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Antje Hagel und Antje Schuhmann:
AUFSTIEG UND FALL DER FRRAUENBEWEGUNG
Es war einmal eine Frauenbewegung, so oder ähnlich fatalistisch
könnte eine Beschreibung angesichts der momentanen Situation
lauten. Heute erschöpfen sich die Aktivitäten der Frauenbewegung
darin, daß Frauen als Frauen Frauenpolitik machen und dabei
viel zu oft nicht über den weißen Mittelschichtstellerrand
hinausblicken. Eine kritische Zustandsbeschreibung im Kontext der
historischen Entwicklung von feministischer Theorie und Praxis führt
uns zu der These, daß sich die sogenannte Neue Frauenbewegung
immer wieder inkorporieren ließ.
Aus der Studentenbewegung kommend, entstanden Ende der sechziger
Jahre die ersten Frauengruppen im studentischen Milieu, wie etwa
der Aktionsrat zur Befreiung der Frau in Berlin oder der Weiberrat
und die Frauengruppe im Revolutionären Kampf (RK) in Frankfurt.
Der Mief von tausend Jahren,(1) der Krieg in Vietnam und die Erfahrungen
der wilden Streiks Mitte/Ende der sechziger Jahre in der Bundesrepublik
hatten die Universitäten zum Tanzen gebracht. Die antiautoritäre
Studentenbewegung ebnete sozusagen den Weg zur Kritik am autoritären
Gehabe der männlichen Kommilitonen und späteren Lebenspartner
oder Ehemänner. Insofern ist die Rede der heutigen Filmemacherin
Helke Sander auf der SDS-Konferenz 1968 als Spiegel zu verstehen,
den die Frauen des Aktionsrates für die Befreiung der Frau
ihren Genossen vorhielten. In dieser Rede forderten sie die Erweiterung
bzw. Erneuerung des politischen Ortes (Alltag, Bett etc.) und der
Kampfformen. Bloße ökonomistische Erklärungsmuster
reichten ihnen nicht mehr aus, um das System der Ausbeutung zu erklären.
Die Analyse und Kritik der Herrschaftsverhältnisse in ihren
alltäglichen und für Frauen spezifischen Ausprägungen
sollten entwickelt werden.
Diese Forderung faßte die Neue Frauenbewegung in dem Slogan
Das Private ist politisch. Schon früh richteten sich die Aktivitäten
der Frauen auf Bereiche des weiblichen Lebenszusammenhangs: gewollte
und ungewollte Schwangerschaft, Mutterschaft und (Haus)Arbeit. Insofern
spielte die Auseinandersetzung um den §218 eine zentrale Rolle.
Vielen Frauen, nicht nur im studentischen Milieu, erschien die Abschaffung
des Abtreibungsverbots längst überfällig. Bereits
1969 hatte die SPD einen Gesetzesentwurf zur Reform des §218
vorgelegt. Spätestens seit diesem Zeitpunkt hatten Frauen aus
dem sozialliberalen Umfeld sich aktiv für die Fristenregelung
eingesetzt und verschiedene Initiativen gegründet. Im Kampf
gegen den §218 trafen sich Frauen aus unterschiedlichen Spektren.
Im Juli 1971 auf der zweiten Deligiertenkonferenz aller am Kampf
gegen den §218 interessierten Gruppen in Frankfurt einigten
sie sich auf die Forderung nach einer ersatzlosen Streichung des
§218. Sie brachte zum Ausdruck, daß sie nicht mehr gewillt
waren, sich von Staat und Kirche auf die Tische der KurpfuscherInnen
oder ins Ausland zwingen zu lassen.
Die Frauen richteten sich mit medienwirksamen Aktionen an die Öffentlichkeit,
hofften sie doch, über diesen Weg mehr Frauen erreichen und
zur gesellschaftlich relevanten Kraft werden zu können. Öffentliche
Regelverletzung war nicht nur eines der medienwirksamsten Propagandamittel,
sondern auch Ausdruck der Ablehnung staatlicher Normsetzung. Die
Selbstbezichtigungsanzeige Wir haben abgetrieben, im Juni 1971 im
Stern veröffentlicht, wie auch die öffentlichen Massenfahrten
nach Holland in die dortigen Abtreibungskliniken sind in diesem
Kontext zu verstehen. Und selbst nachdem gegen das Frankfurter Frauenzentrum
Anzeige wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §129
erstattet worden war, betonten die Frauen, mit ähnlichen Aktionen
weiterhin die Machtfrage(2) stellen zu wollen.
