|
|
Theo Rosenfeld:
DIE GRENZEN DER UNENDLICHKEIT
Es war meine extremste Reise in die äußeren Bereiche erotischer
Psychopharmakreativität. Wenn ich darüber nachdenke, komme
ich immer wieder an einen Punkt, an dem ich mich fragte: Worum
geht es eigentlich? Was bringt mir diese Verbindung von Psychedelika
und Sex überhaupt? Macht sie den Sex wirklich besser, fühlt
es sich wirklich gut an?
Meine Versuche über diese Erfahrung zu schreiben, gaben meinen
Zweifeln zusätzliche Nahrung. Ich habe keine befriedigende Antwort
auf meine Fragen gefunden - sie sind weiterhin weitgehend vorhanden.
Aber bei einem bin ich mir sicher, diese Reisen in die äußeren
Bereiche und das Verrücken der Grenzen machen mir neben vielem
anderen vor allem richtig viel Spaß. Und wie wohl die meisten
von uns habe ich schlichtweg gerne Spaß und erfreue mich auch
an Geschichten von anderen Leuten, die ähnliches beschreiben.
Und so hoffe ich, dass diese Geschichte auch Dich zum Lächeln
bringt.
- I. -
Das 2CB, das wir genommen haben, war mild. Ich fühlte mich angenehm
warm, kuschelig, und ziemlich verspielt. Ich fühlte mich Sophia
sehr nahe, und wünschte mir nichts mehr, als die ganze Nacht
lang irgendwelche erotischen Fantasien auszuleben, an die wir uns
in den zwei Jahren unseres Zusammenseins noch nicht richtig heran
gewagt hatten. Es war wohl einer der vertrautesten Momente, die wir
überhaupt hatten, und darüber hinaus einer der wunderbarsten
Augenblicke meines ganzen Lebens. Wir hatten uns drei Wochen lang
nicht gesehen und gleichzeitig lag die lange Zeit von drei Monaten
vor uns, in denen wir voneinander getrennt sein würden. Vor diesem
Hintergrund war es eine perfekte Ausgangslage für ein Experiment
mit psychoaktiven Substanzen um unsere Liebe und unsere Lust noch
einmal anders und besonders tief zu erfahren.
Es begann relativ zufällig. Hier ist noch ein kleines Stückchen
DMT, wollen wir es vielleicht nehmen während wir uns lieben?
- Oh ja.
Sophia und ich haben nie einen allzu großen Wert auf Rituale
oder irgendein Brimborium gelegt, wenn es um die psychoaktiven Komponenten
der Erotik ging. Klar, Rituale haben zweifellos ihre Bedeutung - gerade
im Zusammenhang mit solch starken Molekülen wie DMT. - Und ich
würde dabei auch nie die Bedeutung einer Fokussierung und einer
gewissen Disziplin herunterspielen, aber für uns war immer auch
ein gesundes Maß an Spontaneität und spielerischer Offenheit
besonders wichtig
Wir haben uns viel Zeit gelassen, um uns gegenseitig anzumachen, bis
wir völlig geil waren, feucht, heiß, hart, bis wir kurz
vor diesem besonderen Punkt waren. Das 2CB war zwar nicht besonders
stark, aber es gab allem eine direktere, intensivere Note.
Sophia saß mir in einem niedrigen, weichen Sessel gegenüber.
Während ich mich auf meinen Knien vor ihr - und in ihr befand,
nahm ich die vorbereitete Glaspfeife. Eine dünne Schicht Cannabis
umschloss ein kleines Kügelchen weißen Pulvers und ich
begann tief ein- und auszuatmen ...
Mit jedem Zug konnte ich mich intensiver fühlen
uum
und ich hob immer weiter ab. Jeder Zug brachte noch mehr dieser besonderen
und gleichzeitig so seltsamen Empfindungen hervor. Gleichzeitig wurde
das Bild von Sophia verschwommener. Nach dem dritten oder vierten
Zug schaffte ich es kaum noch Sophia die Pfeife geben.
