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Albert Hofmann und Christian Rätsch:
SCHLÜSSEL ZUM UNBEWUSSTEN
Ein Gespräch des Ethnopharmakologen Christian Rätsch mit
Albert Hofmann, der 1943 die psychedelische Wirkung von LSD entdeckte
(1993):
Christian Rätsch: LSD steht ja in einer verwandtschaftlichen
Beziehung zu schamanischen Drogen. Es kann ein großes Heilpotential
haben und wurde auch zum Teil sehr erfolgreich in der Psychiatrie
benutzt. Wie siehst du heute den Stellenwert von LSD als ein Hilfsmittel
in der Therapie oder Medizin?
Albert Hofmann: Ja, richtig, als ein Hilfsmittel! Es ist kein Therapeutikum
an sich, man kann nicht LSD jemandem geben und erwarten, dass er
dann gesund wird, sondern es muss eingebaut sein, es ist ein Psycho-Stimulans.
Es kann verdrängte Bewusstseinsinhalte wieder beschleunigt
ins Bewusstsein bringen und dann der Heilung durch den Geist zugänglich
machen. Das ist der Stellenwert.
Rätsch: Das heißt, es kommt im Grunde genommen nicht
so sehr auf die Substanz an, sondern auf denjenigen, der sie anwendet.
Hier in Mitteleuropa wäre es ja in der Hand des Psychiaters.
Was muss nun dieser Psychiater für eine Qualifikation haben,
um LSD so einzusetzen, dass es verwirklicht, was man sich erhofft?
Hofmann: In dem ersten Prospekt, mit dem LSD unter der Bezeichung
Delysid als Versuchspräparat abgegeben wurde, stand
über die Anwendung: Es gibt dem Psychiater die Möglichkeit,
im Selbstversuch Bewusstseinszustände zu erleben, die ihm nicht
zugänglich sind, die in seinem Patienten lebendig sind und
die er behandeln soll. Es wird dem Psychiater empfohlen, sich
im Selbstversuch zu qualifizieren, damit er weiß, was er anwendet.
Ich finde, das ist ein außerordentlich wichtiger Punkt.
Rätsch: Ich ziehe da den Vergleich mit den Schamanen der Naturvölker,
der traditionellen Kulturen, die ja mit ähnlichen Substanzen
umgehen. Sie verwenden heilige Pflanzen als Werkzeuge, mit denen
sie Kranke heilen können. Sie nehmen sie aber auch selbst ein,
um mehr zu sehen, oder gemeinsam mit dem Patienten, um mit ihm zusammen
auf Reisen zu gehen. Nach meiner Kenntnis des Schamanismus ist es
sehr wesentlich, dass der Schamane als eine Art Künstler, der
mit veränderten Bewusstseinszuständen umgehen kann, als
Partner seines Patienten in diese andere Welt reisen und die verlorene
Seele des Kranken hinausgeleiten kann. Ich glaube allerdings, dass
unsere Psychiater von diesen Fähigkeiten noch etwas entfernt
sind ...
Nun ist ja leider die Möglichkeit, LSD sinnvoll einzusetzen,
in unserer Gesellschaft verboten. Wie stellst du dir die Zukunft
vor? Kannst du dir vorstellen, wie wir wieder zu einem medizinisch-psychiatrisch
sinnvollen Umgang mit LSD gelangen können?
Hofmann: Ja, wie gesagt, die erste Voraussetzung wäre, dass
der Psychiater es an sich selbst erfährt. Soweit ich das als
Laie feststellen kann, herrscht derzeit in der Psychiatrie die Tendenz
vor, den Menschen nicht in sich hineinschauen zu lassen, sondern
zu öffnen für die Wirklichkeit. Was ist, allgemein gesagt,
der Geisteskranke? Er ist fixiert von einem persönlichen Problem.
Er sieht nichts mehr und hört nichts mehr, er ist befangen.
Wenn man ihn nun von diesem Weg nehmen kann, wenn man ihn öffnen
kann für die Wahrnehmung der Ganzheit des Seins, dann kommt
die Heilung. Darin sehe ich die Tendenz, die Zukunft des LSD.
Rätsch: Bei den Schamanen und den Naturvölkern sieht man
ja auch das Kranksein als einen Verlust der Wurzeln, als ein Entwurzeltsein,
als ein Nicht-mehr-eingebunden-Sein in die Gemeinschaft und in die
Natur. Deswegen gibt es in naturvölkischen Ritualen ja oft
Formen, wo die Gemeinschaft des Stammes oder des Dorfes zusammenkommt
und wo alle Teilnehmer gemeinsam eine heilige Pflanze mit psychoaktiven
Wirkungen zu sich nehmen. Unter der Führung des Schamanen oder
des Kundigen machen sie eine gemeinsame Reise in die Welt der Mythen.
