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San Fichtner & Wolfgang Sterneck:
SATANA IM SPIEGELBILD
- Kodes eines medialen Mordes -
Ich bin der, zu dem ihr mich macht. Was ihr braucht ist ein
Teufel, ihr wollt einen sadistischen Besessenen, denn das ist es,
was ihr seid. Ihr projiziert nur auf mich was ihr selbst seid ... - Charles Manson -
Auf der Flucht wurde im Sommer 2001 das Ehepaar Manuela und Daniel
Ruda von der Polizei gestellt. Beide bekannten sich zu dem gemeinschaftlich
begangenen Mord an einem Bekannten im westfälischen Witten
auf den sie genau 66-mal einstachen und einschlugen. Den Auftrag,
so sagten sie übereinstimmend aus, habe ihnen Satan erteilt.
Das Opfer sei so von seinem unwerten Leben befreit und von
seiner Schmach erlöst worden.
Der Ablauf des Mordes, die darauf folgende Flucht und insbesondere
auch die Gerichtsauftritte während des Prozesses waren voller
Kodierungen, voller Bezüge auf Kult-Filme wie Natural
Born Killers und Ikonen der Gothic-Szene. Eine Hommage an
vermeintliche und reale Vorgänger in Zitaten und Symbolen,
die weitgehend weder Justiz noch Presse entschlüsseln konnten.
Bewusste Inszenenierungen in denen Manuela und Daniel Ruda ihre
Rollen nicht nur spielten sondern lebten und dabei doch nur Kopien
blieben.
Die Musik von Deicide und Wumpscut diente als klischeebeladener
Soundtrack, während der rote Schriftzug am Wohnungsfenster
einer Referenz an das mit Blut geschriebene Helter Skelter
der Ritualmörder von Sharon Tate entsprach. Im Hintergrund
stand dabei stets der Bezug auf Charles Manson als inneren Begleiter.
Auf der Flucht wurden wie einst in den Film California
die Tatorte von rituellen Morden und Selbstmorden anvisiert. Dem
Hauptdarsteller von Natural Born Killers gleich rasierte
sich Daniel den Kopf kahl und selbst die Pistole lag im Fluchtauto
an der gleichen Stelle wie im Film. Die Auftritte während des
Prozesses inszenierte das Paar dann wie die eines Popstars. Als
wäre es ein Symbol des Sieges wurden die Finger Kamera-gerecht
zum Satanszeichen erhoben. Betont stellte Daniel dabei das überdimensionale
Portrait Klaus Kinskis als Nosferatu auf seinem Pullover zur Schau,
während Manuella Outfits im Stile eines Gothic-Vamps bevorzugte.
Die Sonnenbrille diente ihren Aussagen zufolge zum Schutz vor dem
grellen Licht, welches sie einem Vampir gleichend nicht verträgt.
Wie auf der Kinoleinwand verklärte das Motiv des Wir
beide gegen den Rest der Welt den bewusst gewählten Weg
in den Abgrund. Der verachteten Gesellschaft wurde in diesem Sinne
der völlige Egotrip entgegen gestellt. Über eine Kontaktanzeige
hatten sie sich einst gefunden: Pechschwarzer Vampir sucht
Prinzessin der Finsternis. Es folgte ein kompromissloser Ausbruch
aus allem vorgegebenen, geradezu fatalistisch in seiner Konsequenz.
Eine Begegnung die in einen bizarr-romantischen Snuff-Film mündete,
den man nicht länger von der Couch aus verfolgt, sondern selbst
darin zum Hauptdarsteller wird. Wir lieben uns, bis wir ausgelöscht
sind! hieß es schon bei den Natural Born Killers.
Nach außen gaben sich beide stark, unnahbar und über
allem stehend. Neben der Liebe wurde der personifizierte
Satan zum Halt in einer Lebensperspektive, die
keine mehr war. Vom völlig
missverstandenen Leitbild des Übermenschen ausgehend wurde
gefühllos über alles hinwegschritten, was nicht der eigenen
Scheinwelt entsprach. Die Verachtung von allem
Mittelmäßigen,
Durchschnittlichen und Angepassten entsprach
einer verschwommenen Huldigung an Nietzsche und
Crowley als vermeintliche Väter im
Geiste ohne sie verstanden zu haben. Entsprechend
fehlte jegliches Mitleid mit dem Ermordeten,
er war schlichtweg egal.
