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Kommune 2:
- Kommune 2 / Die neue Qualität von Kommunen (1969)
- Hans-Eberhard Schulz / Die Kommune 2 (1999)
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Kommune 2:
DIE NEUE QUALITÄT VON KOMMUNEN
Es erscheint sinnvoll, daß in Kommunen Menschen zusammenleben,
die ein gemeinsames politisches Praxisfeld haben. Kommune wäre
als Ergänzung der politischen Organisation zu bilden, keinesfalls
als deren Ersatz. Innerhalb sozialistischer Organisationen konnten
Kommunen den subjektiven Emanzipationsbedürfnissen Rechnung
tragen, indem sie die differenzierten individuellen Erwartungen
und Wünsche aufnahmen, für die jede politische Organisation
zu grobmaschig ist. Erst die gemeinsame Tätigkeit in einer
Betriebs- oder Basisgruppe, auf dem Gebiet der sozialistischen Erziehung
oder in anderen Sektoren sozialistischer Praxis gibt dem Kommune-Kollektiv
einen Rahmen, von dem die Regelung der Alltags-Organisation und
eine Interpretation der Konflikte ihre zweckbezogene Orientierung
erhalten. Die psychischen Konflikte in der Kommune werden durch
die gemeinsame politische Arbeit versachlicht. Es ist immer noch
notwendig, Regelungen für diese Konflikte zu finden, aber diese
Methoden brauchten sicher nicht die individuelle Kindheitsgeschichte
durchzuarbeiten, um relativ erfolgreich zu sein. (Wir müssen
daran erinnern, daß wir in der Kommune 2 zu dem Versuch einer
wilden Analyse gerade deswegen getrieben wurden, weil
wir keine gemeinsame politische Arbeit entwickeln konnten.) Ist
die politische Organisation klar als primärer Bezugspunkt erkannt,
so kann die Kommune einen erheblichen Beitrag dazu leisten, individuelle
Bedürfnisse rationaler daraufhin zu überprüfen, wieweit
ihre Verwirklichung dem politischen Interesse entgegensteht - und
helfen, unter Umständen auf ihre Durchsetzung zu verzichten,
ohne sie verdrängen zu müssen. Das betrifft zum Beispiel
den Verzicht darauf, sich Luxus-Konsumgüter individuell anzueignen
oder die Befreiung der Sexualität in den entfremdeten Formen
von Partnertausch anzustreben. Eine derart funktional bestimmte
Kommune gewährte ihren Mitgliedern sowohl psychische Erleichterung
als auch Hilfe bei der Veränderung bürgerlicher Bewußtseinsinhalte.
Was wir von unseren positiven Erfahrungen an anderen Kommunen relativ
gesichert überprüfen konnten, betrifft zwei Gebiete: die
Organisierung des Konsums und die Erziehung von Kindern. (Das gilt
für Kommunen mit relativer sozialer Homogenität und gleichen
politischen Interessen.) Wir wollen sie hier - unter dem Gesichtspunkt
der Neubildung von Kommunen mit den angeführten, politisch-funktionalen
Zielen - kurz zusammenfassen:
Die Möglichkeit, den Konsum in der Kommune rationeller zu
organisieren und einen Teil der gesellschaftlichen Rollenzwänge
zwischen Mann und Frau aufzuheben, ist im 3. Kapitel ausführlich
beschrieben. Es ist sicher, daß die bei uns relativ problemlose
gemeinsame Kasse nicht das normative Modell für andere Wohnkollektive
abgeben kann. Wo größere Unterschiede im individuellen
Einkommen bestehen, wird es schwieriger sein, das gesamte Geld kollektiv
zu verwalten. Wo Geld in einer entfremdeten Arbeit in der Produktion
oder in Institutionen sauer verdient werden muß, nimmt es
psychisch als einzige Gratifikation für die tägliche Mühsal
einen hoheren Wert an, als es für uns in einer relativ privilegierten
ökonomischen Situation der Fall war. Würden in diesem
Fall Mitglieder einer Kommune verlangen, alles Geld von Anfang an
in eine gemeinsame Kasse einzubringen, würde das für andere
möglicherweise einen unerträglichen Zwang bedeuten. Es
ist daher empfehlenswert und wird auch in vielen Wohnkollektiven
so praktiziert, daß zunächst alle Mitglieder nur einen
bestimmten Betrag ihres Einkommens in die Kommune-Kasse zahlen,
etwa für Miete oder Lebensmittel. In dem Maße, in dem
die Integration des Kollektivs fortschreitet, kann die Kollektivierung
der Finanzen ausgedehnt werden.
