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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Wolfgang Sterneck:

DER ERSTICKTE AUFSCHREI
- PUNK IN ENGLAND -

- Punk und die Gegensätze -
- Provokation und Selbstbestimmung -
- Die Sex Pistols und der Widerspruch -
- Die neuen Rockstars -
- Punk und die Rolle der Frau -

Als musikalischer Ausdruck der Verweigerung und der Rebellion großer Teile der Jugend entstand in der Mitte der siebziger Jahre in England die Punkbewegung. Der Musikinsindustrie gelang es jedoch schnell, die Hauptströmung des Punk zu vereinnahmen und kommerziell zu verwerten.

PUNK UND DIE GEGENSÄTZE

Mit dem Anstieg der Arbeitslosenzahlen bei gleichzeitig geringen staatlichen Sozialleistungen und beständig hoher Inflationsrate hatten sich in England die sozialen Gegensätze verschärft. Für die Jugendlichen in den lebensfeindlichen Betonghettos der Vorstädte gab es, wenn überhaupt, nur die Wahl zwischen einer völlig entfremdeten Arbeit und der Arbeitslosigkeit bzw. dem damit verbundenen sozialen Abstieg, der nicht selten bis an die Grenze des Existenzminimums führte. Die Möglichkeit einer freien Entfaltung war in keinster Weise gegeben. Das in dieser Situation wurzelnde Lebensgefühl vieler Jugendlicher in den Großstädten der Industriestaaten fand ab 1975 im Punk als Lebens- und Musikstil einen Ausdruck. Entsprechend waren Textzeilen wie ”No Future” (”Keine Zukunft”) keineswegs nur Schlagwörter des Punk, sondern charakterisierten die soziale Realität großer Teile der Jugendlichen in den Industriestaaten. Ausgehend von den gesellschaftlichen Bedingungen verstanden sich die Punx im übertragenden Sinne als Abfall der Gesellschaft, bekannten sich aber zu dieser Rolle und traten selbstbewußt aus dem sozialen Abseits in den Mittelpunkt der schockierten Öffentlichkeit. Hinter der Fassade von Wohlstand, Demokratie und königlicher Familie kamen dadurch plötzlich die Opfer des Systems zum Vorschein, die es wagten, die gesellschaftlichen Lügen als solche zu bezeichnen und sich dem Vorgegebenen zu entziehen.

Die Musik drückte das zerstörende soziale Klima kompromißlos aus. Sie war roh, brutal und hart, geprägt von Aggressivität. Musikalische Fähigkeiten waren nicht notwendig, es ging vielmehr um das Gefühl im Inneren. Die SängerInnen brüllten und schrien ihre Empfindungen schonungslos aus sich heraus, während für romantische Vorstellungen längst kein Platz mehr bestand. Entsprechend prägte im Gegensatz zu den zumeist verschleiernden Texten kommerziell ausgerichteter Pop- und Rockbands eine vielfach eigenwillige und subjektive Auseinandersetzung mit der sozialen Situation die Songs der Punkgruppen. Schon lange hatte es eine Gegenbewegung zu den Star-Gruppen der Rockmusik wie Yes, Genesis und den Rolling Stones gegeben. Die Musiker dieser Bands lebten längst in einer Welt, die mit der ihrer Fans nichts mehr zu tun hatte. In den Pubs entstand dagegen schon um 1973 eine Rockkultur, die betont die Nähe zum Publikum suchte und an die Ursprünge des Rock anknüpfte. Die Punkmusik nahm diese Entwicklung auf und verband sie mit einer neuen Dynamik.

PROVOKATION UND SELBSTBESTIMMUNG

Das Aussehen der Punx bildete das äußerlich hervorstechende Merkmal der Abgrenzung zur bürgerlichen Gesellschaft. Gleichzeitig war es ein Mittel der gezielten Provokation und der Konfrontation mit gesellschaftlichen Tabus. Die betont abgetragene und zerrissene Kleidung stand für die soziale Herkunft und die Armut. Die Fesseln und Ketten am ganzen Körper symbolisierten die tägliche Unterdrückung. Das offene Tragen von Reizwäsche sollte die vorherrschende Doppelmoral in Bezug auf die Sexualität entlarven. Die bunten und bizarr gestalteten Haare, sowie der Schmuck aus Müll und die Sicherheitsnadeln, welche durch Ohren, Nase und Backen gestochen wurden, stellten die herkömmlichen Vorstellungen gemäß dem Motto ”Häßlich ist schön” auf den Kopf.

