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ROBERT JUNGK ÜBER ZUKUNFTSWERKSTÄTTEN
Auszug eines Interviews mit Robert Jungk (1913-1994) von Wolfgang Weirauch aus dem Jahr 1989.
Was sind die Zukunftswerkstätten und wie kamen Sie auf die
Idee?
R. Jungk: Diese Idee geht auf eine entscheidende Wende in meinem
Leben zurück, und zwar war dies in den fünfziger Jahren,
als ich in Hiroshima war. Es war in dem Moment, als zwei alte Leute
mit mir sprachen und mich fragten: "Wie war es möglich,
daß die Atomwissenschaftler nichts von diesen verheerenden
Langzeitfolgen gewußt haben." Sie meinten besonders auch
die Spätschäden, die sie selbst erlitten, denn es waren
zwei sterbende Menschen, bei denen sich die Leukämie erst ca.
zehn Jahre nach dem Abwurf der Atombomben bemerkbar gemacht hatte.
Ich war damals Reporter und bemerkte, daß ich eigentlich immer
nur den News hinterherrannte, aber nur selten daraus die Konsequenzen
zog. Mir ging plötzlich auf, daß es höchst wichtig
sei, die künftigen Folgen heutigen wissenschaftlich-technischen
Handelns aufzuzeigen. Der Beginn mit der Beschäftigung der
Zukunft ist der Augenblick gewesen, in dem ich mir klargemacht habe,
daß ein verantwortliches Handeln nur dann möglich ist,
wenn man weit über den gegenwärtigen Augenblick hinausdenkt
und bei allem Handeln die möglichen Folgen für die Zukunft
miteinbezieht. Das bedeutet allerdings nicht, daß ich Versuche
unternommen habe,die Zukunft vorauszusagen.Vielmehr ist das "Prinzip
Verantwortung" im Sinne von Hans Jonas mein Leitfaden geworden.
Zu diesem Zeitpunkt begann meine Tätigkeit als "Zukunftsforscher".
Ich habe dann in Paris bei Bertrand de Jouvenel gelernt, daß
eine solche Zukunftsforschung im deutschen Sprachraum noch nicht
vorhanden war und anschließend in Wien mit Unterstützung
des Erziehungsministeriums ein Institut für Zukunftsfragen
gegründet.
Aber nach einiger Zeit wurde mir deutlich, daß sich mit Zukunftsfragen
vorwiegend Experten beschäftigten und die Bürger ausgeschlossen
waren. 1967 haben wir in Oslo eine Konferenz von Teilnehmern aus
fünfzehn oder sechzehn Ländern, abgehalten, die aufgrund
einer Anfrage eines Kanadiers an mich entstand. Er fragte mich,
ob ich eine Idee für die Friedensbewegung hätte, und ich
habe ihm geantwortet, daß meiner Ansicht nach die Friedensbewegung
- und das gilt bis heute - zu wenig Vorstellungen einer konkreten
zukünftigen friedlichen Welt hat. Um eine Konkretion einer
derartigen friedlichen Zukunftswelt zu bekommen, haben wir in Zusammenarbeit
mit den Quäkern eine Ausstellung - "Menschheit 2000"
- vorbereitet. Die englische Labour-Regierung unter stützte
dieses Projekt. Es wurde vor seiner Vollendung fallengelassen, als
sie von den Konservativen abgelöst wurde. Immerhin haben wir
dann alle, die sich für dieses Ausstellungsprojekt interessiert
haben, in der Konferenz in Oslo im Jahre 1967 zusammenge bracht.
Dies war die erste internationale Konferenz von "Zukunftsforschern".
In einer Diskussion kam heraus, daß die Experten, die Politiker
und die Industriemanager die Zukunft "kolonisieren". Früher
kolonisierte man sich nur den Raum, jetzt begann man damit, sich
die Zeit durch Vorausplanung zu unterwerfen. Aus dieser Erkenntnis
entsprang die Frage, wie wir möglichst viele Menschen an dem
Entwurf und der Gestaltung des Kommenden beteiligen könnten.
Mein Bemühen ging in die Richtung, Wege zu finden, wie man
die soziale Kreativität der Menschen stärker entfachen
könne. In diesem Zusammenhang habe ich mich mit der amerikanischen
Kreativitätsforschung beschäftigt und stieß dabei
auf die Idee des "Brainstorming" von Osborne, der diese
Phantasietechnik allerdings nur für die Wirtschaft zur Kreation
neuer Produkte anwenden lassen wollte. Ich konnte nicht einsehen,
daß man dieses kreative Vorgehen nur für die Ökonomie
anwenden sollte und habe es deswegen auf die Erfindung von besseren
sozialen und politischen Zukünften übertragen. So habe
ich Anfang der sechziger Jahre die ersten Zukunftswerkstätten
ins Leben gerufen, in denen Betroffene Begegnungen miteinander haben
und versuchen, ihre verschütteten Potentiale freizulegen und
gedanklich soziale Veränderungen vorzubereiten.
