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Ingrid Strobl:
DIE ANGST VOR DEN FRÖSTEN DER FREIHEIT
Kreon:
Wenn sie sich ungestraft das leisten darf,
Bin ich kein Mann mehr, dann ist sie der Mann!
(...) Drum gilt's, das Ordnung-Schaffende zu schützen
Und ja nicht einem Weibe sich zu beugen!
Wenn's sein muß, besser, mich verdrängt ein Mann,
Dann heißt es nicht, ich lasse Weiber herrschen.
Sophokles: Antigone
So wenig wir über das Matriarchat oder einzelne matriarchale
Gesellschaften wissen, als gesichertes historisches Wissen, das
sich von retrospektiver Träumerei unterscheidet, so sicher
können wir annehmen, daß sich das Patriarchat als Herrschaft
nur in langwierigen und blutigen Kämpfen durchsetzen konnte.
In der europäischen Geschichte zeugen davon die antiken Dichtungen
und Amazonenfriese, die Hexenverfolgung und noch die Ethik Rousseaus
und der Code Napoleon. Erst mit dem nicht nur ökonomischen
sondern gesamtgesellschaftlichen Sieg des Bürgertums ist die
Unterwerfung der Frau und damit ihre Inferiorität in Europa
besiegelt. Doch auch nach dieser vorläufig totalen Niederlage
des Geschlechts begehren immer wieder einzelne Gruppen von Frauen
gegen ihr nunmehr als »natürlich« definiertes Schicksal
auf.
In Teilen Europas lebten im 16. und 17. Jahrhundert durchaus noch
Frauen, die es nicht nötig hatten, sich einem sogenannten Beschützer
zu unterwerfen. Grimmelshausen beschreibt in seiner »Courage«
ein solches Frauenleben des frühen 17. Jahrhunderts, ein Leben,
das hart war aber selbständig, bedroht, aber stets bereit,
der Bedrohung zu trotzen. Unzählige Frauen schlugen sich in
dieser Zeit selbständig durch, als Handwerkerinnen, Fahrende
und Marketenderinnen, Hebammen und Trickbetrügerinnen. Von
einer Unsichtbarkeit der Frauen, ihrem Verschwinden in der Reproduktion
konnte keine Rede sein. Im Gegenteil, die Frauen stellten quantitativ
die Mehrheit der Bevölkerung. Sie waren laut, frech und unbotmäßig,
und sie mischten in allen Sekten und Aufstandsbewegungen aktiv mit.
Sie stellten ein brodelndes Potential der Revolte, einer Revolte,
die die geistliche wie die weltliche Macht gleichermaßen bedrohte.
Die Hexenverfolgung, die den Aufstieg des Bürgertums begleitete
und von der sich formalisierenden weltlichen Gerichtsbarkeit organisiert
wurde, diente als Instrument zur Niederschlagung dieser latenten
und gelegentlich akuten Revolte der unbotmäßigen Weiber.
Nach der Ermordung von (je nach Schätzung) neun bis 30 Millionen
Frauen in nur zwei Jahrhunderten waren die Überlebenden und
Nachkommenden großteils so eingeschüchtert, daß
sie sich dem Regime des nunmehr bürgerlichen Patriarchats mehr
oder weniger beugten. Denn so, wie die Folter nicht nur der Erpressung
von Informationen dient, sondern (unter anderem) auch der Einschüchterung
der noch nicht Gefolterten, so diente die öffentliche Verbrennung
der Hexe nicht nur der Bestrafung der Beschuldigten, sondern gleichermaßen
der Einschüchterung der noch nicht Beschuldigten. In einem
Klima, in dem jede Frau eine potentielle Hexe ist, erlernt sich
ein Verhalten, das eventuell hilft, solchem Verdacht zu entgehen,
schnell.
Die bürgerliche Revolution liquidierte den Rest an überlebender
weiblicher Unbotmäßigkeit. Marie Antoinette wurde der
Kopf nicht nur abgeschlagen, weil sie Königin war. Sie wurde
auch enthauptet als Symbol für die »Sittenlosigkeit«
der alten Gesellschaft. Lange vor ihrer Enthauptung wurde von den
männlichen Revolutionären eine Kampagne angezettelt, in
der die Königin zum Inbegriff der Verkommenheit stilisiert
wurde: nymphoman und lesbisch, ehebrecherisch und machthungrig.
Die Patrioten diffamierten sie überdies als Fremde, und last
not least wurden ihr Beziehungen zu Giftmischerinnen, als Hexen,
nachgesagt. Die Revolutionärin Olympe de Gouges ahnte den tieferen
Sinn dieser Kampagne. Auch sie wurde geköpft. Die Masse der
»Bürgerinnen« jedoch ließ sich betrügen,
fiel auf den sexistischen Popanz herein und forderte das Haupt der
Königin noch vor dem des Königs. Zur Belohnung erhielten
sie das bürgerliche Regime des Ehemannes, versüßt
durch das hymnische Lob ihrer weiblichen - bürgerlichen Tugenden:
Sittsamkeit, Gehorsam und eheliche Treue.
"Die Negation des Falschen bleibt noch falsch. Ihr fehlt der
dialektische Umschlag, die Aufhebung also."
Bert Brecht
Den Frauen wurde aufgrund ihres Gebärvermögens die soziale
Last der gesamten Reproduktion aufgezwungen, eine Last, die ihrer
gesellschaftlichen und politischen Durchsetzung hinderlich war.
