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P16.D4:
- P16.D4 / Slave to the Rhythm
- W. Sterneck / P16.D4 und die Strukturen
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P16.D4:
SLAVE TO THE RHYTHM
Pop im Warenhaus, im Kino, im TV, bei der Arbeit. Die Funktion:
Werbung. Die Kriterien mit denen die Qualität von Pop gemessen
wird: Pseudokriterien einer Pseudoqualität: Werbung fürs
System: Duldung der Verhältnisse. Der Kriterienkatalog: Gut
zum Tanzen / Gut zum Ficken / Gut zum Marschieren / Gut zum Mitsingen
/ Gut zum Mitleiden. Diese Kriterien sind nahezu gleich bei der
Beurteilung von Populärer Klassik, Jazz, Folk, Wave, Disco,
Metal, Punk, Volksmusik. Es ist unsinnig eine Sparte Pop gegen eine
andere ausspielen zu wollen: Wave besser als Disco / Jazz besser
als Rock / etc., solange keine ernsthaften Versuche erkennbar sind,
die Popstruktur inklusive Vermarktungsmechanismen zu verlassen.
Auch kritische Texte ändern daran nichts, solange
Form / Ausdruck von Musik und Text unkritisch sind, denn in bedeutungstragenden
Zeichensystemen können neben dem (eigentlichen) Inhalt die
Form und der Inhalt zu einem neuen überlagernden Inhalt werden:
Wo ist der strukturale Unterschied zwischen Freddy Quinn und Hannes
Wader? Motörhead und Exploited? Live Aid und Jack-White-Show?
... in the heat of the night - you loose your heart and sell
your soul - I loose control in the heat of the night ...
Also Schritt vom Pop zu Etwas, das unreflektiert als Avantgarde
durch die Kataloge geistert, bzw. zur Kunst deren Funktion
in scheinbarer Funktionslosigkeit, nämlich Unverwertbarkeit
fürs System bestehen könnte. Unverwertbar: kein Rhythmus
auf den man tanzvögelnmarschieren kann / keine Harmonien als
Ausgleich für Emotionsdefizite / keine Texte zum Mitsingen
und Selbstvergessen / keine Möglichkeit zu beschaulicher Meditation
bei Kerzen und Wein.
... were lost in music, caught in a trap, no turning
back, were ...
Dennoch ist die Kenntnis vom Pop und seiner Funktion wichtig, denn
mit akademischer Konservatoriumsausbildung allein ist eine derartige
autonome, zeitgemäße Musik nicht zu produzieren. Das
Improvisation aus dem Entstehungsprozeß nicht ganz wegzudenken
ist, dürfte klar sein. Instrumentalartistik (siehe Klassikrockjazz)
ist allerdings keine Qualität, die für sich selbst stehen
könnte. Improvisation als Lebensinhalt geht von der falschen
Vorstellung aus, Gefühle seien echt und nicht gesellschaftlich
vermittelt, bzw. in mir drin sei etwas Echtes, Wahres,
das es aus mir herauszupressen gelte; mein Bauch spielt, es
spielt aus mir heraus... - Hohoho...
Die Kompositionsprinzipien einer zeitgemäßen Musik müssen
auf den Ergebnissen der letzten Jahrzehnte aufbauen, hinter die
nicht zurückgetreten werden kann und die vom Pop der letzten
vierzig Jahre fast ausnahmslos ignoriert werden: Atonalität,
freie Rhythmik, Geräusch als Ton, Serielles und Aleatorisches
Prinzip. Ton- bzw. Geräuschquellen können dabei genauso
wie bereits komponiertes oder gespeichertes Material als Instrument
eingesetzt werden. All dies wird weitgehend ignoriert, so wie es
das System verlangt, oder auf volksnahe Hörgewohnheiten
abgeschliffen und vermarktet. (Siehe zum Beispiel Grusel- und SF-Filme
der sechziger Jahre, unterlegt mit atonalen und sphärischen
Elektronikklängen).
Eine neue Stufe stellt das Prinzip des Materialaustauschs und der
phasenweisen Weiterverarbeitung durch andere dar: Einsatz kontrollierten
Zufalls. Ausgangsmaterialien werden von verschiedenen Gruppen ausgetauscht
und verarbeitet, die Ergebnisse möglicherweise noch einmal
ausgetauscht und weiterentwickelt.
Dieser Ansatz kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen,
daß die Möglichkeit einer autonomen, zeitgemäßen
Musik angezweifelt werden muß; vielleicht ist nur der Weg
einer negativen Reaktion auf vorhandenes Material noch gangbar.
Makxs / P16.D4
Infos zu P16.D4 unter:
Selektion - art-organisation
and company
www.selektion.com
Dank an Selektion.
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Wolfgang Sterneck:
P16.D4 UND DIE STRUKTUREN
Die Aufnahmen der 1980 erschienen EP Alltag der Mainzer
Gruppe P.D. bestanden aus verfremdeten Geräuschen, die unter
anderem in einer Bahnhofshalle aufgenommen wurden, und mit verzerrten
elektronischen Grundrhythmen unterlegt wurden. Die Stücke erinnerten
an eine surrealistische Sicht- und Hörweise, sowie teilweise
an Eindrücke unter Drogen-einfluß. Ein Zitat auf dem
Cover der EP verdeutlichte den theoretischen Ausgangspunkt: Wenn
überhaupt noch eine Musik, dann eine, die stärker
mit den Verkehrs- und Kommunikationsmitteln, dem technischen Display
des modernen Alltags interferiert, die enger mit den Tag-um-Tag-Rhythmen
verzahnt ist als alle vorhergehenden Musiken.
Im gleichen Jahr gründeten Mitglieder von P.D. das Kassettenlabel
Wahrnehmungen, welches später zu Selektion umbenannt wurde
und sich auf die Produktion von Schallplatten und CDs konzentrierte.
