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GENITALVERSTÜMMELUNGEN:
- Terre des Femmes / Genitalverstümmelungen sind Menschenrechtsverletzungen!
- Amnesty International / Was ist weibliche Genitalverstümmelung
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- Judith Schmidt / Weibliche Geschlechtsverstümmelung
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Terre des Femmes:
GENITALVERSTÜMMELUNGEN SIND MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN!
Weltweit leben mehr als 130 Millionen Mädchen und Frauen,
deren Genitalien verstümmelt wurden. Und jedes Jahr werden
erneut schätzungsweise zwei Millionen Mädchen Opfer dieser
Praktiken.
Dabei werden ihnen:
- die Klitorisvorhaut und die Glans der Klitoris bzw. die gesamte
Klitoris abgetrennt (Klitoridektomie) oder
- zusätzlich die kleinen Schamlippen entfernt (Excision) und
Haut und Gewebe aus der Vagina herausgeschabt (Introcision)
- häufig werden auch die großen Schamlippen abgetrennt
und die verbleibende Haut zusammengenäht oder mit Dornen aneinander
geheftet, so daß nur eine winzige Öffnung verbleibt (Infibulation)
Vor allem in afrikanischen Ländern, aber auch in den Vereinigten
Arabischen Emiraten, im Oman, im Jemen, in Indonesien und Malaysia
werden Mädchen auf diese Weise verstümmelt. Die Gründe,
die zur Rechtfertigung dieser Praktiken genannt werden, sind vielfältig,
erscheinen uns aber austauschbar und widersprüchlich. Beispiele:
- "Die normale Vagina ist schmutzig und häßlich"
- "Erst mit der Entfernung der Klitoris wird das Geschlecht
der Frau eindeutig weiblich"
- "Die Keuschheit bzw. Jungfräulichkeit der Frau wird
gewährleistet"
- "Die Fruchtbarkeit der Frau wird erhöht"
Solche und ähnliche Vorstellungen bildeten die Basis dafür,
daß die Praktik der Genitalverstümmelung Eingang in viele
Kulturen fand und zum festen Bestandteil traditioneller Handlungen
wurde. Frauen, die sich der genitalen Verstümmelung entziehen
wollen, müssen mit Ausgrenzung aus der Gesellschaft rechnen,
was mit unvorstellbarer Armut und Ächtung verbunden ist. Nur
aufgrund der vielfältigen Repressalien und einer frauenfeindlichen
Struktur war und ist es möglich, diese Praktik als legitimen
Bestandteil des Gesellschaftslebens aufrechtzuerhalten. Durch Autoritäten
wie Gemeindeoberhäupter oder religiöse Führer werden
sie zum Teil bewußt weitergeführt und unterstützt.
Die weibliche Sexualität soll unterdrückt und die sexuelle
Treue sowie Empfängnis unter die alleinige Kontrolle des (Ehe-)
Mannes gebracht werden! Die Opfer sind mit den Folgen der Verstümmelungen
allein. Sie haben alle negativen Konsequenzen selbst zu tragen.
Da viele Frauen die gleichen Symptome zeigen (z. B. extreme Menstruationsbeschwerden),
gehören sie zur Normalität. Die hochgradige Gewalterfahrung,
die irreparablen Schäden an Körper, Seele und Gesundheit,
finden fast keine Beachtung:
- Viele Kinder überleben den überaus risikoreichen Akt
der Verstümmelung nicht. Sie sterben unmittelbar aufgrund massiver
Organschädigungen oder Blutverlust oder kurze Zeit später
infolge von Infektionen durch Erreger aller Art. Die Gefahr der
AIDS-Übertragung ist sehr groß.
- Die Überlebenden leiden meist lebenslang an den katastrophalen
gesundheitlichen Folgen, z. B. an chronischen Schmerzen und Infektionen,
immensen Beschwerden bei Menstruation und Wasserlassen, Unfruchtbarkeit,
Inkontinenz, verhärteten Narben, Zysten, Abszessen, Frigidität.
- Die enorm hohe Mütter- und Kindersterblichkeit in Afrika
ist u. a. direkt auf die Verstümmelungen zurückzuführen,
da das Narbengewebe komplikationsfreie Geburten häufig unmöglich
macht.
- Genitalverstümmelungen sind Ausdruck und gleichzeitig Mittel
zur Unterdrückung von Frauen und Mädchen!
