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Wolfgang Sterneck
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GENDER

 
Das deutsche Wort "Geschlecht" führt häufig zu Missverständnissen, weil es sowohl den biologischen als auch den sozialen Aspekt der Geschlechtszugehörigkeit lediglich mit einem einzigen Begriff (nämlich "Geschlecht") beschreiben kann. Um aber für eine deutliche semantische Unterscheidung auch die erforderlichen Termini Technici bereitzustellen, wurde das Wortpaar Sex und Gender aus dem Englischen übernommen.
 
Sex bezeichnet hier die körperlichen Geschlechtsmerkmale sowie die sich aus der biologischen Geschlechtlichkeit ergebenden körperlichen Funktionen. Gender bezeichnet die soziale Geschlechtsrolle bzw. die sozialen Geschlechtsmerkmale. Gender bezeichnet also alles, was in einer Kultur als typisch für ein bestimmtes Geschlecht angesehen wird (z.B. Kleidung, Beruf usw.); es verweist nicht unmittelbar auf die körperlichen Geschlechtsmerkmale (Sex). In diesem Sinne bezeichnet Gender ein von sozialen und kulturellen Umständen abhängiges Geschlecht; es ist daher eine soziokulturelle Konstruktion.

Bei den meisten Menschen fallen Sex, Gender und Identitätsgeschlecht zusammen, sie besitzen also die Merkmale eines bestimmten Geschlechts, verhalten sich kulturabhängig diesem Geschlecht entsprechend und fühlen sich diesem Geschlecht auch zugehörig. Ist dies nicht der Fall, spricht man von Transgender.
 
Besonders die Gender studies bestreiten den kausalen Zusammenhang von biologischem und sozialem Geschlecht und dessen Kontinuitätsbestreben. Das soziale Geschlecht wird vielmehr bezeichnet als eine Konstruktion von Geschlecht (Doing Gender) Hierbei geht es zwar vordergründig um die Zuordnung von Menschen in eine "typisch männliche" oder "typisch weibliche" Rolle, aber auch um den Wert der Geschlechtsrolle. Gender beschreibt also vor allem die Art und Weise, in der Männer und Frauen sich zu ihrer Rolle in der Gesellschaft selbst positionieren und wie sie diese Rolle bewerten.
 
Insofern könnten beispielsweise (eine Minderheit von) Frauen ein eigenes Geschlecht, ("Gender") bilden, das sich einerseits auszeichnet durch die natürliche Anbindung an ihr biologisches Geschlecht und andererseits durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht. Genau die Ursachen und Auswirkungen dieses Umstandes beleuchtet der Begriff Gender. Die soziale Bedeutung eines solchermaßen konstruierten "sozialen" Geschlechts ist außerdem nicht feststehend, sondern variabel. Geschlecht und besonders seine Bewertung hängen ab von den in einer Gesellschaft vorherrschenden Machtstrukturen. So ist die Genderproblematik in einer matriarchalen Gesellschaft auf einer deutlich anderen Ebene angesiedelt als in einer patriarchalen, weil die Begriffe Männlichkeit und Weiblichkeit in den verschiedenen Gesellschaften auch unterschiedlich bewertet werden.
 
Eine Richtung der Gender Studies  beschäftigt sich mit den Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Eine andere und weiter verbreitete Richtung beschäftigt sich mit Prozessen der Unterscheidung von Geschlechtern, die im Effekt dazu führen, dass uns meistens zwei Geschlechter gegenübertreten. Die Geschlechterforschung ist sowohl Kultur- als auch Sozialwissenschaft und immer interdisziplinär. Zudem werden die Beziehungen der Geschlechter untereinander untersucht. Geschlecht wird in diesem Zusammenhang als soziokulturelle Konstruktion verstanden, nicht als biologisches Geschlecht.
 
Motive
Im wesentlichen gab es vier Gründe, Gender als eigenständige wissenschaftliche Kategorie zu etablieren.
- Es sollte eine Abgrenzung von biologischen Geschlechtern und der gesellschaftlichen Zuordnung von Geschlechter-Rollen stattfinden.
- Die Struktur von Beziehungen der Geschlechter mit anderen kulturellen Zusammenhängen und gesellschaftlichen Organisationsformen sollte erforscht werden.
- Die Machtverhältnisse, denen eine Zuordnung in "männlich" und "weiblich" folgt, sollten analysiert werden.
- Der Prozess des Unterscheidens zwischen Geschlechtern sowie seine Hintergründe und Auswirkungen sollte mitbedacht werden.
 
