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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Michaela von Freyhold:

ÜBERLEGUNGEN ZUM ERFOLG VON KOMMUNEN
UND EIN PAAR SCHLÜSSE AUS BISHERIGEN ERFAHRUNGEN

1. Kommune / Kommunitat - was ist das?

Kommune ist eine besondere Art von Liebesverhältnis, eine Bindung von Menschen aneinander vermittelt durch die Bindung an die Gemeinschaft, das Gemeinschaftsideal. Das Verhältnis der Kommunarden/innen zueinander mag durchaus distanziert sein, bleibt aber getragen von der Identifikation miteinander, von dem Glauben an die Fähigkeit, sich gemeinsam zu verändern, von der Bereitschaft, sich einander auszusetzen und einander behilflich zu sein über die Beschränkungen und Verkrüppelungen hinweg, die jedes einzelne Mitglied in die Gemeinschaft mitbringt. Kommune ist ein Zustand und zugleich immer Ziel, absichtliche Anstrengung. Zusammenleben, Gemeineigentum, gemeinsame Arbeit sind Ausdruck und Basis der Kommune, ihr materieller Leib, aber nicht sie selbst. Zusammenleben als solches schafft noch keine Kommune: Pensionen sind keine Kommunen, auch der Heimhof in Wien nicht, wo Frauen verschiedenen Alters genossenschaftlich zusammenleben, die meisten Wohngemeinschaften sind keine Kommunen, auch Kloster sind oft keine, wie die Bewegung von Ordensmitgliedern bezeugt, die aus ihnen ausziehen um Kommunen zu gründen. Zusammen arbeiten schafft auch noch keine Kommune: die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in den realsozialistischen Ländern sind längst keine Kommunen mehr, ebensowenig viele Alternativprojekte hierzulande. Kommune ist ein seelischer Zustand. Wen die psychologischen Mechanismen interessieren, um die es dabei gehen mag, kann in Freud’s Massenpsychologie und Ichanalyse nachlesen und dabei einen Blick in Abgründe tun, die auch hier, wie bei allem Psychischen, lauern: Jonestown, die Selbstmörder-Kommune in Guyana war immerhin auch eine Kommune.

Kommunen unterscheiden sich von anderen Alternativprojekten dadurch, daß sie das menschliche Zusammenleben umfassend zu verändern suchen. Dazu müssen sie sich auch mit dem auseinandersetzen, was die Individuen voneinander trennt und das Zusammenleben schwierig macht. Eine Art damit umzugehen trifft man in jenen religiösen Gemeinschaften an, die eher einer Versammlung von Einsiedlern gleichen. Jeder Einzelne ist allein auf Gott hin orientiert, das Miteinander wird durch die Regel gestiftet, der sich alle unterwerfen. Zueinander sollen die Brüder Distanz halten. Eintreten kann jeder, der sich der Regel beugt. Andere Gemeinschaften suchen durch gemeinsame rauschhafte Erlebnisse und Lockerung der Ichgrenzen ein harmonisches Verhältnis zwischen den Individuen herzustellen. Schließlich gibt es auch Gemeinschaften, die den Anspruch persönlicher Veränderung unausgesprochen lassen: dazu gehört dann freilich implizit die Aufforderung, den Anderen auch so zu mögen und zu akzeptieren wie er ist. Freude am Anderen, an gemeinsamen Erlebnissen und gemeinsamer Arbeit, aber auch Enttäuschungen, die durch das Gebot der Toleranz mühselig überbrückt werden, kennzeichnen das Auf und Ab solcher Gemeinschaften. Kommune bauen heißt nicht nur die objektiven Bedingungen aufheben, die die Menschen vereinzeln. Es ist die subjektive Aufhebung der Vereinzelung, die das Glück, aber auch die Schwierigkeiten von Kommune ausmachen. Sie gelingt nur, wo die einzelnen Mitglieder in sich und im Anderen jenes Aligemeine wahrnehmen, auf dem die Kommune beruht.