Wie bei den Jugendrebellionen der vorangegangenen Jahrzehnte waren die meisten Angehörigen älterer Generationen von den Entwicklungen völlig überrascht und reagierten entsetzt. Die bange Frage, was denn aus der Jugend geworden sei, wurde im privaten und im öffentlichen Rahmen immer wieder gestellt, oftmals verbunden mit der Bemerkung, daß es so etwas früher nicht gegeben hätte. Die bürgerlichen Medien berichteten ausführlich, richteten aber ihr Interesse nie auf die eigentlichen Zusammenhänge. Das Aufzeigen der tatsächlichen Ursachen hätte die künstliche Fassade der Gesellschaft entlarvt, denn Punk spiegelte im Grunde die gesellschaftlichen Entwicklungen, die lange aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt worden waren.

Im Gegensatz zu den oberflächlichen Darstellungen in den Medien war Punk nicht nur mit einer destruktiven Verweigerungshaltung, sondern auch mit der konkreten Aufforderung verbunden, aus der auferlegten Passivität auszubrechen und in einem positiven Sinne die eigene Initiative wiederzubeleben. So gehörte das Prinzip des ”Do it yourself” (”Mach es selbst”) zu den ursprünglichen Grundgedanken des Punk. Allgemein gefaßt stand es für den Ausbruch aus der ständigen Fremdbestimmung und damit für die Wiederaneignung des Alltags. Auf die Musik bezogen zielte es darauf , daß jede und jeder ein Instrument nehmen, praktisch ohne größere Vorkenntnisse einfach spielen, eine Band gründen und die Aufnahmen veröffentlichen kann. Es bedarf dabei keiner besonderen Fähigkeiten, es bedarf auch keinem High-Tech-Studio, keinem großen Label oder Manager. Es bedarf vielmehr dem Willen etwas selbstbestimmt zu tun und die unterdrückte Kreativität freizusetzen. Das gleiche galt für die Fanzines, den Zeitschriften die von Personen aus der Szene veröffentlicht und mit einfachsten Mitteln hergestellt wurden. Im Vergleich zu den kommerziellen Musikzeitschriften wurden sie in einer minimalen Auflage vervielfältigt. Im Gegensatz zu diesen waren sie aber von der Musikindustrie völlig unabhängig. Finanzielle Aspekte spielten bei der Veröffentlichung in der Regel keine Rolle, der Verkaufspreis deckte zumeist gerade die Unkosten. ”Do it yourself” war auch der Grundsatz vieler kleiner Labels und Vertriebe, die zu dieser Zeit gegründet wurden, von denen aber nur wenige eine längere Zeit bestanden.

DIE SEX PISTOLS UND DER WIDERSPRUCH

Die englische Band Sex Pistols war der auslösende Faktor, der Punk endgültig zu einer Jugendbewegung machte. Die Geschichte der Band selbst war voller Widersprüche: die Sex Pistols waren einerseits die Personifizierung des Lebensgefühls vieler Jugendlicher, aber auch gleichzeitig in weiten Teilen ein Produkt ihres Managers Malcolm McLaren. Dieser war von den Theoretikern des Situationismus beeinflußt, die in ihren Schriften eine Verknüpfung von Subversion und Kunst propagierten. Im Oktober 1975 trug McLaren entscheidend dazu bei, daß sich in seiner Boutique in London die Sex Pistols gründeten. Er bestimmte er den Namen der Gruppe und entwarf für die Bandmitglieder und bald auch für deren erste AnhängerInnen einen besonderen Kleidungsstil, der später als sogenannter ”Confrontation Dress” zur Mode wurde.

