|
 |
Hans Cousto:
"MIND YOUR STEP"
1) Holotropes Atmen, Meditation und Liebe
- 1982, im Sommer, Ecstasy (MDMA) -
Ein amerikanisches Therapeutenehepaar hatte zu einem Workshop in einem
Landgasthof in der nähe von Trier eingeladen. An einem Freitag
Abend trafen sich etwa zwei Dutzend zumeist junge Leute in diesem
in einem Park gelegenen Landgasthof und wir wurden in der Technik
des holotropen Atmens (Rebirthing) eingeführt. Holotropes Atmen
ist eine Meditationstechnik, die eine Hyperventilation zur Folge hat
in Verbindung mit einer Erhöhung des Sauerstoffgehalts im Blut.
Am folgenden Samstag übten wir uns den ganzen Tag in dieser Technik
und tauschten unsere Erfahrungen aus. Der Vormittag des Sonntages
glich dem Samstag, doch nach einer kleinen vegetarischen Mittagsmahlzeit
kam die Krönung des Workshops.
In einem Saal, wo für jeden eine Matratze und Bettzeug bereitgestellt
war, legten wir uns alle einzeln je auf eine Matratze und erhielten
125 mg MDMA. Bis die Wirkung nach etwa 20 bis 30 Minuten einsetzte,
wurden wir noch über die Eigenheiten dieser Substanz belehrt.
Wir wurden angewiesen, nicht mit den anderen TeilnehmerInnen zu reden
und ebenso auch keinen körperlichen Kontakt mit den anderen TeilnehmerInnen
zu haben. Die Therapeuten konnten wir jederzeit per Handzeichen zu
uns winken, sie befragen oder auch von unseren Erlebnissen erzählen.
Für mich war die Wirkung sanft und angenehm, wie in einer tiefen
Meditation, doch verspürte ich bei weitem nicht so eine starke
Wahrnehmungsveränderung wie nach dem Gebrauch von LSD. So verlangte
ich nach mehr und erhielt weitere 60 mg MDMA. Die Wirkung verstärkte
sich angenehm und ich fühlte mich wie im siebten Himmel, die
Musik von Greatful Dead durchflutete mich und ich schwebte über
den Wolken. Doch nicht allen ging es so gut wie mir, einige schrieen
und schienen wahrlich traumatische Momente zu durchleben und mussten
von den Therapeuten getröstet werden. Das Geschrei und Stöhnen
störte das musikalische erleben und mit der Zeit überflutete
mich ein starker Drang nach Bewegung und nach zwischen-menschlichen
Kontakt. Trotz Protest der Therapeuten verließ ich den Saal,
griff mir unbemerkt noch zwei Portionen MDMA ab und ging gemächlich
zur Bar des Gasthauses und sprach mit dem Wirt und seinem Sohn über
das erlebte. Der Sohn des Wirtes hörte interessiert zu, fragte
immer wieder nach neuen Details und schließlich nach der Substanz.
Ich teilte mit ihm das mitgenommene MDMA (1982 war MDMA noch nicht
dem BtMG unterstellt), wobei ich ihm den größeren Part
in seinen Drink mischte.
Als die Wirkung bei ihm einsetzte, verzogen wir uns mit zwei Decken
in den Park und begannen uns abwechslungsweise gegenseitig zu massieren.
Nie zuvor verspürte ich bei einer Massage so deutlich, wie die
Energie aus den Händen und insbesondere aus den Fingerspitzen
in den Körper des anderen floss und nie zuvor konnte ich mich
in den körperlichen Energiefluss des anderen so hineinfühlen,
als wäre es mein eigener Energiefluss. Für ihn war es das
erste MDMA-Erlebnis.
Wir verschmolzen immer mehr miteinander, massierten uns gleichzeitig,
umarmten uns, kugelten eng verschlungen über die Wiese, liebten
uns, wurden geiler und geiler und fickten uns gegenseitig bis zum
"geht nicht mehr". Eng verschlungen schliefen wir dann ein,
und als wir dann wieder aufwachten, waren wir beide überglücklich.
Die WorkshopleiterInnen waren hingegen überhaupt nicht glücklich,
sie beschimpften uns und meinten, wir hätten "Missbrauch"
betrieben!