2. Kommune und Gesellschaft

Die Gemeinschaft, der "Geist" der Kommune, weist notwendig über sich hinaus, hat mystisches an sich, nicht nur in christlichen Kommunitäten, die sich als Teil der "Gemeinschaft der Heiligen" verstehen, sondern selbst noch in betont nüchternen, behaviouristischen Gemeinschaften wie etwa Twin Oaks, die so etwas wie eine zur Vernunft gekommene Menschheit im Blick haben. Kommunen beginnen mit der Kritik an und der Abkehr von gesellschaftlichen Zusammenhängen und sehen sich, wie implizit auch immer, zugleich als Vorboten neuer, besserer Zustande. Manchen genügt es, die Dinge für sich selbst zu verändern, ihr eigenes Heil zu finden andere hoffen, daß ihr Beispiel ermutigt und Nachahmung findet, manche sind darüber hinaus auch gesellschaftlich und politisch aktiv. Obwohl es auch bewaffnete Kommunen gegeben hat, die Kommune der Wiedertäufer etwa die der Taiping Rebellen, die spanischen Anarcho-Kommunen oder die Kibbuzim, und obwohl Kommunen aus den unterschiedlichsten ideologischen Strömungen erwachsen sind, in der Weimarer Republik auch im Zeichen präfaschistischer Ideologien, so sind sie ihrem Modell nach doch implizit anarchopazifistisch: Die Veränderung fängt bei den eigenen Veränderungen an, die Übel der Welt werden dadurch bekämpft, daß man sich ihnen verweigert, der Macht wird nicht Macht entgegengesetzt sondern die Bereitschaft, ihr den Gehorsam zu entziehen. Anarchistisch ist die Ablehnung der Trennung von Weg und Ziel: Man kann das Übel nicht bekämpfen indem man es mitmacht. Anarchopazifistisch ist auch der Umgang der Kommunarden/innen miteinander, auf Versöhnung und Übereinstimmung, nicht auf Überwältigung gerichtet, auf die Bereitschaft, alle Instrumente der Macht und des Besitzes von sich zu tun. Kommune ist gelebte Gewaltfreiheit, und in vielen Fallen ist dies auch explizit das Programm von Kommunen gewesen. Der Versuch der Kommune, einen neuen Lebensstil hier und jetzt zu praktizieren, die Geschichte und die gesellschaftlichen Zwänge durch eigene Willensanstrengung außer Kraft zu setzen, hat, zumindest in der Neuzeit, stets erheblichen psychischen Aufwand erfordert. Es haftet deshalb den Programmen und Proklamation der Kommunegründer/innen fast stets etwas "verrücktes", sektiererisches an, was etwa den Marxisten die Denunziation des utopischen Sozialismus und Anarchismus so leicht gemacht hat. Es ist einfacher und eleganter, mit dem historischen Strom zu schwimmen als gegen ihn, auch dann, wenn der Strom in den Abgrund führt. Vielleicht verändert sich das in unserer Epoche, in der aus vielen Gründen die kapitalistisch initiierte Industriegesellschaft nebst ihrem sozialistischen Gegenstück zunehmend die Gewalt über die Individuen verliert: Vielleicht eröffnet dies die Möglichkeit einer hellsichtigeren, gelasseneren Gangart in die Kommune. Zu zeigen wäre dies etwa am Bereich der Sexualität, mit deren Gestaltung / Befreiung sich zwar jede Kommune wird auseinandersetzen müssen, ohne deshalb die rauschebärtigen Versicherungen unserer Vorfahren zu benötigen. Kommunen sind selten als isolierte Unternehmungen entstanden, sondern waren Exponenten, Kulminationspunkte breiter geistiger Bewegungen in gesellschaftlichen Umbruchsituationen. Bislang haben diese Bewegungen nicht ausgereicht, um den Lauf der Geschichte zu wenden, aber das mag sich andern.

3. Kriterien für den Erfolg von Kommunen

3.1. Dauer:

Manche historisch wichtigen Kommunen haben sich in kürzester Zeit zerstritten und aufgelöst, andere haben Jahrhunderte überdauert, darunter zumindest eine anarchistische Kommune und mehrere religiöse Kommunen. Die Wege ihres Absterbens sind verschieden gewesen: Die einen sind sektiererisch erstarrt und wurden schließlich zum Fossil, für das sich kein Nachwuchs mehr fand, die anderen wurden zur Institution, in der die Einordnung in den institutionellen Rahmen die lebendige Gemeinschaft nach und nach ersetzte, andere wurden in die bürgerliche Gesellschaft resorbiert. Manche Kommunen haben auch ihren gesellschaftlichen Stachel eingebüßt, wie jene Kloster, die an Macht und Ausbeutung den weltlichen Feudalherren nicht nachstanden, ober die Kibbuzbewegung, die mit dem kapitalistischen Sektor in Israel reibungslos koexistiert. Die Auflösung einer Kommune mag ihr Scheitern anzeigen, obwohl dies nichts darüber besagt, was sie zur Entwicklung der Individuen beitrug, die durch sie hindurchgingen. Der physische Fortbestand einer Kommune ist dagegen nicht unbedingt ein Beweis dafür, daß ihre Seele noch lebt, ihr Geist nicht längst dahin ist. Trotzdem mag es sich lohnen, genauer auf die Kommunen zu sehen, die sich als langlebiger erwiesen haben und auf die äußere Regelungen, die ihnen dies erleichterten.