Die Tatsache, daß es sich außerdem um ein gravierendes
und vermeidbares Gesundheitsproblem handelt, spricht für eine
internationale Ächtung und gemeinsames Handeln! Schon seit
Jahren engagieren sich afrikanische Frauen, um diese traditionellen
Praktiken in ihren Heimatländern durch Aufklärung und
Sensibilisierung zu bekämpfen. Dabei erhalten sie häufig
keinerlei Unterstützung seitens der Regierungen. Gleichzeitig
setzen sie, indem sie ein Tabuthema öffentlich angehen, ihre
soziale Stellung und oft sogar ihr Leben aufs Spiel.
In jüngerer Zeit haben auch große Organisationen wie
die WHO (Weltgesundheitsorganisation), die UNO (Vereinte Nationen)
oder UNICEF (Fond der Vereinten Nationen für internat. Kindernothilfe)
endlich eindeutig Stellung zu dieser Problematik bezogen. Sie verurteilen
weibliche Genitalverstümmelung als Menschenrechtsverletzung
und unterstützen teilweise Projekte. Die WHO spricht sich gegen
eine Legalisierung dieser Praktiken und jegliche Beteiligung von
ÄrztInnen und Gesundheitspersonal daran aus. Damit die Kapazitäten
dieser und anderer Organisationen tatsächlich in vollem Maße
ausgeschöpft werden können, ist jedoch auch hier noch
viel Lobbyarbeit erforderlich.
In Europa und den USA folgte, trotz intensiver Diskussion darüber,
ob es rechtens sei oder nicht, sich in "andere Kulturen"
einzumischen, eine breite Solidarität und Aktionsbereitschaft.
Diese Bewußtseinsänderung hat sicherlich damit zu tun,
daß wir zunehmend auch in Europa mit genitalverstümmelten
Frauen konfrontiert werden. In Einwanderungsfamilien sind Mädchen
der Gefahr ausgesetzt, sich dieser schmerzhaften Prozedur unterwerfen
zu müssen weil einflußreiche Familienmitglieder diese
Tradition fortsetzen wollen. In Großbritannien und Frankreich
beispielsweise sind jährlich 10.000 bzw. 20.000 Kinder bedroht,
verstümmelt zu werden. Über die Situation in Deutschland
liegen uns bislang keine verläßlichen Zahlen vor. Allerdings
erhalten wir dank intensiver Öffentlichkeitsarbeit zunehmend
Hinweise, daß auch hier Mädchen bedroht sind. Vor dieser
Tatsache sollten wir die Augen nicht verschließen!
Terre des femmes, 2000.
Weitere Informationen:
TdF.Genitalverstuemmelung@gmx.de
www.terre-des-femmes.de
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Amnesty International:
WAS IST WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG?
Die unterschiedlichen Formen der Verstümmelung:
Der Begriff
Weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation,
FGM) bezeichnet die vollständige oder teilweise Entfernung
der weiblichen Genitalien. Die schlimmste Form ist die Infibulation,
auch unter dem Begriff Pharaonische Zirkumzision bekannt. Ungefähr
15% aller Verstümmelungen im afrikanischen Bereich sind Infibulationen.
Die Prozedur beinhaltet eine Klitoridektomie, bei der die Klitoris
entweder ganz oder teilweise entfernt wird, und die Entfernung der
großen Schamlippen, wodurch eine rauhe Oberfläche entsteht,
die dann vernäht oder zusammengehalten wird, um die Vagina
während des Heilungsprozesses bedeckt zu halten. Eine kleine
Öffnung bleibt frei, damit Urin und Menstruationsblut abgehen
können. In selteneren Fällen wird weniger Gewebe entfernt
und eine größere Öffnung gelassen.
Die häufigsten Formen der Genitalverstümmelung (85%)
im afrikanischen Bereich sind die Klitoridektomie und die Exzision. Bei der am wenigsten radikalen Methode wird nur die Klitoris entfernt.
Andere Traditionen sehen eine Zeremonie vor, bei der die Genitalien
nicht verstümmelt werden. Hierbei kann ein Messer in die Nähe
der Genitalien gehalten werden, die Klitoris gestochen und ein paar
Schamhaare abgeschnitten, oder kleine Narben auf den Genitalien
oder im Oberschenkelbereich angebracht werden.