Also eine Reise in das Transpersonale, um da den Anschluss an den
Ursprung des Universums, an den Ursprung des Seins zu bekommen.
Das heißt also, eigentlich ist dort der Schamane ein Hilfesteller
für mystische Erfahrungen, und das ist etwas, was man dem LSD
auch zugesteht, dass es in der Lage ist, zu mystischen Erlebnissen
zu führen. Glaubst du nicht auch, dass diese Öffnung zum
Mysterium eine Heilkraft auch noch auf höherer Ebene ist, also
uns mehr zur Ganzheit, zur Natur zurückführt?
Hofmann: Genau das meine ich, das ist die Bedeutung. Man könnte
fragen: Was wird von LSD verstärkt? Es verstärkt
das Erleben der Istigkeit. Bei Aldous Huxley habe ich
dieses Wort gelesen, aber es kommt ja aus dem Deutschen. - Istigkeit:
dass man wieder das erlebt, was ist. Im allgemeinen ist der Mensch
eben abgestumpft. Er erlebt nicht mehr, was ist, sondern er sucht
immer nach etwas Neuem, er sucht in der heutigen Welt die technischen
Neuerungen, was irgendwie passiert. Aber das Wunder des Alltags,
das Wunder unserer Existenz - das, was ist, die Istigkeit der Dinge,
die erlebt er nicht mehr. Und die Bedeutung des LSD besteht nach
meiner Ansicht darin, dass man wieder das, was hier und jetzt ist,
so intensiv erlebt, wie es das Kind erlebt, das noch nicht abgestumpft
ist. Das ist die Heilwirkung, eine, ich möchte sagen, Medizin
auf höherer Ebene, die vom Ganzen, von der Ganzheit ausgeht,
nicht von der Analyse, nicht vom Detail, nicht vom einzelnen Organ,
sondern eben vom Kern des Menschen, von seinem Bewusstsein.
Rätsch: Könnte man nicht vielleicht aufgrund unserer Kenntnisse
der Geschichte, der Ethnologie, der Pharmakologie und der Chemie
von LSD ein neues Ritual gründen oder einführen, was uns
helfen konnte, in diese Richtung weiterzugehen?
Hofmann: Ja! Ein neues Ritual finden! Vielleicht sollte man fragen,
gibt es schon irgendwelche Modelle? Und da würde ich sagen,
vielleicht ist Eleusis das beste Beispiel. Wir wissen ja, über
einen Zeitraum von fast 2000 Jahren war Eleusis das geistige Zentrum
der antiken Welt, wo alle großen Geister, alle großen
Persönlichkeiten ihre Einweihung fanden. Das war ein Einweihungszentrum.
Die Eingeweihten durften ja nicht genau beschreiben, was sie gesehen
hatten, sie durften nur über die Bedeutung dieses Erlebens
sprechen. Aus diesen Zeugnissen geht hervor, dass - wie Cicero gesagt
hat, der auch ein Eingeweihter war - Einsicht in den Ursprung und
das Ende unseres Lebens stattfand. Wie wir hergekommen sind, wohin
wir gehen. Es gibt uns die Möglichkeit, mit größerer
Freude zu leben. Aber wir sind weit davon entfernt, solche Rituale
zu haben.
Rätsch: Ja, ich sehe zwei Gründe dafür, dass wir
leider weit entfernt davon sind: einmal die Wunde, die durch die
Zwangschristianisierung unserer einheimischen Kultur geschlagen
wurde. Zum anderen die daraus resultierende moderne Drogenpolitik.
Ich denke, dass ein großes Problem darin besteht, dass wir
die einst heiligen Pflanzen entheiligt haben und dass wir im Grunde
genommen versuchen sollten, wieder das Heilige darin zu sehen und
wieder mehr Respekt zu entwickeln. Im übrigen besteht ja für
die vielen, sagen wir mal LSD-Genießer, die es
heute doch noch gibt, das Problem der Illegalität der Substanz.
Also das, was uns eigentlich heilig sein sollte, wurde kriminalisiert.
Wie siehst du das Problem der Illegalität oder der Legalitat
von LSD?