Bald darauf traten die Gefühle der körperlichen Vereinigung
und der Liebe völlig in den Vordergrund. Ich empfand nichts anderes
mehr, als das wunderbare Gefühl des Hineingleitens in eine Vagina,
die mich sehnsüchtig begrüßt.
Ich schaute in Sophias Augen (sie hatte nun wieder ein Gesicht, auch
wenn dieses nicht viel mit ihrem üblichen zu tun hatte) und wir
lächelten beide und flossen dabei ineinander. Ihr Haar bestand
nun aus dicken, brauen Dreadlocks, aber keineswegs im Stille eines
detaillierten Bildes, sondern ähnlich einer kontrastreich gezeichneten
Skizze in einem durchgängigen, strukturlosen Farbton. Ihr Gesicht
verwandelte sich wie bei einer Metamorphose ständig. Manche Gesichter
wirkten völlig fremd, geradezu außerirdisch, andere eher
gewohnt und vollkommen menschlich - durchgängig aber war es ein
wunderschöner Anblick. Die Gesichter veränderten sich in
einem atemberaubenden Tempo. Und wenn ich nun zurückdenke, fragte
ich mich, wie viele Gesichter sie wohl in dieser Nacht besaß.
Irgendwann betrat ich dann den Raum. Alles war sehr hell
und farbenfreudig (viel Gelb). Überall blubberte und pulsierte
es. Anders als bei meinen vorherigen psychedelischen Erfahrungen sah
ich anstatt unzähliger Pixels große Blöcke monochromer
Farben. Ich fühlte mich, als würde ich mich gerade am seltsamsten
Ort des ganzen Universums befinden.
Dann wurde alles zu Sex. Wohin ich auch meine Aufmerksamkeit richtete,
welches sensorische Organ ich auch benutzen wollte, ich spürte
nur noch das körperliche Gefühl des Liebens.
Völlig verwirrt gelang es mir dann doch die Frage auszusprechen:
Was passiert hier gerade? Und als ich etwas später
aus einem inneren Wirbelwind von Wörtern einige ausgewählt
und in eine kommunikative Form eingefügt hatte, fügte ich
hinzu: Das Universum wird dies nie wieder sagen!
Danach verschwand ich völlig in einem sinnlichen Cartoon-Land.
Ich konnte in meiner Umgebung nichts mehr unterscheiden. (Sophia sagte
mit später, dass ich die ganze Zeit weit geöffnete Augen
gehabt hätte). Und bald darauf wurde absolut alles zu uns, aus
welcher Zeit und von welchem Ort auch immer. Es gab mich nicht mehr,
auch keine Sophia mehr, es gab nur noch die Totalität des Liebens.
Dabei tauchte ab und zu in meinem Bewusstsein die Frage auf: Wie
viele Penisse kann ich besitzen? Währenddessen glitten
meine unzähligen Penisse durch meinen ebenso endlosen Vaginas.
In dieser endlosen Zeit in der ich mit einer unendlichen Zahl von
Geschlechtsorganen Liebe machte, kam eine seltsame Angst in mir auf.
Ich befürchte plötzlich, dass wir das gesamte Universum
in unseren Sex eingeschlossen hätten - und dies für immer.
Im Rückblick fällt es mir schwer zu verstehen, dass gerade
dies mir solche Sorgen bereitet hat.
Diese Anspannung zwischen völligem Vergnügen und großer
Sorge dauerte ewig an, bis ich damit begann zurückzukehren und
die Dinge in meinem Zimmer wieder ihre Formen annahmen, letztlich
auf eine sehr unsanfte Weise. Während ich noch in meinem omnidimensionalem
Fick verfangen war, wurde Sophia in meiner Wahrnehmung wieder zu einem
eigenständigen Element. Die Erkenntnis, dass sie nun nicht mehr
eine andere Dimension meiner selbst bildete, wirkte wie ein Schock
auf mich.
Unser Sex hat ein abruptes Ende gefunden. Ich glitt von ihrem nackten
Körper herab auf den Boden. All die wunderbaren Wahrnehmungen
waren nun plötzlich von einem unbefriedigten Gefühl des
Abbruchs bestimmt. Doch weder Sophia noch ich versuchten die Trennung
wieder aufzuheben.
