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Paul Schulz:
100 JAHRE SEX
Es sind vielleicht wirklich die drei wichtigsten Buchstaben der
HomoSEXualität. Auch wenn Schwule und Lesben weitaus früher
als nur in den letzten hundert Jahren Sex hatten: Mit Sexualwissenschaftler
Magnus Hirschfeld fing damals in Berlin an, was heute als Resultat
sexueller Befreiung in Pornofilmen, Sexbüchern und selbst auf
Parties stattfindet. Von ersten zarten Gehversuchen eines neuen
Verständnisses von Körperlickleit, Familienpolitik und
Geschlecht hin zum Anything goes des ausgegangenen Jahrtausends.
Man möge, wenn in den folgenden Schilderungen von Homosexuellen
die Rede ist, nicht an geschlechtliche Handlungen irgendwelcher
Art denken. Kommen diese vor, so entziehen sie sich nicht nur wegen
ihrer Strafbarkeit, sondern vor allem wegen des natürlichen
Scham- und Sittlichkeitsgefühls (...) der Beobachtung, keineswegs
sind sie das Hauptsächliche, sie fehlen sogar häufig.
Magnus Hirschfeld in Berlins Drittes Geschlecht
Aber, Magnus! Du als Sexualwissenschaftler solltest das besser
wissen. Über nichts ist in der Menschheitsgeschichte mehr nachgedacht
worden als über geschlechtliche Handlungen irgendwelcher
Art. Ergebnis: Bezeichnungen wie Schwanzlutscher, Hinterlader,
Schinkenspalter, kesser Vater, warmer Bruder, Mannweib. Sage mir,
mit wem dus treibst, und ich sage dir, wer du bist. Kein Gefühl
ist so entlarvend wie Lust, keines so demaskierend wie Geilheit.
In keinem Moment sind wir mehr wir selbst, als wenn wir ausplaudern,
was wir gerne tun würden oder wie wir's gerne hätten.
Über nichts gibt es mehr Meinungen als darüber, was Sex
ist. Darüber, was guter Sex ist, gibt es noch mehr Ansichten,
denn das ist abhängig von Situation, Tagesform und Gegenüber(n).
Nichts ist ungerechtfertigter als Hirschfeld den Einstein
des Sex zu nennen. Kopernikus des Sex vielleicht,
er hat mit seinen Forschungsergebnissen die Welt aus den Angeln
gehoben, aber seine Forderungen waren anständigen
Leuten nicht willkommen. Martin Luther des Sex wäre
besser, auch bei Hirschfeld teilt sich die Welt in Befürworter
und Katholiken. Freud des Sex wäre Favorit des
Autors. Hirschfeld hat einen Wissenschaftszweig begründet und
dabei reichlich Fehler gemacht, was seine Leistung aber nicht schmälert.
Was sich in der Großstadt dem Nichtkenner verbirgt,
tritt, weil es sich ungezwungener gibt, dem Kenner um so leichter
entgegen, schreibt Hirschfeld. Oder, mit den Worten der Sexpertin
Laura Méritt: Die haben doch in allen Ecken gevögelt,
überall wos gerade ging.
Das Berlin von der Jahrhundertwende bis 1933 war kein schwullesbisches
Paradies, aber als Eldorado für schwulen und lesbischen Sex
und Nachtleben weltbekannt. An Möglichkeiten, Sexualpartner
zu finden, herrschte kein Mangel. Ob der Mann oder die Frau fürs
Leben gesucht wurde oder einfach eine schnelle Nummer für zwischendurch:
Für alles gab es Orte und Gelegenheiten, rauschende Ballnächte
zum Beispiel. Die urnische - also schwule und lesbische
- Ballsaison wurde, genau wie die höfische, im Oktober eröffnet,
und man und frau amüsierte sich bis April bei Kostümbällen,
wahlweise im Kleid oder im Smoking. Wer was trug, war unabhängig
vom Geschlecht. Sex oder auch nur Körperlichkeit fand auf diesen
Festen selten statt, denn das hätte zum Einschreiten der Gesetzeshüter
geführt. Die sozialen Schichten mischten sich hier aufs Vielfältigste,
es kam durchaus vor, dass Gräfin und Zimmermädchen, Prinz
und Kammerdiener zusammen aus- oder heimgingen.
Private Zusammenkünfte gab es in jeder Form: Parties, Feste,
künstlerische Darbietungen. Das Vereinsleben war rege. Es gab
Kegel-, Ruder-, Wandervereine, nur für Frauen, nur für
Männer. Und viele Schwule und Lesben waren Mitglieder in Nudistenvereinen
- gewiss noch keine Swingerklubs, aber Sex war dort nichts Ungewöhnliches.