3.2. Wirtschaftlicher Erfolg:

Im Grunde ist dies kein Kriterium, weil es nicht das Ziel der Kommune ist, weil Kommunen, die auf dieses Ziel starren, schon verloren sind, selbst wenn sie es erreichen. Allerdings müssen Kommunen sich eine Lebensgrundlage schaffen. Gescheitert sind Kommunen dabei häufiger an subjektiven Barrieren, wenn überhaupt. Wo die Seele der Kommune intakt war, hat sich meist eine Lebensgrundlage finden lassen. Die spezifisch ökonomische Barriere für die Kommune erhebt sich schon vor ihrer Gründung: die Notwendigkeit, an Land, Produktionsmittel oder an einen Markt zu kommen (die alle schon besetzt sind), ohne dabei Verpflichtungen einzugehen (Schulden, Anforderungen), die dem Ziel der Kommune zuwider laufen.

3.3. Fluktuation:

Die meisten zeitgenössischen Kommunen haben eine relativ hohe Fluktuation, was jedoch zu Unrecht als ein Zeichen mangelnden Erfolges angesehen wird. Oft sind es neue Mitglieder und Jugendliche, die nach einiger Zeit wieder gehen, manchmal um sich anderen Kommunen anzuschließen, manchmal ins "normale" Leben zurück, nicht ohne vielleicht trotzdem dauerhaft etwas gelernt zu haben. Solange ein leidlich stabiler Stamm bleibt, kann solche Fluktuation das Gemeinschaftsleben bereichern und die Wirksamkeit und die Kontakte der Kommune nach außen vergrößern und zudem bestimmte Konfliktsituationen auflosen. Es gibt in Frankreich etwa heute schon eine kleine Wanderungsbewegung zwischen verschiedenen Kommunen, die sicher sowohl für die Individuen als auch für die Kommunen gut ist.

3.4. Persönliche Entfaltung:

Den Erfolg von Kommunen in dieser Richtung wird man an ihrem jeweiligen Ideal messen müssen. Verschiedene Kommunen streben durchaus unterschiedliche Ideale persönlicher Verwirklichung an und erreichen auch oft einiges von ihren Zielen. Landkommunen haben sich überdies, so oder so, mit der Gefahr der "Verbauerung" auseinandersetzen müssen. Zu fragen wäre auch, was aus der zweiten Generation wird. Die Kibbutzims haben Kinder erzogen, die, verglichen mit anderen, psychisch sehr viel gesunder wurden, aber weniger Eigeninitiative hatten, angepaßter reagierten.

3.5. Gesellschaftliche Wirksamkeit:

Zustande wie im frühen Mittelalter, wo zeitweise bis zu 20 % der Bevölkerung in Klöstern lebten, sind in neuer Zeit (noch?) nicht wieder eingetreten. Die Umwelt war vom Modell der Kommunen nicht überzeugt, daß es einen "run" auf sie gegeben hätte.

Dagegen sind Gedankengänge, Lebensstile und vor allem kulturelle Innovation von bestimmten Kommunen zum Allgemeingut geworden. Owens Kommunen haben bekanntlich erheblich zur Entwicklung des Genossenschaftswesen, des Arbeiterbewußtseins (anders als Owen dachte) und etwa der Koedukation im Schulwesen beigetragen, der Sain Simonismus hat die Entwicklung des Sozialismus und der Frauenbewegung und des modernen Ingenieurwesens (Großprojekte) beschleunigt, der Monte Verita in Ascona hat das Sonnenbaden, die bequeme Damenkleidung und den modernen Ausdruckstanz populär gemacht. Die Beispiele ließen sich vermehren. Natürlich hatten sie mehr vor, als nur dies zu bewirken. Vielleicht ist es ein Trost, zu bedenken, daß es auch so etwas wie eine untergründige Tradition der Kommune gibt, daß ein Ziel der Hoffnung und Träume von einer Generation zur anderen weitergereicht wird, oft auf verschlungenen Wegen, um vielleicht doch noch Früchte zu tragen.