Die Hypothesen über eine progressivere Kindererziehung, die
wir im 4. Kapitel vorläufig aufgestellt haben, dürften
in dem Maße modifiziert werden, in dem die linke Bewegung
zu einer sozialistischen wird. Vor allem betrifft das die Tendenz
zu einer Abschließung gegenüber der äußeren
Realitat, die in der Erziehungspraxis mancher Westberliner Kinderläden
zu beobachten war. Nicht immer sind die Kinderläden der Gefahr
entgangen, die privilegierte Situation der bürgerlichen Kinder
gegenüber den Kindern der Arbeiter noch praktisch zu vergrößern
und dies in einem falschen Modell antiautoritärer Erziehung
theoretisch zu zementieren. Ihre äußerste Konsequenz
fand diese Tendenz in dem Projekt einer Gegenschule
für die Kinder linker Eltern. Es scheint sich aber allmählich
in Westberlin die Auffassung durchzusetzen, daß die Etablierung
linker Elite-Ghettos die Trennung zwischen kritischer Intelligenz
und Arbeiterklasse weiter zu verfestigen droht. Richtiger ist es
daher, Konzepte zu entwickeln, wie eine sozialistische Erziehung
die Kinder auf die Situation in den normalen Schulen vorbereiten
kann. Ihr Maßstab wäre, wieweit sie es den Kindern ermöglicht,
kollektives Bewußtsein und Solidarität auch über
die eigene soziale Gruppe auf die Kinder sozial unterprivilegierter
Klassen auszudehnen, denen das bürgerlich normierte Leistungssystem
die Oberschulen und Universitäten immer noch weitgehend verschliefst.
Die aus den verbindlicheren Organisationsformen erwachsende größere
Kontinuität und Homogenität der Kommunen scheint ein Problem
zu verringern, das in den bisherigen Wohnkollektiven die Erziehung
äußerst nachteilig beeinflußt hat: die aus der
Verschiedenartigkeit der Interessen resultierende Diskontinuität
der Zusammensetzung. Eine gewisse zeitliche Dauer des Elternkollektivs
und eine stabilere Gemeinsamkeit der Interessen ist mit Sicherheit
notwendig, um auf die Dauer günstigere Resultate in der Kindererziehung
zu erzielen als in der Familie.
Unter den genannten Bedingungen läßt sich die generelle
Aussage machen: Die Verminderung der individuellen Zwänge zur
Beschaffung von Geld und der Sorge um die Kinder senkt in der Kommune
den psychischen Druck und erlaubt es, die produktive Energie zu
erhohen. Im allgemeinen dürften die Konflikte, die durch die
kollektive Regelung dieser Bereiche neu auftreten, rationaler und
unter geringeren psychischen Kosten zu regulieren sein, als diejenigen,
die für die Kleinfamilie typisch sind.
Problematischer ist es, etwas Eindeutiges über die positiven
Wirkungen des kollektiven Lebens auf die Sexualität zu sagen.
Auf diesem Gebiet kontrastieren die Erwartungen auf größtmögliche
subjektive Befriedigung wahrscheinlich am stärksten mit dem,
was die Kommune zu leisten vermag. Zweifellos ist ein Wohnkollektiv
für Schüler und Lehrlinge, die in der Familie oder in
Heimen unter unmittelbarer Repression leiden, eine sinnvolle Möglichkeit,
sich einen sexuellen Freiheitsraum zu schaffen. Die juristische
und ökonomische Abhängigkeit, die Schwierigkeit für
Jugendliche, geeignete Raume zu finden, beschränkt allerdings
die Chance, dauernde Jugendkommunen einzurichten. In der Mehrzahl
der Fälle werden Schüler und Lehrlinge nur für kürzere
Zeit in Wohnungen leben können, die von alteren Genossen gemietet
wurden. Hier geht es uns in erster Linie um Kommunen, die langfristig
zu stabilisieren waren und die in der Tat Familienformen ersetzen
können.
Für viele wird der Wunsch nach einer befreiteren Sexualität
das Hauptmotiv für ein kollektives Wohnen bleiben. Wahrscheinlich
aber ist es in der Gegenwart nicht möglich, diesen Wunsch durch
promiskuöse Verbindungen in der Kommune zu befriedigen. In
der Praxis aller uns bekannten Wohnkollektive hat es nie für
längere Zeit so etwas wie eine Gruppen-Sexualität gegeben.
Offensichtlich entspricht die psychische Struktur der meisten Menschen
in unserer Gesellschaft dem Bedürfnis nach sexueller Promiskuität
zu wenig, um sie zum Modell eines freieren Zusammenlebens jetzt
schon machen zu können.
