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Simon De la Luna:
ICH ATME UNIVERSEN
Ich sehe die Golden Gate Bridge aus dem Flugzeugfenster. Eben noch
in Berlin, jetzt im Landeanflug auf Kali-fornien. Lineare Zeit wird
dekonstruiert: mein Körper an der Westküste - meine Seele
noch in Europa.
Noch dreißig Minuten und ich treffe meine Kali wieder. Die
Liebe zu ihr und die Sehnsucht nach neuen Ufern treiben mich in
dieses Flugzeug. Gedanken und Traumbilder drängen sich in meinem
Kopf... 500 Jahre Kolonialisierung Amerikas... Ahnen die das Neue
suchten, brachen nach Westen auf... die neue Welt... das Gefühl,
kollektive Prozesse persönlich noch einmal zu durchlaufen...
die Neophilister zogen noch weiter Richtung Westen, bis sie in Kalifornien
angelangten... Nun mache ich diesen Schritt, hoffe auf Inspiration.
San Francisco. Hier erlebe ich die Manifestierung des globalen
(Computer-) Dorfes. Durch die Netzwerke erhielt ich so umfassende
Information, daß mir die Stadt direkt vertraut ist. Rave-VeranstalterInnen,
Spirulina-Vertriebe, Samen- und Pflanzen-Handlungen für Psycho-Vitamine,
Iso-Tank-Zentren und NetzwerkerInnen - gut informiert wie nie zuvor.
Die Information ist überall gleichzeitig, es wird immer unnötiger
mit dem Körper zu reisen. Wenn irgendwo auf dem Planeten etwas
entdeckt wird, ist es morgen schon an jedem Terminal abrufbar.
Die Stadt ist schön, einladend und sonnig. Während über
Berlin drohend die Apokalypse hängt, scheint mensch sich hier
auf die Trance-formation vorzubereiten. Die Sixties, die psychedelische
Revolution, hier kann mensch die nächste Generation erleben.
Die Kids der Bay-Area sind kreativ, hedonistisch und spirituell.
Free minds, good people.
Sie verstehen sich selbst als Tribal Pagan-Community.
Paganism heißt für sie: Rückbesinnung aufs Heidentum.
Suche nach dem mit ihm untergegangenen uralten Wissen, Wiederbelebung
von keltischen Ritualen und Festen - zurück zu archaischen
und schamanischen Stammeszusammenhängen.
Es werden weniger die Rituale und Werkzeuge der Native Americans
(IndianerInnen) genutzt bzw. ausgebeutet als vielmehr mit dem gearbeitet
was von den alten europäischen Traditionen noch überliefert
ist. Für weiße AmerikanerInnen ein großer Schritt:
Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und Auseinandersetzung
mit 500 Jahren Kolonialismus und Ausbeutung. Ein Hauptthema meiner
Reise, da ich durch meine indianische Freundin Einblick in San Franciscos
Native-Community und so eine neue Sicht auf das White America erhielt.
Ich wurde zur Sweatlodge (Schwitzhütte - indianisches Reinigungsritual)
eingeladen und lernte viel an jenem Tag... mit der Hitze steigt
Schmerz in mir auf... Wut und Trauer... Tränen für 500
Jahre Genozid, Ausbeutung, Unterdrückung... der weiße
Mann kam in unser Land, tötete fast meine gesamte Familie...
machte Wüsten aus fruchtbaren, lebendigen Landstrichen... tötete
unsere Büffel... unsere Bäume... nun kommen die New-Age-People...
nehmen uns das Letzte das uns geblieben ist: unsere Kultur, unsere
Religion und Gebräuche... unsere Spiritualität...
Das Praktizieren von Ritualen wie der Schwitzhütte ist für
mich zu einem wichtigen Teil meines Lebens geworden und ich werde
auch weiterhin damit arbeiten. - Was ich aber lernte, als ich an
der indianischen Zeremonie teilnahm, ist Respekt, etwas das unserer
Kultur fehlt. Respekt vor der Erde, auf der wir gehen und vor den
Lebewesen mit denen wir diesen Planeten teilen. In diesem konkreten
Fall: Respekt vor der Kultur deren Ritual ich benutze, Respekt auch
vor der Wut und Trauer der einzelnen Individuen. Ich habe gelernt,
demütig und Bettler zu sein, für mich (weiß, mitte
zwanzig, männlich) eine völlig neue Situation. Mein stolzes
Ego schrie auf und wollte einfach gehen. Ich bin froh geblieben
zu sein.