Hofmann: Wer hat die Kenntnisse der Pflanzen aus der Antike ins
Christentum hineingebracht? Das waren die kräuterkundigen Frauen,
die sind von der Kirche verbrannt wurden als Hexen. Das zeigt das
Problem, das ganz gestörte Verhältnis zur Natur. Der größte
Teil der Menschheit lebt heute in Großstädten. In einer
vom Menschen gemachten Umgebung. Alles, was der Mensch macht, geht
zugrunde, verrostet und zerfällt, früher oder später,
auch Alexanders Reich ist zerfallen. Was bleibt und wo wir herkommen,
das ist die Natur, die lebendige Natur. In der Stadt ist das einzige,
was noch Natur ist, der Mensch. Wenn ich hier auf die Wiese gehe,
bei jedem Schritt, den ich mache, komme ich an etwas Lebendiges,
einen Keim, der Blumen hervorbringt, der die Pflanzen hervorbringt
und die Baume Früchte tragen lässt, von denen wir leben
- alles Produkte der Sonne, die die Pflanzenwelt transformieren
kann. Das ist die Mystik, die vor unseren Augen lebt, und die sehen
wir nicht mehr. Man verliert in den Großstädten den Zugang
zum Ursprung unseres Seins, das ist die große Tragödie
und das ist es, was mir richtig Angst macht ...
Was versucht man dann, wenn diese Leute verloren sind? Man füttert
sie ab mit Fernsehen, mit einer noch einmal künstlichen Welt,
also einer Welt, die vom Menschen geschaffen wird. Und dann macht
man sie noch künstlicher, indem man sie als Schau produziert.
Es ist eine dreifach künstliche Welt, die Entwurzelung ist
vollkommen, und das macht mir Sorge und Schrecken.
Rätsch: Ja, da liegt vielleicht auch das Problem im Umgang
mit so einer Substanz wie LSD. Durch Entwurzelung wissen die Menschen
nicht mehr, wie sie mit so einem kräftigen Werkzeug sinnvoll
für sich selbst umgehen können. Aber ich glaube, das Bedürfnis
nach den Wurzeln ist bei uns sehr groß. Ich halte es für
etwas Natürliches, wenn viele Menschen spüren, da ist
irgend etwas, da lauert eine Erfahrung, und mit dieser Erfahrung
kann ich irgendwie meine Wurzeln wiederfinden. Ich sehe es als wirklich
schlimm an, dass diesen Menschen durch die Illegalität, durch
die Kriminalisierung dieser eigentlich heiligen Dinge der Weg zum
Mysterium unmöglich gemacht wird.
Hofmann: Ja, da bin ich ganz einverstanden. Ich glaube, es geht
ganz generell eigentlich darum: Was sucht der Mensch? Aristoteles
hat gesagt, der Mensch sucht nach Glück. Der eine findet es
durch seine Machtgelüste, der andere durch seine Sinnesgelüste
im Essen und Trinken, der andere im Sex, der andere irgendwo. Der
Philosoph - natürlich im aristotelischen Sinne, nicht der Philosoph
als Akademie, sondern der Philosoph als der Mensch, der tiefere
Erkenntnisse hat, der eingeweiht ist - der findet sein Glück
in der Wiedervereinigung mit dem Ganzen, im Mysterium des Seins.
Er kommt den Göttern am nächsten und ist deshalb glücklich.
Das ist der Philosoph nach Aristoteles.
Rätsch: Das klingt aber auch nach dem Philosophen Albert Hofmann.
Hofmann: Es ist schön, wenn man Aristoteles liest und das Gefühl
hat, ja, da bin ich der gleichen Meinung.
Rätsch: Mir scheint, dass Aristoteles nicht nur für sich
und vielleicht ein paar Philosophen gesprochen hat, sondern eigentlich
für die ganze Welt. Jeder Mensch sucht nach Glück, und
so verstehe ich eigentlich auch die Rituale der Naturvölker
und die Mysterienkulte: dass sie sozusagen Sprungbretter für
die Individuen sind, um an einem kollektiven, allgemeinen Lebensglück
teilzuhaben. Und ich wünsche mir natürlich, dass wir in
unserer Welt, wo wir ständig die Entwurzelung vor uns sehen,
so ein Sprungbrett wieder gewinnen könnten. Sehr viel denke
ich auch darüber nach, wie wir tatsächlich die eleusinischen
Mysterien für uns praktikabel gestalten können. Und ich
habe interessanterweise in letzter Zeit erlebt, dass zum Beispiel
Psychiater, die auch die offizielle Genehmigung haben, LSD oder
andere Psychedelika einzusetzen, an mich her angetreten sind und
gesagt haben: Hast du nicht ein paar Tips, wie wir unsere Form des
Umgangs mit diesen Stoffen effektiver gestalten können? Ich
habe dann berichtet von den naturvölkischen Kreisritualen,
von der Bedeutung der Heiligkeit und von der Bedeutung des Rituals
als einem Vehikel, um gemeinsam etwas Neues zu erzeugen. Sie haben
diese Anregungen und Ideen ganz interessiert aufgenommen und auch
einiges davon in ihrer Praxis umgesetzt.
