|
 |
David Cooper:
MEDITATION UND BEFREIUNG
Politisch aktive Leute denken oft, Meditation sei eine Art orientalischen
Quietismus und habe daher nichts mit revolutionärer Arbeit
zu tun oder sei gar das Gegenteil davon. Das ist weit entfernt von
der Wahrheit, wie ich über die Erfahrung von Gruppen-Meditation
in verschiedenen Städten, darunter auch Buenos Aires, mitzuteilen
oder zumindest anzudeuten können hoffe. Buenos Aires scheint
mir besonders wichtig, weil man hier viele Berührungspunkte
in der Problematik der Zivilisation in der Dritten und der Ersten
Welt findet. Leider sind meine Erfahrungen im wesentlichen auf Intellektuelle
der Mittelschicht bezogen, dabei kurz auch auf eine Gruppe beruflicher
Therapeuten. Es kann aber gut sein, daß gerade die politisch
Bewußten aus diesem Sektor der Gesellschaft zur Zeit aus Meditation
den größten Nutzen ziehen können.
Es ist weder wünschenswert noch möglich, Formen der Meditation
im Osten in Kulturen mit vollständig anderen sozio-ökonomischen
Lebensformen zu verpflanzen; Ich ging jedoch davon aus, daß
es in einer experimentellen Einführungsphase möglich sein
könnte, eine ursprüngliche Ausdrucksweise gewissermaßen
in eine neue Tonart zu transponieren.
Es ging uns darum, die Ablösung von eingebildeten Problemen
zu erreichen, besonders solchen der versklavenden Zeit-Geld-Gleichung,
um fähig zu werden, sich freier wichtigeren Problemen widmen
zu können, die Handeln erforderten. Die Meditationserfahrung
destrukturiert die Uhr- Zeit wie auch subjektive Zeit-Empfindung.
Aufgrund dieser Zeit-Veränderung kann man Zeitzonen für
Handeln, das nicht bloß Tätigkeit fürs Geldverdienen
ist, entdecken. Das ist besonders wichtig für Leute, die Zeit
für politische Arbeit freimachen können, wenn es ihnen
gelingt, übertriebene Konsumbedürfnisse weitgehend zu
reduzieren. Über die politische Analyse hinaus ist die persönliche
Veränderung notwendig. Meditation kann bei der radikalen Umwälzung
des gesamten bürgerlichen Lebensstils eine Rolle spielen.
Unsere Sitzungen schwankten zwischen einmal und dreimal die Woche
für die jeweiligen Gruppen, zu festgelegten Zeiten. Gewöhnlich
gab ich eine kurze Einführung, erklärte das Ziel, die
Fähigkeit zu erlangen, sein Bewußtsein abzudrehen
und durch diesen bewußt-losen Zustand sich der
Möglichkeit zu nähern, mit der Leere zu verschmelzen.
Das führt zunehmend zu Möglichkeiten der Ablösung
von systematisierten Serien von Illusionen, die wir als Wirklichkeit
anzusehen konditioniert wurden. Sich von dieser Illusionshaltung
zu befreien, ermöglicht einem, freier zu handeln und Befreiung
auf alle möglichen menschlichen Sphären auszudehnen, ja
sogar auf die ganze Natur, die wir zum Gegenstand ökologischer
Zerstörung machen. Ich sprach dann noch die Angst an, die einige
vielleicht in dieser Situation empfinden könnten und sagte,
es stehe jedem natürlich frei, ruhig zu gehen; ich bat aber
darum, nicht zu spät zu kommen.
Wir trafen uns in einem ruhigen dunklen Raum, groß genug
für zwanzig Leute, ohne daß körperliche Berührung
untereinander zum ablenkenden Problem werden konnte. Glimmende Räucherstäbchen
gaben einen einheitlich-neutralen Geruch. Zu Beginn und Ende der
Meditationsstunde gab ich mit einer Glocke ein Zeichen. Allein der
Verzicht auf Zeit-Kontrolle ist schon wichtig, wenn auch schwierig,
wenn man gewohnt ist, die Zeit anderer zu kontrollieren. Der Fußboden
war mit Teppich ausgelegt, es gab jedoch keine Stühle, alle
saßen mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, manche mit etwas
Erfahrung nahmen eine halbe Lotus-Stellung ein. Nach einer Weile
ruft diese Haltung bei vielen Leuten Unbehagen im Rücken und
in den Beinen hervor; wenn man auch seine Haltung verändern
durfte, empfahl ich doch, diese Erfahrung des Unbehagens zu machen,
um dann in den Schmerz hineinzukommen zu suchen. Gelingt es einem,
in den Schmerz hinein zu gelangen, ohne sich ihm zu widersetzen,
kann der Schmerz nicht mehr in uns sein.
Die Meditation selbst verlief natürlich in gänzlichem
Schweigen. Und um den Vorgang der Leerung des Bewußtseins
zu unterstützen, zündete ich an einem Ende des Raums in
meiner Nähe eine Kerze an und machte den Vorschlag, sich auf
die Flamme dieser äußeren Kerze zu konzentrieren.
Später könnte man dann Aufmerksamkeit einer inneren
Kerze zuwenden, bis, zuletzt, auch diese Kerze gelöscht werden kann.
