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Wolfgang Sterneck:
DIE KRAFT DER KONSEQUENZ
- POLITISCHE ROCK-MUSIK -
- Der andere Weg -
- Die Scherben und die Sehnsucht -
- Henry Cow und die konkrete Alternative -
- Die Plastic People und der Underground -
In den siebziger Jahren stellten sich eine Reihe von MusikerInnen
in West- und Ost-Europa gegen die Vorgaben von Industrie und Staat.
Sie versuchten einen eigenständigen und unabhängigen Weg
zu gehen und nutzten die Rock-Musik um ihre inhaltlichen Positionen
bzw. das zu Grunde liegende Lebensgefühl zu vermitteln.
DER ANDERE WEG
In den späten sechziger Jahren entstanden in den westlichen
Staaten außerparlamentarische Oppositionsbewegungen, die anfangs
hauptsächlich von StudentInnen, später aber auch von breiteren
Bevölkerungskreisen getragen wurden. Die Bewegungen stellten
sich gegen autoritäre und rückständige Strukturen
in allen Bereichen der Gesellschaft, sowie insbesondere gegen den
Krieg der Vereinigten Staaten in Vietnam. Ausgehend von linken,
radikalen Positionen wurde eine befreiende gesellschaftliche Veränderung
angestrebt. Auch wenn die Entwicklung einer revolutionären
Massenbewegung letztlich eine Wunschvorstellung blieb, gelang es
in vielen Bereichen nachhaltige Bewußtseinsveränderungen
einzuleiten. So verbanden zunehmend MusikerInnen aus unterschiedlichen
Strömungen ihre Veröffentlichungen mit einem politischen
Anspruch und betonten die inhaltliche Aussage bzw. das grundlegende
aufbegehrende Lebensgefühl, während gleichzeitig kommerzielle
Aspekte in den Hintergrund gestellt wurden. Bezeichnender Weise
sangen viele der politisch ausgerichteten Bands nicht mehr wie zuvor
üblich in Englisch, sondern in ihrer Landessprache, um ihre
Aussagen besser vermitteln zu können. Zudem verweigerten sie
sich vielfach zunehmend den Musikkonzernen und versuchten selbstbestimmte
Strukturen wie zum Beispiel unabhängige Labels und Vertriebsnetze
aufzubauen.
Die Situation der MusikerInnen in den Staaten des realen
Sozialismus unterschied sich grundlegend von der Situation
in den kapitalistischen Ländern. Der Staatsapparat versuchte
alle gesellschaftlichen Bereiche zu kontrollieren und zu steuern.
Legale öffentliche Auftrittsmöglichkeiten oder die Erlaubnis
Schallplatten zu veröffentlichen erhielten nur MusikerInnen,
die sich den ideologischen Vorgaben unterordneten. Gegen systemkritische
Bands, die eine Lebensauffassung verkörperten, welche den staatlichen
Vorgaben nicht entsprach, wurde repressiv vorgegangen. Dennoch gelang
es nie, die oppositionelle Kultur- bzw. Musikszene völlig zum
Schweigen zu bringen. Insbesondere in den siebziger Jahren entstanden
in fast allen Staaten des realen Sozialismus gegenkulturelle
Freiräume. Vielfach kam es in diesem Rahmen zur Organisation
illegaler Konzerte und zur Verbreitung von Musikaufnahmen durch
Kassetten.
DIE SCHERBEN UND DIE SEHNSUCHT
Die Ende der sechziger Jahre in Berlin-Kreuzberg gegründete
Band Ton Steine Scherben gehörte zu den ersten Rock-Gruppen
in der BRD, die ihre Musik mit einer klaren politischen Aussage
verknüpften. In einer Selbstdarstellung mit dem Titel Musik
ist eine Waffe (1972) erklärte die Band ausdrücklich,
daß sie ihre Lieder an der politischen Effektivität ausrichtet
und jede Aktion unterstützt, die dem Klassenkampf dient, unabhängig
davon, von welcher Gruppe sie durchgeführt wird. Musik
kann zu einer Waffe werden, wenn du auf der Seite der Leute stehst,
für die du Musik machst! Wenn du mit deinen Texten etwas sagst
und eine Situation nennst, die zwar alle kennen, die aber jeder
vereinzelt in sich hineingefressen hat, dann werden alle hören,
daß sie nicht die einzigen sind, die damit noch nicht fertig
geworden sind und du kannst ihnen eine Möglichkeit zur Veränderung
zeigen...(1)
Entsprechend klar waren die Texte formuliert, die das Lebensgefühl
eines großen Teils der Jugend ausdrückten. Betont bezog
sich die Band, der unter anderem RPS Lanrue, Rio Reiser und Kai
Sichtermann angehörten, auf die Lehrlinge, Rocker, Jungarbeiter,
Kriminellen, Leute in und aus Heimen.(2) Beispielhaft
war das Stück Ich will nicht werden was mein Alter ist:
Wenn ich nach Hause komme, sitzt da ein alter Typ. Der sagt,
er ist mein Vater, aber ich glaub nich daß ers
ist. Wir sehen uns nur manchmal und dann reden wir nicht viel. Doch
wenn wir reden sagt er: Junge aus dir wird mal nicht viel. Alles
was du anfängst hörst du gleich wieder auf. Du kannst
auch nie ne Familie ernähren und du kriegst auch keine
Braut. Du mußt arbeiten, du mußt schuften so wie ich.
