Sterneck.Net



STERNECK.NET

Cybertribe-Archiv

Utopia  |  Politik  |  Ökologie  |  Gender  |  Sex  |  Cyber
Ritual  |  Drogen  |  Musik  |  Literatur  |  Vision  |  Projekte  |  English

Claus Sterneck / Claus in Iceland
Claus in Iceland  |  Pictures+Sounds  |  Ausstellungen  |  Musik  |  Facebook  |  News  |  English

Wolfgang Sterneck
Artikel+Texte  |  Foto-Reportagen  |  Bücher  |  Workshops  |  Musik  |  Facebook  |  News  |  English

Archiv Sterneck.net
www.sterneck.net contact@sterneck.net


Subcomandante Marcos:

Hinter uns sind wir ihr

Worte der Generalkommandantur der EZLN auf der Eröffnungsveranstaltung zum ersten Interkontinentalen Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus


"Aguascalientes II" Oventik
San Andrés Sacamchén de los Pobres, Chiapas, Mexico
27. Juli 1996

 
Brüder und Schwestern aus Asien, Afrika, Ozeanien, Europa und Amerika:
Willkommen in den Bergen des mexikanischen Südostens!
 
Wir möchten uns vorstellen. Wir sind das Ejército Zapatista de Liberación Nacional. 10 Jahre lang haben wir in diesen Bergen gelebt und uns auf einen Krieg vorbereitet. In diesen Bergen haben wir eine Armee aufgebaut.
Unten, in den Städten und auf den Haciendas, existierten wir nicht. Unser Leben war weniger wert als die Maschinen und Tiere. Wir waren wie Steine, wie Gräser auf den Wegen. Wir hatten kein Wort. Wir hatten kein Gesicht. Wir hatten keinen Namen. Wir hatten kein Morgen. Wir existierten einfach nicht. Für die Macht, die, die sich heute weltweit mit dem Namen "Neoliberalismus" kleidet, zählten wir nicht, wir produzierten nicht, wir kauften nicht, wir verkauften nicht. Wir waren eine nutzlose Nummer für die Konten des Großkapitals.
So gingen wir also in die Berge, um uns zu suchen und herauszubekommen, ob wir eine Linderung finden für unseren Schmerz, vergessene Steine und Pflanzen zu sein. Hier in den Bergen des mexikanischen Südostens leben unsere Toten. Viele Dinge wissen unsere Toten, die in den Bergen leben. Ihr Tod sprach zu uns und wir hörten zu.
Sprechende Döschen erzählten uns eine andere Geschichte, die aus dem Gestern kommt und auf das Morgen zielt. Der Berg sprach zu uns, den Macehualob, die wir einfache und gewöhnliche Leute sind. Zu uns, die wir, wie die Mächtigen uns nennen, einfältige Leute sind.
An allen Tagen und in den ihnen folgenden Nächten, will uns der Mächtige den X-Tol aufspielen und seine brutale Eroberung wiederholen. Der Kaz-Dzul, der falsche Mensch, regiert unser Land und hat große Kriegsmaschinen, die wie der Boob, der halb Puma und halb Pferd ist, Schmerz und Tod unter uns streuen. Der Falsche, der Regierung ist, schickt uns die Aluxob, die Lügner, die betrügen und unseren Leuten Vergessen schenken. Deshalb sind wir Soldaten geworden. Deshalb sind wir Soldaten geblieben. Denn wir wollen keinen weiteren Tod und Betrug an den Unsrigen. Denn wir wollen das Vergessen nicht.
Der Berg riet uns, zu den Waffen zu greifen, um so eine Stimme zu haben, er riet uns, unser Gesicht zu bedecken, um so ein Gesicht zu haben, er riet uns, unseren Namen zu vergessen, um so genannt zu werden, er riet uns, unser Vergangenheit zu bewahren, um so ein Morgen zu haben.

