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Hans Cousto:
MUSIK, MANTRA UND TRANCE
SCHAMANENMUSIK
Schamanen sind Heiler und Priester zugleich. Sie stehen mit den
Göttern, dämonischen Geistern, Schattenseelen Verstorbener
und den Naturkräften in Verbindung, wobei die Connection (das
Bindeglied) zumeist eine psychoaktive Pflanze ist, also eine Droge,
die ihre Sichtweise verändert und erweitert. So sind die Schamanen
in der Lage, Zusammenhänge mitunter auf Grund der Wirkung von
Drogen (Fliegenpilz, spitzkegeliger Kahlkopf, Peyote, Datura, Krötenschleim,
etc.) zu durchschauen und zu erkennen, die einem Betrachter mit
rein rationalen Denkgewohnheiten und einer nüchternen Beobachtungskonditionierung
im allgemeinen verborgen bleiben.
Der heilenden Tätigkeit des Schamanen geht gewöhnlich
eine Berufung und ein Läuterungsprozeß voraus. Die schamanische
Seele wird von den Schicksalsgeistern in den Himmel gebracht. Bevor
der Schamane die Himmelsreise unternimmt, muß er ein Zerstückelungsritual
und gleich danach ein Wiedergestaltungsritual durchmachen. Der Beginn
einer Session wird zumeist durch eine weihevolle rituelle Waschung
vorgenommen.
Der Schamane versetzt sich zuerst selbst mittels einer Droge in
einen Trancezustand. Dann spielt er eine speziell geartete Musik,
wobei hier die Schamanentrommel unentbehrlich ist. Bei den tibetischen
Schamanen wird der Schall der Trommel als die Stimme des Himmelsdrachen
interpretiert, wobei der Schamane während der Zeit des Rituals
vom Himmelsdrachen besessen ist und dieser so durch den Schamanen
seine Botschaften in Form von sich stets wiederholenden Rhythmus-
und Schwingungsstrukturen den Menschen mitteilen kann. Die Musik
dient somit als Transmitter für die subtilen Naturkräfte,
um den oder die anderen Beteiligten an der Session ebenfalls in
Trance zu versetzen. Trance ist ein schlaf- oder traumähnlicher
Zustand und zugleich Brücke zu einer anderen Realität
und Welt.
Trance ermöglicht das Transzendieren der alltäglichen
Sichtweise und macht den Blick frei in das innere Wesen der Menschen
und kann so die Ursache für ein psychisches oder physisches
Leiden offenbaren. Die zumeist sehr monotone Musik spielt dabei
eine zentrale Rolle, da sie Blockaden lösen und den Weg für
einen freien Energiefluß ebnen kann. Der freie, nicht vom
Willen kontrollierte Energiefluß ist der erste Schritt zur
Genesung.
DIE GEHEIME MACHT DES RHYTHMUS
In Schwarzafrika werden viele kultische Zeremonien veranstaltet,
bei denen Trommelmusik eine zentrale Rolle spielt. Zu der sehr rhythmisch
betonten Musik, die anfänglich recht langsam ist, dann aber
stets an Tempo gewinnt, wird (zumeist nach Einnahme eines Zaubertrunks)
getanzt. Im gleichen Maße, wie die Musik schneller wird, nehmen
die ekstatischen Formen im Tanz zu. Solche rituelle Tänze dauern
oft Stunden, ja zuweilen mehrere Tage lang. Irgendwann, wenn der
Körper sich in der Trance und Ekstase verausgabt hat, legen
sich die Tänzer nieder und genießen in völliger
Entspannung die Visionen und Halluzinationen und erleben sich als
Teil von Himmel und Erde.
DER TANZ DER DERWISCHE UND DER SUFIS
Derwische sind ursprünglich Bettler gewesen und Sufis waren
einst als Wollkleidträger (ssuf = Wolle) bekannt. Heute bezeichnet
man zwei orientalische islamische Ordensrichtungen mit den Namen
Derwische und Sufis. Beide verbindet eine alte mystisch-ekstatische
Tradition und so zelebrieren sie die Größe Allahs, des
Allgegenwärtigen, in ekstatischen Tänzen zu einer stark
rhythmischen Musik. Hierbei sprechen oder singen die Sufis eine
kurze Gebetsformel "Allah il Allah ...", die stundenlang
wiederholt wird, mit zunehmender Intensität, Geschwindigkeit
und Lautstärke.
Die Sufis zelebrieren ihren religiösen Tanz indem alle Teilnehmenden
mit ihren Nachbarn die Arme verschränken und zusammen einen
großen Kreis bilden. Die Tanzbewegung zieht wie eine rhythmische
Welle durch den Kreis und jeder wird Teil dieser Bewegung. Ist einer
der Tänzer in völliger Trance und kann nicht mehr aktiv
agieren, dann wird er von seinen Nachbarn zur Seite getragen, wo
er sich völlig entspannen und ausruhen kann, die anderen kehren
in den Kreis zurück und tanzen weiter, bis sie selbst so in
Trance geraten sind, daß sie nun von den andern wiederum weggetragen
werden müssen. Der zuletzt übriggebliebene Tänzer
besitzt die größte Lebensenergie.
Derwische schlossen sich ab dem 8. Jahrhundert in mystischreligiöse
Bruderschaften (Mönchsorden) des Islams zusammen, die jedoch
in keinerlei Beziehungen zur offiziellen Kirchenorganisation stehen.
Nach der türkischen Niederwerfung des Kurdenaufstandes unter
dem kurdischen Sufi Derwisch Scheich Sa'id (Febr. bis April 1925)
wurden in der Türkei sämtliche Derwischorden aufgehoben
und ihre Klöster geschlossen (30. Nov. 1925). Seitdem sind
alle Derwischorden in der Türkei streng verboten.