Die Gruppe und das Label waren in ihrer Anfangszeit ein Teil der
zu diesem Zeitpunkt äußerst vielfältigen Untergrundszene
in der Bundesrepublik. Vielfach angeregt durch die ursprünglichen
Grundaussagen der Punk-Bewegung entstanden gegen Ende der siebziger
Jahre verschiedene Musikprojekte, die durch ein Netz kleiner Kassetten-
und Plattenlabels strukturell miteinander verbunden waren. Viele
Bands suchten nach neuen Wegen und wandten sich, oftmals von der
Rockmusik ausgehend, experimentellen und avantgardist-ischen Ausdrucksformen
zu. Nach einer äußerst kreativen Phase kam es jedoch
1982 zu einem entscheidenden Einschnitt. Teile der Szene wurden
unter der Bezeichnung Neue Deutsche Welle (NDW) von der Musikindustrie
kommerziel ausgeschlachtet, darunter bezeichnender Weise auch die
VertreterInnen eines verkaufs-wirksam aktualisierten Schlagers.
P.D. bzw. nach einer Namensänderung P16.D4 blieben von dieser
Entwicklung weitgehend unberührt, da ihre musikalischen Ausdrucksformen
zu radikal waren, um bei der Industrie auf Interesse zu stoßen.
1982 begann die Gruppe mit der Arbeit an Distant Structures,
einem international ausgerichteten Projekt, das auf der Idee des
Materialaustausches basierte. Insgesamt fünfzehn Gruppen aus
verschiedenen Staaten schickten Aufnahmen an P16.D4, die diese weiterverarbeiteten,
miteinander verknüpften und letztlich in einer neugestalteten
Form veröffentlichten. In ihrer Gesamtheit standen die Arbeiten
von P16.D4 in der Tradition der forschenden Auseinandersetzung mit
akustischen Materialien durch die Vertreter der Musique concrète
und der Elektronischen Musik in den späten vierziger und fünfziger
Jahren. P16.D4 führten deren Versuche mit einem anderen inhaltlichen
Hintergrund weiter, ohne sie wie andere vorgeblich experimentelle
Gruppen mit verbesserten technischen Mitteln nur zu wiederholen.
1986 griffen P16.D4 in Zusammenarbeit mit dem Projekt Gruppe Swimming
Behaviour Of The Human Infant (S.B.O.T.H.I.) das Prinzip des Materialaustausches
erneut auf, allerdings in einer auf zwei Beteiligte reduzierten
Form. Erneut wurden Töne bearbeitet, in neue Zusammenhänge
gestellt und veränderten Bedeutungen zugeführt. Die Ergebnisse
dieser Zusammenarbeit wurden auf der Doppel-LP Nichts Niemand
Nirgends Nie! veröffentlicht. In einem Beiheft dokumentierten
P16.D4 ausführlich die einzelnen Schritte des Entsteh-ungsprozesses:
1. Materialsammlung. 2. Materialübermittlung. 3.
Auswahl. 4. Bearbeitung (Bildung von Mikrostrukturen). 5. Komposition
(Bildung von Makrostrukturen). Als Beispiele für den
Vorgang der Bearbeitung wurden unter anderem angegeben: Cut
Ups, Richtungsänderung, Geschwindigkeitsänderung, Bandknittern,
Harmonisierung, Over-dubbing... Die Arbeitsvorgänge unterteilten
sich in Phasen, deren Ablauf vorher festgelegt wurde, in Phasen,
bei denen mit dem Mittel des kontrollierten Zufalls gearbeitet wurde,
sowie in Phasen, in denen frei improvisiert wurde.
Wesentlich für das Verständnis der dadurch entstandenen
Kompositionen ist die grundsätzlich ablehnende Haltung von
P16.D4 und S.B.O.T.H.I. gegenüber der populären Musik
in all ihren Ausprägungen. Pop im Warenhaus, im Kino,
im TV, bei der Arbeit. Die Funktion: Werbung. Die Kriterien, mit
denen die Qualität von Pop gemessen wird: Pseudokriterien einer
Pseudoqualität: Werbung fürs System: Duldung der Verhältnisse.
Die Musiker selbst beabsichtigten eine Musik zu schaffen, bei der
eine distanzlose Identifikation bzw. eine Flucht in eine Illusionswelt
schon strukturell unmöglich ist. Kein Rhythmus, auf den
man tanzvögeln-marschieren kann / keine Harmonien als Ausgleich
für Emotionsdefizite / keine Texte zum Mitsingen und Selbstvergessen
/ keine Möglichkeit zu beschaulicher Meditation bei Kerzen
und Wein.
In einer Überschätzung der eigenen Musik ignorierten
die Musiker allerdings die Möglichkeit, daß auch verhältnismäßig
konventionelle musikalische Ausdrucksformen durch die Vermittlung
entsprechender Inhalte oder Stimmungen in einem konsequenten Sinne
genutzt werden können. Gleichzeitig kann auch eine vermeintliche
Anti-Musik einen verschleiernden und keineswegs zwangsläufig
aufbrechenden Charakter haben. Gerade im Bereich der experimentellen
Musik sind zahlreiche Veröffentlichungen, die stilistisch mit
dem her-kömmlichen Musikverständnis brechen, unabhängig
von der ursprünglichen Absicht der MusikerInnen mit einem illusionären
Image verbunden. Die Wahrnehmung und die Wirkung einer Veröffentlichung
kann nur bis zu einer bestimmten Grenze von den MusikerInnen beeinflußt
werden, letztlich entscheidend ist das Bewußtsein der HörerInnen.
Vom Autor überarbeiteter Abschnitt aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck:
Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft. (1998).
contact@sterneck.net
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