Wird jedoch - wie in vielen, auch feministischen, Theorien - das
Übel auf seinen Ursprung, die biologische Differenz zwischen
den Geschlechtern, reduziert, so wird damit die Reduktion der Frau
auf die Gattung unwillentlich affirmiert, wird die Zwecklüge
des Patriarchats noch in ihrer Negierung übernommen. Diese
Theorien ignorieren, daß die Reproduktionsarbeit, oder Gesellschaftsarbeit,
keine unveränderliche Größe ist, sondern sich historisch
verändert und formiert.
Die historische Entwicklung der Kindererziehung ist dafür
exemplarisch. Bis in das 18. Jahrhundert wurden Kinder nicht erzogen.
Sie wurden ernährt und wuchsen quasi nebenbei innerhalb des
Familienverbandes auf oder innerhalb der sozialen Gruppe, in der
die Mutter sich bewegte. Als Säuglinge wurden sie in Steckkissen
gezwängt, um sie problemlos bei der Arbeit ablegen zu können:
auf dem Feld, im Stall, in der Werkstatt, auf dem Troßwagen,
auf dem Handkarren der fahrenden Händlerin. Ungewünschte
bzw. überzählige Neugeborene wurden getötet. Frauen,
die es sich finanziell leisten konnten, übergaben das Kind
einer Amme, bis es alt genug war, um nicht mehr störend zu
wirken. Die angeblich angeborene Mutterliebe ist eine bürgerliche
Erfindung. Reproduktionsarbeit bedeutete nicht zu allen Zeiten,
was sie für die bürgerliche Hausfrau bedeutet, die sie
alleine bewältigen muß.
Die Mehrheit der Frauen war zudem nie auf die Reproduktion beschränkt.
Frauen arbeiteten immer auch in der sogenannten Berufswelt. Sei
es in der Landwirtschaft, sei es in Manufakturen bzw. Fabriken,
sei es im Handel, sei es im Dienstleistungssektor. Sie waren stets
präsent, phasenweise so präsent, daß sie von ihren
männlichen Konkurrenten bekriegt wurden, wie die Zunft-Handwerkerinnen,
die Hebammen, die Bierbrauerinnen, etc. Noch im 19. Jahrhundert
kollaborierte die junge deutsche Arbeiterbewegung mit den reaktionären
Schneidergesellen, um das von Frauen dominierte Schneiderhandwerk
in Männerhand zu bringen.
Dem frühen Industrie-Kapitalismus war es noch ziemlich gleichgültig,
wie sich die Ware Arbeitskraft reproduzierte. Entscheidend war ihre
radikale Vernutzbarkeit, ihre »Befreiung« von jeder
anderen Existenzmöglichkeit, um uneingeschränkt über
sie verfügen zu können. Erst die technische Höherentwicklung
der Produktion ergab die Notwendigkeit, den Arbeitenden bestimmte
Qualitäten zu verschaffen bzw. anzuerziehen, wie Zuverlässigkeit,
Gesundheit, bestimmte Grundkenntnisse, Pünktlichkeit, etc.
Diese Qualitäten mußten im Rahmen der Reproduktion geschaffen
und gesichert werden, also von der Haus- und Beziehungsarbeit der
Frau, der dieser Bereich a priori zugewiesen war. Der Frau wurde
somit faktisch enorme Mehrarbeit aufgebürdet, während
der Mann durch Auszahlung des Familienlohnes in seine Hand zum Ernährer
der Frau deklariert wurde. Die sich formierende Arbeiterklasse adaptierte
das bürgerliche Ideal der Familie, die »nichtarbeitende«,
d.h. nicht lohnarbeitende Ehefrau wurde zum Desiderat des männlichen
Arbeiters, zum Signum des Aufstieges aus proletarischem Elend zu
bürgerlicher Sittlichkeit.
Real konnte diese »Idylle« noch lange nicht durchgesetzt
werden. Zum einen reichte der Familienlohn häufig nicht aus,
um tatsächlich eine Familie zu erhalten. Zum anderen trugen
auch die nicht (mehr) lohnarbeitenden Frauen wesentlich zum Einkommen
bei. Sei es durch Heimarbeit, sei es, daß sie kleine Felder
oder Schrebergärten bewirtschafteten. In jedem Falle aber durch
ihre Sparsamkeit, die ihnen zusätzliche Mehrarbeit abverlangte:
lange Wege, um billige Lebensmittel zu organisieren, eigenhändige
Kleiderproduktion, die Versorgung von Untermietern etc. Was sich
jedoch durchsetzte, war die Degradierung der Leistungen der Frau
zum »Mit«. Sie war, nicht zuletzt aufgrund der niedrigen
Frauenlöhne, bestenfalls »Mitverdienerin«. Ihre
»Naturalienwirtschaft«, ohne die die Familie nicht hätte
überleben können, drückte sich nicht in Geld aus
und war somit wertlos.
Verschwunden ist also selbst in hochkapitalistischen Zeiten eventuell
Madame Bovary. Nicht verschwunden ist die reale Frau des Volkes.
Ihr Fluch liegt nicht in einer faktischen Reduktion auf die Reproduktion,
sondern darin, daß sie realiter immer doppelbelastet arbeitet,
in Produktion wie Reproduktion, gesellschaftlich aber so behandelt
wird, als leiste sie gar nichts. Die patriarchale Theorie und Gesellschaftspolitik
arbeiteten systematisch an der Unsichtbarmachung der Frauen, die
im praktischen Leben nicht zu übersehen waren. Ihr Verschwinden
wurde so lange behauptet, bis sie sich selbst als nichtexistent
beziehungsweise als Anhängsel des Mannes begriffen.
Dies gilt für einen großen Teil der Frauen Europas.