Das finde ich einen sehr fruchtbaren Ansatz, dass wir in unserer
heutigen Welt mit vereinten Kräften, das heißt also auch
von verschiedenen Disziplinen herkommend, daran arbeiten, wieder
diesen rituellen Zugang zum Mysterium herzustellen. Du bist ja kein,
sagen wir mal Schmalspur-Chemiker, sondern du hast dich
dein ganzes Leben lang auch mit anderen Wissenschaften sehr intensiv
auseinandergesetzt. Du hast auch eine, finde ich, sehr bedeutende
Schrift verfasst: Naturwissenschaft und mystische Erkenntnis.
Darin siehst du die Möglichkeit, dass Naturwissenschaft und
Mystik nicht etwas Verschiedenes sind, sondern zum Gleichen hinführen.
Hofmann: Ja, auf jeden Fall. Der Gegenstand ist der gleiche. Der
Mystiker befasst sich mit dem Sein, mit der Wirklichkeit; der Naturwissenschaftler
auch. Insofern streben beide das gleiche an, die Erkenntnis des
Wirklichen, des Seins. Nun ist es so: Die Naturwissenschaft, die
ja eigentlich eine junge Wissenschaft ist, hat sich von sich aus
beschränkt auf das, was objektivierbar ist, was außer
uns ist. Und außer uns, außen in der materiellen Welt,
gibt es nur Materie und Energie. Mein Körper, den ich selbst
sehen kann, der ist Materie und Energie. Das ist der eine Teil der
Wirklichkeit, und alles andere, was wir zusätzlich erleben,
macht erst das Individuum dazu, der einzelne Mensch. Der einzelne
Mensch macht sich aus einer bestimmten Lichtwelle das Erlebnis Farbe,
je nach der Wellenlänge ein Rot, Blau oder Grün usw. Farbe
gibt es draußen nicht, Töne gibt es draußen nicht,
draußen gibt es nur Schwingungen in der Luft.
Die Naturwissenschaft sagt, was ist. Sie gibt keinen Kommentar.
Wenn man der Naturwissenschaft vorwirft, sie sei materialistisch,
ist das ein vollkommener Unsinn. Was über das Objektivierbare
hinausgeht, hat nichts mehr mit der Naturwissenschaft zu tun. Das
ist Geisteswissenschaft. Schon das Erleben, unsere Sinne, haben
mit Naturwissenschaft nichts mehr zu tun. Wenn, sagen wir, ein Lichtimpuls
auf meine Netzhaut trifft und mit meinen Nerven ins Gehirn geht,
dann ist das Naturwissenschaft. Aber Chemie und Physik werden nie
herausfinden, wie aus einer Wellenlänge das Erleben von Licht
und Farbe oder von Licht Oberhaupt - das Sehen - entsteht. Sehen
ist ein Mysterium. Hören ist ein Mysterium. Jeder einzelne
Mensch ist etwas ganz, ganz Wunderbares. Er ist eben der Empfänger
in meinem Modell der Wirklichkeit. Sender und Empfänger. Sender
ist das ganze Universum, die Materie, und der Empfänger ist
nur der einzelne Mensch. Nur der einzelne Mensch kann sehen, hören,
fühlen, lieben. So kommen Mystik und Naturwissenschaft zusammen.
Sie sind komplementär, nicht gegensätzlich. Es gibt keinen
dringenderen Hinweis auf das Wunder unserer Existenz als die naturwissenschaftlichen
Erkenntnisse, wenn man sie zu Ende bedenkt.
Rätsch: Der heutigen Welt fehlt die Ruhe und die Konzentration
dafür, die Realität als Wunder begreifen zu können.
Das braucht Muße, eine Muße, die uns verlorengegangen
ist. Hast du eine Idee, wie der Einzelne sich kleine Stückchen
Muße, Gelassenheit, Ruhe und Konzentration zurückerobern
kann, gerade wenn er in der Stadt lebt?
Hofmann: Ja eben, das ist das Problem. Wenn man in der Stadt lebt,
ist das sehr schwierig. Da ist der Lärm, das vollkommene Abgeschnittensein
von der lebendigen Natur. Tröstlich finde ich nur die Tendenz
der meisten Menschen, dass sie wieder hinaus möchten aus der
Stadt aufs Land. Ich glaube, wenn die Menschheit eine Zukunft hat,
wird sie wieder in einem Garten leben, nicht in Städten. Alle
Paradiese sind Gärten.
ECBS - Europäisches Collegium für Bewusstseinsstudien
Dank an Christian Rätsch und Albert Hofmann.
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