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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Sergius Golowin:

DIE PROPHETEN DER HARMONIE UND 
DIE VERWANDLUNG DER WELT

Der Alchimist Libavius neigte schon 1616 dazu, hinter den Mythen um die Nachfolge des Christian Rosencreutz eine Lehre von gewaltiger politischer Sprengkraft zu vermuten. Hinter ihrem Anliegen einer ”Universal-Reformation” vermutete er ungefähr das, was spätere Zeiten unter ”Welt-Revolution” verstanden - ”eine Umkehrung der ganzen Welt. ... zu einem irdischen Paradies”, also geradezu eine Wissenschaft des ”Aufruhrs”: ”Es ist nicht ohne, daß solche (die Lehren der Rosenkreuzer!) gefährliche Vorschläge sind (seyn), und kann aus einem geringen Anfang eine große Zerrüttung entstehen, wie man von Bauern (gemeint ist der Bauernkrieg - S. G.) und münsterischem Aufruhr vernommen.”

Entsetzt wird die Möglichkeit erwogen, daß die Schriften der Rosenkreuzer ganz eindeutig die Rückkehr jener Zustände verkünden, wie ihn ”Adam vor dem Fall inne gehabt” - daß also ”alles zum ersten Stande ... des Paradieses soll gebracht werden, wie Paracelsus aus seines Gehirns oder Gestirns Lauf... geschlossen.”(1)

Die Lehre der Paracelsisten und Rosenkreuzer, die an das kosmische Gesetz, eben des ”Gestirns Lauf” glaubten, nach der der Mensch, nach Zeitaltern von in Unterdrückung und geistige Sklaverei mündenden Zivilisationen, sich wieder seinem ursprünglichen Zustand annähern müsse, - konnte, wie es Libavius hübsch ausdrückte, tatsächlich sehr leicht ”in die Theologiam und Politiam einbrechen..!”(1): Also, wiederum etwas moderner gesagt, zu einem religiösen Weltbild, zu einer Ideologie der Politik, zu einem Glauben der gesellschaftlichen Umwandlung werden.

Beim blutigen Versuch, während der Reformation in Münster ”paradiesische” Zustände, ein Reich der ”Gleichheit” und des gemeinsamen Besitzes herzustellen, und in den bestimmten Stimmungen der Bauernkriege des 16. Jahrhunderts erkennt man deutlich Anregungen aus teilweise vergröberten, zu ”Propaganda” mißverstandenen Lehren der großen Alchimisten, Mystiker, Magier des ausgehenden Mittelalters: Umstritten und mit Sagen umgeben ist noch heute die Bedeutung, die schon damals die alle Lande durchziehenden ”Eingeweihten” (Adepten) wie Paracelsus bei jenen Unruhen spielten.

Aber noch um 1800 wirkte dies alles in unglaublichen Ausmaßen nach: Zum Beispiel kam ein Anton Unternährer, der Hirt und Kräuterarzt aus der Innerschweiz (der wohl nicht zufällig den Geschlechtsnamen wichtiger ”Aufrührer” des eidgenössischen Bauernkrieges trägt!) damals zu einer vielverleumdeten und lange nachwirkenden ”kommunistischen” Sekte.(2) Jeder Mensch sei Gott, so wurde seine dunkle Lehre verstanden, darum müsse alles gemeinsam sein, das irdische Gut und, wie viele behaupteten, sogar die von allem ”Geruch der Erbsünde” befreite Liebeslust. Und auch von ihm wird noch bezeugt, daß er seine ersten wichtigen Anregungen aus diesen wunderbaren Schriften der Paracelsisten schöpfte, wie sie oft unverständlich abgeschrieben oder sogar bewußt entstellt bis heute in den Händen volkstümlicher Ketzer umgehen sollen.

Propheten der Harmonie

Heute wissen wir z. B., daß das ”kommunistische” Weltbild des seltsamen Franzosen Fourier, von dem zweifellos einige der wichtigsten Grundüberlegungen im ”wissenschaftlichen” Sozialismus des 19. Jahrhunderts abzuleiten sind, ohne die ”mystisch-magischen Gedankengänge” der okkulten Logen, all der geistigen Untergrund-Strömungen seines Landes gar nicht begriffen werden kann.(3) Der eigentliche wahre Begründer des (von einer umfassenden ”Welt-Revolution” träumenden) ”Kommunismus” im deutschsprachigen Gebiet, der abenteuerlich in den Ländern herumwandemde Schneidergeselle Wilhelm Weitling, lebte noch ganz aus den Sagen des Bauernkrieges und des ”münsterischen Aufruhrs”: ”Kommunismus”, brüderliches Zusammenleben der Menschen, war ihm eine Vollendung der Religion und der eigentliche Sinn aller göttlichen Botschaften. Er war bei seinen Gründungen von ”Kommunistenvereinen” in Deutschland und der Schweiz (die man heute als die eigentlichen Anfänge des Gedankens einer ”Arbeiter- Internationale” betrachten muß!) ein Bewunderer der aus mystischen Überlieferungen ihre Weisheiten beziehenden Sekten-Seher, wie des ”Propheten Albrech”: In dessen Lehren sah er uraltes Wissen um die Gesellschaft, wie es griechische und orientalische Geheimgesellschaften, also Heiden und Christen gleichermaßen durch die Jahrhunderte oder Jahrtausende verkündet hatten.(4) (Von wo hätte wohl der Handwerker den Gedanken an solche Zusammenhänge herbekommen können, als aus der Rosenkreuzerei und aus deren zahllosen, in Oberschichten und im Volke auch noch nach 1800 weiterwirkenden Nachfahren-Kreisen während der Aufklärung, Klassik, Romantik?).