4. Einige Erfahrungen und Folgerungen

4.1. Der Beginn von Kommunen:

Kommunen haben sich als dauerhafter und tragfähiger erwiesen, wenn ihrer Gründung ein langerer Prozeß der gemeinsamen Diskussion und des Kennenlernens der Gründungsmitglieder vorausging und die Ziele der Kommune im Großen Konsens waren, bevor man daran ging, sie aufzubauen. Probeweises Miteinanderwohnen oder eine lange gemeinsame Wanderung (Beispiel: die Farm) waren hilfreich. Eine Vorbereitungszeit des gemeinsamen Ansparens für das Gemeinschaftsprojekt und auch des allmählichen Übergangs in die kollektive Ökonomie, während ein Teil der Mitglieder noch außerhalb des Projektes arbeitete, haben sich manchmal sowohl psychologisch als auch finanziell als hilfreich erwiesen. Ebenso wichtig war es für eine Reihe von Kommunen, ein Netzwerk der theoretischen und finanziellen Unterstützung zu schaffen, also Menschen anzusprechen, die am Erfolg des Projektes interessiert waren, sich ihm verbunden fühlten, auch wenn sie nicht vorhatten, sich direkt daran zu beteiligen. Die moralische Unterstützung war dabei für die Gründung noch viel wichtiger als die materielle, war Ansporn und Auftrag.

4.2. Guru / Basisdemokratie:

Zu den psychologischen Mechanismen, die in Kommunen hineinspielen, paßt der Führer, auch wenn er nicht notwendig ist. Kommunen mit Guru sind über die anfänglichen Organisationsschwierigkeiten meist besser hinweggekommen und haben es bisweilen auch einfacher gehabt, größere Sprünge im Verhalten ihrer Mitglieder zu erreichen. Die Kehrseite davon war/ist, daß sie erstens der Qualität der Gurus ausgeliefert waren, die bisweilen unsinnige Regeln aufgestellt haben, psychisch instabil waren, die Kommune wieder kaputt gemacht haben; der Preis waren auch Rivalitäten (wenn noch andere starke Persönlichkeiten vorhanden waren), an denen Kommunen zerbrochen sind, der Preis war häufig auch eine gewisse Infantilisierung der Mitglieder. Auch haben eine Reihe Kommunen den Tod oder Fortgang ihres Gurus nicht überstanden. Umgekehrt sind allerdings Kommunen, zumindest größere, ohne ein gemeinsames Gesamtkonzept und bestimmte gemeinsame Prinzipien nicht entwicklungsfähig gewesen. Kommunen ohne Anfangskonzept, die alles der freien Diskussion überließen, sind bald wieder auseinandergelaufen, und die Mitglieder haben berichtet, es hatte endlose Diskussion gegeben, und keiner hatte so recht gewußt, wo es langgeht. Auch wo eine gemeinsame Grundlage besteht, gibt es bei demokratischer Entscheidungsstruktur mühselige Diskussionsprozesse. Sie bereichern allerdings die Kommune und fördern die Entfaltung der Mitglieder.

4.3. Offenheit / Geschlossenheit:

Kommunen, die offen waren für jeden/jede, der/die sich gerade anschließen wollte, sind in der Regel daran gescheitert, vor allem dann, wenn kein normensetzender Guru da war. Moderne Kommunen haben außerdem bisweilen auch noch das Problem gehabt, von drogenabhängigen oder anderswie gestörten Jugendlichen überlaufen zu werden. Dagegen sind Kommunen, die sich gegen Neuankömmlinge verschlossen, oft verkalkt. Was sich bewährt hat, ist ein System der langsamen, stufenweisen Aufnahme, wo es eine, allerdings begrenzte, Zahl von Gästen gibt, und eine längere Probezeit (Noviziat) für die, die Mitglieder werden wollen. Manche Kommunen haben auch so etwas wie therapeutische Einrichtungen. Bewahrt hat sich auch die Praxis bestimmter Kommunen, so etwas wie Akademien einzurichten und Gäste einzuladen, die interessante Ansatze haben, die zur Diskussion der Kommune beitragen können und zugleich ihre Wirksamkeit nach außen erhohen.