Aber ich will nicht werden was mein Alter ist. Ich möchte aufhörn
und pfeifen auf das Geld. Ich weiß, wenn das so weiter geht,
bin ich fertig mit der Welt....
Vielfach übernahmen und verbreiteten die Scherben Parolen
der linksradikalen Bewegung bzw. prägten sie über ihre
Lieder teilweise auch selbst. Zu den bekanntesten Textzeilen gehörte
der Refrain Keine Macht für Niemand aus dem gleichnamigen
Stück, das zum Widerstand gegen das bestehende System aufforderte.
Ich bin nicht frei und ich kann nur wählen, welche Diebe
mich bestehlen, welche Mörder mir befehlen. Ich bin tausendmal
verblutet und sie haben mich vergessen. Ich bin tausendmal verhungert
und sie waren vollgefressen. In Augsburg, in München, Frankfurt,
Saarbrücken, es sind überall dieselben, die uns unterdrücken.
In jeder Stadt und in jedem Land mach ne Faust aus deiner
Hand. Keine Macht für Niemand.
In vielen Texten gelang es den Scherben, die neben der Nürnberger
Gruppe Ihre Kinder zu den ersten bundesdeutschen Rock-Bands gehörte,
die deutschsprachig sangen, ohne Floskeln den Alltag zu beschreiben
und gleichzeitig die Sehnsucht nach einer anderen Welt zu vermitteln.
Ein Stück beschrieb die zwischenmenschlichen Folgen beengter
Wohnverhältnisse, in anderen wurden mit einer kleinen Geschichte
die Ablehnung von überhöhten Straßenbahnpreisen
oder Ereignisse im Zusammenhang mit einer Hausbesetzung dargestellt.
Neben der zornigen Aufforderung zum Kampf gegen Ausbeutung und
Unterdrückung wurde aber auch die reale Möglichkeit liebevoller
und gleichberechtigter zwischenmenschlicher Beziehungen dargestellt.
Unterschwellig sprach aus allen Texten die Aufforderung, aus den
Zwängen des Systems auszubrechen und einen anderen Weg einzuschlagen.
Mehrfach gelang es den Scherben dabei die angestaute Wut und Frustration
des Publikums zu kanalisieren. In einigen Fällen kam es im
Anschluß an Konzerte sogar zu spontanen Demonstrationen und
zu Hausbesetzungen. Im Gegensatz zu vielen linksradikalen Organisationen
und Bands beanspruchten die Scherben jedoch nie, den einzig richtigen
Weg zu kennen und formulierten mehrfach auch innere und äußere
Widersprüche.
Nach den ersten Veröffentlichungen waren die Scherben innerhalb
kurzer Zeit von einer Nachwuchsband zur populärsten Polit-Rock-Band
West-Berlins aufgestiegen. Die Gruppe hatte dadurch plötzlich
einen Status und ein Image, das von ihr nie angestrebt worden war
und die Mitglieder teilweise überforderte. Die Musiker wurden
vielfach nicht mehr als eigenständige Personen angesehen, sondern
vorrangig über eine festgelegte Rolle als Rock-Star definiert.
Zudem bestand der ständige Zwang, als öffentlich bekannte
Persönlichkeiten in allen Lebenslagen den linken Idealen zu
entsprechen. Mehrfach mußte sich die Band gleichermaßen
mit Vereinnahmungsversuchen wie auch mit überzogenen Kritiken
auseinandersetzen. Insbesondere die neugegründeten kommunistischen
Gruppen führten teilweise detailliert auf, an welchen Punkten
die Scherben von dem vermeintlich einzig wahren Weg zur Revolution
abwichen, ohne zu erkennen, daß sie sich selbst längst
in eine Sackgasse begeben hatten. Bezeichnender Weise überlebten
die Scherben die meisten dieser Organisationen.
1975 verließ die Band mit einigen befreundeten Personen West-Berlin
und zog nach Nordfriesland, um dort auf einem gemeinsam renoviertem
Gehöft kommuneartig zusammenzuleben. Nicht zuletzt war der
Umzug auch eine Flucht vor den Ansprüchen des Publikums und
der linksradikalen Szene, aber auch vor zunehmenden Repressionsmaßnahmen.
Der Wandel der konkreten Lebensumstände bewirkte eine Veränderung
der Eindrücke und der Einflüsse, die in Folge wiederum
auch zu einer Veränderung der Musik und der Texte führte.
Auf der in dieser Zeit entstandenen Doppel-LP Wenn die Nacht
am tiefsten... schwand die verbale Militanz der ersten Veröffentlichungen
zugunsten einer wesentlich bildhafteren und lyrischeren Sprache.
Ich seh deine Augen und sie sind offen. Ich seh dein Gesicht
und wir müssen lachen. Ich umarm dich und du gibst mir
deine Wärme. Und alle Menschen um uns sind leuchtende Sterne.