Karl Marx selber, später mit dem älteren Weitling völlig zerstritten im eifersüchtigen Kampf um Einfluß auf das ”Proletariat”, schwärmte zuerst (1844) von dessen ”genialen Schriften”: ”Wo hatte die Bourgeoisie - ihre Philosophen und Schriftgelehrten eingerechnet - ein ähnliches Werk wie Weitlings ”Garantien der Harmonie und Freiheit” aufzuweisen? Vergleicht man die nüchterne, kleinlaute Mittelmäßigkeit der deutschen politischen Literatur mit diesem maßlosen und brillanten literarischen Debüt der deutschen Arbeiter; vergleicht man diese riesenhaften Kinderschuhe des Proletariats mit der Zwerghaftigkeit der ausgetretenen politischen Schuhe der deutschen Bourgeoisie, so muß man dem deutschen Aschenbrödel eine Athletengestalt prophezeien.”(5)

Der kluge Marxist Ernst Bloch wußte noch im Alter von 35 Jahren von solchen Zusammenhängen und er schrieb damals, nach dem ersten Weltkrieg und am Beginn der politischen Unruhen in Mitteleuropa: ”Die Erinnerung an die Männer geht um, die ihren Platz bei den Geringsten suchten, die den Entrechteten immer wieder ihren verwischten Freiheitsbrief erklärten. Es lebt eine unterirdische Geschichte der Revolution, bereits anhebend im aufrechten Gang; aber die Talbrüder, Katharer, Albigenser, Abt Joachim von Calabrese, Franziskus und seine Junger, die Brüder vom guten Willen, vom gemeinsamen Leben, vom vollen Geiste, vom freien Geiste, Eckardt, die Hussiten, Münzer und die Täufer, Sebastian Franck, die Illuminaten, Rousseau und Kants humanistische Mystik, Weitling, Baader, Tolstoi - sie alle vereinigen sich, und das Gewissen dieser ungeheuren Tradition brennt wieder durch gegen Angst, Gewalt, Staat, Ungläubigkeit und alles Obere, in dem der Mensch nicht mehr vorkommt.”(6)

Wiedereinmal, ”so oft getäuscht, so oft vom täuferischen Ideensturm wieder in die Höhe gerissen”, steige jetzt (1920) ”die Prophezeiung von der alles Leben umfassenden demokratisch-spiritualen Kirche, von der Weltära des heiligen Geistes”(6) aus dem Kultur-Untergrund der Ketzer und bringe Unruhe in die Herzen der gequälten Menschen: So war es, wie wir damit sehen, nach dem ersten Weltkrieg unseres Jahrhunderts, im Grundwesen genau gleich wie später nach dem zweiten Weltkrieg. So war es aber schon 1844. Oder im 18.Jahrhundert im Umkreis des Europa ergreifenden Logen-Idealismus. Oder im 17. Jahrhundert durch den Einfluß der Rosenkreuzer. Oder schon in den Jahren, als Paracelsus die Welt durchwanderte. Oder damals, im ausgehenden Mittelalter, als so geschichtliche (dem Märchen-Urbild ”Christian Rosencreutz” aber sehr nahestehende!) Ritter, all die Otto von Grandson und Adrian von Bubenberg, von einer ”Regierung der Weisen” träumten.

”Der verwischte Freiheitsbrief”

Doch jedesmal, wenn aus der ”ungeheuren Tradition”. (wie sie Ernst Bloch nennt), die uns mittelalterliche Minnesänger, Illuminaten des 18. und Weitling-Kommunisten des 19. Jahrhunderts als Brüder im Geiste erscheinen läßt, einige Gedanken nach Kriegen und wirtschaftlichen Katastrophen die Massen ergreifen sollten, verloren sie viel von ihrem eigentlichen Gehalt: Aus der Überlieferung wurden ”zeitgemäße” Schlagworte, aus der ersehnten Brüderlichkeit die straffe ”Organisation”, aus der begeisterten Schau das von Partei-Bürokraten ihren Anhängern eingehämmerte Dogma - und damit aus dem nach innerer Freiheit suchenden Menschen wieder der eingeschüchterte Untertan.