Zu dem alten Argument der sozialen Ungerechtigkeit, die eine Zwei-Klassen-Abtreibungspraxis
hervorbrachte, gesellten sich Analysen des kapitalistischen Gesundheitswesens
und der internationalen Bevölkerungspolitik, die einerseits
die Völkermordpraxis der imperialistischen Länder an Frauen
der 3.Welt(3) anklagten und andererseits den Zwang zur Mutterschaft
in den Metropolen aufzeigten. In diesem Zusammenhang wurden auch
die gesundheitsschädlichen Verhütungsmittel und die Vergabe-
und Beratungspraxis der FrauenärztInnen angegriffen. Außerdem
erkannten die Frauen, daß der Mythos von der Frau als dem
Mann untergebenes, dem Haus zugeordnetes und zur Mutterschaft geborenes
Wesen in den Zwang zur Heterosexualität mündet. Zwangsheterosexualität
wurde als Teil der patriarchalen Ideologie entlarvt.
Viele Gruppen begannen mit Selbstuntersuchungen und ließen
sich nicht mehr länger von den Göttern in Weiß einschüchtern.
Um die Monopolstellung der FrauenärztInnen aufzubrechen, publizierten
einige Frauengruppen Frauengesundheitsbücher, während
andere Informationen über ÄrztInnen und deren Untersuchungs-
und Beratungspraxis sammelten. Zu diesem Zweck konzipierten sie
Ärztefragebogen, die dann in den neu entstehenden Frauenzentren
zusammengetragen wurden. Die §218-Gruppen propagierten medizinische
Neuerungen wie die heute übliche Absaugmethode, aber auch Verhütungsmethoden,
wie das Diaphragma oder die Portio-Kappe.
Die dann am 6.5.1975 nach einigem juristischen Hin und Her und
dem Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts erlassene Indikationslösung
entsprach in ihrer Formulierung am ehesten den Argumentationen der
gemäßigten Frauenbewegung. Sie regelte die Abtreibung
in kriminologischen, medizinischen/eugenischen und sozialen Notlagen,
gestattete ambulante Abtreibungen, sicherte die Finanzierung durch
die Krankenkassen und sah ein Beratungsgespräch vor. Die ersatzlose
Streichung des §218 konnten die Frauen also nicht durchsetzten.
Vielmehr behielt sich der Staat das Recht vor, die Entscheidung
der Frau zu kontrollieren und gegebenenfalls einzuschreiten.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts markierte einen
wichtigen Einschnitt in der weiteren Entwicklung der Frauenbewegung.
Fast alle Frauen fanden sich mit dem Scheitern der Streichungsforderung
ab, viele zogen sich daraufhin zurück, andere richteten ihre
Energien auf unterschiedliche Frauenprojekte, die nun überall
entstanden.
Sie gründeten Frauenverlage und -zeitschriften, eröffneten
Frauenbuchläden, -cafés und -bildungsstätten, richteten
Notrufe und Häuser für geschlagene Frauen ein und vieles
mehr. In diesen frauenbestimmten Räumen sollten Frauen die
Möglichkeit haben, frei von patriarchalen Zwängen neue,
andere Erfahrungen mit Frauen zu machen. Sei es über die literarische
Vermittlung neuer Frauenbilder (welche erinnert sich nicht an Häutungen
von Verena Stefan), sei es als Fluchtburg vor dem grauen Alltag
des Patriarchats. Ohne Zweifel veränderten sich die Beziehungen
unter Frauen, öffneten sich Türen, die ihnen vorher verschlossen
waren, wurden Wege aufgezeigt und eingefordert, die es ihnen erlaubten,
sich zumindest teilweise den verschiedenen direkten Zwängen
zu entziehen. Mit den Projekten verband sich auch die Hoffnung,
den Aufbau eines Gegenmilieus [zu] ermöglichen, in dem Frauen
unbeeinflußt von Männern eigene Lebensformen entwickeln
[können]. Darüber hinaus hofften die Frauen, sich Arbeitsmöglichkeiten
in selbstbestimmten Räumen schaffen und sich so der patriarchalen
Arbeitswelt entziehen zu können.(4) Doch schon damals wurden
diese selbstbestimmten Räume oft zu Nischen, in denen viele
sich in ihrem Frausein gemütlich einrichteten.