Worin liegt dann zur Zeit die befreiende Wirkung der Kommune für
die sexuellen Beziehungen? Unsere Erfahrungen dabei lassen sich
in zwei Richtungen beschreiben: Das Zusammenleben in einer Gruppe
schafft Voraussetzungen für ein befriedigenderes, länger
dauerndes Liebesverhältnis zwischen zwei Menschen, was offenbar
unserer Bedürfnisstruktur am gerechtesten wird. Es besteht
eine größere Chance für eine menschliche Beziehung,
die nicht so sehr durch äußere Zwänge bestimmt und
zementiert wird, sondern durch das Interesse an der Person des Partners,
und die wahrscheinlich auch weniger irrational zu lösen ist,
wenn das sinnliche Interesse aneinander erlischt. Diese positive
Wirkung resultiert daraus, daß die Verquickung der sexuellen
Beziehung mit der Ökonomie und den sozialen Rollentrennungen
im Haushalt und bei der Kindererziehung abgebaut wird. Darüber
hinaus schafft die Gruppe eine günstige Randbedingung für
befriedigende sexuelle Beziehungen, wenn sie die völlige Verstrickung
der Partner in falsche Erwartungen und gegenseitige Schuldgefühle
verhindert. Das geschieht schon dadurch, daß man sich kollektiv
mit den auftauchenden Konflikten beschäftigt. Dadurch werden
beide gezwungen, sich mit den Projektionen (Idealvorstellungen,
Vater- und Mutterübertragungen) auf den jeweiligen Partner
auseinanderzusetzen. Der Beitrag der Kommune zur Befreiung der Sexualität
ist also gewiß begrenzt. Doch sie kann hier wie auf den anderen
Gebieten etwas Entscheidendes leisten, wenn sie die Verdrängungen
aufhebt und Schuldgefühle verringert.
Es wird im Kapitalismus nicht gelingen, das persönliche Leid
abzuschaffen. Es kommt darauf an, die Quellen dieses Leides in dem
bestehenden Zustand der Gesellschaft bewußt zu machen. Aber
um uns zu einer kontinuierlichen Arbeit an der Abschaffung der gesellschaftlichen
Unterdrückung zu befähigen, bedarf es der Beseitigung
der schlimmsten Arbeits- und Liebeshemmungen. Es wird dazu - bis
auf schwere neurotische Falle - nicht nötig sein, die ganze
Lebensgeschichte aufzudecken und neu zu verarbeiten, wie wir es,
orientiert an Methoden der Psychoanalyse und mangels einer kollektiven
politischen Praxis, versucht haben. Es ist aber nach unseren Erfahrungen
notwendig, daß Methoden entwickelt werden, mit denen in der
Gruppe Affektsperren und individuelle Verkrampfung überwunden
werden können. Vielleicht ließe sich eine Spieltheorie
entwickeln, mit der sich gezielt individuelle Affektsperren durch
gemeinsames Probehandeln in einer Spielsituation abbauen lieben.
Was dadurch an Sensibilität und größerer Kommunikationsfähigkeit
gewonnen wurde, käme der Qualität unserer politischen
Arbeit zugute. Alternativerfahrungen in Kommunen, verbunden mit
den Alternativerfahrungen im politischen Kampf erst könnten
Prozesse in Gang setzen, in denen die bürgerliche Ideologie
und die individualistische psychische Struktur nachhaltig überwunden
würden.aus:
Aus: Kommune 2 / Versuch der Revolutionierung des bürgerlichen
Individuums. (1969).
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Hans-Eberhard Schulz:
DIE KOMMUNE 2
Was bleibt von dem antiautoritären Projekt im Rahmen des
West-Berliner SDS 30 Jahre nach seiner Auflösung
-Vorbemerkung
Ich spreche über ein bestimmtes historisch-politisches Projekt,
seine Voraussetzungen und Folgen aus den Erfahrungen einer 30jährigen
beruflichen und politischen Praxis mit einigen Erfolgen, vielen
Niederlagen und Brüchen aber immer noch davon überzeugt:
Wir haben nur die Wahl zwischen Sozialismus und Barbarei, obwohl
ich nicht der Meinung bin (wie der eine oder andere diskussionsbeitrag),
daß wir im Faschismus leben; oder positiv ausgedruckt: Wir
müssen selbstverständlich die Grundrechte unserer Verfassung
verteidigen und offensiv für ein demokratisches Europa mit
wirklichen Menschen- und Freiheitsrechten eintreten (...).
