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Karl Marx:
"JEDER NACH SEINEN FÄHIGKEITEN,
JEDER NACH SEINEN BEDÜRFNISSEN!"
In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem
die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit,
damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden
ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst
das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen
Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen
und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen
- erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten
werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen
Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!
Aus: Karl Marx (1818-1883): Kritik des Gothaer Programms. (1875).
"DER KOMMUNISMUS ALS BEWEGUNG"
Ferner ist mit der Teilung der Arbeit zugleich der Widerspruch zwischen
dem Interesse des einzelnen Individuums oder der einzelnen Familie
und dem gemeinschaftlichen Interesse aller Individuen, die miteinander
verkehren, gegeben; und zwar existiert dies gemeinschaftliche Interesse
nicht bloß in der Vorstellung, als "Allgemeines",
sondern zuerst in der Wirklichkeit als gegenseitige Abhängigkeit
der Individuen, unter denen die Arbeit geteilt ist. Und endlich
bietet uns die Teilung der Arbeit gleich das erste Beispiel davon
dar, daß, solange die Menschen sich in der naturwüchsigen
Gesellschaft befinden, solange also die Spaltung zwischen dem besondern
und gemeinsamen Interesse existiert, solange die Tätigkeit
also nicht freiwillig, sondern naturwüchsig geteilt ist, die
eigne Tat des Menschen ihm zu einer fremden, gegenüberstehenden
Macht wird, die ihn unterjocht, statt daß er sie beherrscht.
Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat
Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit,
der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er
ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muß
es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will -
während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht
einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern
sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft
die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich
macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags
zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren,
wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder
Kritiker zu werden. Dieses Sichfestsetzen der sozialen Tätigkeit,
diese Konsolidation unsres eignen Produkts zu einer sachlichen Gewalt
über uns, die unsrer Kontrolle entwächst, unsre Erwartungen
durchkreuzt, unsre Berechnungen zunichte macht, ist eines der Hauptmomente
in der bisherigengeschichtlichen Entwicklung, und eben aus diesem
Widerspruch des besondern und gemeinschaftlichen Interesses nimmt
das gemeinschaftliche Interesse als Staat eine selbständige
Gestaltung, getrennt von den wirklichen Einzel- und Gesamtinteressen,
an, und zugleich als illusorische Gemeinschaftlichkeit, aber stets
auf der realen Basis der in jedem Familien- und Stamm-Konglomerat
vorhandenen Bänder, wie Fleisch und Blut, Sprache, Teilung
der Arbeit im größeren Maßstabe und sonstigen Interessen
- und besonders, wie wir später entwickeln werden, der durch
die Teilung der Arbeit bereits bedingten Klassen, die in jedem derartigen
Menschenhaufen sich absondern und von denen eine alle andern beherrscht.
Hieraus folgt, daß alle Kämpfe innerhalb des Staats,
der Kampf zwischen Demokratie, Aristokratie und Monarchie, der Kampf
um das Wahlrecht etc. etc., nichts als die illusorischen Formen
sind, in denen die wirklichen Kämpfe der verschiednen Klassen
untereinander geführt werden (wovon die deutschen Theoretiker
nicht eine Silbe ahnen, trotzdem daß man ihnen in den "Deutsch-Französischen
Jahrbüchern" und der "Heiligen Familie" dazu
Anleitung genug gegeben hatte), und ferner, daß jede nach
der Herrschaft strebende Klasse, wenn ihre Herrschaft auch, wie
dies beim Proletariat der Fall ist, die Aufhebung der ganzen alten
Gesellschaftsform und der Herrschaft überhaupt bedingt, sich
zuerst die politische Macht erobern muß, um ihr Interesse
wieder als das Allgemeine, wozu sie im ersten Augenblick gezwungen
ist, darzustellen. Eben weil die Individuen nur ihr besondres, für
sie nicht mit ihrem gemeinschaftlichen Interesse zusammenfallendes
suchen, überhaupt das Allgemeine illusorische Form der Gemeinschaftlichkeit,
wird dies als ein ihnen "fremdes" und von ihnen "unabhängiges",
als ein selbst wieder besonderes und eigentümliches "Allgemein"-Interesse
geltend gemacht, oder sie selbst müssen sich in diesem Zwiespalt
bewegen" wie in der Demokratie. Andrerseits macht denn auch
der praktische Kampf dieser beständig wirklich den gemeinschaftlichen
und illusorischen gemeinschaftlichen Interessen entgegentretenden
Sonderinteressen die praktische Dazwischenkunft und Zügelung
durch das illusorische "Allgemein"-Interesse als Staat
nötig. Die soziale Macht, d.h. die vervielfachte Produktionskraft,
die durch das in der Teilung der Arbeit bedingte Zusammenwirken
der verschiedenen Individuen entsteht, erscheint diesen Individuen,
weil das Zusammenwirken selbst nicht freiwillig, sondern naturwüchsig
ist, nicht als ihre eigne, vereinte Macht, sondern als eine fremde,
außer ihnen stehende Gewalt, von der sie nicht wissen woher
und wohin, die sie also nicht mehr beherrschen können, die
im Gegenteil nun eine eigentümliche, vom Wollen und Laufen
der Menschen unabhängige, ja dies Wollen und Laufen erst dirigierende
Reihenfolge von Phasen und Entwicklungsstufen durchläuft.