Wir sind auf der Straße und gehn alle zusammen. Wer will uns
halten, wir durchbrechen alle Schranken. Und ich weiß es muß
keine Herrschaft geben. Ich weiß wir können jetzt schon
anders leben. Wir gehn nach Morgen, Gestern zählt nicht. Weg
sind die Schatten, wir sind im Licht.
Wie die vorherigen Veröffentlichungen wurde auch Wenn
die Nacht am tiefsten... für das von der Band gegründete
Label David Volksmund Produktion eingespielt. 1976 initiieren Ton
Steine Scherben mit den Bands Missus Beastly, Embryo und Sparifankel
den April- bzw. nach einer Namensänderung den Schneeball-Vertrieb,
der als erster Vertrieb in der Bundesrepublik von Rock-MusikerInnen
selbstbestimmt organisiert wurde, um eine größtmögliche
Unabhängigkeit von der Musikindustrie zu gewährleisten.
In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre öffneten sich
die einzelnen Musiker individuell neuen Projekten, während
die Band-Aktivitäten weitgehend eingestellt wurden. Abgesegen
von verschiedenen Kompositionen für Theatergruppen veröffentlichten
die Scherben keine eigenen Schallplatten und gaben auch keine Konzerte
mehr.
Um 1980 formierte sich die Band neu, produzierte einige LPs und
trat auch wieder gemeinsam auf. Die selbstorganisierten Tourneen
endeten allerdings trotz des großen Zuspruchs zum Teil mit
einem finanziellen Verlust, da die bewußt niedrig gehaltenen
Eintrittspreise die Unkosten nicht deckten. Die Texte der folgenden
Veröffentlichungen waren noch immer von der Sehnsucht nach
gesellschaftlicher Veränderung geprägt, die sich nun teilweise
auch in Assoziationsketten oder in Anspielungen auf biblische Symbole
ausdrückte. Zumeist hatten sie jedoch die sprachliche Direktheit
und die inhaltliche Konsequenz der frühen Aufnahmen verloren.
Im Vergleich wirkten neue Stücke wie beispielsweise Bist
dus? banal und kraftlos: Durch den Regen spür
ich ganz nah ein Gesicht. Dein Gesicht. Halt mich fest. Wasn
Wetter, wasne Zeit. Es ist finster weit und breit. Ist da
noch jemand wach? Bist dus?.
In der Mitte der achtziger Jahre löste sich die Band auf.
Rio Reiser, der ehemalige Sänger der Scherben, veröffentlichte
danach bei dem Musikmulti CBS mehrere, teilweise kommerziell sehr
erfolgreiche LPs. Letztlich schlug der 1996 verstorbene Reiser einen
Weg ein, der für viele Angehörige der achtundsechziger
Rebellion charakteristisch ist, die sich zunehmend von der Gegenkultur
lösten und sich auf die etablierten Strukturen einließen,
um von einflußreichen Positionen aus zumindest kleine Veränderungen
bewirken zu können und um sich dabei gleichzeitig materiell
abzusichern.
HENRY COW UND DIE KONKRETE ALTERNATIVE
Henry Cow wurde von den damaligen Studenten Fred Frith und Tim
Hodgkinson 1968 in Cambridge (England) gegründet. Das Klima
der Rebellion und die Aufbruchstimmung, welche zu dieser Zeit die
Universitäten bestimmte, prägte die beiden Musiker, die
ihre Musik zunehmend mit einem politischen Anspruch verbanden. Überregionale
Aufmerksamkeit erlangten Henry Cow erstmals im Zusammenhang mit
dem Gewinn eines Wettbewerbs für Rock-Gruppen. 1971 entschieden
sich die Bandmitglieder, zu denen nach einigen Besetzungswechseln
neben den beiden Gründern auch John Greaves und Chris Cutler
gehörten, nach London zu ziehen um sich beruflich auf die Musik
zu konzentrieren. Sie erhielten dort einige Auftragsarbeiten, zu
denen Kompositionen für eine Ballettaufführung gehörten,
und unterschrieben 1973 einen Schallplattenvertrag bei dem zu diesem
Zeitpunkt noch alternativ ausgerichteten Label Virgin.
Nachdem die Band anfangs Blues- und Tanzmusik spielte, schlug sie
schnell einen experimentelleren Weg ein. Wir fingen an, in
seltsameren, ungleichmäßigeren Taktarten, in Siebenachteln,
zu spielen. Wir starteten einen Prozeß des musikalischen Experiments,
ohne genau zu wissen, wohin er uns führen wird. Natürlich
verloren wir unser Blues-Publikum, denn die Musik wurde härter
und seltsamer.(3) Kennzeichnend war ein offener und eigenständiger
Umgang mit verschiedenen Stilen, die ständig miteinander verbunden
und um neue Elemente erweitert wurden. In ihrer verbindenden Vielfalt
und der Suche nach neuen Wegen nahm die Band musikalische Entwicklungen
der achtziger und frühen neunziger Jahre vorweg. Auf den Veröffentlichungen
der Band lassen sich gleichermaßen melodische und eingängige
Stücke mit starken Bezügen zur Rock-Musik wie auch vergleichsweise
unharmonische und atonale Kompositionen finden.