Ich frage mich, ob ich die Erfahrungen einmal wirklich verstehen werde.
Und ich werde mich wohl immer wieder fragen, wieviel der kaum beschreibaren
sexuellen Empfindungen in meinem Kopf abliefen und wieviel
von den tatsächlich Handlungen hervorgerufen wurde. Aber eines
ist sicher, es war extrem guter Sex, selbst wenn nicht alles wirklich
passiert ist.
Vielleicht wird das Universum dies nie wieder sagen.
- II. -
Ich habe die obenstehenden Zeilen vor über einem Jahr geschrieben,
ein der zwei Tage nach unserer Erfahrung. Ich habe inzwischen viele
Stunden damit verbracht über die Bedeutung dieses Erlebnisses
nachzudenken, und zumindest ein wenig zu verstehen, wie es mich beeinflusst
hat. Mindestens genauso viel Zeit habe ich damit verbracht, die ästhetische
Dimension zu betrachten und das Ganze auch als ein omnisensorisches
metamediales Kunstwerk zu begreifen.
Niemals zuvor erlebte ich eine solch greifbare Erfahrung der Zeitlosigkeit.
Bis zu diesem Erlebnis konnte ich mir Zeitlosigkeit nur als statisch
vorstellen. Doch nun weiß ich aus eigener Erfahrung, dass es
eine ex-statische Zeitlosigkeit gibt und wir sie erfahren können.
Mit erstaunlicher Klarheit kann ich mich an die Reihenfolge der Gedanken
zurückerinnern, als ich so in Sorge war, dass wir durch unseren
Akt der Liebe alles für immer verändert haben. Ich erinnere
mich daran, wie ich durch meine eigenen Synapsen blickte, und die
molekularen, dann atomaren und schließlich subatomaren Vorgänge
verfolgte. Die Partikel in meinen Synapsen erhielten eine derartig
hohe Energie, dass sie sich im Zuge eines noch nicht erklärbaren
Quanten-Mechanismus mit jeden Partikel synchronisierte, das existiert
(oder jemals existierte oder jemals existieren wird), und im Zuge
der Vereinigung von Penis und Vagina die universelle Erfahrung der
Verschmelzung ermöglichten.
Zweifellos habe ich diese Erfahrung für mich als äußerst
angenehm erlebt, aber nicht zwangsläufig als etwas positives
für alles andere. Während diesen endlosen Momenten des Nachdenkens
war ich zutiefst entsetzt und verwirrt. Muss nun wirklich alles in
mir eingeschlossen sein und mit mir auf ewig Sex haben? Aber warum
kümmerte mich dies so sehr? Warum kam überhaupt diese Vorstellung
und diese Angst in mir auf? Welcher Teil in mir kümmerte sich
mehr um die vermeintliche Zwangslage von anderen, als um den realen
Genuss im Hier und Jetzt?
Vielleicht waren die Ängste auch nur ein Ergebnis des Nervenkitzels
und der Ungewissheiten, die durch das Vorstoßen an diese äußeren
Grenzen aufkamen. Vielleicht waren sie auch ein effektiver Sicherheitsmechanismus,
der mich auf dieser Seite meiner Grenze der Intensität hielt.
Die sexuelle Erfahrung gehört zu den intensivsten und angenehmsten
Erfahrungen meines Lebens, aber der tiefe Genuss ist bis heute von
seltsamen Gefühlen und Zweifeln umgeben. Wo sind Grenzen? Und
welche? An welchem Punkt wird die Intensität des Vergnügens
unerträglich? Kippt es dann in Schmerz oder in etwas völlig
anderes? Und die Eine-Million-Dollar Frage: Wie können wir überhaupt
ausreichend tiefe Gefühle des Vergnügens und Genusses erzeugen,
um dies zu beantworten?
Aus: Wolfgang Sterneck (Hg.) / Erotika - Drogen und Sexualität.
Thanks to Theo Rosenfeld.
|