Diese "Entfremdung", um den Philosophen verständlich
zu bleiben, kann natürlich nur unter zwei praktischen Voraussetzungen
aufgehoben werden. Damit sie eine "unerträgliche"
Macht werde, d.h. eine Macht, gegen die man revolutioniert, dazu
gehört, daß sie die Masse der Menschheit als durchaus
"Eigentumslos" erzeugt hat und zugleich im Widerspruch
zu einer vorhandnen Welt des Reichtums und der Bildung, was beides
eine große Steigerung der Produktivkraft, einen hohen Grad
ihrer Entwicklung voraussetzt - und andrerseits ist diese Entwicklung
der Produktivkräfte (womit zugleich schon die in weltgeschichtlichem,
statt der in lokalem Dasein der Menschen vorhandne empirische Existenz
gegeben ist) auch deswegen eine absolut notwendige praktische Voraussetzung,
weil ohne sie nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Notdurft
auch der Streit um das Notwendige wieder beginnen und die ganze
alte Scheiße sich herstellen müßte, weil ferner
nur mit dieser universellen Entwicklung derProduktivkräfte
ein universeller Verkehr der Menschen gesetzt ist, daher einerseits
das Phänomen der "Eigentumslosen" Masse in Allen
Völkern gleichzeitig erzeugt (allgemeine Konkurrenz), jedes
derselben von den Umwälzungen der andern abhängig macht,
und endlich weltgeschichtliche, empirisch universelle Individuen
an die Stelle der lokalen gesetzt hat. Ohne dies könnte 1.
der Kommunismus nur als eine Lokalität existieren, 2. die Mächte
des Verkehrs selbst hätten sich als universelle, drum unerträgliche
Machte nicht entwickeln können, sie wären heimisch-abergläubige
"Umstände" geblieben, und 3. würde jede Erweiterung
des Verkehrs den lokalen Kommunismus aufheben. Der Kommunismus ist
empirisch nur als die Tat der herrschenden Völker "auf
einmal" und gleichzeitig möglich, was die universelle
Entwicklung der Produktivkraft und den mit ihm zusammenhängenden
Weltverkehr voraussetzt. Wie hätte sonst z.B. das Eigentum
überhaupt eine Geschichte haben, verschiedene Gestalten annehmen,
und etwa das Grundeigentum je nach der verschiedenen vorliegende
Voraussetzung in Frankreich aus der Parzellierung zur Zentralisation
in wenigen Händen, in England aus der Zentralisation in wenigen
Händen zur Parzellierung drängen können, wie dies
heute wirklich der Fall ist? Oder wie kommt es, daß der Handel,
der doch weiter nichts ist als der Austausch der Produkte verschiedner
Individuen und Länder, durch das Verhältnis von Nachfrage
und Zufuhr die ganze Welt beherrscht - ein Verhältnis, das,
wie ein englischer Ökonom sagt, gleich dem antiken Schicksal
über der Erde schwebt und mit unsichtbarer Hand Glück
und Unglück an die Menschen verteilt, Reiche stiftet und Reiche
zertrümmert, Völker entstehen und verschwinden macht -,
während mit der Aufhebung der Basis, des Privateigentums, mit
der kommunistischen Regelung der Produktion und der darin liegenden
Vernichtung der Fremdheit, mit der sich die Menschen zu ihrem eignen
Produkt verhalten, die Macht des Verhältnisses von Nachfrage
und Zufuhr sich in Nichts auflöst und die Menschen den Austausch,
die Produktion, die Weise ihres gegenseitigen Verhaltens wieder
in ihre Gewalt bekommen?
Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt
werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten
haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche
den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben
sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung. Übrigens setzt
die Masse von bloßen Arbeitern - massenhafte, von Kapital
oder von irgendeiner bornierten Befriedigung abgeschnittne Arbeiterkraft
- und darum auch der nicht mehr temporäre Verlust dieser Arbeit
selbst als einer gesicherten Lebensquelle durch die Konkurrenz den
Weltmarkt voraus. Das Proletariat kann also nur weltgeschichtlich
existieren, wie der Kommunismus, seine Aktion, nur als "weltgeschichtliche"
Existenz überhaupt vorhanden sein kann; weltgeschichtliche
Existenz der Individuen; d.h. Existenz der Individuen, die unmittelbar
mit der Weltgeschichte verknüpft ist.
Aus: Karl Marx (1818-1883): Die Deutsche Ideologie (1845).
Marxistische Bibliothek
Stimmen der proletarischen Revolution
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