Die Mitgliedschaft Daniels in faschistischen Gruppen erklärt
sich vor diesem Hintergrund. Der Sozialdarwinismus diente hier als
Ideal eines Einzelgängers, den die Gesellschaft selbst an ihren
Rand gedrängt hat. Das vorgebliche Recht des Stärken wurde
einmal mehr zu einer Rechtfertigung für diejenigen, die sich
nur dann selbst definieren können, wenn sie auf vermeintlich
Schwächere hinabblicken und ihre eigene Unzulänglichkeit
an ihnen auslassen können. Und so war auch die einkalkulierte
Wehrlosigkeit des völlig überraschten Opfers kein Zufall,
sondern Ausdruck einer inneren Haltung.
Doch unter der Oberfläche der äußeren Kodes verbergen
sich die Abgründe der realen Erfahrungen. Die vergebliche Suche
nach einem Platz in dieser Welt, den es für beide nicht gab.
Die angebotenen Wege verschmähend fanden sie den eigenen erst
in Verweigerung und Destruktion. Manuela entsprach dabei einem Mensch,
der an der Welt verzweifelte, sich gleichzeitig selbstzerstörend
gegen die gesellschaftlichen Werte aufbäumte und diese doch
in ihren Bildern nur bestärkte. Satan war dabei nur ein weiterer
Versuch sich der Frage nach der Verantwortung gegenüber dem
eigenen Leben nicht zu stellen. Wer sich nie bewusst mit den eigenen
Verletzungen auseinandersetzt, wer Enttäuschung und Sehnsucht
nur unreflektiert in Aggression gegen andere auslebt, der wird auch
als Opfer selbst zum Täter.
Der Mord war letztlich weder Ausdruck eines Realitätsverlustes
noch die Ersetzung der vorgegebenen Realität durch eine andere,
sondern nur eine Verschärfung derselben. In diesem Sinne entsprach
er einer Verachtung des Bestehenden und bildete doch gleichzeitig
dessen Adaption. In seinem äußersten Extrem wurde das
gesellschaftlich propagierte Konkurrenzprinzip ausgelebt, gleichzeitig
die zwangsweise erfahrene zwischenmenschliche Kälte im Zuge
eines grenzenlosen Egoismus auf die Spitze getrieben. Für das
Opfer blieb nur ein betont desinteressiertes Achselzucken, der Schmerz
der Hinterbliebenen hatte für die Täter ohnehin keine
Bedeutung. Who cares? Who cares in this fucking world?
Endlich lebe ich! verkündet der mordende TV-Reporter
in Natural Born Killers. Töten um sich selbst zu
erfahren, töten um das Leben zu spüren, um endlich einmal
das eigene Leben zu spüren. Töten um der Mittelmäßigkeit
entfliehen und sich von der Masse abzuheben. Töten um die emotionale
Leere zu füllen, um die eigenen Lügen mit Inhalt zu füllen,
um von der Unfähigkeit sich selbst zu finden abzulenken. Der
Traum einmal das eigene Bild auf der Titelseite zu sehen. Andy Warhol
sprach einst von der Möglichkeit eines jeden für 15 Minuten
zum Superstar zu werden. Die Frage, was nach diesen 15 Minuten folgt,
ließ er unbeantwortet.
Das inzwischen rechtsgültige Urteil lautete auf Einweisung
in die Psychiatrie. Sollte es dort irgendwann einmal zu einer, im
Sinne des Gerichts, erfolgreichen Therapie kommen, folgt eine 13-
bzw. 15-jährige Haftstrafe. Satan führte seine Jünger
in die Abgründe einer ganz irdischen Hölle. Und so sind
Manuela und Daniel Ruda nach ihren Tagen im Brennpunkt der Öffentlichkeit
nur noch eine vage Erinnerung. Eine Erinnerung, die in ihnen selbst
verblassen wird. Mit Medikamenten ruhig gestellt. Sediert. Vergessen.