Kneipen, Bars, Biergärten und Cafés zur Kontaktanbahnung
gab es Dutzende. Adonis Diele, Schwarzer Kater,
Pschorrbräu in der Friedrichstraße, Schall
und Rauch, Eldorado - jede gesellschaftliche Schicht
hatte ihre Lieblingsrestaurationen, aber auch hier vermischte sich,
was sich sonst nie zu nahe kam: Sexuelle Vorlieben als kleinster
gemeinsamer Nenner schufen Gemeinschaft. Und was sollte man als
Senatsmitglied auch tun, wenn man auf Jungs mit Schiebermütze
stand. Dreckige Hose und grobe Schuhe an und ab in die Friedrichstadtpassagen
oder den Tiergarten, wo die Pupenjungen (von Pup, nicht Puppe) schon
warteten. Jede Kaschemme hatte einen Pupentisch, an dem sich junge
Stricher von ihren älteren Begleitern aushalten ließen:
Wurstbrot, Bier und Kuscheln.
Auch lesbische Prostitution gab es häufig. Gehobene Damen
lebten mit ihren Mädchen zusammen, oder diese waren ihnen gefällig,
um sich ein Zubrot zu verdienen. Die Huren entlang des Kurfürstendamms
waren zu mehr als 30 Prozent lesbische Frauen. Allerdings
ging damals die Butch auf den Strich und ihre Femme saß in
der Kneipe und betrank sich mit ihren Freundinnen, weiß
Laura Méritt. Die wollten einfach nicht, dass ihre
Frauen arbeiten, sie brachten das Geld nach Hause. Durch die
klassische Rollenverteilung bilden sich auch lesbische
Kleiderordnungen heraus: Die Schaftstiefel, die frau noch vom Bau
trug, wurden angelassen, die kurzen Haare waren für das Arbeiten
an Maschinen einfach praktischer und ungefährlicher. Viele
Lesben schlugen ihre Freier, nicht aus Eigennutz, sondern weil es
verlangt wurde, und schliefen daheim mit Gattin. Pornographie konnte
in jeder Form und Richtung in bestimmten Lokalen bestellt und wenige
Tage später abgeholt werden. Männer in Frauenkleidern,
Frauen mit Bart, Frauen mit Frauen, Jungs mit Jungs..., berichtet
Hirschfeld. Alles das war gefragt, obwohl selbstverständlich
illegal, denn schmutzige Bilder waren sittenwidrig.
Viele Schwule und Lesben lebten ihre wahre Identität nur in
anderen Stadtteilen aus, Männer, die sich Stricher für
die Nacht kauften oder kurz in eine öffentliche Bedürfnisanstalt
mitnahmen, wurden nicht selten von denselben abgezogen.
Heißt: Es wurde mit einer Anzeige gedroht, bis einmal oder
mehrfach gezahlt wurde. Hier setzten Hirschfelds Reformversuche
an: Wenn Homosexualität nicht unter Strafe stünde, könnten
Homosexuelle nicht erpresst werden, damit freier leben und normale
(meint: Zweier-) Beziehungen untereinander haben. Aber auch die
gab es natürlich längst. Liebe lässt sich nicht verbieten.
Die Formen von Sexualität haben sich nicht grundlegend geändert.
Ficken, Bumsen, Blasen, Dildos, Fetische, erotische Filme - alles
nichts Neues. Nur die Wahrnehmung und Akzeptanz ist heute anders,
Hirschfeld, Freud und sehr viel später Foucault sei Dank.
Bisexualität war in den 20er- und 30er-Jahren genauso schick
wie in den Neunzigern. Damen hatten Massagestäbe,
vielfach ärztlich verordnet, um Hysterie zu heilen.
Es gab rein urnisch unterwanderte Badehäuser, in
denen Mann sich traf, Kabinen inklusive, die man allerdings nicht
mit schwulen Saunen der Neuzeit gleichsetzen darf. Wer hier beim
Sex erwischt wurde, fand sich schnell unter der Gefängnisdusche
wieder.
Die Lederszene in Berlin begründete sich in Ellis Bierbar
um 1925. Elli war eine lesbische Zahnärztin, die harte Kerls
und Mädels um sich versammelte. Einer ihrer Stammgäste
war ein Uniformliebhaber namens Röhm. Der Hitler-Gegenspieler
machte seine SA zu einem der größten Sammelbecken für
Schwule in der deutschen Geschichte. Seine privaten Feste waren
berüchtigt für das volksfeindliche Treiben.
