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Graswurzelrevolution:
MUSIK IM ALLTAG - MUSIK IM WIDERSTAND
Musik ist Alltag. Kaum etwas begleitet den Alltag eines jeden Menschen
so sehr wie Musik. Ob Zuhause, im Kaufhaus, auf der Straße,
im Auto oder in der Disco - Musik ist dabei. Und Musik zum Abschalten
gibt es genug, nur abgeschaltet wird selten. Oft kann mensch dem
Musikbrei kaum entrinnen: der dröhnende Walkman, das einlullende
Kaufhausgedudel wird zur Qual.
Anders bei Demonstrationen. Wenn keine Musik und keine Action
dabei ist, wenn nur in Häuserschluchten und Tunnels gelegentlich
eine Parole rüberkommt, ist es das Gelatsche, das zur Qual
wird. Manchmal jedoch werden Anklänge an eine vielfältige
widerborstige Widerstandskultur laut, eine Kultur von unten, eine,
die der herrschenden Vernichtungskultur Leben und Kreativität
entgegenzusetzen weiß - in den Straßen, auf den Bühnen
und vor Stacheldraht.
Musik ist Konsum, Markt, Kommerz. Die herrschende Musikindustrie
beutet die Ware MusikerInnen aus und versucht, Ohren
und Sinne zu betäuben.
Musik ist Politik. Die Musik von Heino hat ebenso politische Funktionen
wie die von Hanns Eisler - bewußt und gezielt wird manches
gesagt, bleibt vieles im Verborgenen. Einerseits kann Musik dadurch
eine politische Bedeutung bekommen, daß sie in einen unmißverständlichen
politischen Zusammenhang eingebunden wird, wenn sie zum Beispiel
vor den Toren eines Pershing-Depots erklingt. Andererseits können
die politischen images aber auch musikalisch vermittelt werden.
Musik ist Herrschaft. Dies zeigt sich mit Einschränkungen
auch im Verhältnis von DirigentIn und Orchesterapparat, diesem
Dienstleistungsbetrieb, der wiederum eine Art Abbild von der Hierarchie
der Gesellschaft ist: SolistInnen, Konzertmeister, Erste, Zweite
und Dritte Violine. Und auch patriarchale Herrschaft: Frauen haben
in den großen Orchestern ebensowenig Platz wie
in der traditionellen großen Bonner Politik. Und
wollen sie trotz alledem einen Stuhl erobern, so müssen sie
natürlich ungleich besser sein als ihre männlichen
Kollegen.
Andere patriarchale Strukturen zeigen sich unter anderem bei Pop-
und Folkgruppen, wo Frauen aus Kommerzgründen oft zum Frontgirl
oder zum netten weiblichen Farbtupfer degradiert werden. Die radikale
Konsequenz heißt Rückzug in in Frauenland,
in reichlich weibliche Gruppen und die Besinnung auf
matriarchale Kulturformen, Spiritualität, Körperlichkeit
und Ganzheit auch in der Musik. Dies kann Kraft geben im Kampf gegen
Patriarchat und Militarismus, kann vermittelt werden durch Frauenwiderstandscamps.
Musik ist Geschichte. Jede Epoche hat ihre besonderen Ausdrucksformen,
in denen sich der Mensch unter den jeweiligen gesellschaftlichen
Bedingungen widerspiegelt. So liegen beispielsweise die Ursprünge
der politisch engagierten Straßenmusikbewegung am Anfang der
siebziger Jahre, in einer Zeit in der kollektive Lebensformen zunehmend
an Bedeutung gewannen, in der die Bürgerinitiativbewegung entstand,
als im Kampf gegen das Atomkraftwerk Wyhl neue Aktionsformen und
eine enorme Kreativität entwickelt wurde.
Heute im Trend ist der Walkman, ein Symbol für die Sprachlosigkeit
und den Verlust fast jeglicher Kollektivität empfinden. Eben
jene Vereinzelung, das Jeder gegen Jeden fügt sich
bestens in die Strategien der Herrschenden, die genau wissen, daß sich Widerstand und eine soziale Gegenmacht nur gemeinschaftlich
aus einem Kollektiv entwickeln kann.
Doch seit Jahrhunderten stoßen diese herrschenden Strukturen
auf Widerstand, der unter anderem in verächtlichen Liedern
gegen Klerus und Adel seinen Ausdruck fand. Heute kommt dies zum
Ausdruck in einer Kultur des Zusammenlebens und -arbeitens, machmal
auf der Bühne, in rotzfrecher Asphaltkultur, in der Aneignung
öffentlicher Räume, wo der herrschenden Kultur die eigene
entgegengesetzt wird.
Eine musikalische Widerstandskultur darf sich nicht damit begnügen,
Nischen auszufüllen. Vielmehr müssen Widersprüche
sichtbar gemacht, Freiräume erobert, Risse verbreitert und
der einlullende musikalische Alltagsnebel vertrieben werden.
Graswurzelrevolution - Zeitung für eine herrschaftslose, gewaltfreie Gesellschaft
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