Auch in den Ländern der drei Kontinente setzte sich das Patriarchat
durch, teils »selbständig«, teils als Frucht des
Kolonialismus. Und auch dort etablierte sich die Macht der Männer
in einer langen und widersprüchlichen Geschichte von Kämpfen,
über die hier bezeichnenderweise noch sehr viel weniger bekannt
ist als über die Schlachten und Gefechte des Patriarchats in
Europa.
"Gerade die Fragen, die uns bedrängen, weigern wir uns
zu formulieren."
Merleau-Ponty
Die historische Analyse leugnet nicht die vorhandene biologische
Differenz. Tatsächlich unterscheiden sich die Körper der
Geschlechter in ihren Funktionen zur Produktion der Gattung. Der
Mann gibt lediglich den Samen ab, während der Körper der
Frau alles weitere bewältigen muß, die Vereinigung des
Samens mit dem Ei, das Reifen des befruchteten Eies, die Schwangerschaft,
die Geburt des Kindes und die erste Ernährung des Kindes.
In einer nach den simpelsten Gerechtigkeitsprinzipien organisierten
Gesellschaft müßte es selbstverständlich sein, daß
nach der Geburt des Kindes der Vater die Stafette übernimmt.
Die Pflege und Aufzucht des Kleinstkindes wäre die logische
Aufgabe des Vaters, der bisher quasi arbeitslos war. Es gibt keinen
physischen und auch keinen psychischen Grund, der dem angeborenen
Kind die leibliche Mutter unabdingbar machte.
Die Gebärfähigkeit der Frau fordert ihr neben Schwangerschaft
und Geburt weitere Belastungen ab, die, obwohl naturgegeben, gleichwohl
sozial regulierbar sind: Die monatlichen Blutungen, vor allem aber
die permanente Fruchtbarkeit der Menschenfrau. Es wäre zu untersuchen,
wie weit diese permanente Fruchtbarkeit nicht noch stärker
zur Unterwerfung der Frau beigetragen hat, als die realisierte Mutterschaft.
Ein, zwei Schwangerschaften, gegebenenfalls auch mehrere, wären
- bei gerechter Organisierung der Gesellschaft - zu verkraften,
ohne die soziale Stellung der Frau zu beeinträchtigen. Sofern
die Frau aus freiem Willen Mutter würde, nicht aus direktem
Zwang, noch, um eine ihr vorgeschriebene Rolle zu erfüllen.
Während jedoch die Fruchtbarkeit der Tiere auf wenige Zeiten
im Jahr beschränkt ist, kann eine Frau quasi immer schwanger
werden (die wenigen »unfruchtbaren Tage« ausgenommen),
das heißt, sie kann immer schwanger gemacht werden. Eine unendliche
Folge von Schwangerschaften und Geburten jedoch schwächt und
zerstört ebenso den weiblichen Körper wie die gesellschaftliche
Beweglichkeit der Frau. Frauen sehen sich so der ständigen
Drohung ausgesetzt, allein durch den sexuellen Akt in ihrer gesamten
Lebensweise beeinträchtigt zu werden. Diese reale Erfahrung
der Frauen hat Konsequenzen für ihr soziales Dasein - und für
ihre Sexualität, ihre Wahrnehmung der Sexualität. Sexualität
wird zu einem Hebel ihrer Unterwerfung, sobald der Mann sich seiner
Macht, die Frau zu schwängern und damit auch zu schwächenbewußt
wird.
Allein diese Grundkonstellation erforderte eine gesellschaftliche
Organisierung, die, um die biologische Schwäche (als die Kehrseite
des Vermögens, die Gattung zu produzieren) auszugleichen, die
Frauen kollektiv mit mehr Macht ausstattet als die Männer.
In bestimmten historischen Epochen (der europäischen Geschichte)
befanden sich die Frauen noch in der Lage, zumindest einen gewissen
Ausgleich durchzusetzen. Sei es, daß die Geschlechter ihre
generative Sexualität dem Gesetz des Ritus unterstellten, sich
also in Nachahmung der Tiere nur zu bestimmten Zeiten paarten. Sei
es, daß die Frauen Methoden der Schwangerschaftsvermeidung
beherrschten und somit fähig waren, ihre Befruchtung zu steuern
und damit zugleich ihre Sexualität dem Diktat des Generativen
zu entziehen. Anders gesagt: sie als eigene Lust zu erleben.
Sei es, daß Föten abgetrieben wurden in Zeiten des Überganges,
in denen Teilen der weiblichen Bevölkerung das Wissen um Verhütung
bereits geraubt worden war, während einzelne Spezialistinnen,
wie die Hebammen, noch in der Lage waren, eine gewisse Hilfe zu
gewähren. Daß in der Epoche der Hexenverfolgung die Hebammen
und sogenannten weisen Frauen mit als erste kriminalisiert wurden,
liegt hierin begründet: Die Frauen sollten ihrer Möglichkeiten,
autonom über ihre Fruchtbarkeit zu bestimmen, endgültig
beraubt werden, anders gesagt: sie sollten der Macht des Mannes
über ihre Körper und ihre gesellschaftliche Beweglichkeit
endgültig ausgeliefert werden.
Später konnten heterosexuelle Frauen ihre Fruchtbarkeit nur
noch um den Preis der Selbstbeschädigung regulieren: Indem
sie auf Sexualität gänzlich verzichteten, indem sie sich
brutalen und nicht selten mörderischen Abtreibungen unterzogen,
indem sie faktisch und verbal die bürgerliche Ideologie ihrer
Asexualität, ihrer Frigidität bestätigten, mehr noch:
sie internalisierten. Die anständige bürgerliche Frau
empfand keine Lust. Ihr Körper wurde zu einem Instrument sowohl
der Befriedigung des Mannes als auch der Fortpflanzung der Gattung.