Auf dem Berg leben die Toten, unsere Toten. Mit ihnen leben Votän und Ikal, Licht und Dunkelheit, Feuchtigkeit und Trockenheit, Land und Wind, Regen und, Feuer. Der Berg ist die Heimstatt von Halach Unic, dem wahrhaften Menschen, dem höchsten Chef. Dort lernten wir und dort erinnerten wir uns daran, daß wir sind, was wir sind: wahrhafte Männer und Frauen.
Bereits versehen mit der Stimme, die unsere Hände bewaffnet, mit dem neugeborenen Gesicht, mit dem neugenannten Namen, addierte unser Gestern das Zentrum zu den vier Zacken des Chan Santa Cruz in Balam Ná und es entstand der Stern, der den Menschen ausmacht und daran erinnert, daß es fünf Teile sind, die die Welt bilden.
Zu der Zeit, als die Chaacob ausritten und Regen austeilten, stiegen wir erneut herab, um mit den Unsrigen zu sprechen, und den Sturm vorzubereiten, der die Zeit der Aussaat anzeigen würde.
Wir begannen den Krieg mit dem weißen Jahr und machten uns auf diesen Weg, der uns zu eurem Herzen geführt hat und euch heute zu unserem Herzen gebracht hat.


Das sind wir. Das Ejército Zapatista de Liberación Nacional.
Die Stimme, die sich bewaffnet, um sich Gehör zu verschaffen.
Das Gesicht, das sich verbirgt, um sich zu zeigen.
Der Name, der verschwiegen wird, um genannt zu werden.
Der rote Stern, der den Menschen und die Welt ruft, damit sie zuhören, damit sie sehen, damit sie benennen.
Das Morgen, das im Gestern geerntet wird.

Hinter unserem schwarzen Antlitz, hinter unserer bewaffneten Stimme, hinter unserem unsagbaren Namen, hinter uns, die ihr seht, dahinter sind wir ihr.
Dahinter sind wir die gleichen einfachen und gewöhnlichen Leute, die sich in allen Rassen und Hautfarben wiederholen, die in allen Sprachen sprechen und an allen Orten leben. Die gleichen vergessenen Männer und Frauen.
Die gleichen Ausgeschlossenen. Die gleichen Nichttolerierten.
Die gleichen Verfolgten.
Wir sind die gleichen ihr. Hinter uns sind wir ihr.

Hinter unseren Pasamontañas verbirgt sich das Gesicht aller ausgeschlossenen Frauen, aller vergessenen Indigenen, aller verfolgten Homosexuellen, aller verachteten Jugendlichen, aller geschlagenen Migranten, aller Gefangenen aufgrund ihres Wortes und Denkens, aller erniedrigten Arbeiter, aller Toten des Vergessens, aller einfachen und gewöhnlichen Männer und Frauen, die nicht zählen, die nicht gesehen werden, die nicht genannt werden, die kein Morgen haben.

Brüder und Schwestern:
Wir haben euch zu diesem Treffen eingeladen, um uns auf die Suche zu begeben und um euch zu treffen und uns zu treffen. Ihr alle habt euch unserem Herzen genähert und ihr sollt erkennen, daß wir nichts Besonderes sind, ihr sollt erkennen, daß wir einfache und gewöhnliche Männer und Frauen sind.  Ihr sollt erkennen, daß wir der rebellische Spiegel sind, der zu Glas werden und zerbrechen will.
Ihr sollt erkennen, daß wir sind, was wir sind, um nicht mehr zu sein, was wir sind, und um die ihr zu werden, die wir sind. Wir sind die Zapatistas. Wir laden euch alle ein, daß wir uns zuhören und miteinander sprechen, um uns als alle zu erkennen, die wir sind.
 