Charakteristisch für die Resonanz auf die Veröffentlichungen
von Henry Cow war der Gegensatz zwischen der fast durchgehend positiven
bis überschwenglichen Aufnahme in der Fachpresse und den geringen
Verkaufszahlen. Zwangsläufig befanden sich die Bandmitglieder
dadurch in einer zumeist finanziell angespannten Lage. Neben der
Begeisterung für die Musik war es das politische Selbstverständnis,
das die Gruppenmitglieder dazu bewegte, den eingeschlagenen Weg
weiter zu gehen. Wir wollten eine kompromißlose, herausfordernde
Musik machen, eine Musik, die Menschen zu einer Hinterfragung, Kritik
und Ablehnung der verlogenen Produkte der Musikindustrie anregt.
Unsere eigene Arbeit war eine faktische Kritik, indem sie die praktische
Form eines Versuchs einer Alternative annahm. Wir glaubten, daß
wir unser Publikum zum Zweifeln bringen können, wenn wir ihm
etwas realistischeres, ehrlicheres, kommunikativeres anbieten. Dann
würde es sich vom Kommerz abwenden. Diese Einstellung hatte
eine gewisse Arroganz und Naivität - aber sie war keineswegs
unaufrichtig. Wir hatten ein großes Vertrauen in die Macht
der Musik zur Aufklärung, zur Erziehung und zur Kritik.(4)
Die musikalische Umsetzung der radikale Haltung der Gruppe wurde
rückblickend von einigen Bandmitgliedern selbstkritisch als
zu kopflastig beschrieben. In den Stücken der LP In praise
of learning, die Henry Cow zusammen mit der befreundeten Band
Slapp Happy einspielten, kam sie am deutlichsten zum Ausdruck. So
heißt es in Living in the heart of the beast:
We were born to serve you all our bloody lives... Disguised
metaphors that keep us in vast inverted stillness twice edged with
fear. Twilight signs decompose us... Now is the time to go forward
- advance from despair, the darkness of solitary man - who are chained
in a market they cannot control - in the name of a freedom that
hangs like a pall on our cities. And their towers of silence we
shall destroy.
Die Band, der inzwischen auch Lindsay Cooper und Dagmar Krause
angehörten, entschied sich 1975 dafür, die Einnahmen gleichmäßig
unter den Gruppenmitgliedern bzw. gegebenenfalls auch unter den
mitarbeitenden Personen, so zum Beispiel während der Tourneen
den FahrerInnen und TechnikerInnen, gleichmäßig aufzuteilen.
Wöchentlich erhielt jede Person den Betrag von zehn Pfund,
der jährlich um 5 Pfund erhöht wurde. Der Vertrag zwischen
Henry Cow und Virgin wurde 1977 mit beiderseitiger Zustimmung aufgelöst.
Nachdem die Bandmitglieder anfangs die Zusammenarbeit positiv eingeschätzt
hatten, empfanden sie mit zunehmender Dauer den Vertrag als unausgewogen
und erdrückend. So mußte die Band beispielsweise für
ihre Aufnahmen ein Studio von Virgin zu Gebühren benutzen,
die einen wesentlichen Teil der Tantiemen für die Band aufbrauchten.
Virgin wiederum wollte sich von der Band lösen, da die Musik
zu unkonventionell und damit nicht profitabel genug war.
Die konkreten Erfahrungen und die theoretische Auseinandersetzung
mit der Musikindustrie bewogen die Band, sich klar von dieser abzugrenzen
und eine weitere Zusammenarbeit kompromißlos auszuschließen.
Die Gruppe bezog sich in ihrer Kritik nicht nur auf Virgin, sondern
grundlegend auf die vorrangig an einer Profitmaximierung ausgerichteten
Mechanismen des kapitalistischen Marktes, denen zwangsläufig
auch die Musik untergeordnet wird. Chris Cutler schrieb dazu: Heutzutage
ist Kultur nur noch als Gegenstand denkbar, den man kauft oder verkauft.
Kultur gehört nicht mehr der Gemeinde, dem Stamm, den Leuten,
die sie hervorbringen und sie zur Verschönerung des Alltags
verwenden. Kultur in einem solchen Zusammenhang existiert ehrlich
gesagt gar nicht mehr... Für gewöhnlich gibt es einen
zwischengeschalteten Geschmacksrichter, der aussucht, welche Bücher
gedruckt, welche Platten gepreßt werden. Die Leute, die Macht
darüber haben, was anderen Leuten zugänglich sein soll
(oder nicht) treffen ihre Entscheidungen nicht nach den sozialen,
sondern nach dem kommerziellen Wert eines Werkes.(5)
Henry Cow beschränkte sich keineswegs nur auf die theoretische
Ablehnung des Bestehenden, sondern entwickelte konkrete Alternativen.
Angeregt durch die italienische Kooperative LOrchestra begann
die Gruppe eigenverantwortlich Aufnahmen zu veröffentlichen
und zu vertreiben. Daneben beteiligte sich die Band unter anderem
an der Ausrichtung des Music-for-Socialism-Festivals und bildeten
1978 zusammen mit den Bands Etron Fou Leloublan (Frankreich), Stromy
Six (Italien), Univers Zero (Belgien) und Samla Mammas Manna (Schweden)
den Zusammenschluß Rock In Opposition. Die beteiligten Gruppen
setzten sich für die Entwicklung von industrieunabhängigen
Strukturen, sowie für den Aufbau selbstbestimmter und solidarisch
in einem Netzwerk miteinander kooperierender Initiativen ein. Schwerpunkte
der Zusammenarbeit im Rahmen von Rock In Opposition lagen in einem
gemeinsamen Erfahrungsaustausch und in der gegenseitigen Unterstützung
im Zusammenhang mit der Organisation von Konzerten und dem Vertrieb
von Schallplatten.