Der Preis, den der Mann dafür zu bezahlen hatte, war - allerdings
rein theoretisch - die lebenslange Versorgung der einen, ihm gesetzlich
als Gattin unterstellten Frau. Oder der Stundenlohn für die
Prostituierte.
Kants nüchterne Feststellung, die Ehe sei ein Vertrag zum
gegenseitigen Gebrauch der Geschlechtswerkzeuge, war bereits zum
Zeitpunkt seiner Formulierung ein Anachronismus. Spätestens
jedoch seit der französischen Revolution, spätestens seit
der Domestizierung der promisken Pariser Fischweiber zu Bürgerinnen
konnte von wechselseitigem Gebrauch keine Rede mehr sein. Gebraucht
wurde nur noch der Körper der Frau: vom Mann zur Befriedigung
seiner zunehmend autistischeren sexuellen Bedürfnisse; von
der Frau zur Erlangung diverser sozialer »Vorteile«.
Ihr Körper war der Frau nicht länger Quelle der eigenen
Lust, er wurde zur Maschine, die sie verkaufen konnte, um für
den Kaufpreis andere Güter zu erwerben. Sei es im einmaligen
Verkauf an einen einzelnen Nutzer, sei es in wiederholten Verkäufen
an wechselnde Nutzer. Die notwendige Wartung, Pflege, Reinigung
der Maschine übernahm im Falle des einmaligen Verkaufes der
Käufer Ehemann, im Falle der Mehrfach-Verkäufe hatte die
Verkäuferin diese Kosten selbst zu tragen. Was sich entweder
in erhöhten Kaufpreisen niederschlug oder in einer schnelleren
Abnutzung der Maschine.
So erfuhr die Frau eine Entfremdung, die tiefer geht, als die Entfremdung
durch kapitalistische Arbeitsverhältnisse. Während sie
als weiblicher Lohnarbeiter lediglich ihre Arbeitsfähigkeit
veräußerte, etwa die Geschicklichkeit ihrer Hände,
verkaufte sie sich als Weib ganz und gar.
Das erniedrigendste Bild weiblichen Sklaventums und weiblicher
Entfremdung ist das der Ehefrau, die voll Ekel und Widerwillen aber
gottergeben unter ihrem Besitzer liegt und nur eines ersehnt: daß
er rasch zuende kommen möge. Diese radikale Entpersönlichung
der Frau als geschlechtliches Wesen hat Konsequenzen für ihre
gesamte Identität. Und zugleich für die Identität
des Mannes.Er weiß sich seiner »willigen« Gemahlin
gewiß, gleichzeitig aber langweilt ihn ihre Gottergebenheit
und läßt ihn nach Abwechslung suchen bei den »sittenlosen«
Frauen, die ihm nicht nur ihren Körper verkaufen, sondern -
bei entsprechender Bezahlung - auch noch die Illusion, er empfinde
nicht nur, sondern erzeuge auch Lust. So pervertiert ein ursprüngliches
Bedürfnis, Lust zu spenden und Lust zu empfangen, zu einer
käuflich erwerbbaren Lüge. Zu einem quasi extraterritorialen
regulierbaren und damit beherrschbaren Luxus, der eine Schimäre
ist. Im Alltag wünscht der entfremdete Mann die autonome Lust
der Frau gerade nicht, sie erscheint ihm gefährlich, Symptom
für Selbständigkeit, für Unabhängigkeit, oder:
ein Zustand, der dem weiblichen Geschlecht verwehrt werden muß,
da er die Macht des Mannes in Frage stellt.
Auf dieser Grundlage, die Ergebnis einer gesellschaftlichen Entwicklung
ist, doch bereits so tief im Unterbewußten verankert, daß
sie beiden Geschlechtern zur zweiten Natur wurde, fühlt der
Mann sich mächtig genug, um selbst noch Befreiungs-Anstrengungen
der Frau für sich zu vereinnahmen. So schlug in der jungen
Sowjetunion die in einer kurzen revolutionären Phase intendierte
sexuelle Befreiung der Frau prompt in ihr Gegenteil um: Während
Frauen wie Kollontai die Abschaffung der Zwangsinstitution Ehe und
die Freie Sexualität propagierten, wendeten diejenigen Männer,
die solche Forderungen nicht a priori ablehnten, sie sofort zu ihren
Gunsten. Die Mädchen des Komsomol wurden von ihren männlichen
Kollegen nun sexuell bedrängt bis genötigt. Weigerten
sie sich, zur Verfügung zu stehen, wurden sie als Konterrevolutionärinnen
diffamiert und damit faktisch erpreßt.
Ähnliches spielte sich während der sogenannten sexuellen
Revolution der 60er Jahre ab. Frauen, die sich weigerten, jedem
zur Verfügung zu stehen, die sich weigerten, jede Sexualpraktik
mitzumachen, wurden als reaktionär und frigide diskriminiert.
Was sich damals noch in begrenzten quasi elitären Zirkeln abspielte,
existiert heute, in einer durchpornographisierten Männergesellschaft
als Massenphänomen.
"Eine Frau, die noch einen eigenen Willen hat, liebt nicht
so sehr, wie sie sagt."
Choderlos de Laclos: Gefährliche Liebschaften
"Sie wurde von ihren Freunden geliebt, von ihren Liebhabern
vergöttert und von ihrem Gatten verehrt."
