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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Hans Cousto:

MUSIK, MANTRA UND TRANCE

SCHAMANENMUSIK

Schamanen sind Heiler und Priester zugleich. Sie stehen mit den Göttern, dämonischen Geistern, Schattenseelen Verstorbener und den Naturkräften in Verbindung, wobei die Connection (das Bindeglied) zumeist eine psychoaktive Pflanze ist, also eine Droge, die ihre Sichtweise verändert und erweitert. So sind die Schamanen in der Lage, Zusammenhänge mitunter auf Grund der Wirkung von Drogen (Fliegenpilz, spitzkegeliger Kahlkopf, Peyote, Datura, Krötenschleim, etc.) zu durchschauen und zu erkennen, die einem Betrachter mit rein rationalen Denkgewohnheiten und einer nüchternen Beobachtungskonditionierung im allgemeinen verborgen bleiben.

Der heilenden Tätigkeit des Schamanen geht gewöhnlich eine Berufung und ein Läuterungsprozeß voraus. Die schamanische Seele wird von den Schicksalsgeistern in den Himmel gebracht. Bevor der Schamane die Himmelsreise unternimmt, muß er ein Zerstückelungsritual und gleich danach ein Wiedergestaltungsritual durchmachen. Der Beginn einer Session wird zumeist durch eine weihevolle rituelle Waschung vorgenommen.

Der Schamane versetzt sich zuerst selbst mittels einer Droge in einen Trancezustand. Dann spielt er eine speziell geartete Musik, wobei hier die Schamanentrommel unentbehrlich ist. Bei den tibetischen Schamanen wird der Schall der Trommel als die Stimme des Himmelsdrachen interpretiert, wobei der Schamane während der Zeit des Rituals vom Himmelsdrachen besessen ist und dieser so durch den Schamanen seine Botschaften in Form von sich stets wiederholenden Rhythmus- und Schwingungsstrukturen den Menschen mitteilen kann. Die Musik dient somit als Transmitter für die subtilen Naturkräfte, um den oder die anderen Beteiligten an der Session ebenfalls in Trance zu versetzen. Trance ist ein schlaf- oder traumähnlicher Zustand und zugleich Brücke zu einer anderen Realität und Welt.

Trance ermöglicht das Transzendieren der alltäglichen Sichtweise und macht den Blick frei in das innere Wesen der Menschen und kann so die Ursache für ein psychisches oder physisches Leiden offenbaren. Die zumeist sehr monotone Musik spielt dabei eine zentrale Rolle, da sie Blockaden lösen und den Weg für einen freien Energiefluß ebnen kann. Der freie, nicht vom Willen kontrollierte Energiefluß ist der erste Schritt zur Genesung.

DIE GEHEIME MACHT DES RHYTHMUS

In Schwarzafrika werden viele kultische Zeremonien veranstaltet, bei denen Trommelmusik eine zentrale Rolle spielt. Zu der sehr rhythmisch betonten Musik, die anfänglich recht langsam ist, dann aber stets an Tempo gewinnt, wird (zumeist nach Einnahme eines Zaubertrunks) getanzt. Im gleichen Maße, wie die Musik schneller wird, nehmen die ekstatischen Formen im Tanz zu. Solche rituelle Tänze dauern oft Stunden, ja zuweilen mehrere Tage lang. Irgendwann, wenn der Körper sich in der Trance und Ekstase verausgabt hat, legen sich die Tänzer nieder und genießen in völliger Entspannung die Visionen und Halluzinationen und erleben sich als Teil von Himmel und Erde.

DER TANZ DER DERWISCHE UND DER SUFIS

Derwische sind ursprünglich Bettler gewesen und Sufis waren einst als Wollkleidträger (ssuf = Wolle) bekannt. Heute bezeichnet man zwei orientalische islamische Ordensrichtungen mit den Namen Derwische und Sufis. Beide verbindet eine alte mystisch-ekstatische Tradition und so zelebrieren sie die Größe Allahs, des Allgegenwärtigen, in ekstatischen Tänzen zu einer stark rhythmischen Musik. Hierbei sprechen oder singen die Sufis eine kurze Gebetsformel "Allah il Allah ...", die stundenlang wiederholt wird, mit zunehmender Intensität, Geschwindigkeit und Lautstärke.

Die Sufis zelebrieren ihren religiösen Tanz indem alle Teilnehmenden mit ihren Nachbarn die Arme verschränken und zusammen einen großen Kreis bilden. Die Tanzbewegung zieht wie eine rhythmische Welle durch den Kreis und jeder wird Teil dieser Bewegung. Ist einer der Tänzer in völliger Trance und kann nicht mehr aktiv agieren, dann wird er von seinen Nachbarn zur Seite getragen, wo er sich völlig entspannen und ausruhen kann, die anderen kehren in den Kreis zurück und tanzen weiter, bis sie selbst so in Trance geraten sind, daß sie nun von den andern wiederum weggetragen werden müssen. Der zuletzt übriggebliebene Tänzer besitzt die größte Lebensenergie.

Derwische schlossen sich ab dem 8. Jahrhundert in mystischreligiöse Bruderschaften (Mönchsorden) des Islams zusammen, die jedoch in keinerlei Beziehungen zur offiziellen Kirchenorganisation stehen. Nach der türkischen Niederwerfung des Kurdenaufstandes unter dem kurdischen Sufi Derwisch Scheich Sa'id (Febr. bis April 1925) wurden in der Türkei sämtliche Derwischorden aufgehoben und ihre Klöster geschlossen (30. Nov. 1925). Seitdem sind alle Derwischorden in der Türkei streng verboten.