Es wird uns zuverlässig überliefert, daß nach Ansicht der Ritter des 14. und 15. Jahrhunderts, aus denen sich schließich das ganze Weltbild des ”Christian Rosencreutz” entwickelte, der Urmensch (Adam) von Gott als Edelmann (nobilis) geschaffen wurde - später aber (durch den Sündenfall) ”seinen Adel verlor”(7): Adel, Freiherrentum ist damit das Geschenk, das eigentlich, nach dem Sinn der Weltschöpfung, jedem Menschen voll zukommt! Dies kann aber nie und nimmer allein durch einen äußeren Gewaltakt (also Sturz einer ungerechten, entarteten Oberschicht!) erzwungen, wiedergewonnen werden - sondern vorerst, eigentlich ausschließlich, durch einen inneren Vorgang, den Gewinn der ”Tugenden”.

Als Vorzug des echten Edelmannes pries man noch im 15. Jahrhundert, so lange sich die Kultur der provenzalisch-burgundischen Minnesänger auswirken konnte, die Fähigkeit, wie Adam im Paradiese das Göttliche in dem ihm von Gott geschenkten Mitmenschen, also im Weibe, wiederzuerkennen: König Salomo mit seinem Hohelied war da Vorbild und Gewahrsmann.(8)

Und auch hier blieben die Rosenkreuzer nach 1600, zumindest nach den Zeugnissen ihres Gegners Libavius, die treuen Nachkommen jener Ritter, wenn sie versuchen wollten, ”alles zum ersten Stande des Adams oder Salomonis” zu bringen.(1)

Wiederum lernen wir hier zweierlei: Einmal, daß der ursprüngliche glückliche Zustand (erster Stand), wie ihn Gott für den Menschen erschaffen haben soll, nach den Rosen-Rittern gar nicht eine ferne, verlorene Urzeit darstellte, sondern daß sie überzeugt waren, daß dieses ”verlorene Paradies” in späteren Jahrtausenden, z. B. durch einen Weisen wie Salomo, zuruckgewonnen werden könnte und damit sicher in ihren Zeiten wiedergefunden werden könne.

Zweitens: Daß dieser ”Zustand” dem Einzelnen gar nicht von außen, von oben, also z.B. durch irgendwelche idealistische Revolutionäre, als Geschenk zuzufallen vermag: Durch Wissen und Güte muß ihn der Mensch selber ”erwerben”, wofür eben den Rittern des ausgehenden Mittelalters, genau wie den späteren Rosenkreuzern und Freimaurern, König Salomo ein Sinnbild blieb. Für die orientalischen Mythen, die hundertfach während der Kreuzzüge auch nach Europa drangen und die die Erzählungen von Bibel und Koran noch unendlich ausschmückten, war er ein unermüdlich Liebender, Naturerforscher und Gottsucher auf dem Königsthron.

Unter ihrer ”Universal-Reformation” verstanden damit die Rosenkreuzer - und eigentlich alle die späteren, von ihnen ausgehenden Gemeinschaften bis in unsere unmittelbare Gegenwart - tatsächlich eine ”Verwandlung der Welt”, aber nicht durch die Gewalt von äußeren politischen Umwälzungen, sondern durch die ”Königliche Kunst der ”Umwandlung” von sich selber, durch Liebe und Wissen, durch die wiedererworbene Fähigkeit, die Welt als ein schöpferisches Spiel göttlicher Kräfte zu sehen.

Im Propagandalärm der sich gegenseitig zerfleischenden Gruppen, die der im 19. Jahrhundert des Industrialismus leidenden Menschheit wieder einmal die Wiedereinführung glücklicher Urzustände versprachen, ging leider sehr rasch viel vom Wissen um die Herkunft von einigen der wichtigsten Bestandteile der ganzen von ihnen verbreiteten ”Ideologien” verloren.


Anmerkungen:
(1) W. E. Peukert / Das Rosenkreuz. Hrsg. v. R. C. Zimmermann. 2 Aufl., Berlin 1973.
(2) Vgl. Golowin / Lustige Eid-Genossen, Von der phantastischen Geschichte d. freien Schweiz. Zürich 1972.
(3) Vor allem: A. Viatte / Les sources occultes du Romantisme francais. Paris 1928.
(4) W. Weitling / Das Evangelium eines armen Sünders. Bern 1843.
(5) K. Marx, F. Engels / Werke. Berlin 1956, 1,404 f.
(6) E. Bloch, in: Die Erhebung, Jahrbuch f. neue Dichtung u. Wertung, Hrsg. v. A. Wolfenstein, 2. Berlin 1920, 252 ff. - Abgedruckt in: Der Aktivismus 1915-1920, Hrsg. v. W. Rothe, München 1969, 135.
(7) B. Reber / F. Hemmerlin v. Zürich. Zürich 1846, 226.
(8) Reber / Hemmerlin, 241.

Aus: Sergius Golowin / Hexen, Hippies, Rosenkreuzer - 500 Jahre magische Morgenlandfahrt. (1977).


Dank an Sergius Golowin.



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