Der Zerschlagung der überkommenen Strukturen der traditionellen
Arbeiterbewegung und des traditionellen Befreiungsnationalismus
eröffnet hierbei völlig neue Perspektiven solidarischer
Gesellschaftsformen und revolutionärer Theorie und Organisation.
Der völlige Niedergang der bürgerlichen Kleinfamilie in
der medien- und computerbestimmten Warengesellschaft schafft neue
Grundlagen und Perspektiven solidarischer Arbeits- und Lebensformen
sowie revolutionärer Theorie und Organisation. In dem Zusammenhang
kommt auch den Erfahrungen der 68er-Bewegung und speziell der Kommune-Bewegung
in Westberlin eine Bedeutung zu, die kritisch analysiert werden
muß, aber keineswegs nur negative Seiten hat (oder nach dem
Motto: "Asche über unsere Häupter" auf den Müllhaufen
der Geschichte gehörte).
Und: Wir sind nicht verantwortlich für den Schwachsinn, den
andere unter Berufung auf unser Projekt gemacht haben oder verbreiten,
das genauso historisch scheitern mußte wie die Studentenrevolte.
1. Ein Grundfehler der Debatte über "68 und die Folgen"
in der veröffentlichten Meinung besteht in der Unterstellung
einer ideologisch-politischen Einheit der 68er, während in
Wahrheit nicht einmal im Westberliner SDS im Jahre 1967 - dem für
uns entscheidenden Jahr - davon die Rede sein konnte. Der herrschende
Begriff der 68er-Bewegung begreift diese aus der Sicht der Herrschenden,
die aufgeschreckt wurden durch eine Bewegung, die scheinbar die
überkommenden Werte in allen Bereichen radikal in Frage stellte
und die bestehende Ordnung umstürzen wollte, die in der Lage
schien, an der Seite der nationalen Befreiungsbewegungen des Trikont,
den Fanfaren der chinesischen "Kulturrevolution" und gemeinsam
mit Studenten- und Jugendbewegungen in der ganzen Welt den Imperialismus
mit den USA an der Spitze in die Knie zu zwingen.
Tatsächlich aber fehlte im Weiderspruch zum großen öffentlichen
und Medieninteresse jede ernsthafte wissenschaftliche Forschungsarbeit,
solides Quellenstudium und analytische Deutung unserer Bewegung.
Dieser von Oskar Negt (Achtundsechzig, Politische Intellektuelle
und die Macht", 1998) beklagte Widerspruch gilt für mein
Thema ganz besonders. So enthält selbst das an biographischen
Details und Anekdoten reiche Buch von Gretchen Dutschke zwar einiges
zur Vorgeschichte der Kommunen, verschweigt aber einen historisch
entscheidenden Schritt: Den Beschluß des Westberliner Landesverbandes
des SDS vom 4.2.19967, mit Hilfe eines kollektiven Landesvorstandes
Wohnkommunen zu bilden und die bisherige Trennung zwischen Privatleben
und "Freizeit-Sozialismus" aufzheben; auch die in der
Öffentlichkeit schon bekannteren Vorstandsmitglieder Rudi Dutschke
und Bernd Rabehl hatten sich verpflichtet, in das SDS-Domizil am
Kuhdamm zu ziehen, was jedoch nicht geschah - wie wir annahmen auch
aus Gründen innerer Abwehr, die unser Experiment selbst in
der biogrpahisch-anekdotischen Aufarbeitung nach Jahrzehnten verdrängt
(...). Über unser Kommune-Projekt existiert jedenfalls so gut
wie nichts, geschwiege denn eine ernsthafte Auseinandersetzung.
Die fehlende wissenschaftliche Erfassung der Faktenlage und deren
kritische Durchdringung kann nicht hier und heute geleistet werden.
Fehlende Zeit und die Schwierigkeit bei der Vorbereitung eines derartigen
Kongresses (entlang der Fraktionierungen von vor 30 Jahren wie ich
meine) verhindern dies - besonders bedauerlich für die interessierten,
die damals nicht dabei waren.
Über die in der Öffentlichkeit wegen ihrer spektakulären
Aktionen viel bekanntere Kommune 1 speziell will und kann ich hier
nicht reden, sie wurde kurz vor unserer mit anderen Zielen und Methoden
gegründet.
2. Die "Kommune 2" wollte Rudi Dutschkes Parole von der
"Revolutionierung der Revolutionäre" in die Tat umsetzen.