Die Berichterstattung in den meisten Medien entsprach einer verlogenen
Doppelmoral, welche die Taten zutiefst verurteilte und sie doch
gleichzeitig profitgierig immer wieder präsentierte. Nur die
Sensation zählt, kein Interesse an den tatsächlichen Zusammenhängen.
Eine Effekthascherei für die Auflage, das Styling wird dabei
wichtiger als alles andere. Es ist das Prinzip des Serienmörders
als postmoderner Popstar, welches inzwischen auf dem Fernsehschirm
genauso gilt wie in der Hinrichtungszelle.
Der Auftritt von Satansbraut Manuela (23) und ihrem Mann
Daniel (26) im Landgericht Bochum glich wieder einer Horror-Show.
schrieb die Bild-Zeitung, die täglich von der Front im Gerichtssaal
berichtete. Sie: Grell geschminkt, rote Strähnen, irres
Lachen. Er: Unheimlicher Blick, die Lippen mit seinen scharf gefeilten
Fingernägeln blutig geschnitten. Und am Ende mit vorgespieltem
Entsetzen: Unter den Augen der Justizbeamten dann ein 10 Sekunden
langer Kuss zwischen Satans-Braut und dem Killer. Ein Kuss
der durch die Medien ging, ein Kuss für die Ewigkeit, ein Kuss
wie aus Natural Born Killers.
Mit ihren Auftritten fütterten die Rudas diese Kultur der
medialen Verwertung, die derartige Figuren so sehr braucht wie die
beiden selbst das Blitzlichtgewitter ersehnten. Sie inszenierten
sich auf Kosten eines hilflosen Opfers und wurden gleichzeitig inszeniert.
Manuela und Daniel als Negativbilder dieser Gesellschaft, als Projektionsflächen,
als ein notwendiges Feindbild zur Selbstbestätigung des eigenen
Wahns. Für die Zeit nach dem Mord und während des Prozesses
war es ein gegenseitiges Benutzen. Auf der einen Seite die völlige
Selbstinszenierung, welche überhaupt nur durch ein Publikum
eine Bedeutung erhält, auf der anderen Seite die Höhe
der Auflage. Und doch, wer letztlich in diesem mörderischen
Spiel verliert stand von Anfang an außer Frage.
Ein Sündenbock war mit der Gothic-Kultur, in der sich die
Rudas zum Teil aufgehalten hatten, schnell gefunden. Und so tümmelten
sich plötzlich Reporter und TV-Teams in den Clubs der Szene.
Überraschend war dabei nicht die weitgehend klischeehafte Berichterstattung,
sondern die Naivität mit der ein Teil der Szene vom Interesse
an sachlich-objektiven Informationen ausging und sich entsprechend
als scheinbar skurrile Statisten zur Steigerung der Auflagen und
Einschaltquoten missbrauchen ließ.
Der in den meisten Berichten völlig überzogen dargestellte
Einfluss des Satanismus auf die Szene entsprach geradezu einem Angriff
auf die gesamte Gothic-Kultur. In der breiten öffentlichen
Wahrnehmung kam es zu einer diffamierenden Gleichsetzung des szenegerechten
schwarzen Kleidungsstils wie auch der Vorliebe für bestimmte
Musikstile mit einer satanistischen Orientierung. Das zu Grunde
liegende Lebensgefühl wurde dabei ebensowenig beschrieben,
wie die zumindest in Teilbereichen eigenständigen und innovativen
Ausdrucksformen.
