Lydia Lunch:
LEBENSLANG
"Du bist so beschissen negativ. Warum machst du mich so depressiv
...warum mußt du mir das ganze Zeug erzählen ... du könntest
über all das Schöne in der Welt sprechen ... den baldigen
Frieden, die Freude, aber du stehst bloß da und erschreckst
mich mit deinen unglaublichen Geschichten halb zu Tode ... Warum
tust du mir das an ... Warum bezahle ich zehn beschissene Dollar,
um einem abscheulichen Weibsbild zuzuhören, das klingt wie
meine salbadernde Schwester, die mir erzählen will, wie beschissen
alles ist ... Warum propagierst du den Teufelskreis des Mißbrauchs???
Warum verübt eines von drei Inzestopfern ebenfalls sexuelle
Greuel ... Warum ist immer das Opfer Schuld? Warum ist der Patient
immer der Arzt? Warum ist mein Leben eine Sackgasse? Warum ist es
immer kurz vor zwölf, kurz bevor der Hebel am elektrischen
Stuhl umgelegt wird? Warum ist es lebenslänglich? Warum ist
es eine Blutkrankheit? Warum ist es in meinem Blut? Warum?"
LEBENDIG
"Egal wo ich mich hinflüchtete, ich wußte, es gab kein
Entkommen. Keine einfachen Antworten... Ich war mein schlimmster
Feind, und ich mochte es so. Wieder und wieder, wie in einem sich
wiederholendem Alptraum mußte ich die schrecklichsten Zustände
heraufbeschwören. Keine Gelegenheit, die ich auslies. Je abseitiger,
unwirklicher, abscheulicher, und widerlicher, desto mehr suhlte
ich mich darin... rannte sehenden Auges in meinen Untergang. Ich
floh ihn nicht, ich empfing ihn mit offenen Armen und umarmte ihn...
wollte, daß er mich verfolgte, jagte, mich fing und eroberte...
Die Furcht wecken... um das ewige Warten zu beenden, das Wimmern...
das ewige Warten... Meine Phantasien schwollen an... meine Ungedult
und mein Verlangen spülten mich über Bord. Gerade so,
wie ich es mochte. Wie ich es wollte... Außer Kontrolle. Von
Schrecken zu Schrecken geschleudert. Doch es war nicht Agonie...
es war Ekstase.....
Es war als stünde ich außer mir. Ich nahm mir die Lust,
die ich kriegen konnte, wo immer ich sie kriegen konnte... Wollte
mich gut fühlen, zitternd und feucht und lebendig, doch ich
fühlte mich nur schmutzig, dreckig und billig. Deshalb quälte
ich mich so... verlor nach meinen eigenen Regeln. Ich wußte,
daß ich niemals kriegen würde, was ich wirklich wollte.
Mich wirklich, wirklich lebendig zu fühlen und den wahrhaften
Tod zu erwarten. Meine Furcht gemahnte an die brüchige Existenz.....
Wir nehmen das Böse mit dem Bösen und machen es schlimmer.
Okay, einmal noch. Okay, einmal noch. Es bringt mich um. Na und?"
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Die Bücher "Paradoxie" und "Belastende Indizien" von Lydia Lunch sind erschienen im:
mirandA Verlag / Mox und Maritz, , Stefan Ehlert, Postfach 101021, D-28010 Bremen.
Lydia Lunch
Dank an Stefan Ehlert und Lydia Lunch.
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