Bei den öffentlich agierenden Gruppen und Projekten dieser
Zeit stand das Autonomiegebot als zentraler Organisationsansatz
im Mittelpunkt. Es beinhaltete die von Staat, Parteien und sonstigen
Institutionen unabhängige Finanzierung und Trägerinnenschaft
und setzte auf die unbezahlte Arbeit der Projekte-Frauen, die in
Abgrenzung zur klassischen karitativen Arbeit von Frauen in Verbänden
und Kirchen auf die Veränderung der Gesellschaft und des eigenen
Alltags zielte. Die staatlichen Institutionen und caritativen Verbände
wurden wegen ihrer männlich-dominierten und hierarchischen
Strukturen kritisiert. Dem glaubten die Frauen das Konzept der Frauenselbstbestimmung
entgegensetzen zu können.
Die seit Anfang der siebziger Jahre entstandenen Selbsterfahrungsgruppen
waren der Versuch, gemeinsam die gesellschaftlichen Vereinzelungstendenzen
aufzubrechen. Das Private wurde in dem Moment politisch, in dem
sich Frauen über die scheinbar individuellen Erfahrungen im
Reproduktions- und Lohnarbeitsbereich austauschten und diese als
kollektive Erfahrungen struktureller Gewalt erkannten. Verbanden
viele zu Beginn der Frauenbewegung ihre subjektiven Erfahrungen
mit den gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Unterdrückung
und wandten sich gleichermaßen gegen Kapitalismus und Patriarchat,
so löste sich dieser radikale Ansatz im Laufe der siebziger
Jahre mehr und mehr auf hin zu einer Umkehrung der Parole Das Private
ist politisch. Wenn aber das Politische privat wird, verändert
sich auch die Perspektive. Es scheint dann, als ob nicht mehr die
materielle Welt zu verändern [ist], sondern zuallererst das
Selbst, ... so daß heute nur noch das Persönliche als
politisch relevant und legitim erachtet wird.(5)
Ganz unter diesem Zeichen stand die in den achtziger Jahren verstärkt
einsetzende Suche nach der eigene Identität und Ganzheitlichkeit.
Alles wurde wieder zum persönlichen Dilemma. Die Lösung
ihrer Probleme konnte frau in einem der nun zahlreich erscheinenden
How-to-do-Bücher nachschlagen: Ich bin OK, du bist OK; Ich
bin Ich usw.
Die Marktlücke Frauenemanzipation wurde entdeckt und erschlossen.
Frauenmagazine im Fernsehen, Frauenbuchreihen in jedem Verlag, Frauenbuchecken
in jedem Buchladen, die emanzipierte Frau in der Werbung, die den
Mann mit dem neuen Spülmittel spülen läßt,
Vorzeigefrauen in leitenden Positionen etc. Da nun offensichtlich
nicht einmal mehr der Mainstream am Frauenthema vorbeikam, schien
der Frauenbewegung die Möglichkeit zur öffentlichen Einflußnahme
sicher.
Die achtziger Jahre waren von einem Reorganisationsprozeß
der Ausbeutung von Arbeitskraft geprägt, der die Zerstörung
von Lebensgrundlagen und die gesellschaftliche Vereinzelung forcierte.
Angesichts verstärkter Repressions- und Assimilierungstendenzen
unter der neuen konservativen Regierung sahen sich sowohl die Alternativbewegungen
als auch die Frauenbewegung gezwungen, gegen einen verstärkten
Zugriff auf die neu geschaffenen Nischen zu reagieren. Unter Berufung
auf eine angeblich aus der Frauenbewegung gewonnene, spezifisch
weibliche Identität erhoben sich nun viele Frauen in den Status
einer Hüterin der wahren Wert: Schutz von Mutter Erde, Intuition,
Naturverbundenheit, wahre Liebe ... So kam der Frauenbewegung eine
enorme Innovationskraft für die achtziger und neunziger Jahre
zu, da Frauen ihre moralische Überlegenheit in die patriarchale
Welt heilend einbringen durften und wollten.
Nicht nur im Feminismus veränderte sich die Perspektive weg
von der Kritik der Ausbeutungsverhältnisse hin zum Aufzählen
vielfältiger Mißstände. Das Resultat war und ist
noch heute, daß alle irgendwo und irgendwann unterdrückt
werden und nur noch Opfer von irgendwas sind. Das Engagement beschränkte
sich immer mehr auf den Kampf gegen die Symptome der Unterdrückung,
beispielsweise für kosmetische Verbesserungen in der Sprache.
Neue Soziale Bewegungen wie die zahlreichen BürgerInnenbewegungen
und Stadtteilinitiativen oder auch die Ökologiebewegung verfolgten
zunehmend eine Einpunktpolitik. Die meisten verband nicht nur eine
gemeinsame ökologische Ethik, oft ging damit auch der Glaube
an die Reformierbarkeit dieser Gesellschaft durch das Vorleben einer
individuellen Alternative einher.