Wie haben Sie diese Zukunftswerkstätten aus Ihrem engeren
Umkreis in die breite Bevölkerung gebracht?
R. Jungk: Zunächst sprach es sich rum, blieb aber noch im
Rahmen von Menschen, die sich bereits mit Zukunftsfragen beschäftigten.
Die ersten Zukunftswerkstätten gab es in Wien, zum Beispiel
am 1. Mai mit den Jungsozialisten, zur Zeit der Regierung Kreisky.
Ich habe sie angeregt, sich einmal nicht mit den üblichen Massendemonstrationen
zu begnügen, sondern ihren sozialistischen Ministern eigene
Zukunftsvorstellungen vorzulegen. Im Museum des 20. Jahrhunderts
haben wir damals vier Regierungsmitgliedern die Zukunftsideen der
Jugend vorgestellt und das hat ihre weitere Arbeit beeinflußt.
Die Methode der Zukunftswerkstätten sprach sich dann weiter
herum, ich wurde von den verschiedensten Gruppen gebeten, solche
Veranstaltungen zu leiten. 1968 bekam ich eine Honorarprofessur
für Zukunftsforschung an der TU in Berlin. Es war die 68er-Bewegung,
die durchgesetzt hat, daß ich diese Professur bekam. Dann
habe ich an der Uni nicht nur meine Vorlesungen gehalten, sondern
zusammen mit den Studenten Zukunftswerkstätten durchgeführt.
Letztendlich erwies sich aber der universitäre Rahmen als zu
klein, so daß wir aus den Hörsälen in das Freie
gingen, zum Beispiel auf die Straße oder in die Vorhallen
der Uni, durch die sehr viele Menschen gehen. Wir haben das gemacht,
um Passanten anzusprechen, die nicht mit der Hochschule zu tun haben.
Auch bei der Olympiade von 1972 haben wir Zukunftswerkstätten
auf der sogenannten "Spielstraße" durchgeführt.
Welcher Art war diese Zukunftswerkstatt?
R. Jungk: Wir haben zum Beispiel Spiele versucht, die zeigten,
wie sich der rivalisierende Leistungssport immer weiter bis hin
zur Kriegsführung entwickeln könnte. Nach einem solchen
Spiel war dann Gelegenheit gegeben, ausführlich darüber
zu sprechen, wie man diesem Aggressionssport andere Möglichkeiten
eines kooperativen "sanften" Sports gegenüberstellen
könnte. - Sehr viel bewirkt hat auch der Artikel, "Statt
auf den großen Tag zu warten", den ich Anfang der siebziger
Jahre für das Kursbuch geschrieben habe. Meine Frau drängte
mich immer wieder, die Grundlagen und Erfahrungen dieser Zukunftswerkstätten
aufzuschreiben. Anfänglich habe ich immer gezögert, weil
ich befürchtete, daß dann daraus wieder eine Methodik
für Experten entstehen könnte, aber schließlich
habe ich es dann doch getan. Zusammen mit einem meiner ehemaligen
Studenten an der TU, Dr. Norbert Müllert, haben wir dann das
Buch "Zukunftswerkstätten". Wege zur Wiederbelebung
der Demokratie" verfaßt. Dieses Buch hat sehr viel Aufmerksamkeit
erregt, und man begann auch in anderen Ländern mit Zukunftswerkstätten
zu experimentieren. In England wurde ein "Institut für
soziale Erfindungen" gegründet, in Dänemark hat dieses
Buch am aller stärksten gewirkt und ist dort bereits in der
3. Auflage verbreitet. In Dänemark sind diese Zukunftswerkstätten
wohl deswegen so stark aufgegriffen worden, weil die Grundtvigsche
Idee der Volkshochschulen dort so stark verbreitet ist. Professor
Alfarenko aus der Sowjetunion hat auch die Idee der sozialen Erfindungen
durch aktive Teilnahme der Bürger übernommen und in der
kommunistischen Jugendzeitung eine Rubrik geschaffen, für die
man neue soziale Ideen einsenden kann. Die Schweiz ist nach Dänemark
dasjenige Land, in denen die meisten Zukunftswerkstätten gemacht
werden.
Diese Methode hat sich inzwischen weit verbreitet, daß ich
gar nicht mehr in der Lage bin zu überschauen, wer alles mit
diesen Werkstätten arbeitet: Ich halte in Lüneburg einen
Vortrag und erfahre beiläufig, daß die dortige Pädagogische
Hochschule Zukunftswerkstätten als pädagogisches Konzept
integriert hat, ich sitze in einem Restaurant in der Nähe von
Marl, wo gleichzeitig eine Sitzung der IG Metall ist, und erfahre
dort ebenfalls, daß diese Gewerkschaft bereits seit zwei Jahren
mit Zukunftswerkstätten arbeitet. Diese Verbreitung durch "Mundpropaganda"
finde ich viel aufregender als die Verbreitung des Buches, weil
ich merke, daß sie aus einer Notwendigkeit entspringt, aus
der Empfindung vieler Menschen, endlich mitreden und mitgestalten
zu müssen.