Diderot über eine Pariser Aristokratin
Die nüchterne Haltung des ancien régime fiel mit den
Köpfen seiner Aristokratinnen. Diese Haltung war kein Privileg
der Aristokratie, sie war auch den Frauen des niederen Volkes eigen,
das von den sich an die Macht putschenden Bürgern gleichermaßen
verachtet und gefürchtet wurde. Deren Ideologen, allen voran
Rousseau, übernahmen es, die Realisierung der Erfordernisse
des kapitalistischen Regimes - Selbstbeschränkung, Ordnung,
geregelte Eigentumsverhältnisse - durch Vernebelung der Köpfe
zu fördern. Da die klare Einsicht in die Brutalität der
sexuellen Besitz- und Nutzungsverhältnisse die Sklavinnen hätte
revoltieren lassen und die Herren einer schönen Illusion (Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit) beraubt hätte, reaktivierte
die bürgerliche Ethik ein latent immer vorhandenes Betäubungsmittel:
die Liebe.
Simone de Beauvoir stellte lakonisch fest: Da man den Frauen nicht
einreden kann, es sei ihr höchstes Glück, Töpfe zu
scheuern und Windeln zu waschen, macht man sie glauben, sie täten
das aus Liebe. Mit der politisch-gesellschaftlichen Etablierung
des Bürgertums wurden Ehen nicht mehr aus Vernunftgründen
geschlossen, sondern aus Liebe. Zumindest sollten sich die Ehepartner
das selbst suggerieren. Dem gemeinen Volk jedoch, dessen Verfügbarkeit
eine bürgerliche Kleinfamilie eingeschränkt hätte,
wurde die Ehe erschwert bis verweigert. Bis in das späte 19.
Jahrhundert mußte in Teilen Europas für die Eheschließung
ein bestimmter Geldbetrag vorgewiesen werden, den Mägde und
Knechte oder niedere Dienstboten zum Beispiel nie aufzubringen in
der Lage waren. Das sexuelle Verhalten der untersten Schichten wurde
weniger durch das Zivil- als durch das Strafrecht geregelt. Die
zivilisierte Liebes-Fähigkeit wurde ihnen abgesprochen, ihre
Sexualität als tierisch definiert und somit staatlicher Regulierung
bedürftig.
Armenhäuser, Arbeitshäuser, Irrenhäuser wurden zur
Endstation sexuell »auffälliger« Unterschichtfrauen,
die Zuchthäuser füllten sich mit Kindsmörderinnen.
Eine Praxis, die zunehmend verfeinert wurde und im Nationalsozialismus
ihren Höhepunkt sowohl an Perfektion der Erfassung als auch
an Brutalität des Eingriffs erreichte.
Der Arbeiterklasse wurde die auf Liebe gegründete kleinbürgerliche
Familie als Insignie des Aufstiegs aus der Gosse propagiert, eine
Propaganda, die auf fruchtbaren Boden fiel. Bei den Männern,
weil sich damit sowohl ihr sozialer Status als auch ihre reale Macht
über die eigene Frau erhöhte. Bei den Frauen, weil ihnen,
angesichts ihrer exzessiven Doppelbelastung, die Befreiung von der
Last Produktionsarbeit als tatsächliche Befreiung erscheinen
mußte. Und weil, wie Beauvoir festhielt, das Töpfescheuern
aus Liebe erträglicher erscheint als das Töpfescheuern
als Sklavendienst.
Unter dem gemachten der Ideologie wirkt jedoch ein reales Bedürfnis
des Menschen nach Zuneigung, Zärtlichkeit und sexueller Lust.
Dieses Bedürfnis, das sich historisch unterschiedlich äußerte
und realisierte, wurde schließlich in die Zwangsjacke bürgerlicher
Liebe kanalisiert und so - neben der direkten Gewalt - zu einem
der effektivsten Hebel patriarchaler Macht. Das ist das radikalste,
also tiefstverwurzelte Hemmnis, das die Frau gegen ihre Befreiung
in sich trägt: daß sie ihren Unterdrücker liebt,
daß sie vor dem fremden Vergewaltiger Schutz sucht beim privaten
Vergewaltiger, daß sie ihre Identität in der Anerkennung
durch den Gegner sucht.
Die Ausgeliefertheit der Frau, die weder über die gesellschaftliche
Macht noch über die ausreichende Kenntnis von Verhütungsmethoden
verfügt, um ihre Fruchtbarkeit autonom zu bestimmen, verbunden
mit ihrer historisch fortschreitenden Entfremdung von ihrem Körper
als Quelle eigener Lust bei gleichzeitiger Betäubung ihres
Bewußtseins durch das Opiat Liebe, diese Konstellation bildet
eine Basis bürgerlicher patriarchaler Macht. Diese Basis zu
leugnen beraubt alle revolutionäre Theorie ihres revolutionären
Gehalts.
Daß Männer von den sexuellen Herrschaftsverhältnissen
schweigen, ist logisch. Ihr autistisches und usurpatorisches sexuelles
Verhalten, das ihnen im Verlauf der Festigung und Erweiterung patriarchaler
Macht zum scheinbar natürlichen Bedürfnis wurde, ist Teil
ihrer Identität, dessen Aufgabe ihre Identität als solche
bedroht. Daß Frauen davon schweigen, liegt unter anderem an
ihrer Identifikation mit dem Aggressor und dessen Theorien. Und
an der Angst der Sklavin vor den Frösten der Freiheit. So wird
das zugleich verdinglichte und Gewalt-Verhältnis der Sexualität
der Geschlechter, das den ökonomischen und sozialen Verhältnissen
zugrunde liegt, und das damit der radikalsten Aufhebung bedürfte,
auch von denen ignoriert, die intendieren, Gewalt- und Machtverhältnisse,
Verdinglichung aufzuheben.
Figaro an Susanna: Mut!
Susanna zu Figaro: Und du: Verstand!