Manche glaubten nun, Frauenidentität endlich selbst füllen
zu können, weshalb Zuschreibungen qua Geschlecht plötzlich
nicht mehr verdammenswert erschienen, sondern teilweise sogar gewünscht
und produziert wurden. Damit bewegten sie sich auf einer Argumentationsebene,
auf der Ungleichheiten festgeschrieben werden. In den achtziger
Jahren hatten dann auch Differenzfeministinnen wie Luce Irigaray
das Wort. Ihrer Forderung nach Anerkennung des weiblichen Andersseins
wurde nur zu gerne nachgekommen, verhinderte doch eine universalistische
Politik der Differenz alle Frauen sind eben ganz anders (besser)
als alle Männer die Analyse bestehender Unterschiede zwischen
Frauen, beispielsweise aufgrund von Rassismen oder Klassismen.
Die Integration des Themas Frauenemanzipation in die öffentliche
Diskussion und in die staatliche Politik führte zur Etablierung
feministischer Theorien im akademischen Bereich (vor allem in den
Sozial-, Gesellschafts- und Geisteswissenschaften) und förderte
die Enstehung eines Expertinnentums. Ende der achtziger Jahre wurde
der Differenzfeminismus im Rahmen der Genderdebatten durch den dekonstruktiven
Feminismus angegriffen. Dies verhinderte jedoch nicht, daß
feministische Theorie als Teil einer Politik der Befreiung sich
hin zu feministischen Kulturtheorien verschob, die auf dem freien
Markt gehandelt und deren jeweilige Repräsentantinnen einfach
nur ausgewechselt werden. Die Avantgarde akademischer Fachfrauen
für Feminismustheorie mit teilweise internationalem Renommee
entfernte sich immer mehr von der Analyse der gesellschaftlichen
Ausbeutungsverhältnisse, deren Auswirkungen auf den Alltag
von Frauen und der Neubestimmung feministischer Praxis. Die feministische
Avantgarde wurde Teil einer Politik der Repräsentation durch
einzelne Superfrauen und beschränkte sich zunehmend auf Identitätspolitik.
Um so pragmatischer war der Weg eines anderen Teils der Frauenbewegung.
Seit Beginn der achtziger Jahre wurde versucht, die Probleme der
Frauen (oft genug auch das Frauenproblem genannt) mittels staatlicher
Politik zu lösen. Dieser Anspruch an den Staat erforderte,
daß sich Frauen als unterdrückte Gruppe definierten und
ihre Gemeinsamkeiten im Frausein suchten. Die Selbstbeschränkung
auf der ideologischen Basis einer Frauenidentität nährte
die Hoffnung, eine Verbesserung der Lebenssituation (nur) für
Frauen zu erreichen, ohne das System, das auf vielfältigen
Ausbeutungsmechanismen basiert, zu bekämpfen. Aus der Hilfe
zur Selbsthilfe von Frauen für Frauen hatte sich ein dichtes
Netz sozialpädagogischer Dienstleistungen entwickelt, die nun
von professionellen Sozialarbeiterinnen und Expertinnen betrieben
wurden. Die Frauen begannen massiv aus den Sozialetats von Bund,
Ländern und Gemeinden zu schöpfen: ABM-Stellen wurden
eingerichtet, neue Stellen mit gesicherter Finanzierung geschaffen,
und die großen Wohlfahrtsverbände übernahmen häufig
die Trägerschaft vormals unabhängiger Frauenprojekte.
Aus dem feministischen Engagement war ein neuer Zweig der Sozialarbeit
entstanden, das Berufsfeld der Sozialarbeit für Frauen. Um
die Tatsache der Frauenunterdrückung zu belegen, praktizierte
man mit Unterstützung der Medien das Herausgreifen und Skandalisieren
einzelner Frauenschicksale und erreichte damit eine Form öffentlicher
Anerkennung des Sozialen Problems Frau. Das entsprach der gesellschaftlichen
Tendenz zur Individualisierung und blieb damit im Rahmen gängiger
Symptombekämpfung. Das Soziale Problem Frau wurde zum Gegenstand
administrativer Handlungsansätze. Doch sozialpolitische Maßnahmenkataloge
können gesellschaftliche Gewaltverhältnisse nicht beseitigen,
sie lassen sie vielmehr unangetastet. Die Fortschreibung patriarchaler
Strukturen wird durch die Einrichtung von Institutionen verschleiert,
die in ihrer politischen Rhetorik vorgeben, die Sache der Frauen
zu vertreten. Es entstanden die unzähligen Gleichstellungsstellen
und Frauenbeauftragten, deren Aufgabe es ist, gesellschaftliche
Konflikte in und durch die Institutionen zu befrieden und die damit
zur Entpolitisierung des Sozialen beitragen. Die Kritik an der bürgerlichen
Gesellschaft wurde und wird so kanalisiert. Kritik an einer Gesellschaft,
die sich durch die Fähigkeit auszeichnet, Protestpotentiale
abzuspalten und einzubinden und einen Gutteil ihrer Kompetenz für
innovative Veränderungen am System zu nutzen.(6) Viele Frauen
deuteten diese Integration allerdings als Fortschritt und bemerkten
nicht, daß sie zu einem Modernisierungsfaktor innerhalb der
patriarchalen Gesellschaft wurden.