4.4. Paarbeziehungen / freie Sexualität / Kinder

Kommunen, in denen stabile Paarbeziehungen oder Ehen als erwünschte Form des sexuellen Zusammenseins angesehen werden, geraten bisweilen ein wenig kühl. Die Paare haben emotional für die Kommune zu wenig übrig, die Einzelgänger müssen sehen, wie sie zurecht kommen. Kommunen, die versucht haben, die Sexualität zu kommunalisieren, konnten bislang nicht auskommen ohne Institutionen, die die damit verbundenen Konflikte kanalisiert haben, die Eifersucht, die Ängste der scheinbar Zurtickgesetzten. Zu bezweifeln ist, ob es Patentrezepte gibt. Jedenfalls scheinen auch jene amerikanischen Kommunen glaubhaft, die berichten, daß es bei ihnen sowohl feste Paarbeziehungen als auch lockerere oder komplexere Beziehungen gäbe, und daß dies "keine Anstrengung" (no sweat) mit sich brächte.

Gemeinschaften, deren Mitglieder zölibatär leben, müssen sich weder mit Erziehungsformen auseinander setzen noch für die Kinder sorgen. Daß Kommunen oft vergleichsweise günstige Bedingungen für Kinder bieten, führt manchmal dazu, daß sehr viele Kinder in der Kommune geboren werden und die Kommune deshalb auch mehr arbeiten muß. Die Kommunekinder, zumindest die Aufgeweckteren, zieht es schließlich meist in die Gesellschaft zurück, nicht aus Protest gegen die Kommune, sondern weil sie sich selbst erproben, ihre eigene Wahl treffen möchten. Die meisten Kommunen sind stolz darauf, daß sie viel bessere Bedingungen für Kinderglück und kindliche Entfaltung schaffen können als die "Normalgesellschaft" und übersehen dabei ein wenig, daß sie vielleicht bis zu 1/5 ihrer Energie darauf konzentrieren, der ”Normalgesellschaft” gesündere Mitglieder zuzuführen. Das Glück der Kinder ist an sich wichtig, ist eine Frucht der Kommune, aber nicht ein Weg, um ihre Zukunft zu sichern.

4.5. Konfliktbewältigung:

Die Austragung von Konflikten ist notwendig, wenn die Kommune lebendig bleiben soll. Die Unterdrückung und Vermeidung von Konflikten geht auf Kosten anderer emotionaler Beziehungen, schafft Distanz und Kälte. Andererseits ist eine direkte Austragung von Konflikten für Menschen, die einander ständig sehen, miteinander leben und arbeiten, oft schwer erträglich, weil es so wenig Möglichkeiten gibt, den Verletzungen auszuweichen. Bewährt haben sich ritualisierte Formen der Konfliktaustragung, für die es einen spezifischen Ort und eine spezifische Zeit gibt und eine positive Bestärkung für diejenigen, die sich der Kritik aussetzen: gruppendynamische "Theaterspiele" etwa, in denen Konflikte spielerisch dargestellt werden, Maskenzüge, in denen die Masken eigene Fehler darstellen und dann vernichtet werden, Kritik und Selbstreinigungsrituale mit entsprechenden Versöhnungsfesten etc. Ständig aneinander herumanalysieren untergräbt dagegen Kommunen. Mitglieder von Kommunen verzichten auf jene Freiheiten, die die Anonymität in der Nachbarschaft und die Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz den Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft bieten. Wenn der Gruppendruck dadurch nicht unerträglich werden soll, dann muß es individuelle Rückzugsmöglichkeiten geben. In der Arche hat man auch gute Erfahrungen damit gemacht, daß jedes Mitglied einen Monat pro Jahr Urlaub von der Kommune macht, und daß Kommunemitglieder in größeren Abständen auf längere Wanderschaften gehen. Die Möglichkeit, innerhalb größerer Kommunen zwischen ihren Unterabteilungen (kleinere Wohn- und Arbeitsgemeinschaften) zu fluktuieren oder zwischen verschiedenen Kommunen, entlastet das Zusammenleben ebenfalls.