Die Vermarktungsstrategie, welche McLaren verfolgte und die vor und nach den Sex Pistols immer wieder im Rockgeschäft angewandt wurde, war einfach, aber wirkungsvoll: Über eine Reihe von gezielt arrangierten Skandalen sollte die Band Aufmerksamkeit erregen, in die Schlagzeilen der Medien gelangen und dadurch populär werden. Schon nach den ersten Auftritten war dieses Konzept aufgegangen. Die Boulevardpresse und die Musikmedien berichteten teilweise ausführlich über die Sex Pistols und deren Konzerte, die in der Anfangszeit fast durchgängig zwangsweise abgebrochen wurden. Der Grund lag in den meisten Fällen in der Show und der Musik der Band, aber auch in darüber hinausgehenden gezielten Provokationen wie dem Auftreten nackter Frauen auf der Bühne.

Im Laufe des Jahres 1976 wurde die Punk-Musik zunehmend populärer. Die Szene wuchs beständig, immer mehr Bands wurden gründet und die ersten Ansätze unabhängiger Strukturen, unter anderem in Form von Fanzines und kleinen Labels, erhielten eine deutliche Kontur. Doch auch die Musikindustrie wurde auf die Entwicklungen aufmerksam und erkannte die Möglichkeit mit dem neuen Stil riesige Profite zu erzielen. An diesem Punkt überschnitten sich dann auch die Interessen der Konzerne mit den Vorstellungen McLarens, der im Herbst 1976 als die Sex Pistols einen Vertrag beim Musikmulti EMI unterzeichneten am vorläufigen Ziel seiner Pläne war.

”Anarchy in the UK”, die erste Single-Veröffentlichung der Band, wurde sofort zu einer Hymne des Punk. Das Anarchismusverständnis, welches dahinter stand, war jedoch ein rein destruktives. Die Sex Pistols übernahmen die verfälschende bürgerliche Darstellung, welche den Anarchismus mit Zerstörung und Chaos gleichsetzt und dabei das Ziel einer auf freien Vereinbarungen basierenden, herrschaftslosen Gesellschaft bewußt unterschlägt. ”I am an antichrist. I am an anarchist. Don’t know what I want, but I know how to get it. I want to destroy ’cause I want to be an anarchist. Anarchy for the U.K...”

Die Veröffentlichung der Single und die wachsende Punkbewegung lösten eine Welle der Empörung und des Protestes aus. Die bürgerliche Presse, verschiedene staatliche Behörden und konservative Parlamentsabgeordnete entfachten eine Kampagne gegen den Punk, in deren Folge fast alle großen Städte Auftrittsverbote für Punkbands verhängten. Zudem wurden Punx mehrfach von aufgebrachten Bürgern angegriffen und von den Polizeikräften willkürlich verhaftet. Gleichzeitig kam es in den Medien zu Zensurmaßnahmen. So wurde Radio- und Zeitungsredaktionen indirekt untersagt ”Anarchy in the UK” zu spielen und in den Hitlisten aufzuführen. Trotz dieser Kampagne bzw. sicherlich auch gerade deshalb wurde die Single zu einem großen Verkaufserfolg.

EMI war jedoch um den Ruf als seriöses Unternehmen besorgt und fürchtete die mit einem Imagewandel verbundenen finanziellen Verluste. Nach einem TV-Auftritt der Band, bei dem sie den Moderator beschimpften und sich, wie die Presse schrieb, obszön äußerten, wurde der öffentliche Druck noch stärker und EMI entschloß sich, den Vertrieb der Single zu stoppen, die Restauflage einzustampfen und den Vertrag mit den Sex Pistols aufzulösen. Leslie Hill, der damalige Manager von EMI, rechtfertigte diesen Schritt folgendermaßen: ”Angenommen zum Beispiel, sie wären auf Tour gegangen. Und nun angenommen, wir hätten mit ihnen das Gleiche gemacht, was wir normalerweise für eine Gruppe tun, die auf Tournee ist: Partys für die Presse oder eine Abschlußparty oder irgendeine Art von Empfang. Es ist leicht vorstellbar was passiert wäre. Es hätte Krawall gegeben, protestierende Leute draußen, überall Fotografen und Journalisten. Das ist keine Umgebung in der wir in der normalen Form operieren können. Wie sollen wir zum Beispiel eine Platte in Übersee vermarkten, wenn das einzige was wir haben Presseausschnitte über Schweinereien und Aggressionen sind. Es ist unmöglich darauf eine Promotionkampagne für eine Schallplatte aufzubauen.”(1)

