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Wolfgang Sterneck:
MUSIK IM BEFREIUNGSKAMPF
Ein wesentliches Merkmal imperialistischer Herrschaft ist die Zerstörung
der gewachsenen kulturellen Strukturen, die sich unter anderem in
der Verdrängung oder Unterdrückung traditioneller Ausdrucksformen
widerspiegelt. Die nationalistischen Tendenzen vieler Befreiungsbewegungen
haben darin einen wesentlichen Ursprung, wobei sich der Nationalismus
in der Regel nicht im Sinne einer chauvinistischen Verherrlichung
äußert, sondern als Befreiung von einer Fremdherrschaft
und der Möglichkeit einer unabhängigen Entfaltung der
eigenen Kultur empfunden wird.
Die westlichen Medien, deren Einfluß auf die Kulturen der
Dritten Welt über das Fernsehen, die populäre
Musik und insbesondere auch über die Werbung immer größer
wird, vermitteln ein Weltbild, das vorrangig materiell ausgerichtet
sind. Dabei wird Glück über Besitz und Konsum definiert.
Die propagierten Konsumgüter und die Scheinwelten der Medienstars
bleiben zwar unerreichbar, sie prägen aber die Bedürfnisse
und Werte unzähliger Menschen. Weitreichende Folgen haben zudem
die Vermittlung patriarchaler Rollenklischees und die Darstellung
von Gewalt als vorrangigen Weg zur Lösung von Problemen. Langfristig
ist diese kulturimperialistische Ebene der Manipulation und Unterdrückung
weitaus effektiver als eine offen politische oder militärische,
da sie nicht nur äußerlich wirkt, sondern über die
Verinnerlichung der vermittelten Inhalte tief in das Bewußtsein
und das Handeln der einzelnen Menschen eingreift. Gefördert
wird diese Entwicklung durch das niedrige Bildungsniveau und den
weitverbreiteten Analphabetismus, sowie durch eine in vielen Bereichen
autoritär ausgerichtete Gesellschaft, die eine selbstbestimmte
Entfaltung und die Entwicklung eines freien Bewußtseins weitgehend
einschränkt.
In scharfer Abgrenzung zu diesen Strukturen entstehen im Zusammenhang
mit den Befrei-ungsbewegungen immer wieder spezifische kulturelle
Ausdrucksformen bzw. eine Musik des Widerstandes. Die vielfach verbotenen
Lieder, die teilweise über Musikkassetten verbreitet werden,
dienen dabei als ein kollektives Gedächtnis, indem sie über
Generationen hinweg Erfahrungen und Ereignisse vermitteln, die in
der vorherrschenden Geschichts-schreibung keinen Platz finden. Gleichzeitig
sind sie eine Aufforderung Widerstand zu leisten und die revolutionären
Kräfte zu unterstützen. Die Texte der meisten Stücke
beschreiben gesellschaftliche Zusammenhänge, zeigen die Ursachen
des sozialen Elends auf und vermitteln die Positionen der Befreiungsbewegungen.
Vielfach werden die Lebensbe-dingungen und der Alltag der städtischen
ArbeiterInnen und der Landbevölkerung dargestellt. Nur selten
zeigen die Stücke jedoch Gegensätze und Widersprüche
innerhalb der Bewe-gungen auf. Charakteristisch ist vielmehr oftmals
eine idealisierende oder propagandistisch verfälschende Darstellung
der realen Situation.
Die in den Befreiungskämpfen entstandenen Lieder haben zumeist
einen starken folkloristischen Charakter und knüpfen an die
über Jahrhunderte gewachsenen Kulturtraditionen an. Indem sie
inhaltlich die Interessen der ausgebeuteten Bevölkerung wiedergeben
und musikalisch auf traditionellen Ausdrucksformen aufbauen, lassen
sie sich als eine tatsächliche Volksmusik bezeichnen. Dieses
Verständnis von Volksmusik steht im klaren Gegensatz zum Begriff
der Weltmusik, unter dem in den westlichen Staaten in den achtziger
Jahre verschiedenste musikalische Stile zusammengefaßt wurden,
deren einziges gemeinsames Merkmal die Herkunft aus einem Land der
sogenannten Dritten Welt ist. Unverschleiert offenbarte schon der
Begriff ein auf die westlichen Industrienationen fixiertes Weltbild,
in dessen Rahmen alle anderen Länder und Kulturen als übrige
Welt vereinheitlicht werden. Vielfach wurden dabei kritiklos die
Veröffentlichungen und Auftritte einzelner Weltmusiker
bejubelt, obwohl diese reaktionäre Inhalte vertraten oder in
ihren Heimatländern mit diktatorischen Regierungen zusammen-arbeiteten.
Zu den einflußreichsten MusikerInnen, die in ihren Liedern
die Ziele des antiimperialistischen Befreiungskampfes propagierten,
gehörte der chilenische Sänger Victor Jara, der 1973 während
des Militärputsches gegen eine demokratisch gewählte sozialistische
Regierung von Soldaten gefoltert und ermordet wurde. In dem manifestartigen
Artikel Das Lied für das Volk beschrieb Jara die
Entwicklung einer neuen Kultur in Chile und formulierte die Grundlagen
einer revolutionären Musik des Volkes. Wir sehen uns,
unser Leben, unsere Geschichte, unseren Kampf mit bewußteren
Augen. Wir begreifen, daß wir unsere eigene Musik haben, daß
wir sie gar nicht kennen. Wir machen einen Bewußtseinsprozeß
durch und der spiegelt sich in unseren Liedern. Darum können
sie ein so starkes Mittel der Kommunikation, der Verständigung
und der Identitätsfindung sein. Und weitergehend: Wenn
ein Volk beginnt, seinen Kampf um seine kulturelle Identität
zu führen, bedeutet dies, daß es sich seine eigene Musik
schafft. Darum hat das Lied folkloristischen Ursprungs einen solchen
Aufschwung genommen, es hat die offiziell geförderte Folklore
der Postkartenklischees, der idyllischen Weltsicht als Pseudo-Folklore
entlarvt, als eine Ware... Die kolonialisierten Völker besinnen
sich auf ihre eigene Musik und bekämpfen auch in ihren Liedern
ihre Unterdrücker. Es ist eine Form, sich von der kolonialen
Kulturentfremdung zu befreien. Diese neuen Lieder erzählen
von ihrem Land und Leben, von ihrer Landschaft und den Menschen,
von der Notwendigkeit alles, was ihnen geraubt wurde, wieder-zugewinnen.
Sie erzählen von der Freiheit und den Kämpfen, die in
der ganzen Welt um die Freiheit geführt werden. Diese Lieder
sind eine Waffe im Kampf um die Befreiung der Völker. (...)
Auszug aus:
Wolfgang Sterneck: Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft. (1998).
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