Beim Röhm-Putsch 1934 wurde er erschossen.
Nachdem Adolf Hitler im Januar 1933 Reichskanzler geworden war,
wurden alle Homosexuellenorganisationen aufgelöst, alle Zeitschriften,
von denen es in den Zwanzigern zeitweise bis zu 30 gegeben hatte,
eingestellt, Hirschfelds weltberühmtes Institut für Sexualwissenschaft
geschlossen und geplündert - seine Schriften wurden Opfer der
Bücherverbrennung. Viele Homosexuellenlokale schlossen, nachdem
Verordnungen zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit
erlassen worden waren. In den noch offenen wurden Razzien durchgeführt.
Infolge von Röhms Ermordung wurde 1935 der Paragraf 175 so
verschärft, dass der Nachweis von beischlafähnlichen
Handlungen nicht mehr nötig war, um eine Verurteilung
zu erreichen. Schwule wurden verhaftet und als Schutzhäftlinge
in Konzentrationslager deportiert. Dort wurden sie Opfer von Umpolungsversuchen,
die in Sterilisation oder Kastration endeten. Für Frauen gab
es kein entsprechendes Gesetz, bei einigen Inhaftierten findet sich
jedoch der zusätzliche Aktenvermerk Lesbe.
Sex fand während des Dritten Reiches trotz allem statt. Die
authentische Geschichte Aimée und Jaguar ist
ein Beispiel dafür. Möglich, dass Frauenliebe dadurch
gefördert wurde, dass die Männer an der Front waren -
dass Soldaten sich in Ermangelung von Frauen einander zuwandten
ist bekannt. Auch Berichte über schwulen, respektive lesbischen
Sex in KZs gibt es. Lieben kann man sich überall, sogar in
der Hölle.
Während der 50er- und 60er-Jahre, fand Sex nur im Verborgenen
statt, man und frau traf und liebte sich privat. Und doch: In schwulen
Zeitschriften, zum Beispiel in Der Weg oder Der
Kreis, gab man sich freizügig, versuchte allerdings,
das schwule Begehren nach griechischem Vorbild zu adeln.
Das schwule Ideal blieb muskulös und durchtrainiert wie von
Leni Riefenstahl entworfen oder knabenhaft. Mit Marlon Brando und
Elvis gab es zum ersten Mal Sexsymbole, mit denen sich sowohl Schwule
als auch Lesben anfreunden konnten. Die Jungs wollten sie, die Mädels
wollten so aussehen.
1948, ein Erdrutsch in der Sexualwissenschaft: Der amerikanische
Zoologe Alfred C. Kinsey veröffentlichte die Ergebnisse seiner
zehn Jahre früher begonnenen Studien zur Sexualität in
Das sexuelle Verhalten des Mannes, 1953 folgte Das
sexuelle Verhalten der Frau. Nach Kinsey hatten 37 Prozent
aller Männer und bis zu 20 Prozent der Frauen homosexuellen
Kontakt, überwiegend homosexuelle Kontakte hatten
zehn Prozent der Männer und vier Prozent der Frauen zwischen
16 und 55. Von den Männern, die sich selbst als homosexuell
bezeichnen, hatten 62 bis 79 Prozent auch Geschlechtsverkehr mit
wenigstens einer Frau gehabt, der überwiegende Teil der Lesben
schlief auch mit Männern. 90 Prozent der amerikanischen Bevölkerung
onanierten. Hier beginnt die schwule Faszination der Quantität
bei der Auswertung von Sex, denn Männer, die oft Sex hatten,
schätzten ihr Sexualleben positiver ein.
Ab 1958 veröffentlichten der amerikanische Gynäkologe
William Masters und seine Frau Virginia Johnson Studien über
die physiologischen Prozesse, die im menschlichen Körper während
des Sexualaktes ablaufen und thematisierten erstmals die Natur des
Orgasmus. Es wurde unter anderem festgestellt, dass Frauen zu mehreren
Orgasmen hintereinander fähig sind. Für viele Lesben war
das nichts Neues.
Diese Studien waren das Vorspiel für die sexuelle Revolution.
Sex wurde zum öffentlichen Gegenstand, kein Partygetuschel,
sondern empirisch unterfütterte Debatte über Entwicklungen
und Möglichkeiten des Lustgewinns. Vergleiche und Fragen drängten
sich auf. Körper wurden neu betrachtet, Sex und Lust wurden
messbar und damit maßstabsfähig. Ohne Kinsey wäre
Lust nicht objektiv auszuwerten, wäre es nicht
möglich gewesen zu belegen, dass gleichgeschlechtlicher Sex
nicht die Perversion einer kleinen Minderheit ist.
