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NW.:
RITUALE DER VERÄNDERUNG
Als Gott Adam erschuf, sagte er: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Daher erschuf er für ihn eine Frau, ebenfalls aus Erde und nannte sie Lilith. Sobald sie geschaffen war, begann sie einen Streit und sagte: Warum soll ich unten liegen? Ich bin ebenso viel wert wie du, wir sind beide aus Erde geschaffen. Als Lilith aber sah, daß Adam kein Verständnis zeigte, sprach sie den unaussprechlichen Gottesnamen aus und zog davon. Darauf sandte Gott drei Engel, die sie zurückbringen sollten, aber sie verweigerte sich und wurde verbannt...
- Aus einer Lilith-Sage des 8. Jhds. -
Rituale haben gleichermaßen als eigenständiges Ereignis,
wie auch als Element von Festen mehrere Funktionen. Sie sollen dazu
beitragen, innere Mauern zu überwinden und eine zwischenmenschliche
Nähe zu entwickeln. Sie dienen zudem zur Konzentration von
Energien und zum bewußten Erkennen, Erfahren und Beeinflussen
verschiedenster Abläufe. Der magische Charakter vieler Rituale
ist dabei weder ein Ergebnis übernatürlicher Einflüße
noch eine Folge abergläubischer Einstellungen. Vielmehr ist
die Magie, wie die Hexe Starhawk sagt, die Kunst, die unsichtbaren
durch die Welt strömenden Kräfte zu spüren und zu
gestalten, um tiefere Bewußtseinsschichten hinter dem Rationalen
zu wecken.
Eines der ältesten Rituale, welches auch heute noch ausgeübt
wird, ist das Ritual der Jahreszeiten. In ihm werden an acht, gleichmäßig
über das Jahr verteilten Terminen die Zyklen der Jahreszeiten
gefeiert, deren Wechsel sich unter anderem in den Sonnenwenden ausdrücken.
Zu Grunde liegt das Verständnis eines Kreislaufes, der keinen
endgültigen Tod, sondern nur fließende Übergänge
von einem Zustand in einen folgenden kennt. Wie die Feste im einzelnen
gefeiert werden, hängt von der Ausrichtung der verschiedenen
Gruppen und Zirkel ab. So bestehen neben den Jahreszeiten-Ritualen,
die sich an alten matriarchalen Mythen und Symbolen orientieren,
auch Rituale, bei denen die Schwerpunkte in gruppendynamischen oder
psychotherapeutischen Prozessen liegen. In den achtziger Jahren
erhielten zudem feministische und ökologische Auslegungen von
Ritualen eine größere Verbreitung.
Die Performance-Künstlerin Mary Beth Edson betont in ihrer
Definition von Ritualen das Verhältnis von innerer und äußerer,
von individueller und gesellschaftlicher Veränderung. Es
klärt nachhaltig den Geist und hilft Perspektiven zu finden.
Dinge, die mit dem Ritual nichts zu tun haben, die Psyche aber besetzt
halten, lösen sich plötzlich. Es erzeugt Einsichten in
Lebenssituationen, du gehst gestärkt weg und bist bereit, diese
Dinge zu lösen. Rituale sind daher eine Technik Probleme zu
lösen, weil sie uns ganz direkt zu unseren eigenen Einsichten
und unserem Wesen führen. Sie bringen uns persönliche
Informationen, die wir schon längst haben, voll zu Bewußtsein.
Edson entwickelte selbst eine Reihe von Performance-Darbietungen,
in denen die Übergänge zum Ritual fließend sind.
Vielfach bezog sie sich dabei auf die natürlichen Elemente
und stellte in diesem Zusammenhang den Menschen ausdrücklich
als einen Teil der Natur dar. In anderen Aufführungen beschrieb
sie die Unterdrückung der Frau und griff darüber hinaus
Formen des antipatriarchalen Widerstandes auf. Zu diesen Aufführungen
gehört das 1978 realisierte Projekt Erinnerung an neun
Millionen Frauen, die als Hexen in der christlichen Ära verbrannt
wurden. Ausgangspunkt war ein Raum, in dem eine Leiter aufgestellt
war, welche von kleinen Flammen, sowie von Tischen mit Informationsmaterial
zu den Hexenverfolgungen umgeben war. In der Halloween-Nacht tanzten
im Rahmen der Performance neun Frauen in diesem Raum und zitierten
aus den Dokumenten. Danach gingen sie auf die Straßen von
Soho in New York und sangen: Die Göttin ist hier, die
Göttin sind wir!.
Rituale können in vieler Hinsicht in die gesellschaftliche
Realität eingreifen. Ganz konkret geschah dies mehrfach während
der im wesentlichen von einem Frauenfriedenscamp getragenen Blockade
der NATO-Air-Base von Greenham Common. Das direkt neben der Air
Base errichtete Camp wurde zu einem Symbol für den Widerstand
gegen die Stationierung von Cruise-Missile-Raketen in England und
darüber hinaus für den Widerstand gegen das herrschende
patriarchale System.
Im Dezember 1983 organisierten Frauen aus dem Camp unter dem Motto Sounds around Greenham eine ritualhafte Aktion. Sie
riefen dazu auf, mit Klangkörpern jeglicher Art gegen die Air
Base symbolhaft anzuspielen. Zudem waren Schweigeminuten geplant,
die von gemeinsamen Gesängen abgelöst werden sollten.