Die anschließenden Verfahren:
Die Form der Verstümmelung, das Alter, in dem sie vorgenommen
wird, und die Weise, auf die sie geschieht, sind abhängig von
einer Reihe von Faktoren: welcher ethnischen Gruppe die Mädchen
und Frauen angehören, in welchem Land sie leben, ob in ländlichem
oder im städtischen Bereich, und aus welchem sozio-ökonomischen
Umfeld sie stammen.
Das Alter, in dem die Verstümmelung vorgenommen wird, variiert
ebenso. Fallweise geschieht sie bereits kurz nach der Geburt, manchmal
während der ersten Schwangerschaft, in den meisten Fällen
aber im Alter zwischen vier und acht Jahren. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) sinkt das Durchschnittsalter. Denn - vor allem im urbanen
Raum - gilt die Genitalverstümmelung immer weniger als Initiationsritus.
Einige Mädchen sind während der Verstümmelungszeremonie
alleine. Meist werden aber mehrere Mädchen - Schwestern, nahe
Verwandte oder Nachbarn - gleichzeitig beschnitten. Ist die FGM
Teil einer Initiationszeremonie, wie bei Kulturen in Ost-, Zentral-
und Westafrika, wird sie üblicherweise an Mädchen einer
Altersgruppe vorgenommen.
Die Prozedur findet im Haus des Mädchens, der Verwandten oder
Nachbarin, in einem Gesundheitszentrum oder bei Initiationen an
speziell dafür ausgesuchten Orten statt. Bei einem bestimmten
Baum oder an einem Fluß. Durchgeführt von älteren
Frauen, traditionellen Hebammen, Heilerinnen, Barbieren, ausgebildeten
Geburtshelferinnen oder Ärzten.
Die Mädchen, an denen die Prozedur vorgenommen wird, haben
oft sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was mit ihnen geschehen
soll. Manchmal wird dieses Ereignis mit Festlichkeiten oder Geschenken
verbunden. Die Mädchen werden ermahnt, tapfer zu sein. Als
Bestandteil eines Initiationsritus, können die Feiern bedeutende
Ausmaße für die Gemeinschaft einnehmen. Dabei ist es
üblicherweise nur Frauen erlaubt, anwesend zu sein.
Zuweilen ist eine geübte Geburtshelferin dabei, die örtliche
Betäubungen setzt. In einigen Kulturkreisen hält man die
Mädchen dazu an, sich zuvor in kaltes Wasser zu setzen, um
die Genitalien unempfindlich zu machen und die Wahrscheinlichkeit
einer Blutung zu verringern. In den meisten Fällen wird gegen
die Schmerzen aber nichts unternommen.
Das Mädchen kann sich nicht bewegen, wird festgehalten, üblicherweise
von älteren Frauen. Ihre Beine sind gespreizt. Glasscherben,
Deckel von Konserven, Scheren, Rasierklingen dienen als Schneidwerkzeug.
Bei Infibulationen halten Dornen die beiden Seiten der großen
Schamlippen zusammen. Die Beine werden bis zu 40 Tage zusammengebunden.
Manchmal wird antiseptisches Puder aufgetragen, häufiger Breie,
die Kräuter, Milch, Eier, Asche oder Dung enthalten. Sie sollen
die Heilung beschleunigen. Manchmal werden die Mädchen an einen
Ort gebracht, an dem sie sich erholen können, um dann - so
die Verstümmelung im Rahmen eines Initiationsritus durchgeführt
wurde - in den Traditionen unterwiesen zu werden. Nur bei Reichen
wird die Verstümmelung zuweilen in einem Spital durch einen
qualifizierten Arzt unter Total- oder Lokalanästhesie durchgeführt.
Geographische Verteilung der weiblichen Genitalverstümmelung:
Geschätzte 135 Millionen Mädchen und Frauen wurden weltweit
verstümmelt. 2 Millionen Mädchen riskieren Jahr für
Jahr, Opfer der FGM zu werden - das sind rund 6 000 am Tag. Größtenteils
in afrikanischen Staaten praktiziert, ist sie aber auch in einigen
Staaten des Nahen Ostens nicht außergewöhnlich. Außerdem
kommt sie auch in Teilen Asiens, der Pazifischen Staaten, Nord-
und Lateinamerikas und Europas vor. Dort hauptsächlich in den
Gemeinschaften von Einwanderern.