Mozart/Da Ponte: Figaros Hochzeit
In ihrer Alleinverantwortung für den gesamten Reproduktionsbereich
erfüllt die Frau drei Funktionen zugleich: Sie ist Gebärmaschine
und sex-machine; sie ist Hausarbeiterin, Kammerdienerin und Kindermädchen;
sie ist Liebesarbeiterin, Refugium und zugleich Sandsack des Mannes,
Objekt seines Bedürfnisses nach Zuneigung wie seiner Aggression.
Daß von diesen drei Funktionsbereichen, wenn überhaupt,
stets nur der eine erwähnt wird, der der Hausarbeiterin und
des Kindermädchens, ist, wie gezeigt, kein Zufall. Und selbst
in bezug auf diesen Bereich geriert sich auch revolutionäre
Utopie seltsam beschränkt. Sie phantasiert allenfalls die Entprivatisierung
dieses Bereiches durch Vergesellschaftung, also Kinderkrippen, öffentliche
Küchen und Wäschereien etc. Zum einen werden dann diese
Institutionen wieder mit weiblichem Personal ausgestattet, sei es
in der Phantasie, sei es in realen Experimenten, wie etwa in der
jungen Sowjetunion. Zum anderen sind diese Phantasien und erst recht
die realen Experimente notgedrungen kurzlebig und lethargisch, denn
sie ignorieren das Bedürfnis des (kapitalistisch geprägten)
Menschen nach Privatheit und das Bedürfnis bzw. den Anspruch
des Mannes nach persönlicher Versorgung, die nur die liebende
Frau befriedigend gewähren kann.
Der Mann strebt nicht nach der faktischen Vernichtung des weiblichen
Geschlechts, er hat nicht vor, die Geschlechterdifferenz zu liquidieren.
Er trachtet im Gegenteil danach, die soziale Ausbeutung der biologischen
Divergenz zu verlängern, zu verstärken, sie sich nutzbar
zu machen, nicht nur im Ökonomischen, sondern auch im Privaten.
Nur der lebendigen und in ihrer Geschlechterrolle funktionierenden
Frau kann der Mann sein Herz ausschütten. Nur sie kann ihm
die Illusion gewähren, ein Versorger und Beschützer und
überdies ein Held zu sein. Nur im Stupor der lebendigen von
ihm vergewaltigten Frau kann er seine Macht erleben, indem er sie
in sexuelle Lust transponiert. Nur in den Augen der lebendigen Frau
kann er sich als einzigartiges Individuum spiegeln und die Größe
und Überlegenheit halluzinieren, an deren Mangel er im Umgang
mit seinesgleichen leidet.
Seine Experimente zur Technisierung der Gattungsproduktion entspringen
seiner Sehnsucht nach Omnipotenz, doch die Omnipotenz wird ihm nichtig,
sobald er sich nur noch unter anderen Omnipotenten wiederfindet.
Er braucht zu seiner Selbstversicherung als männliches Subjekt
nicht nur eine Hierarchie unter seinesgleichen, er braucht die Gewißheit
der existenziellen Überlegenheit über ein von Natur aus
minderes Wesen, in dessen Kleinheit er sich spiegeln kann, dessen
Bestrebungen nach Angleichung an das Höhere - an ihn - er eventuell
gnädig fördern kann, das ihn jedoch letztlich nie wirklich
erreicht. Er braucht nicht die Gleichheit und nicht die Nivellierung,
er braucht die Differenz.
Die Gleichsetzung des Begriffes »Gleichheit« mit dem
Manne »als Maß aller Dinge«, also mit der Angleichung
der Frau an den Mann und somit ihrer Nivellierung als Geschlecht,
erliegt der alten Lüge der Differenz-Ideologen. Sie übernimmt
die Definition des Gegners und beugt sich so seiner Macht, die auch
immer eine Definitionsmacht ist.
Das tertium comperationis ist nicht der Mann, sondern der Mensch.
Ein bislang lediglich behaupteter, jedoch noch nicht erreichter
Zustand, der sich erst realisieren kann in einer Gesellschaft, die
jede Wertung von Geschlechtern, »Rassen«, Klassen, negiert.
Die also die bislang herrschende Norm aufhebt, welche nicht nur
das Verhalten der Menschen bestimmt, sondern auch - durch tiefe
Verwurzelung - ihre Bedürfnisse und Träume.
Nicht die Feststellung biologischer Differenz und ihrer sozialen
Folgen, aber das Beharren auf biologischer Differenz als Wert perpetuiert
hierarchisches Denken, perpetuiert Norm. Solange Menschen, Frauen
wie Männer, biologische Differenz als Wert an sich anerkennen,
liefern sie die TrägerInnen der Differenzen der Bewertung durch
Macht, der Bewertung durch die jeweils herrschende Norm aus. Das
als das Andere Definierte ist immer das Höhere oder das Mindere,
nie das Gleichwertige.
So wie es kluge Rassisten gibt, gibt es auch kluge Sexisten. Sie
profilieren sich seit langem, indem sie Frauen suggerieren, ihr
Gebärvermögen gebäre auch besondere Qualitäten,
die Frauen qua Geschlecht zu besseren Menschen machten, zu liebevollen,
geduldigen, fürsorglichen, das Leben bewahrenden, friedlichen
Menschen. Eine Suggestion, die implizit gleichermaßen die
Männer von der Sich-Aneignung solcher Qualitäten entbindet,
wie sie den Frauen die Sich-Aneignung »männlicher«
(als männlich definierter) Qualitäten verwehrt. Unzählige
Frauen lassen sich von diesem Opiat betäuben, um ihre reale
Lage als Ungleiche, als Abhängige, Ausgebeutete und Erniedrigte
nicht klar zu sehen und nicht ändern zu müssen.