1969 eröffnete parallel zu den Straßenschlachten in
der Christopher Street Deutschlands erste schwule Sauna in Hannover
und Tom of Finland etablierte ein schwules Schönheitsideal.
In der beginnenden Lesbenbewegung entbrannten heftigen Debatten
über oben, unten, rein oder raus. Darf frau oben liegen und
wenn ja wie lange? Soll ich penetrieren und wenn ja womit? Gibt
es Dinge, die keine Phallussymbole sind? Wann beginnt sexuelle Gewalt?
Was ist ganzheitlicher Sex, und wie hat frau den? Sind Femmes auch
Lesben oder patriarchale Überreste? Stimmt das Klischee: Lesben
ficken nicht, Lesben diskutieren miteinander? Musste frau das alles
wissen, bevor es zur Sache ging? Ach Quatsch, lacht
Laura Méritt das ist wichtig, aber gefickt haben viele
Lesben immer, eine lag oben, wenn der anderen das recht war, und
Dildos und Peitschen wurden auch benutzt. Dass neu über Sex
nachgedacht wurde, die Idee, dass frau und man mit Körper,
Geist und Seele, also ganzheitlich, Sex haben können - das
ist der große Verdienst der Frauenbewegung.
Auf den Praunheim-Film Nicht der Homosexuelle ist pervers,
sondern die Situation in der er lebt reagieren 1971 viele
Schwule abweisend: So bin ich nicht, das ist nicht meine Art
zu leben. Oder Sex zu haben. Parks und öffentliche Toiletten
waren schon damals nicht die einzige Möglichkeit, sich nah
zu sein. Die Diskrepanz zwischen real existierendem Sex, seiner
Darstellung und der politischen Wunschvorstellung wurde zum ersten
Mal deutlich.
Die zweite Hälfte der Siebziger war für Schwule sexuell
der Himmel auf Erden, in jeder größeren Stadt gab es
Saunen, Klappen, und das Schlimmste, wovor man Angst haben musste,
war Hepatitis. In der Knolle gab es 1975 den ersten
Darkroom Berlins. Die Lederszene blühte auf, und Pornos gaben
den Marschbefehl in Richtung nimmersatt. Devise: Größer,
länger und breiter! Denn auch Drogen, von Poppers über
Halluzinogene bis Heroin, wurden in der Disco-Ära ein selbstverständlicher
Bestandteil sexueller Welten.
Sex wurde kommerzialisiert und organisiert: 1977 erschien die erste
Auflage von The Joy of Gay Sex von Charles Silverstein
und Edmund White, dem Klassiker unter den schwulen Sexratgebern.
1980 legte Pat Califia mit Sapphistrie die lesbische
Variante vor. Beide Bücher illustrieren eindrucksvoll die Vielfalt
schwuler und lesbischer Sexualität - von Küssen bis Kot
wird alles beschrieben - und erklären den entspannten Umgang
mit dem eigenen Körper zum Hauptziel guten Sexes.
Dem guten Beispiel folgten in den nächsten Jahren Susie Bright,
als Sexpertin eine Vorläuferin Laura Mérrits und Gründerin
des US-Lesbensexmagazins On our Backs, und Annie Sprinkle,
die nach ihrer Laufbahn als Hure und Pornodarstellerin zur lesbischen
Sex-Aktivistin avancierte. Oder auch Rosa von Praunheim, der durch
persönliche Anekdoten aufklärte.
Die schwule Sexualität in den 80er-Jahren wird von vier Buchstaben
bestimmt: A-I-D-S. In Berlin sollten alle Darkrooms und Saunen geschlossen
werden. Napoleon Seyfarth, Chronist alles Schweinischen, erinnert
sich: Die Jungs, die später die Berliner Aids-Hilfe gegründet
haben, haben den Senator Ulf Fink abgefüllt und durch die Szene
geschleift. Dann gab es die neue Berliner Linie: Aufklären
statt Schließungen. Kondomautomaten statt Vorhängeschlösser.
Dem war die Debatte auf Bundesebene zwischen Peter Gauweiler und
Rita Süßmuth vorausgegangen, in der Lovely Rita die Oberhand
behielt.