Zur gleichen Zeit gründeten Chris Cutler und Nick Hobbs mit
Recommended Records einen Vertrieb und ein daran angeschlossenes
Label, die jeweils von ähnlichen Positionen wie Rock In Opposition
ausgingen. Recommended Records sollte dazu beitragen, bereits bestehende
unabhängige Strukturen zu ergänzen und weiterzuentwickeln,
sowie das Bewußtsein von kulturellen und darüber hinaus
von gesellschaftlichen Zusammenhängen zu verändern. Damit
unterschied sich der Vertrieb grundlegend von den meisten anderen
später gegründeten unabhängigen Labels und Vertrieben,
deren Interessen und Verkaufspraktiken sich kaum von denen der vorgeblich
kritisierten Musikmultis unterscheidet. Ein wesentliches Element
der Grundgedanken von Recommended Records und Henry Cow war das
Konzept netzwerkartig verbundener Gruppen: Es gab damals diese
Netzwerke zwischen einzelnen Personen und kleinen Gemeinschaften.
Es brauchte ja nur ein, zwei Leute, die etwas tun wollten, ein Interesse
erzeugten, einen Ort fanden, wo man spielen konnte und Leute dorthin
einluden. Langsam wächst das. Das ist nicht nur wünschenswert,
sondern auch ökonomisch der einzige Weg, um zu überleben,
wenn du keine verwertbare kommerzielle Musik spielst.(6)
Zu den ursprünglichen Kriterien für die Schallplatten,
die in den Recommended-Vertrieb aufgenommen wurden, gehörten
neben der inhaltlichen Aussage auch die musikalische Qualität
und der unabhängige Charakter der Produktion. Außer in
London wurden bald auch in anderen Ländern West-Europas ähnliche
Vertriebe aufgebaut, die miteinander kooperierten, aber jeweils
einen autonomen Status hatten. Der eingeschlagene Weg entsprach
im wesentlichen der Entwicklung zahlreicher selbstverwalteter Betriebe
und Projekten den siebziger Jahren, die von den darin Beschäftigten
kollektiv geleitet wurden und den Aufbau einer wirtschaftlichen
Alternative zum Ziel hatten.
Ein Teil der Recommended-Vertriebe und der Labels, die daraus entstanden,
existiert bis heute, wobei die anfangs engen Verbindungen in der
ursprünglichen Form nicht mehr bestehen. Die inhaltliche Ausrichtung
blieb in ihren Grundzügen jedoch unverändert, auch wenn
offensive gesellschaftspolitische Positionen wie sie in den Anfangsjahren
im Sinne des Music-for-Socialism-Konzepts vertreten wurden, kaum
noch formuliert werden: Unser fester Wille ist auch weiterhin
der Weg nach vorne, nicht zuletzt, um der allgemeinen Verflachung
der musikalischen Szenerie durch die Großen Firmen
und deren nur auf Gewinnmaximierung ausgelegten Tonprodukte entgegenzuarbeiten
und weiterhin die Tonträgerbranche mit Scheiben zu bereichern,
die immer wieder gerne stören und von denen sich
glücklicherweise auch immer wieder aufgeschlossene Hörer,
Käufer und Musikliebhaber stören lassen...(7)
1978 beschlossen die Mitglieder von Henry Cow die Auflösung
der Band um sich neuen Projekten und Entwicklungen zu öffnen.
Cooper, Cutler und Krause gründeten gemeinsam die Band Art
Bears, bei deren Aufnahmen anfangs auch andere ehemalige Henry Cow
Mitglieder mitwirkten. In den achtziger Jahren veröffentlichten
die MusikerInnen eine Reihe von Solo-Aufnahmen, beteiligten sich
an anderen Projekten oder gründeten selbst neue Gruppen. So
veröffentlichte Lindsay Cooper mehrere feministisch ausgerichtete
Schallplatten und war an der Gründung der Feminist Improvising
Group beteiligt, während Chris Cutler zeitweise den Residents,
Pere Ubu und der Skeleton Crew angehörte. Mit Ausnahme einiger
Veröffentlichungen Coopers standen gesellschaftspolitische
Aussagen bei den neuen Projekten allerdings nur noch vereinzelt
im Vordergrund, vielmehr kam die politische Grundhaltung meist durch
eine Grenzen und Konventionen überwindende Musik zum Ausdruck.