In welchem Maße sich die positive Bezugnahme auf den Staat
durchgesetzt hat, zeigte sich zum Beispiel an der Inszenierung des
internationalen Frauen(kampf)tages am 8.März 1994. Die Verpackungsaktionen
a la Christo, mit lila Schleifen ums Rathaus, oder besser noch mit
Sektempfang drinnen beim Bürgermeister, organisiert durch die
örtliche Gleichstellungsbeauftragte, wurden in den großen
Tageszeitungen in ganzseitigen Reportagen abgefeiert. Der bundesweite
Aufruf ging davon aus, daß Frauen all diejenigen sind, die
nicht Mann sind und subsumierte kurzerhand alle Differenzen zwischen
Frauen einem gemeinsamen Wir.
Die Frauengruppe Schlaflose Nächte aus München war eine
der wenigen Kritikerinnen dieser Konzeption. Sie forderte ein, Rassismus,
Sexismus und Klassenunterdrückung als Mechanismen zu begreifen,
die weltweit Herrschaft und Ausbeutung konstituieren und absichern.Gesellschaftlicher
und politischer Einfluß, soziales Ansehen und materieller
Reichtum sind auch unter Frauen/Lesben weltweit hierarchisch aufgeteilt.
Während die einen politische und ökonomische Macht ausüben
und die Möglichkeit haben, in Luxusläden ihre Konsumbedürfnisse
zu befriedigen, stehen andere am Fließband, müssen sich
mit dem Einkauf in Billigläden wie zum Beispiel Adler begnügen
und berücksichtigen dabei nicht, daß diese Waren unter
miesesten Bedingungen von Frauen/Lesben in Südkorea produziert
werden, die einen existentiellen Kampf darum führen, sich gewerkschaftlich
organisieren zu können.(7)
Ein radikalfeministischer Ansatz, der den Bezug auf andere soziale
Bewegungen einfordert, scheint jedoch zugunsten reformistischer
Emanzipationsbestrebungen, die lediglich auf öffentliche Repräsentation,
Staatsfeminismus und Stellvertreterinnen-Politik setzen, auf der
Strecke geblieben zu sein. Statt der Abschaffung des Geschlechterverhältnisses
wurde eine Verstaatlichung des Frauenproblems erfolgreich abgewickelt.
Anmerkungen:
(1) Unter den Talaren steckt der Mief von tausend Jahren lautete
eine Parole, die sich gegen die ungebrochene nationalsozialistische
Tradition in Justiz und Universitäten richtete.
(2) Vgl. Frauenjahrbuch 1976, S. 175
(3) Vgl. Marie-Theres Knäpper: Feminismus Autonomie Subjektivität:
Tendenzen und Widersprüche in der neuen Frauenbewegung. Bochum
1984, S. 57f.
(4) Vgl. Marie-Theres Knäpper, a.a.O., S. 122
(5) Jenny Bourne: Für einen antirassistischen Feminismus. In:
Jenny Bourne/A. Sivanandan/ Liz Fekete, From Resistance to Rebelion,
Texte zur Rassismus-Diskussion, Berlin 1992, S. 111.
(6) Autonome l.u.p.u.s.-Gruppe: Der Faschismusvorwurf. Die linke
Illusion vom bürgerlichen Staat. In: Die Beute. Politik und
Verbrechen 1/94, S. 116
(7) Schlaflose Nächte: Die Metapolitik des Frauenstreiks 1994
oder: Am 8.März koche ich nur für meinen Deserteur. In:
Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, FrauenStreik
Streitfragen, 36/1994, S. 86
Aus:
Eichhorn / Grimm (Hg.) Gender Killer - Texte zu Feminismus und Politik
Edition ID-Archiv, Berlin-Amsterdam 1994
www.nadir.org/nadir/archiv/Feminismus/GenderKiller/index.html
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