Brüder und Schwestern:
Auf dem Berg sprachen die sprechenden Döschen zu uns und erzählten uns alte Geschichten, die an unsere Schmerzen und Aufsässigkeiten erinnern.
Unsere Träume werden da, wo wir leben, kein Ende finden, unsere Fahne wird sich nicht ergeben, unser Tod wird immer leben.
Das sagen die Berge, die zu uns sprechen.
So spricht der Stern, der im Chan Santa Cruz leuchtet.  Er sagt uns, daß die Cruzob, die Rebellen, nicht besiegt werden und daß sie ihren Weg gemeinsam mit all denen fortsetzen werden, die Teil des menschlichen Sterns sind. Er sagt uns, daß die roten Menschen, die Chachac-Mac, immer kommen werden, der rote Stern, der der Welt helfen wird, frei zu sein.
So sagt uns der Stern, der Berg ist, daß ein Volk, das fünf Völker ist, daß ein Volk, das der Stern aller Völker ist, daß ein Volk, das Mensch ist und alle Völker der Welt ist, kommen wird, um den Welten, die zu Leuten werden, bei ihrem Kampf zu helfen. Damit der wahrhafte Mann und die wahrhafte Frau ohne Schmerz leben und die Steine weich werden.
Ihr alle seid die Chachac-Mac, die Volk sind, um dem Menschen zu helfen, der überall auf der Welt, in allen Völkern, bei allen Leuten aus fünf Teilen besteht.
Ihr alle seid der rote Stern, der einen Spiegel in uns findet.
Wir können auf einem guten Weg voranschreiten, wenn die ihr, die ihr wir seid, gemeinsam gehen.
 
Brüder und Schwestern:
In unseren Völkern haben die ältesten Weisen ein Kreuz aufgestellt, das ein Stern ist, aus dem das lebensspendende Wasser entspringt. So wird der Beginn des Lebens auf dem Berg gekennzeichnet. So entstehen die Bäche, die den Berg hinabfließen und die Stimme des sprechenden Sterns, unser Chatz Santa Cruz, mit sich führen.
Die Stimme des Berges hat bereits gesprochen und gesagt, daß die wahrhaften Männer und Frauen frei leben werden, wenn alle zugegen sind, die der fünfzackige Stern verspricht, wenn die fünf Völker zu einem im Stern werden, wenn die fünf Teile des Menschen, der Welt ist, sich und den anderen finden, wenn alle, die fünf sind, ihren Ort und den Ort des anderen gefunden haben.
Heute treffen sich hier in den Bergen des mexikanischen Südostens Tausende von verschiedenen Wegen, die aus den fünf Kontinenten kommen, um ihre Schritt zu vereinen.
Heute schweigen Tausende von Worten aus den fünf Kontinenten hier in den Bergen des mexikanischen Südostens, um sich gegenseitig zuzuhören und sich selbst zu hören.
Heute kämpfen Tausende von Kämpfern hier in den Bergen des mexikanischen Südostens für das Leben und gegen den Tod. Heute vermischen sich Tausende von Farben der fünf Kontinente hier in den Bergen des mexikanischen Südostens, um ein einschließendes und tolerantes Morgen anzukünden.
Heute leben Tausende von Herzen aus den fünf Kontinenten hier in den Bergen des mexikanischen Südostens für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus.
Heute rufen Tausende von menschlichen Wesen aus den fünf Kontinenten ihr "Ya basta!" hier in den Bergen des mexikanischen Südostens. Ihr "Ya basta!" zu Konformismus, zum Nichts-zu-machen, zu Zynismus, zu dem zum modernen Gott gewordenen Egoismus.
Heute proben Tausende von kleinen Welten aus den fünf Kontinenten einen Anfang hier in den Bergen des mexikanischen Südostens. Den Anfang des Aufbaus einer neuen und guten Welt, das heißt einer Welt, in der alle Welten Platz haben. Heute beginnen Tausende von Männern und Frauen aus den fünf Kontinenten hier in den Bergen des mexikanischen Südostens das Erste Interkontinentale Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus.
 
Brüder und Schwestern aus der ganzen Welt.
Willkommen in den Bergen des mexikanischen Südostens.
Willkommen in diesem Winkel der Welt, an dem wir alle gleich sind, weil wir verschieden sind.
Willkommen zur Suche nach dem Leben und zum Kampf gegen den Tod.
Willkommen zum Ersten Interkontinentalen Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus.
 
Demokratie! Freiheit! Gerechtigkeit!
aus den Bergen des mexikanischen Südostens
Subcomandante Insurgente Marcos

Reden und Texte von Subcomandante Marcos



Zurück zur Übersicht