Die Szene-Magazine gingen nahezu wortlos über die Ereignisse
hinweg. Eine Ausnahe bildete die Zillo, die auf der plakativen Suche
nach Verständnis eine Ausgabe mit der banal anmutenden Aussage
Wir sind keine Mörder betitelte und zumindest den
Versuch machte die Zusammenhänge etwas aufzuarbeiten. Die Sprachlosigkeit
der Zeitschriften drückte eine Grundhaltung großer Teile
der Gothic-Bewegung aus, die sich einer Hinterfragung gesellschaftlicher
Entwicklungen genauso entzieht wie einer Reflexion der eigenen Kultur,
die über die Diskussion der aktuellen CD-Veröffentlichungen
hinausgeht. Die Szene zeichnet sich durch extreme Friedlichkeit
aus. führte in der Zillo ein Gothic-DJ geradezu duckmäuserisch
aus, um dann die gesamte Kultur inhaltlich völlig zu entleeren:
Es ist ein Lifestyle wie jeder andere.
Die mangelnde Auseinandersetzung mit den Hintergründen innerhalb
der Szene trug jedoch wie die sensationsgierige Berichterstattung
nachdrücklich dazu bei, dass Manuela und Daniel Ruda zeitweise
zu Stars in einem Teil der Szene stilisiert wurden. Die betonte
Selbstsicherheit der Prozessauftritte als Ausdruck der Abkehr von
einer verhassten Welt wurde zum identitätsstiftenden Bezugspunkt.
Gleichzeitig nahm die Bedeutung des Satanismus als Protesthaltung,
jedoch nur selten als durchdachtes Glaubensbekenntnis, in der Gothic-Kultur
zu.
Vor diesem Hintergrund wurde der ehemalige Pfarrer Manuelas während
des Prozesses zu einem begehrten Interview-Partner, der allerdings
den Geschehnissen recht verständnislos gegenüber stand.
Gefragt, ob der Teufel denn tatsächlich von Manuela Besitz
genommen habe, verwies der Pfarrer bezeichnender darauf, das dies
erst nach dem Abbruch des Kontaktes möglich gewesen sei. Als
sie 14 war, lud ich sie zur Firmung ein. Da hat sie sich nicht einmal
mehr gemeldet.
Noch oberflächlicher wirken die altbackenen Aussagen von Thomas Gandow,
dem evangelischen Sektenbeauftragten in Berlin / Brandenburg zur
Einschränkung satanistischer Tendenzen unter Jugendlichen:
Es gibt leider kein Patentrezept, aber ich glaube, dass junge
Leute die in einer ordentlichen Jugendgruppe sind, bei den Pfadfindern,
bei den roten Jungfalken oder in der Ruderriege, dass die weniger
in der Gefahr stehen auf solche blöden, dummen und am Ende
gefährlichen Gedanken zu kommen.
In den offiziellen Verlautbarungen der christlichen Kirchen zum
Teufelskult wird selbstverständlich ignoriert, dass das personifizierte
Bild des strafenden Gottes erst die Räume eröffnete in
denen sich der Glaube an einen Satan ausbreiten konnte. Der Autoaufkleber,
der davon spricht, dass Gott jeden liebt, wirkt in Anbetracht der
historischen Verbrechen der Kirche und dem allgegenwärtig bestehenden
Leid bestenfalls zynisch. Wenn es tatsächlich einen Gott gäbe,
der irgendwo im Himmel thront, er würde die Menschen nicht
lieben sondern hassen.
Nicht einmal ein Jahr nach dem Prozess fand sich eine Randnotiz
in einigen Boulevardblättern: Die Anwälte der Rudas hatten
die Presse über die Scheidungsabsicht des ehemaligen Paares
informiert. Daniel gab nach mehreren Monaten Psychiatrie- und Gefängnisaufenthalt
an, Manuela verfallen gewesen zu sein und den Mord nur auf ihr Bestreben
hin begangen zu haben. Im Gegenzug verwies auch Manuela auf eine
zeitweise Hörigkeit gegenüber Daniel und versuchte so
die Verantwortung an ihn abzugeben. Die Anwälte betonten wiederum
die Hoffnung durch die Scheidung die Erfolgsaussichten der Therapien
zu steigern. Auf der Kino-Leinwand gehen die Natural Born Killers
am Ende sinniger Weise als Liebespaar Hand in Hand in eine ungeschriebene
Zukunft. Ein dunkles Happy-End als Affront gegenüber einer
verlogenen Gesellschaft. Die Realität sieht jedoch anders aus.
- Januar, 2003. -
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