Aids brachte einen neuen Trend in der Sexualität: Sex ohne
direkten Austausch von Flüssigkeiten - Fetische, SM, Telefonsex
boomten. Für mehrere Jahre ist die große Frage nicht
mehr, ob es Spaß macht, sondern ob es safe ist, zumindest
für Schwule. Lesben sind besser dran, ihr Ansteckungsrisiko
ist nicht so hoch. Aber auch hier griff ein neuer Trend: Sex wurde
härter. Mit der Angst vor der Ansteckung und der Lebensgefahr,
die Sex auf einmal beinhalten konnte, ging eine Fetischisierung
einher. Das Begehren wurde von vielen nicht mehr direkt auf den
Partner gelenkt, sondern fixierte sich auf Symbole und symbolische
Akte. Fetisch und Ledersex wurden gesellschaftsfähig. Natürlich
nicht diskussionslos.
1981 wird in San Francisco mit Coming to Power das
erste Anleitungsbuch für Lesben-S/M veröffentlicht, es
kommt zu Bücherverbrennungen. Die Sex-Wars entbrennen:
Wieviel Freiheit gestehen sich Lesben zu, ist S/M noch ein Spiel
mit der Gewalt oder schon Gewalt gegen Frauen? Was dürfen Lesben
miteinander tun, und wer sagt das?
1980 eröffnete Toms Bar, 1981 der Knast,
doch erst 1986 machte Mahide Lein in der Potsdamer Straße
das Pelze, ein vom Berliner Senat gefördertes Lesbenprojekt
in einem ehemaligen Pelzgeschäft, zur ersten Erotischen
Bar für Frauen in Deutschland. Es gab den ersten Lesbendarkroom,
und jede durfte tun und lassen, wozu sie Lust hatte. Die lesbische
Leder- und S/M-Szene etablierte sich hier, es wird gepeitscht, gevögelt
und geküsst. Ich bin eine Frau mit großem Herzen
und hab auch die Chaoten zugelassen - das gab schön Farbe!
erzählt Mahide. Es war mal leer, mal gerammelt voll,
aber immer spannend. Das Projekt bestand bis 1990, dann konnten
die anderen Betreiberinnen des Ladens nicht mehr ertragen, wie ich
organisiere. Das Pelze schloss seine Pforten.
Noch heute gibt es keinen Ersatz.
So furchtbar Aids auch ist, es führte dazu, dass schwuler
und lesbischer Sex in der Öffentlichkeit diskutiert wurde,
und dass ein Bewusstsein dafür entstand, was zwei Männer
und zwei Frauen miteinander tun können. Napoleon Seyfarths
Schweine müssen nackt sein, ein autobiographischer
Roman, in dem Aids, Faustficks und die Berliner Leder-Szene Hauptrollen
spielen, wurde ein Bestseller.
Pornografie spielte in der Sexualität beider Geschlechter
ab den Achtzigern eine größere Rolle. Gucken ist 100
Prozent safe. Airport, der erste deutsche Lesbenporno,
war ein ehrgeiziges Projekt, das große Beachtung und viele
Käuferinnen fand. Deutsche Schwulen-Pornos sollten erst mit
der Berliner Produktionsfirma Cazzo so richtig in Hüftschwung
kommen, noch blieb Jeff Stryker King in Berlins schwulen und einigen
lesbischen Wohnzimmern.
Nachdem der Philosoph Michel Foucault in den Achtzigern in Sexualität
und Wahrheit die Konstruktion der sexuellen Identität
erläuterte, heißt die Frage in den Neunzigern frei nach
Woody Allen nur noch: Was bin ich für ein Perverser (und
wie stolz bin ich darauf)? Anything goes, Sex ist Vereinbarungssache:
Allein - mit Partner(n), aktiv - passiv, homo - hetero - bi, sado
- maso, safe - unsafe, bei dir - bei mir - woanders. Sogar das Geschlecht
steht zu Zeiten der lesbischen Philosophin Judith Butler zur Debatte.
Zumindest auf den Sex-Spielplätzen des Internet kann jede und
jeder sein, was sie/er sein möchte. Mit der Auflösung
der Geschlechter hätte sich dann auch das Thema gleichgeschlechtlicher
Sex erledigt. Aber wie heißt es: Guter Sex findet im Kopf
statt. Phantasie ist unendlich und Sex damit auch. Alles,
was es bisher gibt, wird es auch in zehn Jahren noch geben, und
das Sortiment wird ständig erweitert, lässt Beate
Uhse wissen.
(1999).
Erstveröffentlichung1999 in der Siegessäule.
Dank an Paul Schulz.
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