Chris Cutler stellte diese Entwicklung in einen Zusammenhang mit
der Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen: Alles
was wir als Henry Cow sagten, sollte eine starke politische Aussage
haben. Die Bedeutung von Henry Cow lag aber nicht in den Texten,
die einen sehr hohen Anspruch formulierten, sondern in dem was wir
taten. Heute ist es nach den Entwicklungen des letzten Jahrzehnts
nicht mehr möglich, solche Texte zu schreiben. Sie bewirken
nichts und kaum jemand wird sie ernst nehmen. Projekte wie Rock
In Opposition haben aber noch immer einen großen Einfluß,
auch wenn R.I.O. nur eine kurze Zeit als Organisation bestand. Wesentlich
war die eigenständige Initiative und das Verständnis von
Musik als sozialer Kommunikation, das wir beibehalten haben. In
diesem Sinne sind auch die späteren Bands sehr politisch, selbst
wenn sie nicht mehr politische Texte im Stil von Henry Cow haben.(8)
DIE PLASTIC PEOPLE UND DER UNDERGROUND
Im Januar 1968 konnte sich der reformistisch ausgerichte Flügel
der Kommunistischen Partei der CSSR gegen die VertreterInnen einer
dogmatisch an der Sowjetunion ausgerichteten Politik durchsetzen.
In Folge wurde eine Phase der Demokratisierung, der sogenannte Prager
Frühling, eingeleitet, die auch im Bereich der Kultur zu einer
Öffnung führte. In dieser Zeit entstand eine vielfältige
Musikszene, die sich teilweise an westlichen MusikerInnen orientierte,
in einigen Fällen aber auch einen eigenständigen Weg einschlug.
Die Prager Band Primitives Group gehörte in den späten
sechziger Jahren zu den ersten Bands, die Stücke us-amerikanischer
Rock-Stars wie von Frank Zappa und Jimi Hendrix eigenständig
nachspielte. Sie verbreitete damit nicht nur eine Musik, die in
der CSSR selbst in Jugendkreisen kaum bekannt war, sondern vermittelte
auch ein gegenkulturelles Lebensgefühl, das im klaren Gegensatz
zu den staatlichen Werten und Normen stand. Einen völlig anderen
Weg ging die Gruppe Aktual um den Avantgarde-Künstler Milan
Knizak, die sich ursprünglich Deti bolsevismu (Kinder des Bolschewismus)
nannte. Beeinflußt von Komponisten der Neuen Musik, so insbesondere
von John Cage, und der Fluxusbewegung entwickelte die Gruppe einen
eigenständigen und Grenzen überwindenden Stil. Die Auftritte
entsprachen Happenings bei denen bizarr-parodistische Texte vorgetragen
und unter anderem Motorräder, Äxte und Reis als Klangerzeuger
benutzt wurden. Aktual blieb jedoch selbst in gegenkulturellen Kreisen
eine angemessene Anerkennung versagt und stieß zumeist auf
Unverständnis und Ablehnung.
Im August 1968 wurde der Prager Frühling durch den Einmarsch
der Truppen des Warschauer Pakts militärisch beendet. Schrittweise
wurden die VertreterInnen der Reformpolitik entmachtet und eine
sogenannte Normalisierung eingeleitet, welche die völlige Zerschlagung
oppositioneller Strömungen zum Ziel hatte. Die repressiven
Maßnahmen richteten sich bald auch gegen die unabhängige
Kulturszene und am Anfang der siebziger Jahre insbesondere gegen
Rock- und Jazz-MusikerInnen. In Folge durften mehrere tausend MusikerInnen
keine öffentlichen Konzerte mehr geben und wurden dadurch faktisch
mit einem Berufsverbot belegt. Generell mußten alle MusikerInnen
vor staatlichen Gremien auftreten, die dann, von musikalischen und
insbesondere von inhaltlichen Kriterien ausgehend, über die
Auftrittserlaubnis entschieden. Dabei führte für viele
Musiker schon das Tragen von langen Haaren auf Grund des angeblich
ungepflegten Aussehens zum Entzug der formell notwendigen Genehmigungen.
Grundsätzlich untersagt wurden englischsprachige Songtexte
und Bandnamen.
Als Antwort auf die totalitäre Politik des Staates entwickelte
sich mit dem Underground eine vielfältige Gegenkultur, die
vor allem von MusikerInnen getragen wurde, welche sich den staatlichen
Auflagen nicht unterordneten. Ausgang war keineswegs eine klar formulierte
politische Haltung oder eine bestimmte stilistische Ausrichtung,
sondern ein Lebensgefühl, das von der Ablehnung des Bestehenden
und dem grundlegenden Bedürfnis nach einem freieren Leben ausging.
Ivan Jirous formulierte das Selbstverständnis des Undergrounds
wie folgt: Der Underground ist nicht mit einer klar definierten
künstlerischen Stilrichtung verbunden, auch wenn er im Bereich
der Musik vor allem durch die Rock-Musik ausgedrückt wird.