Wir schreiben das Jahr 1989, zweihundert Jahre nach der Französischen
Revolution; was heißt das für Sie in diesem Jahr: Welche
Revolution haben wir heute zu vollziehen?
R. Jungk: Man sollte endlich die Ideen der Französischen Revolution
ernst nehmen. Die Französische Revolution hat nur einen Bruchteil
ihrer Versprechungen erfüllt, denn wir haben bis heute keine
wirkliche Freiheit. Die heutigen Menschen sind auf vielfältigste
Weise beherrscht. Nur in einem Klima größerer Freiheit
kann soziale Phantasie sich entwickeln. Dadurch kann es bewirkt
werden, daß neuartige Vorhaben nicht nur am Rande dahinvegetieren
oder als gegen die Gesellschaft gerichtet verketzert werden. Die
in die Krise geratenen Gesellschaften sollten experimentell eingestellt
sein, denn das verheißt ihnen Rettung.
Gleichheit unter heutigen Bedingungen bedeutet für mich, daß
jeder Mensch die Chance haben sollte, überall gleichberechtigt
mitzuplanen und mitzuarbeiten, also wirkliche Partizipation.
Als Brüderlichkeit erhoffe ich erhöhte menschliche Zuwendung,
Freundschaft und Liebe. Für mich ist es immer ein echtes Erlebnis
gewesen, daß die heutigen sozialen Bewegungen nicht nur aus
Ideen leben, sondern auch auf persönliche Freundschaft, Sympathie
und gemeinsames Erleben und Handeln gebaut sind. Was mich immer
gestört hat, sind starre politische Programme. Es hat mir immer
sehr wehgetan, daß politisch engagierte Menschen zum Werkzeug
einer Ideologie gemacht worden sind. Das Neue an den heutigen sozialen
Bewegungen ist dagegen, daß hier der Mensch selbst etwas in
Bewegung bringt, daß menschliche Beziehungen und Freundschaften
entstehen und daß in ihnen der "Wärmestrom des Sozialismus" lebt.
Die Bedrängnisse der Krisen und die sich häufenden Zusammenbrüche
können zwei Folgen haben: Zum einen können die Menschen
durch Katastrophen geknickt oder gelähmt werden, zum anderen
aber kann sie der drohende Zusammenbruch lebendig machen, er kann
sie aktivieren, so daß sie sich zu wehren und nachzudenken
beginnen, wie sie diese Lage verändern könnten. Und auf
diese Chance setze ich! Ich setze auf die motivierende Kraft der
Krise und glaube nicht an jeglichen Untergangspessimismus.
Quelle: www.muenster.org/mehr-demokratie/archiv/l_12.htm
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ZUKUNFTSWERKSTÄTTEN
Ziel der Arbeit in Zukunftswerkstätten ist, jeden interessierten Bürger in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen, die sonst nur Politikern,
Experten und Planern vorbehalten ist. Wir wollen dem einzelnen Mut machen und ihm zeigen, daß er durchaus über große Ziele mitreden
kann. Denn auch seine Erfahrungen und die daraus erwachsenen Wünsche sind für die Gestaltung der Zukunft wichtig...
Die eigentliche Werkstattarbeit spielt sich in drei aufeinanderfolgenden Phasen ab: der Beschwerde- und Kritikphase, der Phantasie und Utopiephase,
sowie der Verwirklichungs- und Praxisphase, die in Vor- und Nachbereitungstätigkeiten eingebettet sind:
VORBEREITUNGSPHASE:
Themaankündigung; Werkstattort; Arbeitsmaterialien Papierbogen, Klebeband und Filzstifte); Einführung in die Arbeitsweise.
KRITIKPHASE:
In der Gruppe Kritik am Thema äußern und in Stichworten auf die Papierbogen schreiben; aus der entstandenen Kritiksammlung das wichtigste
auswählen; Kritikthemenkreise oder aussagen.
PHANTASIEPHASE:
Im Brainstorming zum Kritikergebnis Lösungen, Vorschläge, Ideen auf dem Papierbogen sammeln; in Phantasiekreisen oder utopischem Entwurf
präzisieren.
VERWIRKLICHUNGSPHASE:
Kritische Prüfung der Lösungen, Durchsetzungsmöglichkeiten abschätzen; Verwirklichungsschritte für eine Aktion oder ein
Projekt angeben.
NACHBEREITUNGSPHASE:
Protokoll der Werkstatt; Ergebnisse verbreiten; Weiterarbeitungsvorschlag; ein Projekt verwirklichen (permanente Werkstatt).
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Robert-Jungk-Bibliothek,
Robert-Jungk-Platz 1,
A-5020 Salzburg,
Österreich.
www.jungk-bibliothek.at
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