Friedrich Nietzsche:
EINEN TANZENDEN STERN GEBÄREN
Als Zarathustra diese Worte gesprochen hatte, sahe er wieder das
Volk an und schwieg. Da stehen sie,
sprach er zu seinem Herzen, da lachen sie: sie verstehen mich
nicht, ich bin nicht der Mund für diese Ohren.
Muss man ihnen erst die Ohren zerschlagen, dass sie lernen, mit
den Augen hören? Muss man rasseln gleich Pauken und Busspredigern?
Oder glauben sie nur dem Stammelnden?
Sie haben Etwas, worauf sie stolz sind. Wie nennen sie es doch,
was sie stolz macht? Bildung nennen sie's, es zeichnet sie aus vor
den Ziegenhirten.
Drum hören sie ungern von sich das Wort Verachtung.
So will ich denn zu ihrem Stolze reden.
So will ich ihnen vom Verächtlichsten sprechen: das aber ist
der l e t z t e M e n s c h.
Und also sprach Zarathustra zum Volke:
Es ist an der Zeit, dass der Mensch sichsein Ziel stecke. Es ist
an der Zeit, dass der Mensch den Keim seiner höchsten Hoffnung
pflanze.
Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst
arm und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen
können.
Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner
Sehnsucht über den Menschen hinaus wirft, und die Sehne seines
Bogens verlernt hat, zu schwirren!
Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden
Stern gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch
Chaos in euch.
Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebären
wird. Wehe! Es kommt die Zeit des verächtlichsten Menschen,
der sich selber nicht mehr verachten kann.
Seht! Ich zeige euch den l e t z t e n M e n s c h e n.
Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht?
Was ist Stern? - so fragt der letzte Mensch und blinzelt.
Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte
Mensch, der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar,
wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten.
Wir haben das Glück erfunden - sagen die letzten
Menschen und blinzeln.
Sie haben die Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn
man braucht Wärme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich
an ihm: denn man braucht Wärme.
Krank-werden und Misstrauen-haben gilt ihnen sündhaft: man
geht achtsam einher. Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen
stolpert!
Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel
Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben.
Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt,
dass die Unterhaltung nicht angreife.
Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer
will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.
Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich:
wer anders fühlt, geht freiwillig in's Irrenhaus.
Ehemals war alle Welt irre - sagen die Feinsten und
blinzeln.
Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein
Ende zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich
bald - sonst verdirbt es den Magen.
Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen
für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit. Wir haben
das Glück erfunden - sagen die letzten Menschen und blinzeln.
Und hier endete die erste Rede Zarathustra's, welche man auch die
Vorrede heisst: denn an dieser Stelle unterbrach ihn das Geschrei
und die Lust der Menge. Gieb uns diesen letzten Menschen,
oh Zarathustra, - so riefen sie - mache uns zu diesen letzten Menschen!
So schenken wir dir den Übermenschen! Und alles Volk
jubelte und schnalzte mit der Zunge. Zarathustra aber wurde traurig
und sagte zu seinem Herzen:
Sie verstehen mich nicht: ich bin nicht der Mund für
diese Ohren.
Zu lange wohl lebte ich im Gebirge, zu viel horchte ich auf Bäche
und Bäume: nun rede ich ihnen gleich den Ziegenhirten.
Unbewegt ist meine Seele und hell wie das Gebirge am Vormittag.
Aber sie meinen, ich sei kalt und ein Spötter in furchtbaren
Spässen.
Und nun blicken sie mich an und lachen: und indem sie lachen, hassen
sie mich noch. Es ist Eis in ihrem Lachen.
Aus:
Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra (1883-1891).
Friedrich Nietzsche (1844-1900):
Alle Lust will Ewigkeit
Die Krähen schreien
Einen tanzenden Stern gebären
Der Zauber des Dionysischen
Gott ist tot
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