4.6. Arbeitsökonomie / Arbeitsorganisation

Daß Arbeit nicht mehr oder kaum mehr entfremdete Arbeit ist, verleitet viele Kommunen dazu, zuviel zu arbeiten. Wo Arbeit als Dienst an der Gemeinschaft, als Meditation, als Selbstverwirklichung oder als spielerisch begriffen wird, und gerade wenn es den Kommunemitgliedern freigestellt ist, wieviel sie arbeiten, hört die Arbeit oft gar nicht mehr auf. Zur eigenen seelischen und geistigen Entfaltung, zur Beschäftigung mit den anderen Kommunemitgliedern, fehlt die Zeit, und das äußere Wachstum der Kommune steht immer mehr im umgekehrten Verhältnis zum inneren. Was im Anfangsstadium der Kommune unvermeidlich ist, daß es zunächst einer besonderen Anstrengung bedarf, um möglichst bald die minimalen materiellen Voraussetzungen für die Kommune zu schaffen, wird zum Dauerzustand: Der Aufbau und Ausbau geht immer weiter, der Komfort steigt und die Arbeit bietet Fluchtwege für diejenigen, die verinnerlichte Leistungszwänge nicht abzubauen vermögen und Schwierigkeiten haben, sich auf Andere einzulassen. So gibt es denn auch typischerweise die tüchtigen Kommunemitglieder, die weggehen, wenn die Pionierphase abflaut. Umgekehrt laufen Kommunen, die von vorne herein auf eine möglichst beschränkte, rationell organisierte Arbeit abzielen Gefahr, daß Arbeiten zur lieblosen und flüchtigen Routineverkommen, die jede/r möglichst schnell hinter sich bringen will. Es erfordert wohl bewußte Anstrengung, um die rechte Balance zu finden.

Rotation der Arbeit zum Ausgleich der Kompetenzunterschiede und der allseitigen Entfaltung der Mitglieder wird in vielen Kommunen angestrebt. Die meisten haben mit der Zeit gelernt, daß allzu schneller Wechsel weder den Mitgliedern noch der Arbeit bekommt, daß es besser ist, Gruppen mit festen Aufgaben und festen Verantwortlichen zu bilden, wobei allerdings in einem gewissen Turnus die Verantwortlichen rotieren, Spezialisten für bestimmte Arbeiten andere anlernen, Mitglieder in eine andere Aufgabengruppe wechseln. Kommunen müssen auch unterscheiden lernen zwischen vordringlicheren und weniger vordringlichen Arbeiten im Inneren und einträglicheren und weniger einträglichen Arbeiten nach außen, wobei natürlich die Befriedigung, die die Mitglieder in der Arbeit finden, auch mitberücksichtigt werden muß. Jedenfalls besteht besonders bei Kommunen, deren Mitglieder aus der neuen Mittelschicht kommen, die Tendenz, Tätigkeiten zu bevorzugen, die kultureller oder künstlerischer Art sind. Viele Kommunen haben in Bildung, Kultur und Kunst ihren einträglichsten außenwirtschaftlichen Bereich gefunden und verdienen das Geld für das, was sie zukaufen müssen, durch Seminare, Hebammendienste, Konzerte, Zirkusvorstellungen, Bücher und Zeitungen, kunstgewerbliche Gegenstände, Heilmittel etc. Bei ungünstigem Verhältnis von Arbeitsaufwand und Ertrag wird die Kommune aber diese Aktivitäten überdenken müssen, ebenso wie die Anzahl derer, die innerhalb der Kommune zur Selbstversorgung mit Kultur freigestellt sind, sonst kann ein endloser Arbeitstag für die Mitglieder dabei herauskommen und unmäßige Belastung für die, die materielle Arbeit besorgen. Je höher der angestrebte Selbstversorgungsgrad der Kommune ist, umso härter wird die Arbeit ausfallen oder zumindest umso länger, weil man dann Arbeiten, die in der Kommune nur vergleichsweise ineffizient ausgeführt werden können, nicht ausverlagern kann.