Der Underground ist die geistige Einstellung von Intellektuellen
und KünstlerInnen, die bewußt und kritisch ihre eigene
Position innerhalb der Welt in der sie leben definieren. Der Underground
ist eine Bewegung, die hauptsächlich mit verschiedenen künstlerischen
Ausdrucksformen arbeitet, deren RepräsentantInnen sich aber
darüber bewußt sind, daß die Kunst nicht das höchste
Ziel ihrer Bestrebungen bildet. Verbindend war eine abgrenzende
Verweigerungshaltung gegenüber dem bestehenden System: Der
Underground entspricht der Deklaration des Kampfes gegen das Establishment,
gegen das Regime. Der Underground besteht aus den Aktivitäten
von Intellektuellen und KünstlerInnen, die für das Establishment
inakzeptabel sind und die angesichts dieser Ablehnung dennoch nicht
passiv bleiben, sondern mit ihren Werken und ihrem Verhalten an
der Beseitigung des Establishments arbeiten. Nichts von dem, was
wir machen, kann den Repräsentanten der offiziellen Kultur
gefallen; denn man kann es nicht dazu benutzen, die Illusion aufrecht
zu erhalten, das Bestehende sei in Ordnung.(9)
Zur einflußreichsten Gruppe des Undergrounds wurde die 1969
gegründete Band Plastic People of the Universe, der unter anderem
Vratislav Brabenec, Milan Hlavsa, Josef Janicek, Jiri Kabes und
als sogenannter künstlerischer Leiter Ivan Jirous angehörten.
Anfangs orientierte sich die Band deutlich an gegenkulturellen MusikerInnen
aus den USA, darunter insbesondere an Velvet Underground und Frank
Zappa, sowie an Schriftstellern der Beat-Generation wie den in der
CSSR äußerst einflußreichen Alan Ginsberg. In den
siebziger Jahren lößte sich die Gruppe zunehmend von
diesem Einfluß und entwickelten eine eigenständige Verbindung
von Rock- und Jazz-Elementen, die meist von einer schwermütigen
Stimmung geprägt waren. Konsequent verweigerten sich die Plastic
People staatlichen Auflagen, denen sie sich weder inhaltlich, noch
musikalisch unterordnen wollten. In ihren Texten, ihrer Musik und
ihrem Auftreten spiegelte sich beständig ein gegenkulturelle
Lebensauffassung. Die Gruppe verstand sich jedoch nicht als politische
Band und formulierte in den Texten auch keine direkten politischen
Aussagen.
In ihrer Anfangszeit hatten die Texte der Plastic People vielfach
einen mystischen und phantastischen Charakter, später wandte
sich die Gruppe zeitweise christlichen Themen zu. Die ausdrucksstärksten
Texte entstanden während der Zusammenarbeit der Plastic People
mit Egon Bondy, dem es gelang, das Lebensgefühl des Undergrounds
sprachlich auszudrücken. Charakteristisch war der prägnante
tabulose Stil, sowie die inhaltliche Ablehnung der Normen des Establishments
und die Beschreibung des eigenen Lebensstils. Beispielhaft für
die Arbeiten von Egon Bondy war das von den Plastic People 1974
vertonte Gedicht 20: Wenn heute jemand zwanzig
ist, dann wird er mit Widerwillen kotzen. Denen die vierzig sind,
kommt es noch viel stärker. Nur die mit sechzig Jahren haben
es einfacher, friedvoll schlafen sie mit ihrer Sklerose.
Nach einem Auftrittsverbot für die Plastic People beschränkte
sich die Gruppe auf Konzerte in einem vorgeblich privaten Rahmen.
So trat die Gruppe mehrfach im Landhaus des oppositionellen Schriftstellers
Václav Havel, sowie bei Geburtstagsfeiern und Hochzeiten
von befreundeten Personen auf. Zu den Konzerten, die starke visuelle
und performanceartige Elemente beinhalteten, reisten teilweise mehrere
hundert Menschen aus der ganzen CSSR an. Sie wurden dadurch zu einer
Manifestation des Undergrounds und erhielten damit einen konkreten
politischen Charakter: Es war immer eine phantastische Atmosphäre.
Eine innere Freiheit. Es war ein Versuch, normal zu leben in dieser
pathologischen Situation...(10)
Mehrfach wurde der Underground mit Prozessen überzogen, die
zum Ziel hatten, einzelne Personen zum Teil über langjährige
Haftstrafen zum Schweigen zu bringen und dadurch die gesamte Szene
einzuschüchtern. Der weitreichendste Prozeß fand 1976
als Reaktion auf die Hochzeitsfeier von Ivan Jirous statt, bei der
verschiedene Underground-Bands auftraten. Sechs Beschuldigte, darunter
Mitglieder der Plastic People, wurden in Folge zu Gefängnisstrafen
verurteilt. Fast gleichzeitig setzte eine staatlich gesteuerte Medienkampagne
ein, in der die MusikerInnen des Undergrounds als asozial, arbeitsscheu
und drogenabhängig beschimpft wurden. Im Zusammenhang mit den
Prozessen wurde 1977 die Charta 77 gegründet, eine lose Vereinigung,
die sich für die Bewahrung der Menschenrechte einsetzte und
schnell eine nationale Bedeutung erlangte.
