeiner Weise profitabel erscheint, stürzt sich die
Industrie mit ihren gierigen Krallen auf alles, was sich unter einem
bestimmten Schlagwort, in diesem Falle unter Techno,
verkaufen läßt. Die ursprünglichen Ideale werden
dabei mehr und mehr zurückgedrängt.
Die Loveparade ist für mich ein widersprüchlicher Mittelweg.
Auf der einen Seite der Bezug zu Idealen wie der Liebe, der konkrete
Ansatz etwas selbstbestimmt zu tun und eine zum Teil mitreißende,
tiefe Energie, auf der anderen Seite die Zusammenarbeit mit Konzernen
wie Camel...
Motte: Das Problem bei so einer Veranstaltung ist, daß sie
finanziert werden muß. Und da der Staat pleite ist, muß
man sich umschauen und fragen: Wo kommt das Geld her?.
Und das kommt eben von der Industrie...
DER PLANET UND DER SPIRIT
Motte: Besonders in den Jahren 89 und 90 fanden in Berlin
viele illegale Parties statt, die von den Leuten selbstorganisiert
wurden. Es gab zum Beispiel ein altes leerstehendes, großes
elektrisches Schaltgebäude, das bis in die sechziger Jahre
die Straßenbeleuchtung Berlins an und aus geschaltet hat.
Eigentlich ein großes Transformationsgebäude.
Wir haben dort Parties gemacht, aber keine Flyer verteilt, sondern
den Leuten gesagt, daß an einem bestimmten Tag, zu einer Uhrzeit
an eine U-Bahn-Station kommen sollen. Dort stand eine Person, die
den Ort und den Weg zur Party weitergesagt hat. Zuvor wurde jeweils
ein Motto ausgegeben, so war zum Beispiel eine Party zum Thema Weiß
angesagt: Alle sollten irgendwie weiß angezogen kommen, was
die meisten dann auch waren.
Später sind nach der Wende Leute in die leerstehenden Fabrikhallen
Ost-Berlins reingegangen und haben gesagt, wir machen unsere eigenen
Parties. So ist auch der Planet entstanden. Wir hatten ein wunderschönes
Objekt entdeckt, mit einer großen und einer kleinen Halle.
Es stand einfach leer. Niemand hat sich darum gekümmert.
Samstags ab 12 Uhr haben wir aufgebaut, Abends kamen die Leute und
Sonntags ab 12 Uhr haben wir wieder abgebaut. Montags hast du davon
nichts mehr gesehen. Das ging eine Weile ganz gut, bis dann der
Besitzer auf uns aufmerksam wurde und plötzlich Wachschutz
da war. Wir haben uns dann mit ihm geeinigt und Miete gezahlt.
Der Planet wurde zur großen Alternative zu den anderen Clubs
in Berlin. Es war genau das, worauf die Szene gewartet hatte. Und
es lief auch alles gigantisch. Alles war eins: Die Leute, die dort
gearbeitet haben, die Dekoration, das Licht, die Musik. Du konntest
im Sound schwimmen.
Nach einer Weile gab es wieder Probleme mit dem Besitzer und wir
sind an einen anderen Ort gegangen. Für mich war es keine Alternative,
aber besser als nichts. In der Übergangsphase haben wir zwei
Bootsparties auf einem alten Kahn gemacht.
Der Planet hat nie wieder den Spirit, wie am Anfang gehabt. Auch
nicht als er wieder zurück in die Köpenicker Straße
gezogen ist. Ich bin dann ausgestiegen, als man mich im Planet bei
der Loveparade 92 nicht auflegen ließ. Ich habe gesagt
Danke für die Zusammenarbeit und bin gegangen.
Die gleichen Macher von damals machen heute das E-Werk. Eine interessante
Location, aber vom Vibe und vom Spirit her uninteressant. Inzwischen
hat sich auch die Intension der Macher völlig von den Anfängen
wegbewegt. Die Leute sind jetzt Chefs und haben den Bezug zur Szene
verloren, weil sie sich nun auf anderen Ebenen bewegen.
DER WEG ZU BUDDHA
Motte: Ich habe mir bis vor zwei Jahren nicht im geringsten über
Spiritualität Gedanken gemacht. Ich hatte dann ein depressives
persönliches Erlebnis, als ich mich zwei Monate zu Hause eingeschlossen
habe und die Sinnlosigkeit meines Tuns ausgelebt habe. Plötzlich
habe ich dann eine Antwort aus mir heraus bekommen. Eine ganz einfache,
simple Antwort: Das Einzige was wirklich gut für Dich ist,
bist Du selber. - Dies war ein Schlüsselerlebnis, das sofort
die Depressionen vertrieben und mein Leben verändert hat.
Ich wollte nicht länger einfach nur Spaß haben, sondern
etwas wirklich für mich tun. Als ich dann anfing zu lesen -
vorher habe ich nie gelesen - ging mir ein Licht nach dem anderen
auf. Irgendwann kamen spirituelle Bücher dazu, bis ich den
Buddhismus für mich entdeckt habe und erkannte, welch tiefe
Wahrheit darin liegt. Es war einfach supergenial.