"Arbeitsfähige Kollektive" für die politische
Arbeit im SDS bilden. Dazu sollte die traditionelle Rollenteilung
zwischen Mann und Frau im Alltag aufgehoben, die Kindererziehung
und die Alltagsorganisation kollektiviert werden. Außerdem
wollten wir die persönlichen Probleme entfremdeter individueller
Arbeit und unsere Partnerbeziehungen aufarbeiten. Dieser Anspruch
entfernte uns während des Sommersemesters 1967 immer mehr vom
Rest des SDS, der sich zunehmend distanzierte. Und so war es kein
Zufall, daß wir den in Westdeutschland damals völlig
verschollenen marxistischen Psychoanalytiker Wilhelm Reich buchstäblich
wieder ausgruben, uns theoretisch aneigneten und in Form von Nachdrucken
seiner wichtigsten Werken (Von "Funktion des Orgasmus"
bis "Massenpsycholgoie des Faschismus" u.a.) von in der
Studentenbewegung verbreiteten. Und dann im Sommer 67 uns von dem
vor sich hindümpelnden SDS durch Auszug aus dem Kuhdamm-Domizil
räumlich trennten. Im Gegensatz zur Kommune 1 haben wir den
Landesverband aber nie verlassen, haben an allen wichtigen politischen
Aktionen aktiv teilgenommen (Benno Ohnesorg-Kampagne, Vorbereitung
des Vietnam-Kongresses usw.), zum Teil mit eigenen Flgublättern
und Materialien (Ich war damals als Jurist an der Gründung
und praktischen Arbeit des "Ermittlungsausschusses der Asten
von TU und FU führend beteiligt und habe an der Aufarbeitung
des Westberliners Sommers Kursbuch 12 (1968) mit dem Titel "der
nichterklärte Notstand", mitgearbeitet.)
Der Schwerpunkt unserer Arbeit bestand aber fraglos in der Realisierung
unserers Kommuneprojekts (jetzt in der Giesebrechtstraße),
von führenden SDS-Genossen bald als "Psychoanalytische
Laienspielgruppe" verdammt. Neben der gemeinsamen Alltagsorganisation
durch die Gruppe feierten wir Feste, wandten uns der gerade aufkommenden
Popkultur ("Beatles" und Stones"), experimentierten
mit bewußtseinserweiternden Drogen und diskutierten vor allgem
Tag und Nacht über die Theorie und Praxis unserer beiden wichtigsten
kollektiven Projekte:
- Der Überwindung unserer bürgerlich-individuellen Charakterstruktur
mit Hilfe von psychoanalytischen Gepsrächen, zunächst
in der Form des Selbstversuches, später begleitet von namhaften
Experten in der Form der Gruppenanalyse;
-Die gemeinsame antiautoritäre Erziehung, ausgehend von den
Problemen der beiden alleinerziehenden Elternteile mit je einem
Kind in unserer Gruppe.
Auf der Grundlage der "Studien über Autorität und
Familie" (herausgegeben von Horkheimer und Adorno vom Institut
für Sozialforschung 1936), den Arbeiten von Wilhelm Reich u.a.,
wonach die bürgerliche Kleinfamilie ihre objektiven ökonomischen
und rationalen Funktionen entblößt zur reinen Sozialisationsinstanz
durch autoritäre und lustfeindliche Erziehung die Formung zum
herrschaftskonformen passiven bürgerlichen Charakter leistet,
entwickelten wir eine praktische Alternative zur Familie und den
Sozialisationsinstanzen Kindergarten und Schule,d ie weitgehend
auf Befehl und Kadavergehorsam reduziert waren. So arbeitet wir
führend bei den ersten sozialistischen Kinderläden mit,
begleiteten die praktische Arbeit durch intensive theoretische Aufarbeitung
(minutiöse Protokollierung, ständige Diskussion über
die Erziehungsformen, Herausgabe einer Broschürenreihe des
Zentralrats der sozialistischen Westberliner Kinderläden usw.).
So erfolgreich diese Arbeit im einzelnen war, der Anspruch, ein
arbeitendes Kollektiv freientwickelter Individuen zu bilden mußte
scheitern an den objektiven und subjektiven Bedingungen, eine Konsequenz,
die wir nach schmerzhaften Diskussionen im Juni 1968 zogen und durch
die gemeinsame Aufarbeitung unserer Erfahrungen in der Form des
Buches ("Kommune 2 - Versuch der Revolutionierung des bürgerlichen
Individuums", Oberbaumverlag, Berlin 1969; später von
Kiepenheuer und Witsch vom Verlag in mehreren Auflagen veröffentlicht
und in mehrere Sprachen übersetzt) abschlossen.