Berichten zufolge wird die FGM in über 28 afrikanischen Staaten
praktiziert (siehe FGM in Afrika: Länderinformation -ACT 77/07/97).
Über die Häufigkeit der FGM in Asien gibt es keine Angaben.
Vorkommen soll sie auch in muslimischen Gemeinschaften Indonesiens,
Sri Lankas und Malaysias, obwohl über die Praktiken in diesen
Ländern sehr wenig bekannt ist. In Indien praktiziert die kleinere
muslimische Sekte der Daudi Bohra die Klitoridektomie. Im Nahen Osten wird die FGM in Ägypten, Oman, Jemen und in
den Vereinigten Arabischen Emiraten praktiziert. Auch von Genitalverstümmelungen
bestimmter indigener Gruppen in Zentral- und Südamerika wird
berichtet, die Informationen darüber sind aber spärlich. In industrialisierten Ländern kommt die Genitalverstümmelung
hauptsächlich bei Einwanderern aus jenen Ländern vor,
in denen sie bis dato praktiziert wird. Bekannt sind Fälle
in Australien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Italien, den Niederlanden,
Schweden, Großbritannien und den USA. Manchmal sind es Ärzte
- aus FGM-Ländern stammend und in Industrieländern praktizierend
- die Mädchen oder weibliche Säuglinge illegal operieren.
Häufiger ist allerdings, daß traditionelle Praktiker
ins Land geholt oder Mädchen in ihre Heimat geschickt werden,
um sich verstümmeln zu lassen. Über die Häufigkeit
dieser Praktiken in Industrieländern gibt es leider keine Statistiken.
Physische und psychische Auswirkungen der weiblichen Genitalverstümmelung:
Physische Auswirkungen:
Die Folgen der FGM können mitunter tödlich sein. Schock,
Blutungen und Schäden an den Organen rund um die Klitoris und
die Schamlippen können auftreten. Der Urinabfluß kann
zurückgehalten und schwere Infektionen hervorgerufen werden.
Durch den Gebrauch desselben Instruments bei verschiedenen Mädchen
ohne vorherige Sterilisation ist das Risiko einer HIV-Infektion
hoch.
Häufiger sind aber chronische Infektionen, immer wiederkehrende
Blutungen, Abszesse und kleinere gutartige Nerventumore die Folge
der Klitoridektomie und Exzision. Unwohlsein und extreme Schmerzen
dauern an. Noch schwerwiegendere Langzeitfolgen kann die Infibulation
haben: Chronische Harnwegsinfektionen, Steine in Blase und Harnröhre,
Nierenschäden, Infektionen der Fortpflanzungsorgane, die durch
das gestaute Menstruationsblut hervorgerufen werden, Beckeninfektionen,
Unfruchtbarkeit, überschießendes Narbengewebe (unregelmäßig
geformt, fortschreitende Narbenbildung) und Dermoid-Zysten.
Der erste Geschlechtsverkehr kann nur nach langsamer, äußerst
schmerzhafter Dehnung der Öffnung erfolgen, die nach der Verstümmelung
freigelassen wurde. In einigen Fällen ist es sogar notwendig,
sie vor dem Verkehr wieder aufzuschneiden. Eine Studie, die im Sudan
durchgeführt wurde, ergab, daß 15% der Frauen wieder
aufgeschnitten werden mußten. Frisch verheiratete Frauen werden
durch die ungeschickten Schnitte ihrer Ehemänner oft schwer
verletzt. Das Risiko einer HIV-Infektion während des Geschlechtsverkehrs
ist für alle Opfer der Genitalverstümmelung erhöht.
Während der Geburt besteht das Risiko, daß das vernarbte
Gewebe von exzisierten Frauen reißt. Infibulierte Frauen,
deren Genitalien eng verschlossen sind, müssen aufgeschnitten
werden, um das Kind zur Welt bringen zu können. Wenn dann kein
Helfer zur Stelle ist, reißt der Damm oder das Kind kann tot
zur Welt kommen. Nach der Geburt werden Frauen oft wieder zugenäht, damit sie
"eng genug" für ihre Männer sind. Durch das
ständige Aufschneiden und Wiederzunähen der Genitalien
bei jeder Geburt, kann das Gewebe im Genitalbereich sehr stark vernarben.