Anmerkung: Obwohl MDMA eigentlich eine sanft wirkende Substanz ist,
gibt es Menschen, die dieselbe nicht vertragen. Zum einen geraten
einige Menschen aufgrund der körperlichen Reaktionen (Herzrasen,
starke Schweißausbrüche, heißes Körperempfinden,
Verspannungen in der Kiefermuskulatur) in Panik, zum anderen können
einige Menschen nicht mit den intensiven Gefühlswallungen umgehen.
Wer Probleme mit seinem Kreislauf hat, an Anämie (Blutarmut)
leidet oder zu Atemdepressionen neigt, sollte niemals MDMA gebrauchen.
Ebenso sollten Personen mit Leberproblemen (Hepatitis, Leberzirrhose)
kein MDMA konsumieren. Und wer Angst vor seinem eigenen Gefühlsleben
hat, sollte auch generell auf die Einnahme von MDMA verzichten, da
es während der Drogenwirkung zu panikartigen Zuständen kommen
kann und vor allem nach der Drogenwirkung zu länger andauernden
depressiven Verstimmungen.
2) "Mind Your Step" erotische Hardcore-Tanz-Ekstase
- 1985, im Herbst, LSD, Kokain, Haschisch -
"Mind Your Step" stand über dem Eingang einer der größten
Schwulendiscos in Amsterdam. Die Amsterdamer Gay-Szene pflegte bereits
in den achtziger Jahren so zu feiern, wie das heute in der Technoszene
üblich ist. Der Sound war anders als heute und statt Chill-Out-Areas
gab es Darkrooms mit Slings und sonstigen netten Einrichtungen. Lustvolle
Tanzekstase bei schweißtreibender Musik prägte das Bild
auf dem Dancefloor und das Setting der Disco erlaubte allerlei Lustbarkeiten
nach dem Tanz: Sex, Sex und nochmals Sex. Geile körperliche gruppendynamische
Verschmelzung paarte sich mit der Offenbarung: Geilheit ist die Knospe
der Liebe.
Ich tanzte völlig in Trance, jeder Ton durchwanderte meinen Körper.
Alles war in Bewegung. Ich bewegte mich, alle anderen Tänzer
bewegten sich, die Lichter bewegten sich, ja selbst der Dancefloor
schwang und vibrierte mit im Rhythmus. Auf einmal brachte mich ein
Blick von zwei großen Augen zu einem absoluten und sehr kurzen
Stillstand, der jedoch unendlich lang war, da in dieser kurzen Zeit
jedes Zeitgefühl verschwunden war. Es funkte zwischen seinem
und meinem Blick. Ja manchmal genügt ein einziger Blickwechsel,
um sich zu erkennen, und dann kennt man sich schon besser, als andere,
die schon jahrelang miteinander leben. Dazu muss man jedoch nicht
nur selbst schauen und sehen, sondern vor allem andere in sich hineinblicken
lassen.
Die Starre des Stillstandes war sogleich verschwunden, es war ein
Gefühl, als wenn es einem zugleich kalt den Rücken herunterliefe
und gleichzeitig eine wohltuende wärmende Wellenbewegung im Rückenmark
emporsteige. Wie von einem gigantischen Magneten fühlten wir
uns angezogen. Wortlos fielen wir uns in die Arme und küssten
uns so, dass wir völlig miteinander verschmolzen. Vom Dancefloor
bahnten wir uns den Weg in einen der vielen Nebenräume und ab
ging die Post. Das LSD öffnete die Sinne und förderte den
Genuss, das Kokain gab uns die nötige Power, es so heftig zu
treiben, dass die Phantasie gegenüber der Realität keinen
Vorsprung mehr hatte. Keine Gedanken und Bilder lenkten uns ab, ja
wir waren jenseits aller Vorstellungen, so dass jeder Impuls völlig
spontan war und nie die Nachstellung einer Vorstellung.