Noch im Auseinanderfallen der Gruppe und der Orientierung ihrer
Mitglieder auf verschiedene Lebens- bzw. Arbeitsbereiche zeigte
sich: Die Kommune 1 war ein Projekt an der Schnittstelle zwischen
wichtigen Strömungen der (auseinanderfallenden) Studentebewegung,
nämlich:
a.Studentenorganisationen mit sozialistischer Zielsetzung und der
b.Freizeit- und Subkultur als neuem unpolitischen Lebensgefühl
(zwischen "umherschweifenden Haschrebellen" und Landkommunen
als "Müslibetrieben"),
c.der militanten Stadtguerilla (Aufbau der "RAF") und
schließlich
d.der Orientierung auf die abhängige Bevölkerung (Von
den "Proletarische Kinderladen" über die "Betriebs-Basis-Gruppen"
bis zur "Marxistisch-Leninistischen Organisation") - Bereiche
in die sich auch unsere Gruppe personell auseinander dividierte
(wobei die Mehrheit sich der ML-Bewegung anschloß).3. Was
bleibt von unserem Experiment? - Zunächst gilt es auch hier
das verzerrte Bild der Öffentlichkeit über unser Projekt
zu korrigieren, das hauptsächlich entstand durch die Repression
und manipulative Information der Öffentlichkeit durch die Massenmedien.
Wir haben nie die "Freie Liebe" nach dem Motto propagiert
"Wer zweimal mit der gleichen pennt, gehört schon zum
Establishment", sondern wollten die Triebkräfte des vorherrschenden
sadomasochistischen Charakters aufdecken und praktisch aufheben.
Wir haben nie eine "laissez faire"-Erziehung propagiert
oder realisiert, die den Kindern alles erlaubt. Wir wollten nichtdie
natürlichen Liebesbeziehungen zwischen Eltern und Kindern,
sondern nur die neurotisch-krankhaften Bindungen vernichten. Wir
waren keineswegs prinzipiell gegen jede Autorität, sondern
nur gegen die irrationale, die wir durch eine angstfreie Sozialisation
und herrschaftsfreie Diskussion abschaffen wollten.
Positiv an unserem Experiment - zusammen mit ähnlichen in
den ersten Jahren der russischen Revolution, in der israelischen
Kibbuz u.a. - ist, daß es eine Alternative zur klein-bürgerlichen
Familie autoritär-patriarchalischen Zuschnittes gibt bzw. geben
kann, in Ansätzen auch schon in unserer Gesellschaftsordnung.
Unsere Lebens-, Beziehungs- und politischen Aktionsformen waren
so ein wesentlicher Beitrag zur "nachhaltigen" Veränderung
der Verhaltensweisen und Lebensformen der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft.
Andererseits, daß das Ideal eines solidarischen Kollektivs
in Ergänzung zur Familie scheitern muß, wenn der Widerspruch
nicht im breiten gesellschaftlichen Maßstab gelöst wird,
d.h., daß das bloße Zusammenleben und Arbeiten in einer
Gruppe nicht per se emanzipatorisch ist, sondern aptriarchalischen
Herrschaftsstrukturen und anderen Formen von neurotischem Verhalten
reproduzieren kann. Unser Experiment konnte kein Modell für
die breiten Massen sein wegen den ökonomischen Lebens- und
Arbeitsbedingungen, der rechtlichen Rahmenbedingungen und der fehlenden
Aufklärung, die zum Durchbrechen der Verhaltensweisen und Vorurteile
nötig ist.
Aber es war sicherlich ein wichtiger Anstoß im Prozeß
der Herausbildung einer radikalen feministischen Bewegung - vorwiegend
allerdings aufgrund unserer emanzipatorischen Ziele und Grundlagen,
die Praxis trug noch starke patriarchalische Züge.
Unser Scheitern als Projekt zur "Revolutionierung der Revolutionäre"
folgte zwangsläufig den Stationen der Fraktionierung und späteren
Auflösung des SDS, der aufgrund äußerer und innerer
Bedingungen an seine Grenzen gelangt war.