Das Geheimnis, das die FGM umgibt, und der Schutz jener, die sie
durchführen, erschweren es, Daten über Komplikationen
in Folge von Verstümmelungen zu sammeln. Bei Zwischenfällen
werden diese nur selten der Person angelastet, die die Verstümmelung
vorgenommen hat. Schuld sei das ausschweifende Leben der Mädchen.
Oder die Eltern, die die vorgeschriebenen Opfer und Rituale nicht
ordnungsgemäß durchgeführt hätten. Die meisten
Informationen werden erst lange nach der Verstümmelung gesammelt.
Einziger "Zeuge" ist dann meist die Erinnerung der Frauen
und ihre Einschätzung der Folgeschäden.
Einige Daten über die kurz- und langfristigen medizinischen
Folgen der FGM - einschließlich derer, die in Verbindung mit
Schwangerschaften stehen - konnten durch Studien in Spitälern
oder Kliniken gewonnen werden. Für den heutigen Wissensstand
über das Ausmaß der gesundheitlichen Schäden war
dies entscheidend. Nichtsdestotrotz kann die Häufigkeit der
Schädigungen und Todesfälle infolge von Verstümmelungen
nicht zuverlässig geschätzt werden. Über das tatsächliche
Risiko herrschen unterschiedliche Auffassungen zwischen BefürworterInnen
und GegnerInnen der FGM.
Auswirkungen auf die Sexualität:
Die Genitalverstümmelung kann den ersten Geschlechtsverkehr
der Frauen zur Tortur werden lassen. Es kann extrem schmerzhaft
und auch gefährlich sein, wenn die Frau zuvor aufgeschnitten
werden muß. Und auch danach bleibt der Verkehr für etliche
Frauen eine Qual. In jedem Fall liegt aber die Vermutung nahe, daß,
wegen der Bedeutung der Klitoris für die Erfahrung von Lust
und Höhepunkt, die teilweise oder vollständige Klitoridektomie
entgegengesetzte Wirkung auf das sexuelle Erleben haben kann. Klinische
Untersuchungen und die Mehrzahl der Studien über die weibliche
Freude am Sex lassen darauf schließen, daß Genitalverstümmelungen
das Lustempfinden der Frauen beeinträchtigen. Lediglich eine
Studie jedoch besagt, daß 90% der Frauen, an denen eine Infibulation
vorgenommen wurde, trotzdem Orgasmen erfahren hätten. Die Mechanismen,
die am sexuellen Lustempfinden und Orgasmen beteiligt sind, sind
noch immer nicht voll geklärt. Man nimmt an, daß kompensatorische
Prozesse - einige von ihnen psychologischer Natur - einige der Auswirkungen
der Klitorisentfernung und anderer empfindlicher Teile der Genitalien
abschwächen können.
Psychologische Auswirkungen:
Die psychologischen Auswirkungen der FGM sind wesentlich schwieriger
wissenschaftlich zu erforschen als die physischen. Nur eine geringe
Zahl von psychischen Erkrankungen, die auf Genitalverstümmelungen
zurückzuführen sind, sind bekannt. Aber Betroffene berichten
immer wieder von ihren Erlebnissen bei der Verstümmelung: Angst,
Schrecken, Demütigung und Verrat - jedes von ihnen mit langfristigen
negativen Folgen. Einige Experten behaupten, was in Gesellschaften,
in denen die Genitalverstümmelung durchgeführt wird, besonders
geschätzt wird sei, daß der Schock und das Trauma die
Frauen "ruhiger" und "fügsamer" machen.
Feiern, Geschenke und die besondere Aufmerksamkeit, die Mädchen
bei der Verstümmelung erfahren, können zuweilen das erlittene
Trauma etwas abschwächen. Aber am intensivsten ist das Erlebnis
der Integration in die Gemeinschaft. Die Traditionen ihrer Kultur
ehren und sich für eine Ehe als geeignet erwiesen zu haben,
ist oft die einzige Rolle, die diese Frauen - so sie die Verstümmelung
überleben - jemals spielen werden. Ablehnung droht hingegen
Frauen, die sich der Genitalverstümmelung verweigern. Wird
die FGM nur von einer Minderheit betrieben, leiden die Betroffenen
oft besonders unter dem Zwiespalt zwischen den sozialen Normen ihrer
Gemeinschaft und jenen der Majorität.