Halte die Augen offen und suche nach Ritualen und Werkzeugen, die
Dir bei Deiner Entwicklung helfen können. Nimm Dir, was Du
brauchst und was Dich anspricht. Information ist frei zugänglich
für alle, aber: Was Du machst, das mache bewußt. Übernimm
Verantwortung für Dein Tun. Arbeitest Du mit Ritualen unterdrückter
Kulturen, so setze Dich mit deren Geschichte auseinander. Benutzt
Du ein indianisches Ritual, so gib dem roten Volk etwas dafür
zurück. Es hilft uns nicht, fremde Zeremonien unreflektiert
zu übernehmen. Wir können sie als Anregung für die
Entwicklung eines eigenen Systems, das uns und unserem Stamm entspricht,
nutzen.
Der nächste wichtige Schritt meiner Reise führte mich
von den Stammesritualen zurück zu meinem tieferen Selbst. In
San Francisco hatte ich Gelegenheit, mir einen alten Traum zu erfüllen:
das floaten in einem Isolationstank. Der Samadhi-Tank
wurde von John C. Lilly entwickelt. Mensch schwebt dabei auf einer
Salzlösung, die Box ist licht- und schalldicht. So hat das
Gehirn keinen Rezeptor mehr in die äußere Welt, und das
Bewußtsein wird mit sich selbst konfrontiert. Eine einfache
Idee, aber unglaublich in ihren Auswirkungen.
Nach ca. dreißig Minuten floaten trete ich in eine assoziative
Traumphase ein. Nach sechzig Minuten völlige Entspannung und
Bilderfluß, bin Embryo im Mutterleib. Nach neunzig Minuten
bin ich nur noch träumendes Bewußtsein, ohne Konzept
von mir und meinem im Tank liegenden Körper... Ein wundervolles
Medium, um das innere Universum zu erforschen. Tanks dieser Art
sind in Deutschland noch nicht weit verbreitet, aber doch zu finden.
Nebenwirkungen der Tanktrips: Verbessertes Erinnerungs-, Konzentrations-
und Entspannungsvermögen, kurz: ein wirklich klarer Kopf.
Einige Tage später wurde ich erneut inspiriert. Diesmal in
Form eines exogenen Neurotransmitters namens DMT. Dieses Molekül
ist keine Designerdroge, sondern ein pflanzlicher Wirkstoff. Es
ist Bestandteil des legendären Ayahuasca-Trankes, der von den
SchamanInnen vieler Stämme im Amazonas rituell zur Heilung
und Erzeugung von Visionen eingenommen wird. Der Trank besteht aus
DMT und harmalinhaltigen Pflanzen. Das Harmalin verhindert den direkten
Abbau des DMT im Körper und potenziert dessen Wirkung.
Ich nahm also einen Löffel voll harmalinhaltiger Samen zu
mir und rauchte zwei Stunden später das pulverförmige
DMT. Die Wirkung setzte schon während des Ziehens ein und dauerte
etwa eine halbe Stunde an.
Ich verlasse meinen Körper... werde durch unbekannte Dimensionen
in ein Paralleluniversum geschleudert... DMT is instant alien contact...
mein Lichtkörper nimmt fremde Wesenheiten im selben Raum wahr...
es entsteht ein direkter Kontakt... sie kreieren das Universum,
in dem wir uns befinden... als ich dies realisiere,
werde ich initiiert, in den Kreis aufgenommen, nehme am Prozeß
des Erschaffens teil... ein Zustand von Omnipotenz... ich atme Universen
aus, bin in totaler Ekstase, erhalte Botschaften, bin Sender und
Empfänger... (Unsere Sprache ist kein adäquates Werkzeug
zur Beschreibung dieser Ebenen.)
Dies ist der kleine Tod, ein Ausblick auf die Zustände
nach der Transformation. Eine Vision des Unbekannten, das uns erwartet,
wenn die Zeit endet. Sowohl ein individueller, als auch ein planetarer
Vorgang. Gaia will und wird transformieren.
Vieles deutet daraufhin, daß der kollektive Prozeß,
den wir Geschichte nennen, auf einen Endpunkt zustrebt. Ein großer
Zyklus des Maya-Kalenders endet im Jahre 2012 unserer Zeitrechnung.
Prognosen anderer Mythologien siedeln die Apokalypse ebenfalls kurz
nach der Jahrtausendwende an. Apokalypse bedeutet Erneuerung. Wir
sind TeilnehmerInnen, kleine Zellen in diesem Prozeß. Zusammen
bestimmen wir das Resultat... Totale Zerstörung der lebendigen
Hülle unseres Mutterplaneten - oder eine tatsächliche
Erneuerung... die Menschheit hat die Wahl.
Übernehmen wir Verantwortung! Unser Überleben hängt
von der Kommunikation mit allen Lebensformen auf diesem Globus ab.
Die Zukunft ist das, was wir daraus machen. Nutzen wir jede Möglichkeit,
um uns auf die kommende Transformation vorzubereiten! - Lets plant
a tree!
Aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck (Hg.)
Cybertribe-Visionen
KomistA-Verlag / Nachtschatten Verlag
ISBN 3-928988-04-2
http://www.sterneck.net/cybetribe/index.php
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