Im letzteren Punkt täuschte sich Hill erheblich, denn gerade die Geschichte der Sex Pistols, die mit einem, im herkömmlichen Sinne völlig negativen Image Karriere machten, bewies das Gegenteil. Die Band hatte gegen die Vertragsauflösung im Grunde nichts einzuwenden, denn sie erhielten eine Abfindungssumme in Höhe von £ 50.000 und konnte sich einen neuen Vertragspartner suchen. Den hatten sie mit dem Label A&M auch schnell gefunden. Der Band war es ohnehin egal bei wem sie unterschrieben und wie sie vermarktet wurden, solange ihr Gewinn dabei hoch genug war. Doch auch dieser Vertrag wurde nach nur einer Woche wieder aufgelöst, was der Band eine weitere Abfindung in Höhe von £ 75.000 einbrachte. Zu den auslösenden Gründen gehörte eine Erklärung des Musikers Rick Wakeman, einem Mitglied der Band Yes, der zusammen mit anderen MusikerInnen drohte, das Label zu verlassen, wenn dieses weiter mit den Sex Pistols zusammenarbeitet. Im Juni unterschrieben die Sex Pistols dann bei Virgin. Im Gegensatz zu EMI und A&M ging das Label von Anfang an auf das Image und die Vorstellungen der Sex Pistols ein. So wurden wöchentlich in ganzseitigen Anzeigen unter anderem die Schallplattenläden, Veranstaltungsorte und Radiostationen aufgelistet, welche die Sex Pistols in irgendeiner Weise image-fördernd boykottierten oder zensierten.

Im Sommer 1977 entfaltete die Punkbewegung ihre ganze provokative Wirkung. Die britische Königin feierte mit mittelalterlichen Prunk ihr Krönungsjubiläum, dessen Kosten in Höhe von mehreren Millionen Pfund letztlich die Bevölkerung tragen mußte. Während die breite Öffentlichkeit untergeben zur königlichen Familie hinaufblickte, zeigten nur einige radikale linke Gruppen den reaktionären Charakter der Monarchie auf und forderten deren Abschaffung. Das eigentliche Gegengewicht aber bildete die Punkbewegung. Medienwirksam erschien die zweite Single der Sex Pistols ”God save the Queen”, die den Höhepunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um den Punk markierte, pünktlich zu den Feiern. Auch in diesem Falle konnte die noch einmal gesteigerte Medienhetze die Ausweitung der Punkbewegung bzw. den Erfolg der Single nicht verhindern. ”God save the Queen, the fascist regime. They made you a moron, a potential H-bomb. Don’t be told what you want, don’t be told what you need. There’s no future, there’s no future for you... God save the Queen, she ain’t a human being. There’s no future in England’s dreaming.”

Etwa ein halbes Jahr später brach die Band auseinander, die weitere Laufbahn der einzelnen Bandmitglieder war charakteristisch für die drei wesentlichen Entwicklungsstränge der ersten Generation der Punk-Bands. Während Johnny Rotten, der Sänger der Sex Pistols, mit John Lydon wieder seinen Geburtsnamen annahm und mit seiner neuen Band Public Image Limited einen gemäßigteren Weg einschlug, wurde Sid Vicious, der an einer Überdosis Heroin starb, zum Opfer seines exzessiven Lebensstils. Die übrigen ehemaligen Bandmitglieder gerieten weitgehend in Vergessenheit. Nur Steve Jones erregte noch einmal kurzzeitig Aufmerksamkeit, als er in den USA für einen bürgerlichen Politiker warb. 1996 schloß sich die Band für eine Tournee nochmals zusammen ohne jedoch an die einstige Ausdruckskraft anknüpfen zu können. McLaren veröffentlichte nach der Auflösung 1978 einen Film über die Sex Pistols mit dem bezeichnenden Titel ”The Great Rock ’n’ Roll Swindle”. Der Film war beispielhaft für die Geschichte der Gruppe indem er das Rockbusiness entlarvte und es lächerlich machte, sich aber gleichzeitig erfolgreich dessen Methoden bediente.

