|
|
Gustav Landauer:
AUFRUF ZUM SOZIALIMUS
Heute ergeht der Aufruf zum Sozialismus an alle, nicht in dem Glauben,
daß alle ihn vollbringen könnten weil wollten, sondern
in dem Wunsche, einzelne zum Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit,
zum Bunde der Beginnenden zu fordern.
Die Menschen, die es nicht mehr aushalten können und wollen,
das sind die, die hier gerufen werden.
Den Massen, den Völkern der Menschheit, Regierenden und Regierten,
Erben und Enterbten, Bevorzugten und Betrogenen wäre zu sagen:
Es ist eine riesengroße unauslöschliche Schande der Zeiten,
daß um des Profits willen gewirtschaftet wird, statt für
die Notdurft der in Gemeinden geeinigten Menschen. All euer Kriegszustand,
all euer Staatswesen, all eure Unterdrückung der Freiheit, all
euer Klassenhaß kommt von der brutalen Dummheit, die über
euch herrscht.
Käme heute euch Völkern allesamt der große Moment
der Revolution auf einmal, wo wolltet ihr Hand anlegen? Wie wollt
ihr es erreichen, daß in der Welt, in jedem Lande, in jeder
Provinz, in jeder Gemeinde keiner mehr hungert, keiner mehr friert,
kein Mann und keine Frau und kein Kind mehr unterernährt ist?
Nur vom Gröbsten zu reden! Und gar, wenn die Revolution in einem
einzelnen Land ausbräche? Was könnte sie nützen? Wohin
könnte sie zielen?
So ist es nicht mehr, wie es gewesen ist, daß man den Menschen
eines Volkes sagt: Euer Boden trägt, was ihr braucht, an Nahrung
und Rohprodukten der Industrie: arbeitet und tauscht! Vereinigt euch,
Arme, kreditiert euch gegenseitig; Kredit, Gegenseitigkeit ist Kapital;
ihr braucht keine Geldkapitalisten und keine Unternehmerherren; arbeitet
in Stadt und Land; arbeitet und tauscht!
So ist es nicht mehr, selbst wenn der Moment zu erwarten stünde,
wo große, umfassende Maßnahmen ins Ganze zu schlagen waren.
Ein ungeheures Durcheinander, ein wahrhaft viehisches Chaos, eine
kindische Hilflosigkeit entstünde im Augenblick einer Revolution.
Nie waren die Menschen unselbständiger und schwächer als
jetzt, wo der Kapitalismus zu seiner Blüte gelangt ist: zum Weltmarkt
des Profits und zum Proletariat.
Keine Weltstatistik und keine Weltrepublik kann uns helfen.
Rettung kann nur bringen die Wiedergeburt der Völker aus dem
Geist der Gemeinde!
Die Grundform der sozialistischen Kultur ist der Bund der selbständig
wirtschaftenden und untereinander tauschenden Gemeinden.
Unser Menschengedeihen, unsre Existenz hängt jetzt davon ab,
daß die Einheit des einzelnen und die Einheit der Familie, die
uns allein noch an natürlichen Verbänden geblieben sind,
sich wieder steigert zur Einheit der Gemeinde, der Grundform jeder
Gesellschaft.
Wollen wir die Gesellschaft, so gilt es, sie zu erbauen, gilt es,
sie zu üben.
Gesellschaft ist eine Gesellschaft von Gesellschaften von Gesellschaften;
ein Bund von Bünden von Bünden; ein Gemeinwesen von Gemeinschaften
von Gemeinden; eine Republik von Republiken von Republiken. Da nur
ist Freiheit und Ordnung, da nur ist Geist; ein Geist, welcher Selbständigkeit
und Gemeinschaft, Verbindung und Unabhängigkeit ist.
Aus: Gustav Landauer / Aufruf zum Sozialismus (1911).
- Gustav Landauer / Aufruf zum Sozialismus
- Gustav Landauer / Stelle Dich, Sozialist!
- Gustav Landauers Leben und Werk
- Gustav Landauers
Gemeinschaftsutopie
- Gustav
Landauer und die Räterepublik
"Anarchie ist nur ein anderer, in seiner Negativität und besonders starken Mißverständlichkeit weniger guter Name für Sozialismus.
Wahrer Sozialismus ist der Gegensatz zu Staat und kapitalistischer Wirtschaft; er ist ein Bestreben, mit Hilfe eines Ideals eine neue Wirklichkeit
zu schaffen."
Gustav Landauer (1870-1919)
|