4.7. Größe:

In "großen" Kommunen, so etwa ab 60 Mitgliedern, kann die demokratische Regelung der gemeinsamen Angelegenheiten schwierig werden, zumal eine Vertreterdemokratie auf Dauer Entfremdung produziert. Größere Gruppen sind dieser Schwierigkeit oft dadurch aus dem Weg gegangen, daß sie die Entscheidungsstrukturen dezentralisiert haben und kleinere, weitgehend selbstständig lebende wirtschaftliche Einheiten geformt haben, Großfamilien gleichsam, oder Clans, aus denen sich der Stamm, das Dorf zusammensetzt, das dann immer noch genug gemeinsame Veranstaltungen und Verantwortung hat. Solange es auch in den Metropolen Ungleichheiten im Kompetenzanspruch zwischen den Generationen und Geschlechtern gibt, scheint auch sinnvoll, was sich in afrikanischen Kommunen bewahrt hat: daß die Gestaltung und Planung der Kommune in Frau-, Männer- und Jugendräten im Wettbewerb miteinander vorangetrieben wird. So werden alle gefordert, darüber nachzudenken, was aus der Kommune werden soll und wie ihre Erwartungen, Talente und Bedürfnisse darin Platz finden.

4.8. Alter:

Jugendliche haben weit weniger Schwierigkeiten, sich in kommunales Leben einzufinden und mehr Talent zur Nähe. Da sie sich aber in der Regel noch auf Identitätssuche befinden, ist ihre Bindung an bestimmte Kommunen meist nicht besonders dauerhaft. Günstig ist, wenn die Alterszusammensetzung der Kommune möglichst ausgeglichen ist.

4.9. Rituale

In gemeinsamen Zeremonien, Festen, Meditationen usw. feiert die Gemeinschaft sich selbst, findet zu sich selbst und zu dem Geist, der sie eins. Kommunen mit kleinen alltäglichen Ritualen und großen, regelmäßig wiederkehrenden Zeremonien bleiben länger lebendig. Die Leistung von Gurus hat oft darin bestanden, solche Zeremonien zu setzen, wo die Mitglieder zu scheu gewesen waren, sich selber zu "erfinden", weil mit Ritualen sich ja in der Regel die Vorstellung verbindet, daß man sie vorfindet, sie geschenkt werden, man sie nicht willkürlich macht. Trotzdem ist derartige Kreativität gefragt. Manches, was in bereits bestehenden Kommunen entwickelt und erprobt wurde, konnten neue Kommunen übernehmen.

4.10. Gesellschaftliche Beziehungen:

Besonders Landkommunen sind in Gefahr, den Kontakt zur übrigen Gesellschaft zu verlieren. Das Bedürfnis, Zeitungen zu lesen, Nachrichten zu hören, neue Probleme und Bewegungen zu verfolgen, läßt stark nach: Die Mitglieder sind miteinander und mit dem was sie selbst in der Kommune verändern können, ausreichend beschäftigt. Wo Kommunen jedoch Zentrum einer Bewegung bleiben und sich, zum Beispiel in direkten Aktionen, außerhalb engagieren (Beispiel: die gewaltfreien Aktionen der Arche gegen Militarismus und Rassismus, die Entwicklungsprojekte der "Farm"), wird diese Tendenz von der Bewegung aufgefangen, die die Kommune von außen anspricht, fordert, informiert, sie aus Selbstzufriedenheit und Selbstgerechtigkeit herausreißt.

4.11. Gesamtökonomie:

Noch ist es nicht so, daß sich Kommunen gegenseitig auf die Füße steigen, die Bodenpreise hochtreiben, sich die Märkte für Aternativprodukte streitig machen und einander die Investitionsquellen abgeben. Wie groß der Freiraum ist und wie sich die Grenzen der kapitalistisch-industriellen Wirtschaft zurückdrängen lassen, wird sich erst in Zukunft zeigen, und erst dann steht erneut die schwierige Frage an, wie denn die Koordination der kleinen Einheiten, da, wo sie nötig ist, gewährleistet werden kann, jenseits der bekannten Formen von Markt und Plan. Trotzdem stärkt auch jetzt schon die ökonomische Vernetzung der Projekte die kommunale Ökonomie und ist ein Experimentierfeld für künftige Formen. Eine Reihe von Kommunen und Alternativprojekten experimentieren mit Absatzorganisationen, wobei sie bestrebt sind, nicht nur Zwischenhändler zu vermeiden oder überhaupt um die Inflexibilität des Zwischenhandels herumzukommen, sondern auch die Anonymität des Marktes aufzuheben, mit dem Käufer als Menschen in Verbindung zu kommen so wie umgekehrt neue Konsumgenossenschaflen sich aufmachen, um gemeinsam auch Mitverantwortung für das zu entdecken und zu tragen, was sie konsumieren. Ebenso brauchen Kommunen gemeinsame Einkaufsgenossenschaften, nicht nur um günstigere Preise zu bekommen und gewisser Beschaffungsschwierigkeiten enthoben zu sein, sondern um vielleicht auch Einfluß zu nehmen auf die Art der Herstellung der Güter, die sie einkaufen: denkbar ist zum Beispiel, daß industrielle Alternativbetriebe (etwa von Arbeitern übernommene Betriebe) anfangen, die spezifischen Produktionsmittel herzustellen, die die Kommunen nicht selbst herstellen können.