Anmerkung: Kokain ist eine hochwirksame Droge! Kokain ist das veredelte
Konzentrat des in den Blättern der Kokapflanze enthaltenen Hauptwirkstoffes,
deshalb ist Kokain möglichst nur selten und in geringen Dosen
zu gebrauchen. In geringen Dosen hat Kokain eine erheiternde und stimulierende
Wirkung, in höheren Dosen dagegen eine lähmende Wirkung,
ähnlich wie Schnaps (Branntwein), einem veredelten Konzentrat
aus vergorenen Fruchtsäften, der in kleinen Dosen sehr anregend
sein kann; wird er jedoch häufiger und in größeren
Dosen konsumiert, so führt dies oft, wie auch beim kontinuierlichen
Kokainkonsum, zu schwerer körperlicher und geistiger Zerrüttung.
3) Hardcore Yoga
- Sommer 2000, Methamphetamin, LSD, Haschisch -
Ursprünglich ist ein Mantra eine magische Formel der Inder, die
als wirkungskräftig geltender Spruch durch ständige Wiederholung
Erlösung herbeiführt. Der englische Punk-Musiker Ian Dury
setzte mit seinem Song "Sex and Drugs and RocknRoll"
ein ausgeprägt rhythmisch betontes Mantra in die Welt, wobei
er durch die stetige Wiederholung der Worte "Sex and Drugs and
RocknRoll" in einer eingängigen Melodie eine
magische Wirkung bewirkte, die so manchem neue Dimensionen des Glücks
ebnete. Über Jahre hinweg erinnerte ich mich immer wieder an
diesen Song und er ging mir oft minutenlang durch den Kopf. Im Wandel
der kulturellen Vorlieben prägte sich mir wie aus dem Nichts
auf dem Dancefloor eine neues Mantra ein, das im 4/4-Takt simultan
zu Techno-Musik über Stunden durch den Kopf kreisen kann: "Techno,
Tanzen, Turnen, Ficken"
Im Sommer 2000 fuhr ich von Berlin ein paar hundert Kilometer durchs
Land zu einer Gay Party, deren Leitmotiv genau diesem meinem Mantra
"Techno, Tanzen, Turnen, Ficken" entsprach. Da die Party
für einen weit längeren Zeitraum als nur eine Nacht ausgelegt
war, entschloss ich mich zum Gebrauch von Methamphetamin, das euphorisierend,
anregend, libidinös stimulierend und vor allem lange wirkt. Dazu
gönnte ich mir gut 400 Mikrogramm LSD.
Auf dem Dancefloor vermittelte mir die geballte gruppendynamische
Energie, dass hier nicht wenige zu außerordentlich ekstatischen
Begegnungen bereit waren. Ein kribbeliges Vibrieren lag in der Luft.
Die Gier meiner Blicke spiegelte sich in den Augen der lustvoll tanzenden
Männer um mich herum, bis ich von den Blicken zweier Kerle völlig
hypnotisiert zu taumeln begann. Die beiden packten mich an den Armen
und führten mich durch die tobende Menge der Tanzenden in einen
kleinen Nebenraum.
Aus der Trance erwachend fand ich mich an Händen und Fersen gefesselt,
gespannt zwischen Boden und Decke, so dass ich mich nicht mehr rühren
konnte und spürte die streichelnde Bewegung von zwei ledernen
Klatschen an meinen Beinen und an meinem Rücken. Mit jedem Takt
der Musik empfand ich die Klatschen intensiver, das Streicheln mutierte
in zarte zu immer stärker werdenden Schlägen und bald war
ich einem wahren Trommelfeuer ausgesetzt. Rücken, Beine, Bauch
und die Genitalien waren abwechslungsweise Ziel der Hiebe. Wehrlos
ausgeliefert zuckte ich nach jedem Peitschenhieb zuckender
Tanz in Fesseln zum musikalischen Rhythmus, der den Takt der Hiebe
vorgab. Die Stimulation bewirkte eine grenzenlose Geilheit, die mich
fast explodieren ließ. Immer, wenn es fast so weit war, dass
ich glaubte, jetzt explodiere ich und spritze gleich ab, hinderte
mich ein sanftes Streicheln, das für eine wohltuende Entspannung
sorgte und mich auf die nächste Runde einstimmte (vorbereitete).
Von Runde zu Runde steigerte sich die Heftigkeit bis hin zur völligen
Ekstase und schließlich am Ende erlöste mich ein gewaltiger
Orgasmus. Selten zuvor war ich bei einer lustvollen Peinigung so erregt
und so geil wie in jener Nacht, wobei hier hinzuzufügen ist,
dass dies nicht nur an der Wirkung der eingenommenen Drogen lag, sondern
vor allem am Können und an der Sensibilität der beiden Kerle,
die wahre Meister ihrer Ambitionen waren.