Die Menschen gleichen sich darin, daß sie Glück suchen,
aber auf Grund ihrer Verblendung genau dem Gegenteil von Glück
hinterherrennen. Es ist traurig das zu sehen. Der Buddhismus gibt
dir den Schlüssel zur Befreiung, er gibt dir Selbstvertrauen,
Ruhe und Erkenntnis.
Vor allem geht es nicht um das Ego, nicht um mich, sondern es geht
um die Wichtigkeit von allen und um die Auflösung des Egos.
Unsere Stufe des Menschseins auf dieser materiellen Frequenzebene
ist nur eine Stufe der Entwicklung. Buddha hat es vorgemacht: Er
hat das Menschsein dazu benutzt, um ein Gott aller Götter zu
werden. Er ist ein Beispiel dafür, wie ein Mensch sich durch
seine Taten für andere entwickeln kann.
W. Sterneck: Wie verbindest Du denn Deine buddhistischen Vorstellungen
mit Deiner Musik ?
Motte: Das läßt sich gar nicht vereinbaren. Wenn es im
Buddhismus Musik gibt, dann fast nur in Form selbstgesungener Mantras.
W. Sterneck: Es gibt noch einen anderen Ansatz, der von einem erweiterten
Verständnis des Hörens ausgeht. John Cage hat davon ausgehend
Musikstücke geschaffen. Es geht dabei im Grunde gar nicht mehr
um Musik, sondern um ein bewußtes Wahrnehmen von allem was
uns umgibt, von den Geräuschen, die wir kaum noch hören.
Sich einfach irgendwo hinsetzen und die Augen schließen, bewußt
hören und letztlich bewußt sein...
b-Eden: Eigentlich haben wir in unseren Erinnerungsdatenbänken,
in unseren Zellen alle Informationen, die wir benötigen. Wir
müssen uns nur wieder erinnern. Wenn Du jetzt über den
Buddhismus die Bücher und die Symbole findest, die Du dazu
brauchst, dann ist das Dein Weg.
W. Sterneck: Mir fehlt im Buddhismus bzw. bei vielen BuddhistInnen
die Wechselwirkung zwischen innerer und äußerer Veränderung.
Völliges konzentrieren auf sich selbst, auf die eigene Entwicklung,
während gleichzeitig die gesellschaftliche Entwicklung unberücksichtigt
bleibt.
Notwendig ist dagegen, daß jede und jeder versuchen muß,
sich in vielerlei Hinsicht zu verändern und weiterzuentwickeln,
gleichzeitig müssen aber auch die umgebenden Bedingungen angegangen
werden. Es muß eine Basis da sein, um sich innerlich verändern
zu können.
Wenn jemand, um überleben zu können, täglich eine
völlig entfremdete Arbeit ausüben muß, wenn jemand
ständig Einschränkungen und Manipulationen ausgesetzt
ist, dann prägt das selbstverständlich diese Person und
hemmt zumindest die innere Entwicklung. Eine wirkliche innere Befreiung
kann es dementsprechend auch nur in einer freien Gesellschaft geben.
Motte: Die Frage ist, wie kommst du zur inneren Veränderung.
Die ganzen Ablenkungsgeschichten, die in dieser Gesellschaft laufen,
sind Hinderungsgründe um dich zu verändern, weil du die
ganze Zeit immer nach außen gezogen wirst und nie zu dir selbst
kommst.
Die Buddhisten wollen die Erleuchtung nicht für sich selbst
erlangen, sondern zum Wohl der anderen. Sie erkennen nämlich,
daß sie das Leid der anderen nur dann auflösen können,
wenn sie allwissend sind. Allwissend bist Du dann, wenn Du erleuchtet
bist, also das Licht, die Energie siehst. Und dafür mußt
du in die Einsiedelei. Wenig essen, lange wach sein, nicht groß
nachdenken, sich versenken, meditieren. Die Erkenntnis kommt aus
dieser Leerheit des Geistes heraus.
b-Eden: Es hört auf zu rattern, wenn der Geist vollends versteht
und akzeptiert. Dann hört das Bewußtsein auf und man
erlangt diesen Leerzustand. Wir nennen es Leerzustand, aber es ist
auch ein Zustand der total gefüllt ist.
Denn Spirit wieder freilegen, daß ist das, was wir zum Teil
erfahren durften. Und dabei müssen wir probieren dadurch nichts
besonderes zu werden oder allen zu sagen, ich bin etwas besonderes,
aber Du auch.
Eure beiden Positionen sind kein Gegensatz, sie drehen sich um einen
Pol: Heilung des Menschen ist Heilung der Erde und Heilung der Erde
ist Heilung des Menschen...
(1995)
Aus dem Buch: Wolfgang Sterneck (Hg.) / Cybertribe-Visionen. (I,1998).
Dr. Motte
Loveparade
|