DIE NEUEN ROCK-STARS

Punk begann als Ausdruck der sozialen Widersprüche und als Gegenbewegung zur Musikindustrie. Die meisten Bands lösten sich jedoch schnell von diesen Ursprüngen und ließen sich auf die Angebote der Musikkonzerne ein. Mit der Vertragsunterzeichnung war allerdings in Folge auch die Anerkennung der Gesetze des Musikmarktes verbunden, was zumeist einer uneingeschränkten und von den Bands nicht kontrollierbaren Vermarktung und Verwertung durch die Konzerne gleichkam. Die Unterschrift bedeutete in der Regel auch die Aufgabe radikaler Positionen in den Songtexten und eine musikalische Entschärfung, um noch mehr KäuferInnen anzusprechen. Wegweisende Bands wie die Stranglers, die Damned, Siouxsie and the Banshees, die X-Ray Spex und auch die Clash arbeiteten bald mit den Musikmultis zusammen. Die Punkbewegung, die einst mit dem Anspruch ”No more heroes” angetreten war, um den Starkult abzuschaffen, fügte den alten Göttern des Rockbusiness neue hinzu. Das anerzogene Bedürfnis nach Autoritäten, die den Weg weisen und zu denen hinauf geblickt werden kann, wurde nicht mehr in Frage gestellt, sondern bestärkt.

Die Clash galten anfangs als die politischste Band. In ihren Texten forderten sie zum Aufstand und zu radikaler Veränderung auf, nahmen sich aber durch die Unterzeichnung eines Vertrages mit CBS selbst einen wesentlichen Teil ihrer Glaubwürdigkeit. Zu den ausdrucksstärksten Stücken ihrer Anfangszeit gehörte ”White riot”, in dem sie die weiße Jugend in Bezugnahme auf die Aufstände in einigen hauptsächlich von Schwarzen bewohnten Stadtteilen aufforderten, sich an diesen Rebellionen ein Beispiel zu nehmen. ”All the power is in the hands of people rich enough to buy it. While we walk the streets too chicken to even try it and everyone eats supermarket soul-food. White riot, I wanna riot. White riot, a riot of my own. Black people got a lot of problems, but they don’t mind throwing a brick. But white man go to school, where they teach you how to be thick. So everybody does what they’re told to and everybody eats supermarket soul-food.”

Die Hardcore-Band Rudimentary Peni stellte später rhetorisch die Frage, warum Rockstars so häufig lügen. In dem Beiblatt zur ihrer LP ”Death Church” zitierten sie aus Interviews mit den Sex Pistols und den Clash aus der Zeit vor deren kommerziellen Durchbruch. Johnny Rotten kündigte darin an, Einnahmen aus den Plattenverkäufen an Jugendliche weiterzuleiten, die sich am Rande der Gesellschaft befinden. Der Clash-Gitarrist Joe Strummer äußerte sich ähnlich: ”Ich will etwas sinnvolles tun. Ich werde mit meinem Geld eine Radiostation gründen.”. Paul Simenon, der Bassist der Band, fügte hinzu: ”Bands, wie die Stones und Led Zeppelin nahmen alles, ohne etwas zurück zu geben. Aber wir können das Geld in die Situation zurückfließen lassen, aus der wir gekommen sind, um etwas für die Jugendlichen in unserem Alter zu bewirken.”(2) Derartige Absichten der Musiker, sofern diese überhaupt einmal ernsthaft bestanden und nicht nur dem Image dienten, wurden allerdings nie in die Praxis umgesetzt. In dem Song ”Rotten to the core” griff Rudimentary Peni die beiden Bands deshalb scharf an: ”You must realize that ’Rock-Stars’ always seem to lie so much. Some will always tell you that they care but they don’t really give a fuck. Still you suckers don’t ever learn that ’Rock-Stars’ deal in money not truth it’s good business to exploit you, just look at Lydon or Strummer for proof.”