Die linksradikale Variante dieses klugen Sexismus ist die Romantisierung
des Reproduktionsbereiches als eine vom kapitalistischen Kommando
und dessen Rationalität nicht beschädigte Enklave der
Subjektivität. Diese Variante des »frauenfreundlichen«
Sexismus leugnet den abhängigen, den isolierten, verdummenden,
abstumpfenden und zwangsneurotischen Charakter der Hausarbeit. Hausarbeit
ist zum größten Teil repetitive Arbeit, Sisyphusarbeit.
Der gewaschene Teller wird benutzt, wird wieder schmutzig, muß
wieder gewaschen werden, ad infinitum. Der gewischte Boden wird
betreten, wird beschmutzt, muß wieder gewischt werden, ad
infinitum.
Der Betrug, und sei es ein Selbstbetrug, dieser linken Sexisten
entlarvt sich auch in ihren Utopien. Sie fordern maximal eine Sozialisierung
der Hausarbeit, nie aber eine Übernahme dieser Tätigkeiten
durch den Mann, sei es privat, sei es kollektiv. Der männliche
Revolutionär phantasiert sich nicht Wäsche waschend und
Geschirr spülend und Windeln wechselnd und Toiletten putzend.
So diese unverzichtbaren Tätigkeiten eigene Aktivität
von ihm verlangen, erledigt er sie (meist erst unter dem Druck seiner
weiblichen Mitbewohner) widerwillig, als Pflicht, als Zugeständnis.
In seiner Theorie jedoch, die eben diese lästigen Pflichten
automatisch wieder den Frauen zuweist, gelingt es ihm in seiner
atemberaubenden Verdrängungsleistung, sie von ihrem Charakter
als zwar notwendige aber unangenehme Tätigkeiten zu befreien
und in autonome, tiefstmenschliche, die Subjektivität rettende
und bewahrende Tätigkeiten zu verwandeln.
Diese Harmonisierung der Hausarbeit durch den männlichen Theoretiker
korrespondiert der Verdrängung seines Bedürfnisses nach
einem Refugium, in das er, der müde Krieger nach geschlagenen
Schlachten zurückkehrt, auf daß ein liebend Weib seinen
Körper bette, seine Wunden salbe, seinen Hunger stille und
seinen Heldentaten die Reverenz erweise. Als moderner Revolutionär
muß er sich diesem Traum, den seine historischen Genossen
noch ungebrochen träumen/träumten, verbieten. Für
dieses Verbot wiederum rächt er sich, indem er die Frau als
unsichtbares passives Opfer definiert, das vom allgewaltigen und
männergemachten Apparat Imperialismus gnadenlos ausgesaugt
und aufgesogen wird. Es sei denn, er, der edle Ritter, schwingt
sich auf sein Schlachtroß, um die Wehrlose dem Rachen des
Monsters zu entreißen.
Spätestens seit dem Sieg der bürgerlichen Tugend über
das Ich des europäischen Menschen existiert die Frau ohne Mann
nur noch als lächerliche Figur, bestenfalls als tragische Gestalt.
Als Tragödin hat sie dahinzusiechen oder sich selbst umzubringen.
Als lächerliche Figur wird sie bemitleidet oder verhöhnt.
Eine Frau ohne Mann ist eine Frau, die von keinem Mann begehrt wurde
und damit eine Frau ohne Wert. Bekennt sie sich zu ihrer Entschließung
gegen die Besitzansprüche eines Mannes, wird sie, egal ob sie
tatsächlich lesbisch lebt oder nicht, als Lesbierin bekämpft.
Dem Hagestolz, dem Junggesellen, der sich »seine Freiheit
bewahrt« entspricht kein weibliches Pendant. Auf weiblicher
Seite gibt es lediglich das Mauerblümchen, die Verlassene,
die alte Jungfer.
Die Frau in der Männergesellschaft bedarf, um als »vollständiger
Mensch« anerkannt zu werden, nicht nur des Mannes, sondern
auch des Kindes. Die Frau ohne Kind wird wie die Frau ohne Mann
bemitleidet oder verhöhnt: sie gilt als unfruchtbar - also
bedauernswert oder als widernatürlich - also verachtenswert.
Sie verstößt in jedem Fall gegen die Norm, und dieser
Normverstoß wird wo nicht geahndet so doch immer registriert.
Die Frau ohne Kind steht wie die Frau ohne Mann unter permanentem
Legitimationsdruck.
So wird die Frau ohne Mann, ohne Kind, ob sie es will oder nicht
quasi automatisch zur Rebellin. Sie kann versuchen, diesen grundlegenden
Normverstoß »wiedergutzumachen«, indem sie sich
in allen anderen Lebensbereichen der Norm, den Gesetzen der Gesellschaft
unterwirft. Sie kann sich aber auch aus der Rebellion gegen die
Fundamente der Norm entwickeln zur Kämpferin gegen die Gesellschaft,
die die Norm setzt und bewahrt.
Gleichzeitig wird die Revolutionärin, die die herrschende
Gesellschaft bekämpft - selbst wenn sie Mann und Kind »vorweisen«
kann - quasi automatisch des Normverstoßes bezichtigt. Indem
sie ihre »weibliche« Passivität aufgibt, Aktivität
nicht einzig auf Mann und Kind richtet, sondern auf die »Sache«
der Revolution, verstößt sie tatsächlich gegen die
Geschlechterregeln. So liegt der Verdacht, selbst wo er unbegründet
wäre, nahe, sie verstoße auch im Privaten gegen die Norm,
verhalte sich anormal.
