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Sergius Golowin:
DIE PROPHETEN DER HARMONIE UND
DIE VERWANDLUNG DER WELT
Der Alchimist Libavius neigte schon 1616 dazu, hinter den Mythen
um die Nachfolge des Christian Rosencreutz eine Lehre von gewaltiger
politischer Sprengkraft zu vermuten. Hinter ihrem Anliegen einer Universal-Reformation vermutete er ungefähr das,
was spätere Zeiten unter Welt-Revolution verstanden
- eine Umkehrung der ganzen Welt. ... zu einem irdischen Paradies,
also geradezu eine Wissenschaft des Aufruhrs: Es
ist nicht ohne, daß solche (die Lehren der Rosenkreuzer!)
gefährliche Vorschläge sind (seyn), und kann aus einem
geringen Anfang eine große Zerrüttung entstehen, wie
man von Bauern (gemeint ist der Bauernkrieg - S. G.) und münsterischem
Aufruhr vernommen.
Entsetzt wird die Möglichkeit erwogen, daß die Schriften
der Rosenkreuzer ganz eindeutig die Rückkehr jener Zustände
verkünden, wie ihn Adam vor dem Fall inne gehabt
- daß also alles zum ersten Stande ... des Paradieses
soll gebracht werden, wie Paracelsus aus seines Gehirns oder Gestirns
Lauf... geschlossen.(1)
Die Lehre der Paracelsisten und Rosenkreuzer, die an das kosmische
Gesetz, eben des Gestirns Lauf glaubten, nach der der
Mensch, nach Zeitaltern von in Unterdrückung und geistige Sklaverei
mündenden Zivilisationen, sich wieder seinem ursprünglichen
Zustand annähern müsse, - konnte, wie es Libavius hübsch
ausdrückte, tatsächlich sehr leicht in die Theologiam
und Politiam einbrechen..!(1): Also, wiederum etwas moderner
gesagt, zu einem religiösen Weltbild, zu einer Ideologie der
Politik, zu einem Glauben der gesellschaftlichen Umwandlung werden.
Beim blutigen Versuch, während der Reformation in Münster
paradiesische Zustände, ein Reich der Gleichheit
und des gemeinsamen Besitzes herzustellen, und in den bestimmten
Stimmungen der Bauernkriege des 16. Jahrhunderts erkennt man deutlich
Anregungen aus teilweise vergröberten, zu Propaganda
mißverstandenen Lehren der großen Alchimisten, Mystiker,
Magier des ausgehenden Mittelalters: Umstritten und mit Sagen umgeben
ist noch heute die Bedeutung, die schon damals die alle Lande durchziehenden
Eingeweihten (Adepten) wie Paracelsus bei jenen Unruhen
spielten.
Aber noch um 1800 wirkte dies alles in unglaublichen Ausmaßen
nach: Zum Beispiel kam ein Anton Unternährer, der Hirt und
Kräuterarzt aus der Innerschweiz (der wohl nicht zufällig
den Geschlechtsnamen wichtiger Aufrührer des eidgenössischen
Bauernkrieges trägt!) damals zu einer vielverleumdeten und
lange nachwirkenden kommunistischen Sekte.(2) Jeder
Mensch sei Gott, so wurde seine dunkle Lehre verstanden, darum müsse
alles gemeinsam sein, das irdische Gut und, wie viele behaupteten,
sogar die von allem Geruch der Erbsünde befreite
Liebeslust. Und auch von ihm wird noch bezeugt, daß er seine
ersten wichtigen Anregungen aus diesen wunderbaren Schriften der
Paracelsisten schöpfte, wie sie oft unverständlich abgeschrieben
oder sogar bewußt entstellt bis heute in den Händen volkstümlicher
Ketzer umgehen sollen.
Propheten der Harmonie
Heute wissen wir z. B., daß das kommunistische
Weltbild des seltsamen Franzosen Fourier, von dem zweifellos einige
der wichtigsten Grundüberlegungen im wissenschaftlichen
Sozialismus des 19. Jahrhunderts abzuleiten sind, ohne die mystisch-magischen
Gedankengänge der okkulten Logen, all der geistigen Untergrund-Strömungen
seines Landes gar nicht begriffen werden kann.(3) Der eigentliche
wahre Begründer des (von einer umfassenden Welt-Revolution
träumenden) Kommunismus im deutschsprachigen Gebiet,
der abenteuerlich in den Ländern herumwandemde Schneidergeselle
Wilhelm Weitling, lebte noch ganz aus den Sagen des Bauernkrieges
und des münsterischen Aufruhrs: Kommunismus,
brüderliches Zusammenleben der Menschen, war ihm eine Vollendung
der Religion und der eigentliche Sinn aller göttlichen Botschaften.