Quelle: www.amnesty.de/de/2914/FGM1.htm
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Judith Schmidt:
"DU MIT DER KLITORIS"
Weibliche Geschlechtsverstümmelung
"Wir wurden beschnitten und bestehen darauf, dass auch unsere
Töchter beschnitten werden, damit sie keine Mischung zwischen
männlich und weiblich sind... eine Frau, die nicht beschnitten
wurde, bringt Schande über ihren Ehemann, der sie "du
mit der Klitoris" nennt. Die Leute sagen, sie sei wie ein Mann",
sagt eine ägyptische Frau, Mutter einer kleinen Tochter.
Weltweit wird die Zahl der Frauen, die der weiblichen Genitalverstümmelung
(FGM, femme genital mutilation) unterzogen wurden, auf 135 Millionen
geschätzt und täglich riskieren etwa 6.000 Mädchen,
Opfer dieser Praktik zu werden. Sie kommt in über 28 afrikanischen
und in einigen Ländern des Nahen Ostens (Ägypten, Oman,
Jemen und Vereinigte Arabische Emirate) sowie in muslimischen Gemeinschaften
Indonesiens, Sri Lankas, Indien und Malaysias, aber auch in industrialisierten
Ländern, v. a. unter Einwanderern, vor. Oft sind es Ärzte,
die aus den oben genannten Ländern stammen, die Mädchen
oder weibliche Säuglinge illegal operieren. Häufiger jedoch
werden die betreffenden Mädchen zur Verstümmelung in ihre
Heimat geschickt.
WHO: Das Durchschnittsalter sinkt
Teilweise wird die Verstümmelung bereits kurz nach der Geburt
vorgenommen, manchmal während der ersten Schwangerschaft, in
den meisten Fällen jedoch zwischen dem 4. Und 8. Lebensjahr.
Nach Angaben der WHO sinkt das Durchschnittsalter, da vor allem
im urbanen Raum die FGM immer weniger als Initiationsritus gilt.
Bei der FGM wird die Klitoris teilweise oder vollständig (Klitoridektomie),
oder zusätzlich die kleinen Schamlippen teilweise oder ganz
(Exzision), oder die äußeren Genitalien total entfernt
und die Vagina fast vollständig zugenäht (Infibulation)
Abhängig vom sozio-ökonomischen Status der Familie wird
die FGM von älteren Frauen, traditionellen Hebammen, Heilerinnen,
ausgebildeten Geburtshelfern oder im Rahmen eines Initiationsritus
durchgeführt. Glasscherben, Deckel von Konservendosen oder
Rasierklingen dienen als Schneidewerkzeug. Dornen werden zum Zusammenhalten
der großen Schamlippen verwendet. Die Beine der Mädchen
werden bis zu 40 Tage zusammengebunden und zur Beschleunigung der
Heilung werden Kräuter, Milch, Eier, Asche oder Dung aufgetragen.
Erhaltung einer kulturellen und geschlechtlichen Identität
Gründe für die FGM sind sowohl die Erhaltung einer kulturellen
als auch einer geschlechtlichen Identität. Da die Klitoris
und die Schamlippen für "männliche Teile" eines
Frauenkörpers gehalten werden, gilt die Entfernung dieser als
Steigerung der Weiblichkeit. Die Praktik wird aber auch aus Gründen
der Kontrolle über die Sexualität der Frau und ihre Fortpflanzungsfunktion
sowie aus hygienischen und gesundheitlichen Gründen durchgeführt.
So besteht der Glaube, dass die sexuelle Lust einer verstümmelten
Frau verringert sei und somit auch das Risiko eines außerehelichen
Geschlechtsverkehrs. Nicht verstümmelten Frauen wird es beinahe
unmöglich gemacht, eine Ehe einzugehen. Sie gelten als unrein
und dürfen weder Wasser noch Nahrung berühren.
Angst, Schrecken und Demütigung
Die physischen und psychischen Auswirkungen der FGM sind vielfältig
und mitunter sogar tödlich. Sehr problematisch ist das erhöhte Risiko einer HIV-Infektion,
da häufig dieselben Instrumente bei verschiedenen Mädchen
verwendet werden. Häufiger treten jedoch chronische Infektionen,
wiederkehrende Blutungen, Abszesse und extreme Schmerzen auf. Schwerwiegendere
Langzeitfolgen der Infibulation durch Aufstau von Urin und Menstruationsblut
sind: chronische Harnwegsinfektionen, Nierenschäden, Infektionen
der inneren Geschlechtsorgane und Unfruchtbarkeit. Manche Frauen
müssen vor ihrem ersten Geschlechtsverkehr oder vor der Geburt
eines Kindes sogar wieder "aufgeschnitten" werden.