Die Gender Studies entwickelten sich aus den Womaen’s Studies die ca. 1970  Einzug in einige US-amerikanische Universitäten erhielten. Die Women's Studies beschäftigten sich allein mit der wissenschaftlichen Betrachtung von Frauen in einer von Männern dominierten Gesellschaft - dies allerdings zum ersten Mal aus feministischer Sicht. Unter anderem Virginia Woolf sah ein Defizit in dem Umstand, dass bisher zwar viel über Frauen geforscht worden war, allerdings immer nur von männlichen Wissenschaftlern und Autoren. Die Women's Studies sollten nun weibliche Lebenserfahrung sozialer und kultureller Realität als Grundlage der Wissenschaft bilden. Der Unterschied zwischen der männlichen Sicht auf Frauen und der weiblich erfahrenen Realität sollte erörtert werden, und die männlich dominierten Theorien sollten revidiert werden. Einerseits sollte gezeigt werden, dass Männer und Frauen gleich und damit gleichberechtigt seien, andererseits wurde darauf beharrt, dass es eine eigene "Frauenkultur" gäbe. In der Unvereinbarkeit dieser beiden Ansätze stießen die Women's Studies an ihre eigenen Grenzen. Aus diesem Dilemma entwickelten sich ca. 1975 die Gender Studies. Vorerst sollten die Unterschiede und Beziehungen von biologischem und sozio-kulturellem Geschlecht untersucht werden. Das Geschlechter-Verhältnis stand also im Mittelpunkt.
 
Mitte der 1980er Jahre entstand auch im deutschsprachigen Raum die Geschlechterforschung als eigene Disziplin. Durch die Beschäftigung mit den Geschlechtsrollen besonders auch in der wissenschaftlichen Forschung stellt sie eine Form der Wissenschaftskritik dar. Sie bemächtigt sich in diesem Zusammenhang unterschiedlicher wissenschaftlicher und analytischer Methoden, die je nach Forschungsobjekt variieren. Die Geschlechterforschung integriert verschiedene separate Diskurse. Da ist einerseits die radikal feministische Richtung der Matriarchatsforschung zu verzeichnen, daneben gibt es konstruktivistisch orientierte sich unparteiisch gebende Ansätze und praxisorientierte Forschungsansätze, die die Praxis in sozialen und internationalen Kontexten wissenschaftlich zu fundieren versuchen.
 
Inhalte
Wichtige Themen sind:
- soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern (Benachteiligung im Berufsleben)
- soziale Stellung der Geschlechter innerhalb der Gesellschaft (vergleiche: Patriarchat, Matriarchat, Frauenwahlrecht)
- Geschlechterpädagogik
- Queer-Theorie
 
Die vorherrschende Grundlage aller theoretischen Überlegungen, nämlich dass durch das biologische Geschlecht auch eine natürliche soziale Trennung der Geschlechter erfolgt, wird in den Gender Studies aufgehoben. Man geht vielmehr davon aus, dass Geschlecht konstruiert wird durch soziale und kulturelle Umstände. Es besteht also kein kausaler Zusammenhang zwischen dem biologischen Geschlecht und der Rolle in der Gesellschaft. Während das biologische Geschlecht in der Regel feststeht, ist Gender dementsprechend variabel und veränderbar.
 
Die Vielfalt der Bedeutungen von "männlich" und "weiblich" wird hervorgehoben, und im gleichen Moment werden bestimmte Vorstellungen vom natürlichen Wesen der Geschlechter, von Idealen von Männlichkeit und Weiblichkeit verdeutlicht. Als Folge dieser Überlegungen steht die veränderbare Beziehung der Geschlechter. Da diese nicht als natürliche oder statische Ordnung angesehen werden kann, wird sie als Repräsentation kultureller Regelsysteme gedeutet. Dabei ist der Aspekt der Wertung von Geschlecht wichtig; der Wert, der innerhalb einer Kultur einem Geschlecht zugeordnet wird, wirkt sich auch auf das Verständnis vom soziokulturellen Geschlecht innerhalb des gesellschaftlichen Systems aus. Ein Schwerpunkt ist es also, die Mechanismen, die hinter diesen Auf- bzw. Abwertungen von Geschlechtern stehen, aufzudecken. Im Gegensatz zu den Women's Studies ist es möglich, auch Differenzen zu betrachten, durch die sich Frauen voneinander unterschieden, insbesondere unter dem Gesichtspunkt von gesellschaftlichen Minderheiten.
 
Bereits 1991 wies Judith Butler auf das Problem der Trennung von biologischem und sozial konstruiertem Geschlecht hin. Es besteht ein Widerspruch in der Tatsache, dass Gender zwar als konstruiert angesehen wird, biologisches Geschlecht (sex) und die Sexualität hingegen als naturgegeben angenommen werden. Das Verständnis und die Bewertung von biologischem Geschlecht unterliegen ebenso dem Verständnis des sozialen Geschlechts. Diese Wechselwirkung wurde lange Zeit in den Gender Studies nicht berücksichtigt und wird eher als destruktive Kritik denn als notwendige Ergänzung des Faches gesehen. Ebenso ist der "konstruktivistische" Ansatz ungeeignet, zu erklären, wieso die gesellschaftliche Rollenverteilung so ist wie sie ist, und nicht die Rollen von Frau und Mann in den verschiedenen Kulturkreisen zufällig alternieren.
 
 (2006)



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