Falsch war unser Glaube an das auschlaggebende Moment des subjektiven
Faktors, mit dessen Hilfe wir in den Metropolen and er Seite der
Befreiungsbewegungen des Trikont das "Zünglein an der
Waage" im Gelcihgewicht zwischen West und Ost, zwischen Kapitalismus
und Sozialismus spielen wollten. Auch die späteren Versuche
eines "revolutionären Marxismus-Leninismus" inder
Form proletkulthafter Sekten mußte scheitern parallel zum
Scheitern der Befreiungsbewegungen des Trikont und des realsozialistischen
Modells des Ostblocks, ähnlich wie die RAF an den objektiven
Bedingungen und der Verabsolutierung des Kampfsmittelns zum programmatischen
Ziels und der später bitteren Verselbständigung des bewaffneten
kampfes scheitern mußte. Deshalb war die Selbstauflösung
ihrer Epigonen konsequent und überfällig, völlig
falsch aber, dies als zwangsläufige Entwicklung des SDS hinzustellen,
um daraus einen Grabgesang für die 68e-Bewegung ableiten zu
können. - Nach meiner Überzeugung allerdings zwei notwendige
Etappen in der Phase des Zusammenbruchs der weltweiten kapitalistischen
Warengesellschaft in der heutigen Form der Globalisierung.
4. Was bleibt darüber hinaus? -
Ohne dies als spezielle Verdienste der Kommune-Bewegung reklamieren
zu wollen, sollten wir gegen alle "Wendehälse" unter
den Alt-68ern festhalten:
"Veränderungen im Erziehungsmilieu sind vielleicht die
greifbarsten (...) Ergebnisse (...) Selbstregulierung war das Stichwort,
das die Grenzen zum Alten benannte - zu einem Alten, von dem die,
die mit Kindern zu tun hatten, sehr genau wußten, wie sehr
es in die Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts eingebunden
war (...) Allerorten bildeten sich pädagogische Experimente
der Selbstregulierung, die so sehr ins Alltagsbewußtsein von
Eltern und Erziehern eingegangen sind, daß heute niemand mehr
die Ursprünge in Erinnerung hat. Das gehört zu den Resultaten
der 68er-Bewegung, die geräuschlos in das Erziehungsklima eingedrungen
sind" (Oskar Negt, a.a.O., S. 17).