Er war bei seinen Gründungen von Kommunistenvereinen
in Deutschland und der Schweiz (die man heute als die eigentlichen
Anfänge des Gedankens einer Arbeiter- Internationale
betrachten muß!) ein Bewunderer der aus mystischen Überlieferungen
ihre Weisheiten beziehenden Sekten-Seher, wie des Propheten
Albrech: In dessen Lehren sah er uraltes Wissen um die Gesellschaft,
wie es griechische und orientalische Geheimgesellschaften, also
Heiden und Christen gleichermaßen durch die Jahrhunderte oder
Jahrtausende verkündet hatten.(4) (Von wo hätte wohl der
Handwerker den Gedanken an solche Zusammenhänge herbekommen
können, als aus der Rosenkreuzerei und aus deren zahllosen,
in Oberschichten und im Volke auch noch nach 1800 weiterwirkenden
Nachfahren-Kreisen während der Aufklärung, Klassik, Romantik?).
Karl Marx selber, später mit dem älteren Weitling völlig
zerstritten im eifersüchtigen Kampf um Einfluß auf das
Proletariat, schwärmte zuerst (1844) von dessen
genialen Schriften: Wo hatte die Bourgeoisie -
ihre Philosophen und Schriftgelehrten eingerechnet - ein ähnliches
Werk wie Weitlings Garantien der Harmonie und Freiheit
aufzuweisen? Vergleicht man die nüchterne, kleinlaute Mittelmäßigkeit
der deutschen politischen Literatur mit diesem maßlosen und
brillanten literarischen Debüt der deutschen Arbeiter; vergleicht
man diese riesenhaften Kinderschuhe des Proletariats mit der Zwerghaftigkeit
der ausgetretenen politischen Schuhe der deutschen Bourgeoisie,
so muß man dem deutschen Aschenbrödel eine Athletengestalt
prophezeien.(5)
Der kluge Marxist Ernst Bloch wußte noch im Alter von 35
Jahren von solchen Zusammenhängen und er schrieb damals, nach
dem ersten Weltkrieg und am Beginn der politischen Unruhen in Mitteleuropa:
Die Erinnerung an die Männer geht um, die ihren Platz
bei den Geringsten suchten, die den Entrechteten immer wieder ihren
verwischten Freiheitsbrief erklärten. Es lebt eine unterirdische
Geschichte der Revolution, bereits anhebend im aufrechten Gang;
aber die Talbrüder, Katharer, Albigenser, Abt Joachim von Calabrese,
Franziskus und seine Junger, die Brüder vom guten Willen, vom
gemeinsamen Leben, vom vollen Geiste, vom freien Geiste, Eckardt,
die Hussiten, Münzer und die Täufer, Sebastian Franck,
die Illuminaten, Rousseau und Kants humanistische Mystik, Weitling,
Baader, Tolstoi - sie alle vereinigen sich, und das Gewissen dieser
ungeheuren Tradition brennt wieder durch gegen Angst, Gewalt, Staat,
Ungläubigkeit und alles Obere, in dem der Mensch nicht mehr
vorkommt.(6)
Wiedereinmal, so oft getäuscht, so oft vom täuferischen
Ideensturm wieder in die Höhe gerissen, steige jetzt
(1920) die Prophezeiung von der alles Leben umfassenden demokratisch-spiritualen
Kirche, von der Weltära des heiligen Geistes(6) aus dem
Kultur-Untergrund der Ketzer und bringe Unruhe in die Herzen der
gequälten Menschen: So war es, wie wir damit sehen, nach dem
ersten Weltkrieg unseres Jahrhunderts, im Grundwesen genau gleich
wie später nach dem zweiten Weltkrieg. So war es aber schon
1844. Oder im 18.Jahrhundert im Umkreis des Europa ergreifenden
Logen-Idealismus. Oder im 17. Jahrhundert durch den Einfluß
der Rosenkreuzer. Oder schon in den Jahren, als Paracelsus die Welt
durchwanderte. Oder damals, im ausgehenden Mittelalter, als so geschichtliche
(dem Märchen-Urbild Christian Rosencreutz aber
sehr nahestehende!) Ritter, all die Otto von Grandson und Adrian
von Bubenberg, von einer Regierung der Weisen träumten.
Der verwischte Freiheitsbrief
Doch jedesmal, wenn aus der ungeheuren Tradition. (wie
sie Ernst Bloch nennt), die uns mittelalterliche Minnesänger,
Illuminaten des 18. und Weitling-Kommunisten des 19. Jahrhunderts
als Brüder im Geiste erscheinen läßt, einige Gedanken
nach Kriegen und wirtschaftlichen Katastrophen die Massen ergreifen
sollten, verloren sie viel von ihrem eigentlichen Gehalt: Aus der
Überlieferung wurden zeitgemäße Schlagworte,
aus der ersehnten Brüderlichkeit die straffe Organisation,
aus der begeisterten Schau das von Partei-Bürokraten ihren
Anhängern eingehämmerte Dogma - und damit aus dem nach
innerer Freiheit suchenden Menschen wieder der eingeschüchterte
Untertan.