Ebenso sinnvoll ist es, wenn handwerkliche und landwirtschaftliche Kommunen ihre Produkte untereinander austauschen und sich so gegenseitig ergänzen. Auch für den Ausbau gemeinsamer Finanzierungsinstitutionen, technischer Beratungsstellen und Medien zum Erfahrungs- und Informationsaustausch besteht Bedarf. Vorläufig ist die Gefahr gering, daß damit das Schicksal der Genossenschaftsbewegung wiederholt wird und neue Abhängigkeiten entstehen. Die Kommunebewegung wird allerdings nur dann aus den Zwängen von Markt und Staat heraus finden, wenn sie ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten nie als bloß wirtschaftliche betrachtet und bei allem, was sie tut das Ziel nicht aus den Augen verliert: die Herstellung gewaltfreier Verhältnisse zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Natur.

4.12. Landkommunen und Nachbarn:

Manche Kommunen sind auf Grund ihres Lebensstils auf dauerhafte Ablehnung ihrer Nachbarn gestoßen, andere haben, besonders wenn ihnen die Landwirtschaft gelang Respekt und Freundschaft erlangt, manchmal sogar politischen Einfluß. Manche Kommunen meiden die Integration, weil sie sich für besser und klüger halten oder Angst haben, auf Dauer den anderen Bauern zu gleichen. Solche Landkommunen suchen manchmal auch Heimat aber ahnen nicht, daß sie dazu die Tradition ihrer Umgebung mitaufnehmen müssen.

5. Ziele von Kommunen

Es gibt viele, sehr verschiedene Kommunen mit verschiedenen Zielsetzungen. Aneinander gereiht ergeben sie einen Katalog all dessen, was die industrielle Gesellschaft ihren Mitgliedern vorenthält: ökologische Landkommunen mit dem Ziel der Selbstversorgung, Naturkommunen die Naturerlebnis und Naturbewahrung anstreben, Kunstgewerbliche, künstlerische, handwerkliche Kommunen auf der Suche nach eigenem Stil und Freude an der eigenen Geschicklichkeit, spirituelle / mystische Kommunen, religiöse und Bekenntnis-Kommunen, politische Kommunen, Kommunen, die Therapie betreiben, Lehrkommunen und Schulkommunen, Gemeinschaftsehe-Kommunen, Homosexuelle Kommunen, Psychokommunen zur individuellen Selbstfindung / Verwirklichung, Wanderkommunen, Straßen- und Nachbarschaftskommunen, die die Isolation der Kleinhaushalte zu durchbrechen suchen, Lebensreformkommunen, die bewußt an einem anderen Umgang der Menschen miteinander arbeiten: Manche Kommunen gehören sicher in mehr als eine dieser Kategorien und oft stellen die Mitglieder fest, daß sie auch noch anderes fanden, als das, was sie anfangs in der Kommune suchten. Mit ihren Zielsetzungen spiegelt die moderne Kommunebewegung die Alternativbewegung wieder, aus der sie hervorgeht, allerdings manchmal auch mit ihren Fehlern: Unverbindlichkeit, Narzißmus, Intoleranz, Sektierertum. Daran scheiterten auch viele von den kleinen Kommunen, die überall in Europa und de USA in den letzten zehn Jahren aus dem Boden sprießen. Manche gelingen, schlagen Wurzeln. Ob sie Vorbote einer neuen Zeit sind, wird sich zeigen, jedenfalls sind ihre Mitglieder Menschen, die nicht mehr warten können.


Aus dem Reader zur: Ost-West-begegnung selbstorganisierter Lebensgemeinschaften, 14.-17.06.1990 in Kleinmachnow bei Berlin.

Dank an Michaela von Freyhold.


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