In Anbetracht der Entwicklungen forderte der Punk Tony in dem von Mark Perry herausgegebenen Fanzine Sniffin’ Glue, zu einem Boykott der Musikmultis auf. Der aufrüttelnde Charakter des Aufrufs konnte jedoch den resignativen Unterton nicht überdecken: ”Ich denke, das Beste wäre aufzuhören, Platten zu kaufen. Ja, hört auf, Platten zu kaufen. Schaut euch lieber die Bands live an. Ich meine, daß Bands, sobald sie einen Vertrag mit einer Plattenfirma haben, nicht mehr bestimmen können, was läuft und was nicht. Die kleinen Bands werden zugunsten einiger neuer Supergruppen in der Versenkung verschwinden. Mit dem Kaufen aufhören bedeutet, daß die fetten Manager keinen Penny aus uns rausholen können. Außerdem sind wir mit dem ganzen Plattenmarkt voll drauf Lehnstuhl-Punx zu werden. Wir brauchen Kommunikation. Wenn du was zu sagen hast, sage es und warte nicht bis es eine Schallplatte für dich sagt. Geht in die Clubs, geht überall hin, tanzt, singt und brüllt solange ihr miteinander kommuniziert. Laßt euch nicht ausverkaufen.”(3)

Das öffentliche Bild des Punk war durch die völlig verzerrten Darstellungen in den Medien und durch Punkstars wie Sid Vicious geprägt. Wie kaum ein anderer verköperte er die destruktive Auffassung des Punk, welche den konstruktiven gegenkulturellen Ansätzen gegenüber stand. Vicious ging es im wesentlichen darum, seine eigenen unterdrückten Bedürfnisse ungehemmt auszuleben, wenn nötig auch auf Kosten anderer. Wie viele Punx zu dieser Zeit benutzte er das Hakenkreuzsymbol, das er als Motiv auf einem T-Shirt trug und sich während einiger Konzerte in die Brust ritzte. Das Benutzen des Symbols basierte allerdings nicht auf einer politischen Nähe zum Faschismus, sondern zielte einzig auf eine Provokation des englischen Establishments.

Für einen großen Teil der Bevölkerung bilden bis heute Irokesenfrisuren, Alkoholexzesse und ziellose Zerstörungswut die charakteristischen Merkmale des Punk, wobei nicht wenige selbsternannte Punx alles taten, um diesem Bild zu entsprechen. Mit den anfänglichen Grundgedanken hatte dies jedoch längst nichts mehr zu tun. Stück für Stück wurde der Widerspruch zwischen dem ursprünglichen Anspruch des Punk und der realen Entwicklung größer. Die Rebellion wurde vereinnahmt und erhielt einen zunehmend regressiven Charakter. Es dauerte nicht lange und auch die Kleidungsindustrie hatte Punk zu einem Modestil gemacht. Bald gab es in jedem Kaufhaus Textilien im Punkstil und die Souvenirläden verkauften T-Shirts und Postkarten mit den Bildern der neuen Stars. Entsprechend verloren die Punx in den Fußgängerzonen der großen Städte ihre anfangs provozierende Wirkung und wurden zum exotischen Farbfleck.

In ihrem Song ”Punk is dead” beschrieb 1978 die Band Crass den Niedergang des Punk. ”Yes, that’s right, Punk is dead. It’s just another cheap product for the consumers head. Bubble-gum Rock on plastic transistors. CBS promote the Clash but it ain’t for revolution, it’s just for cash. Punk became a fashion just like Hippy used to be and it ain’t got a thing to do with you or me...The social-elite with safety-pins in their ear. I watch and understand that it don’t mean a thing. The scorpions might attack, but the system stole the sting. Punk is dead” Crass wurden wegen dieser Position teilweise stark angegriffen, unter anderem von der Band Exploited, die im bewußten Gegensatz zu Crass verkündeten, daß Punk nicht tot sei. Bezeichnender Weise waren es aber gerade Crass, die wie kaum eine andere Band die ursprünglichen Ideale des Punk wiederbelebten und sie praktisch mit Inhalten füllten. Dagegen entsprachen Exploited mit ihrem Auftreten und ihren Aussagen ganz dem verfälschten, negativen Bild des Punk, welches von den Medien verbreitet wurde.