Anmerkung: Viele Leute haben das Gefühl, man müsse pervers
sein, wenn man sadomasochistische Techniken praktiziert. Fesseln und
Peitschen hat mit Gewalttätigkeit eigentlich nichts zu tun. Es
geht hier um die gezielte Stimulation bestimmter Körperregionen,
die besonders effektiv in rhythmischer Abfolge gesteigert werden kann.
Es handelt sich um eine echte Kunst, die zahlreiche Wesensverwandtschaften
mit der Akupunktur hat. Für Kenner der Materie sei hier angemerkt,
dass am Rücken die Stimulation besonders gut gelingt, wenn man
sich der Reihe nach auf die Punkte 28, 23, 20, 15, 40 und 39 des Blasenmeridians
sowie auf Punkt 4 des Du Mai Meridians (Lenkergefäß) konzentriert.
An den Beinen erzielt man die stärkste Luststeigerung durch Bearbeitung
der Punkte 6, 9 und 10 des Meridians der Milz, der Punkte 52 und 58
des Blasenmeridians sowie des Punktes 8 des Lebermeridians. In der
Bauchgegend zeichnen sich die Punkte 3, 4 und 6 des Ren Mai Meridians
(Konzeptionsgefäß), der Punkt 12 des Nierenmeridians sowie
der Punkt 29 des Magenmeridians durch eine besonders große Effizienz
aus.
SM ist eine Art Tantra Yoga, in der praktizierenden Szene auch Hardcore
Yoga genannt. Es geht hier um ein äußerst intensives Wechselspiel
zwischen Spannung und Entspannung, vor allem aber geht es um Hingabefähigkeit
und um Urvertrauen.
SM-Praktiken beeinflussen die Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter
ebenso stark und rasch wie die Einnahme von psychoaktiven Substanzen.
Die Erwartungshaltung (zuweilen auch Angst) vor und der Schreck beim
Schlag verursacht eine verstärkte Ausschüttung der beiden
Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin, der folgende Schmerz
bewirkt eine verstärkte Ausschüttung des Neurotransmitters
Endorphin. Das Adrenalin sorgt für einen wachen Bewusstseinszustand
und das Endorphin macht die Schmerzen erträglicher. Wachsen Adrenalin-
und Endorphinspiegel gleichmäßig an, was durch eine langsame
und stetige Steigerung der Schlagintensität hervorgerufen wird,
dann verschiebt sich die Schwelle der Lustempfindung bei der Zufügung
von Schmerzimpulsen immer weiter in den Bereich höherer Lust
bei stärkerem Schmerz. Eine zu schnelle Steigerung der Intensität
der Schmerzimpulse kann in Sekundenschnelle jegliches Empfinden von
Lust am Schmerz zerstören und damit auch jegliche Geilheit. Ein
"Programmwechsel" oder sofortiger Abbruch der Session ist
dann unabdingbar.
Methamphetamin steigert wie eine plötzliche Erwartungshaltung
oder ein erschreckendes Erlebnis die Ausschüttung von Adrenalin,
befördert also das Wachsein. LSD spiegelt dem Körper einen
höheren Serotoninpegel vor, was intensivere Glücksgefühle
hervorrufen kann. Durch die Kombination dieser beiden Substanzen kann
die Erlebnisintensität bei einer SM-Session außerordentlich
stark gesteigert werden. Es gilt hierbei zu bedenken, dass wenn die
Partner nicht richtig zueinander passen und vor allem wenn das nötige
Einfühlungsvermögen beim aktiven Part nicht gegeben ist
und die Session zu einem Fehlschlag wird, dann wird unter Einfluss
der oben genannten Substanzen dieser Fehlschlag auch mit einer gesteigerten
Intensität wahrgenommen und erlebt, was im ganz anderem Sinne
äußerst schmerzhaft sein kann.
Aus: Hans Cousto / Vom Urkult zur Kultur - Drogen und Techno (Nachtschatten Verlag):
www.eve-rave.net/abfahrer/download/eve-rave/techno.pdf
Dank an Hans Cousto.
|