Die Betroffenen berichten über Gefühle wie Angst, Schrecken,
Demütigung und Verrat. Der Schock und das Trauma der Verstümmelung
soll Frauen "ruhiger" und "gefügsamer"
machen. Der Ritus und die damit verbundene Feier, Geschenke und
die besondere Aufmerksamkeit können das erlittene Trauma etwas
abschwächen. Das Erlebnis der Integration in die Gemeinschaft
ist oft sehr intensiv und sich für eine Ehe als geeignet zu
erweisen so die Verstümmelung überlebt wird ist oft die einzige Rolle, die Frauen jemals spielen werden. Physische
und psychische Langzeitfolgen sind jedoch statistisch nicht ausreichend
untersucht.
Strategien zur Veränderung
FGM kann mit Recht als eine der weitestverbreiteten und systematischsten
Verletzungen der Menschenrechte von Frauen und Mädchen angeführt
werden. Bereits im 17. Jahrhundert versuchten christliche Missionare
und koloniale Verwaltungen, diesen Brauch zu verhindern. Im Jahre
1958 stand die FGM erstmals auf der Tagesordnung der Vereinten Nationen
(UN). Ein von der WHO (Weltgesundheitsorganisation) im Jahre 1979
organisiertes Seminar in Khartum bestimmte die Richtung für
neue internationale Initiativen. Im UN-Jahrzehnt der Frau (1975-1985)
stieg auch das Interesse der internationalen nicht-staatlichen Organisationen
(NGOs) an der FGM wieder an, die erfolgreich das Schweigen brechen
und das Thema auf der Tagesordnung der internationalen Menschenrechte
verankern konnten. Im Jahre 1994 wurde schließlich ein Handlungsplan
zur Abschaffung schädigender Bräuche, die die Gesundheit
von Frauen und Kindern beeinträchtigen, erstellt.
1995 entschloss sich amnesty international (ai), das Problem in
seine Menschenrechtsarbeit aufzunehmen. Bisher hatte ai nur etwas
gegen Verstöße von Regierungen unternommen bzw. seit
den frühen 90ern gegen Misshandlungen, die von bewaffneten
politischen Gruppierungen begangen wurden. Durch die Unterscheidung
zwischen Verbrechen, die ein Staat im Rahmen seiner öffentlich-politischen
Aktivitäten begeht und ähnlichen Verbrechen, die im "privaten"
Bereich verübt werden, wird die Tatsache ignoriert, dass systematische
Verbrechen im "privaten" Bereich auch öffentlich
sind. Ziele der ai-Arbeit sind, das öffentliche Bewusstsein
für das Problem der FGM als Angelegenheit der Menschenrechte
zu schärfen und Regierungen aufzufordern, internationale Menschenrechtsverträge
in Kraft zu setzen.
Denn letztlich steht es allein in der Macht der praktizierenden
Länder zu bestimmen, ob sie die Abschaffung der FGM erreichen
können und möchten. Dennoch können sie sich diese
Entscheidung nicht frei aussuchen, da sie durch internationale Gesetze
verpflichtet sind, die Ausübung der FGM zu verhindern. Die
internationale Gemeinschaft übernimmt die Verantwortung sicherzustellen,
dass alle Mittel verfügbar sind, um Entwicklungsländern
bei der Einleitung effektiver Kampagnen gegen FGM zu helfen.
Die weibliche Genitalverstümmelung ist ein Brauch, der tief
in den Traditionen einer Reihe von Gesellschaften verwurzelt ist
und dem sich gefühlvoll und vorsichtig angenähert werden
muss, um die Verletzung der physischen, psychischen und sexuellen
Integrität von Frauen und Kindern nicht weiter zu vertiefen.
Judith Schmidt
Judith Schmidt ist Ärztin und Pressesprecherin des Amnesty
Inernational Aktionsnetzes der Heilberufe, Bereich Medizin in Köln.
Aus:
ZEBRATL das Magazin des Vereins ZEBRA - Zentrum zur sozialmedizinischen,
rechtlichen und kulturellen Betreuung von Ausländern und Ausländerinnen
in Österreich : www.zebra.or.at
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