War die Stunde um, sprachen diejenigen, deren Erfahrung über
die Meditation hinausgereicht hatte, etwa fünfzehn Minuten
miteinander über diese Erfahrungen. Einige hatten beispielsweise
ziemlich zwanghaft versucht, irgendein Problem ihres Lebens anzupacken;
wenn das Problem ihnen als zu groß entgegentrat, schlug ich
ihnen vor, sich dem Problem nicht zu verweigern, sondern sich (wie
beim Schmerz) darauf zu konzentrieren, ohne zu versuchen, das Problem
zu verstehen oder anzugehen. So konnten sie eher in das Problem
eindringen, anstatt das Problem in sie eindringen zu lassen. Probleme
lösen gehört in eine andere Situation, nicht in
die Meditation.
Andere wieder erfuhren merkwürdige Veränderungen in ihren
Körpervorstellungen, so erfuhren sie z.B. einige Teile ihres
Körpers als riesengroß, andere als absurd klein oder
gar nicht vorhanden. Einige erfuhren sich als über unendliche
Entfernung hinweg flutend, andere machten ängstigendere Erfahrungen,
so eine Frau, die fühlte, wie sich ihre Vagina in einen scheußlichen
purpurn-braunen Gegenstand verwandelte. Erst nachdem es ihr gelang,
diese Erfahrung auszuhalten und sie trotz Angst und Widerstreben
zu akzeptieren, kehrte ihr Körper in seinen Normalzustand zurück.
Die Parallelen zu psychedelischen Erfahrungen sind offensichtlich.
Das Ergebnis mehrerer Sitzungen war dann, daß die meisten
eine größere Beweglichkeit beim Eintreten in ihr Bewußtsein
und beim Verlassen ihres Bewußtseins erfuhren und auch die
gewöhnliche mechanistische Gegenüberstellung von innen
und außen überwanden, die der Verstand der
Erfahrung aufbürdet. Bei einigen drückte sich auch ein
Gleiten nach unten, von den zerebralen zu tieferliegenden Kraftzentren
in größerer genitaler Beweglichkeit aus.
Nach einigen Sitzungen gab es weniger über Meditation zu reden
und der Austausch entwickelte sich weitgehend non-verbal. Jemand
machte z.B. eine Geste zu mir hin (oder zu jemand anderem hin) oder
nahm eine bestimmte Stellung ein und man antwortete spontan darauf
mit einer Geste oder Haltung, die ihr zu entsprechen schien. Es
konnte aber auch ein subtiler Augenkontakt sein, oder ein Austausch
von Tönen, die in gewöhnlichen gesellschaftlichen Situationen
kaum wahrnehmbar wären, die aber in dieser Situation höchster
Sensibilisierung Formen der Begegnung und des Wiedererkennens darstellten,
die man auch in andere gesellschaftliche Situationen hinaustragen
kann.
Verstehen und Interpretieren der Gruppendynamik oder
Übertragung kommt für das nach- meditative
Zusammensein nicht in Frage (das konnten die professionellen Therapeuten
in unserer Gruppe erst schwer begreifen). Spontane Antworten öffnen
neue Bereiche gesellschaftlicher Erfahrung und neue Formen der Begegnung.
Eine beträchtliche Gefahr liegt darin, daß, was in der
Meditationsstunde oder gleich danach gewonnen wurde, gleich wieder
verlorengeht. Die Rückkehr in entfremdete Arbeits- und Beziehungssituationen
ist eine Bedrohung, der nicht ausgewichen werden kann. Das stellte
ich nach etwa zweiwöchentlichen Meditationsperioden mit Meditation
zweimal täglich (wo zwischen den Perloden immer Monate lagen)
im tibetanisch-buddhistischen Kloster in Schottland fest. Arbeitet
man aber nach einem Plan von einer bis drei Meditationsübungen
pro Woche, den man über viele Monate aufrechterhält, dann
verringert sich das Risiko des Verlusts - selbst in einem hektischen
großstädtischen Zentrum. Das wichtigste ist Regelmäßigkeit,
einer in der Gruppe sollte den erforderlichen großen Raum
regelmäßig für die Gruppe verfügbar machen
(natürlich muß niemand fürs Meditieren bezahlen!).
Allmählich fängt man an, in der Zwischenzeit zwischen
den Sitzungen aus der Gruppenerfahrung heraus selbst allein zu meditieren.
Es wird dann möglich, jederzeit sehr kurze Momente von Bewußtlosigkeit
herzustellen, auf der Straße gehend, im Restaurant, usw. Für
einen Augenblick kann man sich von seinem Körper lösen
und erfährt ein tiefes Vertrauen vor der anoia, daß der
Körper automatisch wieder funktionieren und reaktionsfähig
sein wird.
Annäherung an gänzliche Leere heißt noch nicht
äußerste Verschmelzung mit dem Nichts. Man muß
versprechen, in die Welt zurückzukehren, mit weniger Angst
vor dem Tod, vor Orgasmus und Wahnsinn. Dann wird es möglich,
auf jeder Ebene des persönlichen und des gesellschaftlichen
Seins freier zu handeln und die Welt zu verändern.
Uns aus dem aufgezwungenen Bewusstsein herauszubegeben ist der
erste wirkliche Schritt auf dem Weg zur Befreiung.
----
"Moving out of our minds, which are really their minds, is the truest first step that leads us into and through liberated struggle."
David Cooper
|