Es wird uns zuverlässig überliefert, daß nach Ansicht
der Ritter des 14. und 15. Jahrhunderts, aus denen sich schließich
das ganze Weltbild des Christian Rosencreutz entwickelte,
der Urmensch (Adam) von Gott als Edelmann (nobilis) geschaffen wurde
- später aber (durch den Sündenfall) seinen Adel
verlor(7): Adel, Freiherrentum ist damit das Geschenk, das
eigentlich, nach dem Sinn der Weltschöpfung, jedem Menschen
voll zukommt! Dies kann aber nie und nimmer allein durch einen äußeren
Gewaltakt (also Sturz einer ungerechten, entarteten Oberschicht!)
erzwungen, wiedergewonnen werden - sondern vorerst, eigentlich ausschließlich,
durch einen inneren Vorgang, den Gewinn der Tugenden.
Als Vorzug des echten Edelmannes pries man noch im 15. Jahrhundert,
so lange sich die Kultur der provenzalisch-burgundischen Minnesänger
auswirken konnte, die Fähigkeit, wie Adam im Paradiese das
Göttliche in dem ihm von Gott geschenkten Mitmenschen, also
im Weibe, wiederzuerkennen: König Salomo mit seinem Hohelied
war da Vorbild und Gewahrsmann.(8)
Und auch hier blieben die Rosenkreuzer nach 1600, zumindest nach
den Zeugnissen ihres Gegners Libavius, die treuen Nachkommen jener
Ritter, wenn sie versuchen wollten, alles zum ersten Stande
des Adams oder Salomonis zu bringen.(1)
Wiederum lernen wir hier zweierlei: Einmal, daß der ursprüngliche
glückliche Zustand (erster Stand), wie ihn Gott für den
Menschen erschaffen haben soll, nach den Rosen-Rittern gar nicht
eine ferne, verlorene Urzeit darstellte, sondern daß sie überzeugt
waren, daß dieses verlorene Paradies in späteren
Jahrtausenden, z. B. durch einen Weisen wie Salomo, zuruckgewonnen
werden könnte und damit sicher in ihren Zeiten wiedergefunden
werden könne.
Zweitens: Daß dieser Zustand dem Einzelnen gar
nicht von außen, von oben, also z.B. durch irgendwelche idealistische
Revolutionäre, als Geschenk zuzufallen vermag: Durch Wissen
und Güte muß ihn der Mensch selber erwerben,
wofür eben den Rittern des ausgehenden Mittelalters, genau
wie den späteren Rosenkreuzern und Freimaurern, König
Salomo ein Sinnbild blieb. Für die orientalischen Mythen, die
hundertfach während der Kreuzzüge auch nach Europa drangen
und die die Erzählungen von Bibel und Koran noch unendlich
ausschmückten, war er ein unermüdlich Liebender, Naturerforscher
und Gottsucher auf dem Königsthron.
Unter ihrer Universal-Reformation verstanden damit
die Rosenkreuzer - und eigentlich alle die späteren, von ihnen
ausgehenden Gemeinschaften bis in unsere unmittelbare Gegenwart
- tatsächlich eine Verwandlung der Welt, aber nicht
durch die Gewalt von äußeren politischen Umwälzungen,
sondern durch die Königliche Kunst der Umwandlung
von sich selber, durch Liebe und Wissen, durch die wiedererworbene
Fähigkeit, die Welt als ein schöpferisches Spiel göttlicher
Kräfte zu sehen.
Im Propagandalärm der sich gegenseitig zerfleischenden Gruppen,
die der im 19. Jahrhundert des Industrialismus leidenden Menschheit
wieder einmal die Wiedereinführung glücklicher Urzustände
versprachen, ging leider sehr rasch viel vom Wissen um die Herkunft
von einigen der wichtigsten Bestandteile der ganzen von ihnen verbreiteten
Ideologien verloren.
Anmerkungen:
(1) W. E. Peukert / Das Rosenkreuz. Hrsg. v. R. C. Zimmermann. 2
Aufl., Berlin 1973.
(2) Vgl. Golowin / Lustige Eid-Genossen, Von der phantastischen
Geschichte d. freien Schweiz. Zürich 1972.
(3) Vor allem: A. Viatte / Les sources occultes du Romantisme francais.
Paris 1928.
(4) W. Weitling / Das Evangelium eines armen Sünders. Bern
1843.
(5) K. Marx, F. Engels / Werke. Berlin 1956, 1,404 f.
(6) E. Bloch, in: Die Erhebung, Jahrbuch f. neue Dichtung u. Wertung,
Hrsg. v. A. Wolfenstein, 2. Berlin 1920, 252 ff. - Abgedruckt in:
Der Aktivismus 1915-1920, Hrsg. v. W. Rothe, München 1969,
135.
(7) B. Reber / F. Hemmerlin v. Zürich. Zürich 1846, 226.
(8) Reber / Hemmerlin, 241.
Aus: Sergius Golowin / Hexen, Hippies, Rosenkreuzer - 500 Jahre magische Morgenlandfahrt. (1977).
Dank an Sergius Golowin.
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