Neben seiner kompositorischen Tätigkeit bei den Plastic People
arbeitete Milan Hlavsa im Rahmen des Musikprojekts DG 307 unter
anderem mit dem Dichter Pavel Zajicek zusammen. Der Bandname wurde
von der medizinischen Bezeichnung Diagnose 307 abgeleitet,
unter der psychische Störungen in Folge von langwierigen Konfliktsituationen
zusammengefaßt wurden. Zynisch bezeichneten sich die Bandmitglieder
selbst als Gruppe, deren Verhalten von Störungen der Anpassungsfähigkeit
geprägt ist. Wie der gesamte Underground stand auch DG 307
am Rande einer kranken Gesellschaft, deren Normalität in einer
extremen Weise auf erzwungener Unterordnung, Selbstverleugnung und
der verinnerlichten Unterdrückung der eigentlichen Bedürfnisse
basierte. Die Bewahrung der eigenen Identität war nur über
eine klare Abgrenzung und Verweigerung bzw. über ein im eigentlichen
Sinne des Wortes bewußtes Verrücktsein möglich.
In ihren Texten arbeitete die Gruppe mit unterschiedlichen Ausdrucksformen.
Dadaistische und humorvoll-absurde Sprachspielereien wechselten
mit provozierenden Metaphern und offen formulierter Gesellschaftskritik.
Mehrstimmige Gesänge, die mit lang andauernden monotonen Rhythmen
unterlegt waren, wurden von improvisierten und teilweise atonalen
Einlagen abgelöst. Neben herkömmlichen Instrumenten wurden
dabei unter anderem Staubsauger und Schreibmaschinen eingesetzt.
Die Musik der Underground-Gruppen konnte innerhalb der CSSR nur
illegal durch Kassetten verbreitet werden. Die Staatsorgane versuchten
immer wieder die Verbreitung der sogenannten Magnetizdat-Aufnahmen
zu verhindern, was ihnen jedoch nur sehr eingeschränkt gelang.
Allerdings wurde Petr Cibulka wegen des Vertriebs von Musikkassetten
zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Neben den Bands des
Undergrounds gab es auch eine Reihe von sogenannten alternativen
Gruppen, welche scheinbar die formellen Auflagen des Kulturministeriums
erfüllten, tatsächlich aber versuchten, auf der Basis
der Legalität einen eigenständigen und unabhängigen
Weg zu gehen. Die meisten MusikerInnen und Gruppen, die diesen Weg
einschlugen, wie zum Beispiel die einflußreiche Extempore
Band um Mikolas Chadima, waren in der 1971 gegründeten Jazzova
sekce, der Jazzsektion, organisiert. Anfangs orientierte sich die
Organisation völlig auf musikalische Belange, wurde dann aber
zunehmend zu einem Sprachrohr der Opposition. Nach einer Kampagne
gegen die Jazzsektion in den Medien wurden von den entsprechenden
staatlichen Stellen Einschränkungen verfügt und letztlich
nach einer langen Phase der Halblegalität die Auflösung
der Jazzsektion erzwungen.
Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels in den Staaten des ehemaligen realen Sozialismus kam es auch in der CSSR im November
und Dezember 1989 zu massenhaften Protesten und in Folge zu revolutionären
Veränderungen, die zum Übergang in ein bürgerliches
Staatssystem führten. Eine herausragende Position innerhalb
der demokratischen Bewegung nahm der Schriftsteller Václav
Havel ein, der bald darauf zum Präsidenten der Tschechoslowakei
gewählt wurde. In dieser Funktion betonte er die Bedeutung
der Musik und traf sich unter anderem mit den amerikanischen Musikern
Frank Zappa und Lou Reed, um mit ihnen über kulturpolitische
Fragen zu sprechen. Gleichzeitig wurde die Bedeutung der Plastic
People für den gesellschaftlichen Wandel anerkannt. Die Gruppe
bzw. der Underground an sich hatten an den Veränderungen einen
wesentlichen Anteil, indem sie über zwei Jahrzehnte hinweg
immer wieder durch vielfältige Aktivitäten den Zwangscharakter
des Staates offenbarte. Zudem hatten sie beispielhaft gezeigt, daß
es auch in einer Diktatur zumindest ansatzweise möglich ist,
die eigene Identität zu bewahren und einen konsequenten Weg
zu gehen.
(1998)
Anmerkungen:
1) Ton Steine Scherben / Musik ist eine Waffe. In: Schwarze Protokolle
Nr. 1. Berlin, 1972.
2) Siehe 1).
3) Aus einem Interview mit Tim Hodgkinson in: Tageszeitung 21.11.1991.
4) Cutler, Chris / File under popular. (ReR Megacorp). London, 1985.
5) Cutler, Chris / Recommended Records - Rock in Opposition. In:
Humann, Klaus und Reichert, Carl-Ludwig (Hrsg.) / Rock Session 4.
(Rowohlt). Reinbeck bei Hamburg, 1980.
6) Aus einem Interview mit Fred Frith in: Tageszeitung 8.12.1992.
7) Aus einem Brief von Jochen Kleinhenz (Recommended Records) an
den Autor. Juni 1994.
8) Aus einem Gespräch des Autors mit Chris Cutler am 13.6.1993
in Hanau.
9) Jirous, Ivan / Underground. (1975). Im Beiheft zur LP: Plastic
People of the Universe / Egon Bondys Happy Hearts Club Banned.
(Scoopa). 1978.
10) Dana Nemcova, ehemalige Sprecherin der Charta 77, zitiert in:
Polster, Bernd / Böhmischer Blues. Radio-Feature des WDR. Köln,
1991.
Aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck:
Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft. (1998).
contact@sterneck.net
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