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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Bertha von Suttner:
 
DIE WAFFEN NIEDER!
  
- Auszug I -
 
 So gespannt, wie auf diesen Besuch, hatte ich mich schon lange nicht gefühlt. Um die bestimmte Stunde gab ich Befehl, daß mit Ausnahme des Erwarteten niemand vorgelassen werde. Meine Schwestern waren nicht zu Hause Tante Marie, die unermüdliche garde-dame, hatte sie auf den Eislaufplatz begleitet. Ich setzte mich in meinen kleinen Salon - mit einer hübschen Haustoilette von violettem Sammt angethan (violett steht Blondinen bekanntlich vorteilhaft), nahm ein Buch zur Hand und wartete.
 
Lang' habe ich nicht warten müssen: zehn Minuten nach Zwei trat Freiherr von Tilling bei mir ein. «Wie Sie sehen, Gräfin, habe ich von Ihrer Erlaubnis pünktlich Gebrauch gemacht», sagte er, mir die Hand küssend. «Glücklicherweise,» antwortete ich lächelnd, indem ich ihm einen Platz anwies; «ich hätte sonst vor Ungeduld vergehen müssen, denn Sie haben mich wahrhaftig in große Spannung versetzt.» «Dann will ich gleich, ohne lange Einleitung, sagen, was ich zu sagen habe. Daß ich es nicht schon gestern gethan, geschah, um Ihre fröhliche Stimmung nicht zu trüben.» «Sie erschrecken mich. -» «Mit einem Wort: ich habe die Schlacht von Magenta mitgemacht.» «Und Sie haben Arno sterben sehen!» schrie ich auf. «So ist es. Ich bin in der Lage, Ihnen über seine letzten Augenblicke Bescheid zu geben.» «Sprechen Sie,» sagte ich bebend. «Zittern Sie nicht, Gräfin. Wenn diese letzten Augenblicke so schrecklich gewesen wären, wie bei so manchen anderen Kameraden, so würde ich Ihnen sicher nicht davon gesprochen haben: es gibt nichts Traurigeres, als von einem teueren Toten zu erfahren, daß er qualvoll gestorben - das ist aber hier nicht der Fall.» «Sie nehmen mir einen Stein vom Herzen. Erzählen Sie.»
 
«Ich werde Ihnen nicht die leere Phrase wiederholen, mit welcher man Soldatenhinterbliebene zu trösten pflegt. «Er starb als Held», denn ich weiß nicht recht, was man damit sagen will; - den wirklichen Trost kann ich Ihnen aber bieten: er starb, ohne an den Tod zu denken. Er war von allem Anfang überzeugt, daß ihm nichts geschehen werde. Wir waren viel zusammen und er erzählte mir oft von seinem Familienglück, zeigte mir das Bild seines schönen jungen Weibchens und das seines Kindes; er lud mich ein, 'wenn nur einmal die Campagne aus sei', ihn in seiner Häuslichkeit zu besuchen. In dem Gemetzel von Magenta befand ich mich zufällig an seiner Seite. Ich erspare Ihnen die Schilderung der vorhergehenden Szenen - so etwas erzählt sich nicht. Männer, die kriegerischen Geistes sind, werden mitten im Pulverdampf und Kugelregen von so einem Taumel erfaßt, daß sie eigentlich nicht wissen, was um sie vorgeht. Dotzky war ein solcher Mann. Seine Augen sprühten, er zielte mit fester Hand; er war in vollem Kriegsrausch, das konnte ich - Nüchterner - sehen. Da kam ein Hohlgeschoß geflogen und fiel auf ein paar Schritte Entfernung vor uns nieder. Als das Ungetüm platzte, stürzten zehn Mann zusammen - darunter Dotzky. Es erhob sich ein Jammergeschrei unter den Unglücklichen - aber Dotzky schrie nicht: er war tot. Ich und noch ein paar Kameraden bückten uns zu den Getroffenen herab, um ihnen, wenn möglich, Hilfe zu bringen. - Es war aber nicht möglich. Sie rangen alle mit dem Tode, auf das greulichste zerrissen und zerfleischt, die Beute schrecklichster Schmerzen ... Nur Dotzky, zu dem ich mich zuerst auf den Boden gekniet, atmete nicht mehr; sein Herz stand still und aus der aufgerissenen Seite quoll das Blut in solchen Strömen, daß - wenn sein Zustand auch nur Ohnmacht und nicht der Tod gewesen wäre - es nicht zu befürchten stand, daß er wieder zu sich komme.»
 
«Zu befürchten?» unterbrach ich weinend. «Ja - denn wir mußten sie hilflos da liegen lassen: vor uns erklang wieder das mordgebietende «Hurra!» und hinter uns stürmten berittene Scharen heran, welche über diese Sterbenden hinwegsetzen würden - glücklich der Bewußtlose! Sein Gesicht hatte einen ganz ruhigen, schmerzlosen Ausdruck - und als wir, nachdem der Kampf vorüber war, unsere Toten und Verwundeten auflasen, fand ich ihn auf derselben Stelle, in gleicher Lage und mit dem gleichen friedlichen Ausdruck. Das habe ich Ihnen sagen wollen, Gräfin. Freilich hätte ich das schon vor Jahren thun können und, da ich nicht mit Ihnen zusammentraf, an Sie schreiben - aber die Idee kam mir erst gestern, als mir meine Cousine sagte, sie erwarte unter ihren Gästen die schöne Witwe Arno Dotzkys. Verzeihen Sie, wenn ich schmerzliche Erinnerungen wachgerufen; ich glaube doch eine Pflicht erfüllt und Sie von peinlichen Zweifeln befreit zu haben.» Er stand auf.
 
Ich reichte ihm die Hand: «Ich danke, Baron Tilling,» sagte ich, meine Thränen trocknend. «Sie haben mir in der That ein wertvolles Geschenk gemacht: die Beruhigung, daß das Ende meines teueren Mannes frei von Schmerz und Qual war ... Aber bleiben Sie noch ein wenig, ich bitte Sie ... Ich wollte Sie noch sprechen hören ... Vorhin, in Ihrer Ausdrucksweise, haben Sie einen Ton angeschlagen, der in meinem Gemüte eine gewisse Saite vibrieren gemacht - ohne Umschweife: Sie verabscheuen den Krieg?» Tillings Gesicht verfinsterte sich: «Verzeihen Sie, Gräfin,» sagte er, «wenn ich Ihnen über diesen Gegenstand nicht Rede stehe. Auch bedauere ich, mich nicht länger aufhalten zu können - ich werde erwartet.» Jetzt nahm mein Gesicht einen kalten Ausdruck an: vermutlich erwartete ihn die Prinzessin - und der Gedanke war mir unangenehm. «Da will ich Sie nicht zurückhalten, Herr Oberstlieutenant,» entgegnete ich kalt. Ohne nur die Erlaubnis zu erbitten, wiederkommen zu dürfen, verbeugte er sich und ging.
 
 
Auszug aus
Bertha von Suttner (1843-1914): Die Waffen nieder! (1889).
 
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! I
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! II
Bertha von Suttner: Kriegsspiele
 
„Die Waffen nieder!“ auf Wikipedia



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