MANTRIK
Ein Mantra ist eine Gebetsformel, ein als wirkungsvoll geltender
religiöser Spruch oder eine Art magische Formel, die im allgemeinen
recht kurz ist und stets wiederholt wird. Vor allem im tibetischen
Buddhismus (Mantrajana = Spruchfahrzeug) und im Hinduismus sowie
bei den Shivaisten wird die Mantrik im Rahmen ritueller Handlungen
oft angewendet.
Ein Mantra muß man nicht unbedingt "verstehen",
um seine Wirkung zu verspüren, denn diese entsteht durch die
stetige rhythmische Folge der Worte oder Laute, die sich dem singenden,
betenden und meditierenden Menschen einverleibt. Wer die Wirkung
von Mantren je verspürt und erlebt hat, der weiß was
es bedeutet, wenn es im Johannes Evangelium heißt: "Am
Anfang war das Wort, und das Wort war Fleisch und wohnte unter uns".
Das in der westlichen Welt bekannteste Mantra heißt: "Om
Mani Padme Hum", was soviel heißt wie: "Möge
die Lotusblute in Dir gedeihen." Oft wird auch das "Om"
alleine als Symbol des Urschwingung der Schöpfung gesungen.
Das Jahrtausende alte indische Mantra "Hare Krishna",
das zur Lobpreisung des Flöten spielenden Gottes Krishna gesungen
wird, hat eine ganz klassische sequentielle Struktur und ist nach
strengen dualen arithmetischen Regeln aufgebaut wie ein modernes
Technostück. Das 32 silbige Mantra lautet:
Hare Krishna, Hare Krishna,
Krishna Krishna, Hare Hare,
Hare Rama, Hare Rama,
Rama Rama, Hare Hare.
Jedes Wort besteht aus zwei Silben, jeweils zwei Worte bilden einen
Block, der wiederum jeweils zweimal wiederholt wird. Das zweite
Wort Krishna wird im dritten Block zweimal wiederholt, das erste
Wort Hare wird im vierten und im achten Block jeweils zweimal wiederholt.
In der zweiten Hälfte des Mantra ist einfach das Wort Krishna
durch das Wort Rama zu ersetzen.
DER GREGORIANISCHE GESANG
Der gregorianische Gesang wurde von Papst Gregor I., (der Große)
am Ende des 6. Jahrhunderts in die Liturgie (griech. leitourgia
= öffentlicher Dienst) der römisch-katholischen Kirche
eingeführt. In der Kirche ist die Liturgie die Ordnung des
Gottesdienstes, in der die Gesamtheit der gottesdienstlichen Handlungen
einschließlich des Anteils der Musik offiziell festgelegt
ist. Die Liturgie bestimmt den Ablauf der heiligen Messe. Als zyklische
Form der Vokalmusik besteht die Messe der katholischen Kirche aus
insgesamt fünf Ordinariumsteilen (lat. ordinarium = das Regelmäßige):
1. Kyrie (griech. Herr)
Kyrie elesion
Herr, erbarme dich
2. Gloria (lat. Ehre)
Gloria in excelsis Deo
Ehre sei Gott in der Höhe
3. Credo (lat. ich glaube)
Credo in unum Deum
Ich glaube an einen Gott
4. Sanctus (lat. heilig) + Benedictus (lat. gelobt)
Benedictus, qui venit
Gelobt sei, der da kommt
5. Agnus Dei (lat. Lamm Gottes)
Agnus Dei qui tollis peccata mundi
Lamm Gottes, der du trägst die Sünden der Welt
Der gregorianische Gesang, dem die grundlegende Sammlung und Ordnung
der vielgestaltigen alt christlichen Kirchenmusik unter liturgischen
Gesichtspunkten zugeschrieben wird, verdrängte vor allem im
15. und 16. Jahrhundert die Sequenzen (lat. sequentia = Folge) aus
der Meßliturgie, obwohl er mit den sehr schönen und harmonisch
besser ausgereiften in Frankreich entstandenen liturgischen Sequenzen
eine enge musikalische Verwandtschaft aufweist. Papst Pius V., der
von Paul IV. im Jahre 1558 zum Großinquisitor erhoben wurde
und im Jahre1566 die päpstliche Würde erhielt, ließ
alle Sequenzen, bis auf fünf, aus der Meßliturgie entfernen.
Die Entfernung der liturgischen Sequenzen aus der Meßliturgie
steht wohl im Zusammenhang mit der Einführung des Index, dem
Verzeichnis der von der katholischen Kirche verbotenen Bücher
(Index librorum prohibitorum). Der Index wurde im Jahre 1559 von
Papst Paul IV. in Kraft gesetzt.
In den mittelalterlichen liturgischen Sequenzen, wie auch beim
bis heute im Gebrauch befindlichen gregorianischen Gesang, werden
in einstimmigen einfachen melodiösen Mustern die Gebete in
lateinischer Sprache gesungen, wobei bestimmte Passagen stets vom
Chor und den Solisten wechselseitig wiederholt werden. Es ist auch
hier unerheblich, ob der betende Mönch oder Gläubige das
Gebet verstandesmäßig erfaßt. Ein Halleluja (hebräisch
= preiset den Herrn) hat eine Wirkung wie ein Mantra und wird darum
auch oft wiederholt. Im alten gegorianischen Gesang ist eine besondere
Art christlicher Mantrik enthalten.
Aus dem Buch:
Hans Cousto / Vom Urkult zur Kultur Drogen und Techno
(Nachtschatten Verlag, Solothurn 1995)
Nachtschatten Verlag
Dank an Hans Cousto.
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