PUNK UND DIE ROLLE DER FRAU

Punk war von Anfang an von Männern dominiert. Dies zeigte sich rein zahlenmäßig in der Anzahl der Frauen in den Bands, aber insbesondere auch im Verhalten und Auftreten der Punx. Punk trat zwar an, um die bestehende Gesellschaftsordnung in Frage zu stellen, übernahm aber gleichzeitig vieles von dem, was vorgeblich abgelehnt wurde. Ein Bewußtsein für die besondere gesellschaftliche Unterdrückung war bei den männlichen Punx in der Regel nicht vorhanden. Punk als Musikstil an sich, als eine auf Aggression und Härte basierende Ausdrucksform, kam den anerzogenen Rollenmustern der Männer weitaus stärker entgegen als dem der Frauen. Männer wurden und werden von frühester Kindheit an dazu erzogen, unterdrückte Energien und Bedürfnisse aus sich herauszulassen, was nicht selten in einer aggressiven Weise geschieht. Frauen dagegen werden zu einer passiven Haltung erzogen. Sie sollen ihre Frustration und Aggression im Innern eher unterdrücken und verdrängen als sie offen zum Ausdruck bringen.

In der Tradition eines männlich-chauvinistischen Rockverständnisses waren Frauen für die meisten Musiker der bekannt gewordenen Bands benutzbare Objekte. Bei einigen Musikern zeigte sich dies vorwiegend im Verhalten, bei anderen auch in offen sexistischen Äußerungen und Texten. Neben den patriarchalen, gesellschaftlichen Strukturen bildete das individualistisch auf die eigene Persönlichkeit ausgerichtete Weltbild des Punk hierfür die wesentliche Ursache. Es ging den Punx vorrangig um eine persönliche Befreiung, um ein Ausleben und eine Befriedigung der eigenen Bedürfnisse. Diese Einstellung konnte schnell zu einer egoistischen, einzig auf das eigene Wohlbefinden ausgerichteten Haltung führen, die keine Rücksicht auf andere Personen nahm und entsprechend auch mit einem ungehemmten Ausleben männlicher Wunschvorstellungen verbunden war.

Dennoch ging Punk in Bezug auf die Rolle der Frauen in einigen Punkten über die bis dahin prägenden Entwicklungen im Pop- und Rockbereich hinaus. In den Bands waren Frauen, wenn auch noch immer klar in der Minderheit, verhältnismäßig stark vertreten, wobei sie im Unterschied zu anderen Musikströmungen nicht nur als Sängerinnen sondern verhältnismäßig oft als Instrumentalistinnen auftraten. Dort wo Frauen selbst Songtexte schrieben, waren diese vielfach von einer ungewohnten Direktheit und einer betont weiblichen Sichtweise geprägt. Hervorzuheben ist zudem, daß die äußere Erscheinung der weiblichen Punx in einer Ablehnung der von Männern bestimmten Schönheits- und Modeideale wurzelte. Das Aussehen diente entsprechend nicht dazu, um im traditionellen Sinne schön auszusehen, sondern vielmehr auch um sich von diesem auf die äußere Erscheinung reduzierten Bild zu lösen.

(1998)

Anmerkungen:
1) Leslie Hill zitiert in: Wicke, Peter / Rockmusik. (Reclam). Leipzig, 1987.
2) Joe Strummer und Paul Simenon (The Clash) zitiert im Beiblatt zur LP: Rudimentary Peni / Death Church. (Spiderleg). 1983.
3) Tony S. in: Sniffin’ Glue No. 12. London, 1977.

Aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck:
Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft. (1998).

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