An der Diskriminierung und Verfolgung von Frauen, die gegen die
Norm verstoßen, sind nicht nur Männer, sondern auch Frauen
beteiligt. Die herrschende Norm ist nicht ein von raffinierten Herrschern
erfundenes Konstrukt, das den Menschen irgendwann aufgezwungen wurde
und das mittels besserer Einsicht und guten Willens beseitigt werden
könnte. Sie basiert vielmehr auf tiefverwurzelten Ängsten
und Bedürfnissen, die unter dem Druck der jeweiligen Herrschaftsverhältnisse
in deren Sinne forciert, verfälscht, geformt wurden. Das Staunen
über den Fremden wurde zum Mißtrauen gegen den Fremden,
zur Xenophobie, zum Rassismus. Das Gebärvermögen der Frau
wurde zur Quelle ihrer Erniedrigung und Ausbeutung, und diese schließlich
zu ihrem »natürlichen Schicksal«. Das jeweils andere,
als Anderes behandelt, wird zum Anderen.
Es ist naiv zu meinen, diese Normierung des Menschen, die ihm zur
zweiten Natur geworden ist, könne per Beschluß, könne
in einem revolutionären Akt aufgehoben werden. Sie ist träge
wie die Materie, sie zieht selbst den revolutionären Impetus
auf »die Erde« zurück. Sie kann auf unabsehbare
Zeit nur unermüdlich in stetigen und beharrlichen Kämpfen
thematisiert und damit in Frage gestellt werden. Sie bringt die
Revolutionärin in Widerspruch zu ihren Genossen und die RevolutionärInnen
in Widerspruch zu den »normalen« Menschen. Sie ist die
Advokatin der Bequemlichkeit, denn es ist in jedem Falle weniger
anstrengend, sich ihr zu unterwerfen als sie zu bekämpfen,
gesellschaftlich wie in sich selbst. Sie suggeriert den RevolutionärInnen:
ihr könnt euch den normalen Menschen, den Massen, nur verständlich
machen, wenn ihr euch selbst wie normale Menschen verhaltet.
Sie ist kein äußerer Feind, den der Revolutionär
als ein ihm Fremdes bekämpft, sie nistet in seiner eigenen
Seele, sie ist verwoben mit dem Material, aus dem er als gesellschaftlicher
Mensch gemacht ist. Er muß, will er sie bekämpfen, einen
Teil seiner selbst vernichten. Dies gilt ebenso für die Revolutionärin,
doch während sie die Sklavin in sich liquidiert, muß
der männliche Revolutionär den Herren in sich vernichten.
Während sie sich Wunden schlägt im Kampf um ihren Sieg
als Mensch, kämpft er um seine Niederlage als Mann. Die Norm,
die in seiner Seele nistet, macht ihn blind für das Ziel, das
die Revolutionärin anstrebt: die Schaffung des Menschen. Die
realen Vorteile seines Mann-Seins verstellen ihm den Blick auf die
ihm unvorstellbaren Vorteile des Mensch-Seins. Deshalb weicht der
männliche Revolutionär stets aufs Neue aus auf das überschaubare
Terrain der reinen Ökonomie, deshalb leugnet er das Politische
im Privaten, die sexuelle Dimension von Herrschaft, seine eigene
Involviertheit als Profiteur der Machtverhältnisse. Deshalb
verfällt er in bürgerlichen Idealismus, in totale Personalisierung,
sobald es um den Geschlechter-Antagonismus und seinen persönlichen
Beitrag zu dessen Aufhebung geht: Während er als Revolutionär
die gesellschaftlichen Bedingungen des menschlichen Seins erkennt
und den Satz, daß das Sein das Bewußtsein bestimmt,
eher dogmatisiert als daß er ihn leugnet, vermeint er, sich
als Mann der Geschichte entziehen zu können, indem er mit dem
Eigensinn des kleinen Kindes behauptet: »Aber ich bin doch
nicht so!« Schlimmstenfalls sind alle Männer böse,
er jedoch ist ein Freund und Helfer der Frauen.
Frauen, die das Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern
bekämpfen, Frauen, die der patriarchalen Norm, diesem zähen
und erbitterten Feind des Mensch-Seins den Krieg erklären,
Frauen, die die herrschenden Verhältnisse, die Herrschaft im
wahren Sinne des Wortes radikal aufheben wollen, bedürfen nicht
so sehr der männlichen Genossen, die sich für ihre Freunde
halten, als der männlichen Genossen, die bereit sind, zum Feind
des Mannes zu werden.
Verwendete Literatur:
Aischylos: Die Orestie
Elisabeth Badinter: Die Mutterliebe
Emilie Emilie. Weiblicher Lebensentwurf im 18. Jahrhundert
Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht, Auge um Auge
Wilhelm Blos: Die Französische Revolution
Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarisch zu
kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen
des Weiblichen
Diderot: Sur les femmes (Oeuvres completes Band X)
Edmond und Jules de Goncourt: Die Frau im 18. Jahrhundert
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen: Lebensbeschreibung der
Erzbetrügerin und Landstörzerin Courasche
Homer: Ilias, Odyssee
Max Horkheimer / Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung
Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
Choderlos de Laclos: Gefährliche Liebschaften
Maurice Merleau-Ponty: Humanismus und Terror
Wolfgang Amadeus Mozart/Lorenzo Da Ponte: Le nozze di Figaro
Jean Jacques Rousseau: Emil oder Über die Erziehung
Gustav Schwab: Sagen des klassischen Altertums
William Shakespeare: Der Widerspenstigen Zähmung
Sophokles: Antigone
Peter Weiß: Notizbücher I und II
Aus dem Buch:
Ingrid Strobl;Klaus Viehmann und GenossInnen; autonome l.u.p.u.s.-Gruppe
/ Drei zu Eins
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