MANTRIK

Ein Mantra ist eine Gebetsformel, ein als wirkungsvoll geltender religiöser Spruch oder eine Art magische Formel, die im allgemeinen recht kurz ist und stets wiederholt wird. Vor allem im tibetischen Buddhismus (Mantrajana = Spruchfahrzeug) und im Hinduismus sowie bei den Shivaisten wird die Mantrik im Rahmen ritueller Handlungen oft angewendet.

Ein Mantra muß man nicht unbedingt "verstehen", um seine Wirkung zu verspüren, denn diese entsteht durch die stetige rhythmische Folge der Worte oder Laute, die sich dem singenden, betenden und meditierenden Menschen einverleibt. Wer die Wirkung von Mantren je verspürt und erlebt hat, der weiß was es bedeutet, wenn es im Johannes Evangelium heißt: "Am Anfang war das Wort, und das Wort war Fleisch und wohnte unter uns".

Das in der westlichen Welt bekannteste Mantra heißt: "Om Mani Padme Hum", was soviel heißt wie: "Möge die Lotusblute in Dir gedeihen." Oft wird auch das "Om" alleine als Symbol des Urschwingung der Schöpfung gesungen.

Das Jahrtausende alte indische Mantra "Hare Krishna", das zur Lobpreisung des Flöten spielenden Gottes Krishna gesungen wird, hat eine ganz klassische sequentielle Struktur und ist nach strengen dualen arithmetischen Regeln aufgebaut wie ein modernes Technostück. Das 32 silbige Mantra lautet:
Hare Krishna, Hare Krishna,
Krishna Krishna, Hare Hare,
Hare Rama, Hare Rama,
Rama Rama, Hare Hare.

Jedes Wort besteht aus zwei Silben, jeweils zwei Worte bilden einen Block, der wiederum jeweils zweimal wiederholt wird. Das zweite Wort Krishna wird im dritten Block zweimal wiederholt, das erste Wort Hare wird im vierten und im achten Block jeweils zweimal wiederholt. In der zweiten Hälfte des Mantra ist einfach das Wort Krishna durch das Wort Rama zu ersetzen.

DER GREGORIANISCHE GESANG

Der gregorianische Gesang wurde von Papst Gregor I., (der Große) am Ende des 6. Jahrhunderts in die Liturgie (griech. leitourgia = öffentlicher Dienst) der römisch-katholischen Kirche eingeführt. In der Kirche ist die Liturgie die Ordnung des Gottesdienstes, in der die Gesamtheit der gottesdienstlichen Handlungen einschließlich des Anteils der Musik offiziell festgelegt ist. Die Liturgie bestimmt den Ablauf der heiligen Messe. Als zyklische Form der Vokalmusik besteht die Messe der katholischen Kirche aus insgesamt fünf Ordinariumsteilen (lat. ordinarium = das Regelmäßige):
1. Kyrie (griech. Herr)
Kyrie elesion
Herr, erbarme dich
2. Gloria (lat. Ehre)
Gloria in excelsis Deo
Ehre sei Gott in der Höhe
3. Credo (lat. ich glaube)
Credo in unum Deum
Ich glaube an einen Gott
4. Sanctus (lat. heilig) + Benedictus (lat. gelobt)
Benedictus, qui venit
Gelobt sei, der da kommt
5. Agnus Dei (lat. Lamm Gottes)
Agnus Dei qui tollis peccata mundi
Lamm Gottes, der du trägst die Sünden der Welt

Der gregorianische Gesang, dem die grundlegende Sammlung und Ordnung der vielgestaltigen alt christlichen Kirchenmusik unter liturgischen Gesichtspunkten zugeschrieben wird, verdrängte vor allem im 15. und 16. Jahrhundert die Sequenzen (lat. sequentia = Folge) aus der Meßliturgie, obwohl er mit den sehr schönen und harmonisch besser ausgereiften in Frankreich entstandenen liturgischen Sequenzen eine enge musikalische Verwandtschaft aufweist. Papst Pius V., der von Paul IV. im Jahre 1558 zum Großinquisitor erhoben wurde und im Jahre1566 die päpstliche Würde erhielt, ließ alle Sequenzen, bis auf fünf, aus der Meßliturgie entfernen.

Die Entfernung der liturgischen Sequenzen aus der Meßliturgie steht wohl im Zusammenhang mit der Einführung des Index, dem Verzeichnis der von der katholischen Kirche verbotenen Bücher (Index librorum prohibitorum). Der Index wurde im Jahre 1559 von Papst Paul IV. in Kraft gesetzt.

In den mittelalterlichen liturgischen Sequenzen, wie auch beim bis heute im Gebrauch befindlichen gregorianischen Gesang, werden in einstimmigen einfachen melodiösen Mustern die Gebete in lateinischer Sprache gesungen, wobei bestimmte Passagen stets vom Chor und den Solisten wechselseitig wiederholt werden. Es ist auch hier unerheblich, ob der betende Mönch oder Gläubige das Gebet verstandesmäßig erfaßt. Ein Halleluja (hebräisch = preiset den Herrn) hat eine Wirkung wie ein Mantra und wird darum auch oft wiederholt. Im alten gegorianischen Gesang ist eine besondere Art christlicher Mantrik enthalten.


Aus dem Buch:
Hans Cousto / Vom Urkult zur Kultur – Drogen und Techno
(Nachtschatten Verlag, Solothurn 1995)
Nachtschatten Verlag

Dank an Hans Cousto.



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