Ein weiteres Element des Rituals war ein Tanz der beteiligten Frauen
im umliegenden Wald und um die Air Base herum, sowie die Umgarnung
der Zäune mit Wollfäden. Rund 50.000 Frauen folgten dem
Aufruf. Sie umschlossen und überschwemmten die Base.
Ihre Hände griffen in den Maschinenzaun. Sie zogen und rüttelten
bis der Zaun mitsamt den Zementpfosten wankte, herausriß und
zusammenbrach. Begleitet vom Gesang der Glocken und Pfannen, auf
denen getrommelt wurde und von Singen und Geheule. Die Autoritäten
rächten sich mit stählerner Gewalt. Aber die Frauen sangen:
Alt und stark geht sie weiter und weiter. Du kannst ihren
Geist nicht töten. Sie ist wie ein Berg...
Besonders für Feste mit vielen TeilnehmerInnen entwickelte
der Hexenzirkel Ursa Maior in der ersten Hälfte der siebziger
Jahre ein Körperritual, das bei einem Frauenfest und in etwas
veränderter Form bei einem gemischten Fest zur Sommersonnenwende
mit vierzig bzw. hundertfünfzig Beteiligten durchgeführt
wurde. In ihm spiegeln sich beispielhaft psychologische, politische
und spirituelle Elemente des neuen Hexenkultes in einer ganzheitlichen
Form. Es ist politisch wichtig, Kontrolle über unsere
Körper zu erlangen, indem wir ihn lieben, für ihn sorgen
und ihn heilen, ihn stark machen und Bande der Frauenliebe zwischen
den Körpern schaffen. Deshalb brauchen wir ein Ritual, daß
unsere Selbstliebe bestätigt, uns heilt, uns stärkt und
unsere Sexualität positiv verstärkt. Wenn wir die Beziehungen
zwischen den verschiedenen Teilen unseres Körpers verstehen,
fangen wir an, die möglichen Strukturen für Beziehungen
zwischen getrennten irdischen Körpern und sogar irdischen und
himmlischen Körpern (Mondin, Sterne, Planeten) zu erkennen.
Das Ritual begann mit dem Aufbau eines großen Kreises durch
einen Geburtsritus. Zwei Frauen bildeten mit ihren Armen einen
Bogen und jede Frau lief hindurch und schloß sich der Reihe
an, um die Hälfte eines neuen Bogens zu bilden, bis ein langer
Tunnel entstand. Jede hindurchkommende Frau wurde von jedem Paar
im Tunnel umarmt, geküßt und bekam gesagt: Durch Frauen
wurdest du in diese Welt geboren. Durch Frauen wirst du in diesen
Kreis geboren.
Dem Geburtsritus folgten einige Lieder, Gedichte und Tänze,
die sich mit dem Verhältnis der Frauen zu ihrem Körper
auseinandersetzten. Die patriarchale Herrschaft bewirkte über
die Jahrhunderte, daß gerade in der gegenwärtigen Zeit
viele Frauen ein völlig entfremdetes Verhältnis zu ihrem
Körper haben. Besonders deutlich wird dies im Zusammenhang
mit der Menstruation, die, entsprechend der Werbung der großen
Konzerne, von einer großen Anzahl Frauen als etwas negatives
und unreines empfunden wird. Dadurch wird verhindert, daß
die natürlichen Vorgänge im eigenen Körper als solche
akzeptiert werden und die mit der Menstruation verbundenen Energien
erkannt und genutzt werden.
Die Lieder und Gedichte zielten darauf, über die Schaffung
und Nutzung von symbolhaften Bildern ein verändertes Bewußtsein
und ein neues Verhältnis zum Körper zu erlangen, um die
herrschenden Definitionen aufzubrechen und zu überwinden. Entsprechend
heißt es im Bauchlied: Mein Bauch ist die Erde: Sie
gibt Nahrung, sie gibt Leben. Aus meinem Bauch fließt Blut
auf die Mitte der Erde, wo es sich in Milchblumen verwandelt. Mein
Bauch ist der Ozean! Er hat Ebbe und Flut... Eine Frau stirbt mit
jeder Mondin. Und das ganze Universum wurzelt in ihrem Grab ohne
zu klagen. Sie wird zurückkommen, größer als das
Leben und sich wieder im Abendhimmel erheben...
Nach dem Lied nahmen zwei Frauen einen Kelch mit dunklem Frauenblut
und gingen im Kreis herum, tauchten ihre Hände hinein, bemalten
das Gesicht jeder Frau und sagten: Dies ist das Blut, das
Erneuerung verspricht. Dies ist das Blut, das Nahrung verspricht.
Dies ist das Blut, das Leben verspricht. Später wurde
ein Lied gesungen, in dem Geräusche von Frauen während
der Geburt, der Liebe und der Arbeit nachgeahmt wurden. In einem
weiteren Lied wurde die Unterdrückung des Rechts der Frau über
ihren eigenen Körper selbst zu entscheiden, in einen gesamtgesellschaftlichen
Zusammenhang mit der Zerstörung der Umwelt gestellt. Anschließend
hielten sich die Frauen in einem großen Kreis an den Händen.
Eine Frau nahm ein rotes Garn und reichte es im Kreis herum bis
alle miteinander durch dieselbe Nabelschnur, durch dasselbe
Blut mit derselben Mutter, denselben Schwestern verbunden
waren. Nachdem das Garn aufgeschnitten und jeder Frau, als Zeichen
der Verbindung, ein Stück davon umgebunden worden war, endete
das Ritual.
Kultur der Hexen
gNW.
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