"Schließlich haben Erfahrungen dieser Zeit Lernprozesse
ausgelöst, durch die eine neue Dialektik von Theroie und Praxis
deutlich wurde ..., daß Theorie wieder in Praxis umgesetzt
werden kann noch so eine Aufgabe hat." (Oskar Negt, ebd.) Gemeint
ist die verkürzte unmittelbare Umsetzung. Besonders wichtig
erscheinen mir die theoretischen Ansätze Hans-Jürgen Kraals
in seiner Analyse der Bedeutung des Wertprinzips und der Warengesellschaft
im Kapitalismus und Realsozialismus (Vgl. Gerhard Scheits Aufsatz
inder Konkret, Juni 1998), wiederaufgegriffen in der Analyse der
"krisis"-Gruppe. Die Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit
vor Ort, wo der wirkliche (Produktions-) Prozeß stattfindet
und in Vereinslokalen; die Entwicklung eines Arsenals einer heute
selbstverständlichen öffentlichen Debatte und Protestkultur
von Teach-Ins, Blockaden usw. (so die Demonstrationsformen von Stahlarbeitern
u.v.a.m.). Hierzu noch einmal der Mentor der 68er-Bewegung Oskar
Negt: "Das hat für die deutschen Verhältnisse eine
ganz andere Bedeutung als in den Ländern entwickelter bürgerlicher
Demokratien (...) Der Mangel an entfalteter bürgerlicher Öffentlichkeit
in Deutschland, wo das liberale Bürgertum sich ja nicht gegen
den feudalabsolutistischen Staat sondern mit ihm emanzipierte hat
dazu geführt, daß öffentliche Interessen, mehr als
in anderen Ländern bürgerlicher Demokratie durch den Staat
definiert werden. Deshalb gehört hierzulande zur Herstellung
von Öffentlichkeit ein Moment von Provokation, der begrenzten
Regelverletzung, welche die Decke verdinglichter Verhältnisse
aufbricht." (O. Negt. a.a.O., S. 16) und -füge ich hinzu,
weil der Faschismus jeden Ansatz systemüberwindender Opposition
blutig liquidiert hat und sich daher in Westdeutschland in gebrochener
Form fortsetzen konnte, während in der DDR wohl hauptsächlich
ein antifaschistischer Sozialismus reimportiert wurde. Ansätze
einer freiheitssichernden Justiz, wie sie in der Brockdorf- oder
der Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck
kommen, die vorher undenkbar gewesen wären und die es bei allem
notwendigen Kampf gegen die restaurativen Tendenzen im Sicherheitsstaat
im Auge zu erhalten gilt. "Schließlich ist (...) die
kulturelle Hegemonie, der abgeschlossene Zusammenhang der konservativen
Gesellschaft- und Weltinterpretation in Frage gestellt worden, und
sie hat trotz größter Anstrengungen erheblicher Machtmittel
auch unter den heute günstigeren Bedingungen in einer der Vergangenheit,
d.h. Restaurationsordnung der Nachkriegsgesellschaft vergleichbaren
Form nicht wiederhergestellt werden können (... Die politisch-kulturelle
Sozialisation der Menschen, Urteilsfähigkeit und Widerstandsgeist
sind es schließlich worin sich die größten Wirkungen
und Nachwirkungend er 68er-Bewegung zeigen." (O. Negt, a.a.O.,
S. 15).
Dazu gehört für mich auch der Versuch,die Wurzeln von
"Auschwitz", die Wurzeln den nationalsozialistischen Faschismus
im Kapitalismus und in der spezifisch deutschen autoritären
Charakterstruktur bloßzulegen. dieser antifaschistische Grundkonsens
- in ausdrücklicher Abgrenzung zum antitotalitären Grundkonsens,
dem Beschwören der freien demokratischen Grundordnung und was
dergleichen antikommunistischer Ideologien mehr sind - ist daher
für mich auch die wichtigste Minimalbasis jeder politischen
Aktivität aus unseren Reihen, der eine klare Abgrenzung fordert.
Deshalb kann es für mich keine Diskussion und erst recht keienGemeinsamkeit
mit Leuten geben, die mit der "Neuen Rechten" reden, in
ihren Organen publizieren usw., unter welchen Vorwänden oder
subjektiven Rechtferitungen auch immer! Dies wäre mehr als
der Verrat unserer Ziele. Dies wäre die Ausgeburt eines grenzenlosen
Opportunismus, der "eigentlichen Geisteskrankheit der Intellektuellen"
(O. Negt. a.a.O., S. 9).
Schlußbemerkung:
Mein Thema waren hier nicht die schweren Fehlentwicklungen und
Sackgassen unserer Bewegung, deren Ursachen ebenso selbstkritisch
zu untersuchen sind. Als Anwalt von militanten Studenten, kämpferischen
Arbeitern und seit mehr als zehn Jahren kurdischen Exilpolitikern,
die mit dem undemokratischen Instrumentarium des § 129a StGB
als "Terroristen" verfolgt werden, weiß ich, daß
für Fehlentwicklungen und Niederlagen immer noch die gleichen
Waffen des deutschen "Sicherheitsstaates" angewandt werden.
Die seit 30 Jahren für militante Fundamentalopposition der
Bewegungen entwickelt wurden:
Ihre systematische Unterdruckung und Kriminalisierung.
Ihre Diskriminierung durch Politiker und Massenmedien.
Die Versuche, Wortführer zu korrumpieren und Teile der Anliegen
zu Integrieren.
Aber gleichzeitig weiß ich, daß dieses globalisierte,
kapitalistische System weitere Widersprüche produziert und
nicht nur Ausgegrenzte, Arbeitslose u.a. bei uns und Millionen Massen
in den Ländern des Südens und Ostens keine Perspektive
mehr haben, sondern auch dagegen aufbekehren und nach neuen Kampf-
und Lebensformen suchen. Auch die sozialen Kämpfe in Frankreich
1997 und die Streikbewegung der Stdenten 1998 bei uns, militante
gewerkschaftliche Kämpfe in Südkorea oder Indonesien,
Landlosen-Bewegungen und bewaffnete Kämpfe in Lateinamerika,
Asien und im Nahen Osten auf der einen, die wachsende wirtschaftliche
Konkurrenz zwischen den USA, Westeuropa und Japan (Triade), eine
zunehmende militärische Interventionspolitik, die auch bei
uns wieder hoffähig wird, künden vom Ende der Ruhe im
Zeitalter der Globalisierung. Wir brauchen eine neue Gesellschaft,
eine neue Theorie und internationale Politik - ein neues historisches
Projekt nach dem Vorbild des "Manifest der Kommunistischen
Partei", der "Pariser Commune" und den Experimenten
der internationalen Studentenbewegung 1968. Also neue politische
Aktion-, Lebens- und Organisationsformen, damit wir wieder die Zuversicht
haben können, gemeinsam zu rufen:
VENCEREMOS! - und dafür zu kämpfen.
aus:Kalaschnikow - Das Politmagazin, Ausgabe 12, Heft 1/99 - www.kalaschnikow.net
Erst aus dem Wechselverhältnis von Reflexion und verändernder Praxis kann die richtige Theorie entstehen. Nur wer es wagt, die Kritik an den bestehenden Verhältnissen in eine radikale Praxis umzusetzen, wird etwas verändern können. - Kommune 2 -
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