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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Wolfgang Sterneck:

DIE RHYTHMISCHE STÖRUNG
- GEGENKULTURELLE MUSIK IN DER DDR -

- Das andere Lebensgefühl -
- Die Sauberkeit in der Musik -
- Die Kultur der Verweigerung -
- Die Musik nach der Wende -

In der DDR suchten Teile der Jugend immer wieder nach gegenkulturellen Freiräumen, die vielfach eng mit einzelnen Musikströmungen verbunden waren. Dem offiziellen ”Weil ich jung bin ist die Welt so schön” wurde dabei in unterschiedlichsten musikalisch und sprachlichen Variationen die Haltung des ”Ich bin der Dreck unter deinen Fingernägeln" entgegengesetzt. Den Funktionären in den staatlichen Machtzentren gelang es zwar nur selten die entsprechenden Zusammenhänge zu durchschauen, sie erkannten aber die Infragestellung ihrer eigenen Position und reagierten mit Verboten und Zensur.

DAS ANDERE LEBENSGEFÜHL

In den frühen sechziger Jahren entstand in den Industriemetropolen Englands der Beat als Verknüpfung von Rhythm ’n’ Blues-, Rock ’n’ Roll- und Skiffle-Elementen. Einmal mehr bildete dort die Musik eine der wenigen Möglichkeiten der Jugendlichen sich zu entfalten und von der Welt der Erwachsenen abzugrenzen. Insbesondere in Liverpool entwickelte sich eine immer größer werdende Szene, deren innerer Zusammenhalt allerdings nach dem kommerziellen Durchbruch des Beat auseinanderbrach. Obwohl die Beatbands nur in äußerst seltenen Fällen direkte politische Positionen vertraten, hatte der Beat durch das von ihm verkörperte Lebensgefühl in seiner Anfangszeit eine zutiefst rebellische und provozierende Ausstrahlung.

Die Verbreitung der neuen Musik konnte auch von Staats- und Systemgrenzen nicht gebremst werden. Vor allem durch die Sendungen einiger westlicher Radiostationen wurden insbesondere die Stücke der Beatles und der Rolling Stones, den bekanntesten Bands der Beat-Ära, auch in der Deutschen Demokratischen Republik, wo die entsprechenden Aufnahmen lange nicht erhältlich waren, immer beliebter. Nachdem die Politik der staatlichen Gremien gegenüber dem Rock ’n’ Roll und verschiedenen Strömungen des Jazz lange von einem restriktiven Vorgehen geprägt war, wandelte sich am Anfang der sechziger Jahre in einem schrittweisen Prozeß die Haltung der regierenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Die spezifischen Ausdrucksformen von Jugendlichen wurden nun nicht nur weitgehend geduldet, sondern im Falle des Beat durch die Freie Deutsche Jugend (FDJ), der staatlichen Jugendorganisation, gezielt gefördert. Damit verbunden war jedoch auch der Versuch den Beat zu vereinnahmen. Charakteristisch war dabei die Verknüpfung von Konzerten mit der Vorführung von Propaganda-Filmen und der Verleihung von staatlichen Auszeichnungen.

Die Veranstaltungen der FDJ wurden allerdings nur in einem eingeschränkten Maße von den Beat-AnhängerInnen angenommen. Vielmehr entstand in den Jahren 1964 und ’65 in einem für die kulturpolitischen Gremien völlig unerwarteten Ausmaß eine eigenständige Beat-Szene. Schnell hatte sich der Beat unter den Jugendlichen zum mit Abstand populärsten Musikstil und darüber hinaus zum zentralen Bezugspunkt im alltäglichen Leben entwickelt. Zu den Konzerten der überregional bekannten Bands, wie den Butlers, dem Diana-Show-Quartett, dem Franke-Echo-Quinetett, den Guitarmen und den Sputniks kamen vielfach mehrere hundert Jugendliche.

Die zunehmende Begeisterung für den Beat führte zu einer explosionsartig ansteigenden Zahl von Bandgründungen. Weit verbreitet war eine Aufbruchstimmung die sich mit den späteren Entwicklungen im Zusammenhang mit der Punk-Musik vergleichen läßt. Meist begannen die Gruppen mit äußerst einfachen Mitteln: ”In den Anfängen konnte von formiertem Musizieren überhaupt noch nicht die Rede sein. Ganz klein, im engsten Kreis, wurde versucht, die aus dem Westprogramm abgehörten Originale zu reproduzieren. Wir haben uns in irgendeiner Wohnung, Schuppen oder sonstwo getroffen, es wurden die Rollen verteilt und aus einer richtigen Freude heraus drauflos gespielt. Das klang natürlich erst einmal ziemlich grauenhaft, schon weil richtige Instrumente fehlten, aber es war unsere Musik.”(1)

Bald trat jedoch das mit der Musik verbundene Lebensgefühl vieler Beat-AnhängerInnen und damit die große Distanz der Jugendlichen zum Staatsapparat, das offenere Verhältnis zur Sexualität und zur Arbeit, sowie nicht zuletzt das Aussehen in einen deutlichen Gegensatz zu den staatlich vorgegebenen Werten und Normen. In der Folge kam es wiederum zu einer Wende der offiziellen Jugendpolitik, die im Herbst 1965 von einer Kampagne eingeleitet wurde, in deren Rahmen die Beat-Szene gezielt angegriffen wurde. Beispielhaft waren verschiedene Artikel in der Leipziger Volkszeitung, die sich bezeichnender Weise in ihrer inhaltlichen Zielrichtung kaum von den Berichten in vielen bundesdeutschen Medien unterschieden: ”Mehrere Gitarrengruppen ahmen mit Vorliebe die Praktiken westlicher ’Bands’ nach. Bereits der amerikanisierte Name, den sie sich gegeben haben, weist darauf hin, wes Geistes Kind sie sind. Sie gebärden sich bei ihren ’Darbietungen’ wie Affen, stoßen unartikulierte Laute aus, hocken auf dem Boden oder wälzen sich auf ihm herum, verrenken ihre Glieder auf unsittliche Art. Im Saal oder auf der Freibühne trägt diese ’Interpretation’ rasch Früchte. Jugendliche geraten in Ekstase, bewegen sich träge und stumpfsinnig in frivolen Rhythmen oder geraten in einen frenetischen Taumel. Es kommt zu Pfeifkonzerten, zu Gebrülle, zu Trampeln, schließlich zur Beschädigung von Möbeln und anderen Gegenständen. Die langen, zotteligen Haare, die sie sich als äußeres Kennzeichen ihrer Geisteshaltung zulegten, engen ihren Horizont dermaßen ein, daß sie nicht sehen, wie abnorm, ungesund und unmenschlich ihr Gebaren ist. (...).”(2)

Im Oktober 1965 reagierte die Staatsführung auf den Beat im Stile eines patriarchalen Vaters, der seine Kinder gewaltsam zwingt, sich an seine Anweisungen zu halten. Das SED-Sekretariat verabschiedete eine Erklärung mit dem Titel ”Zu einigen Fragen der Jugendarbeit und dem Auftreten der Rowdygruppen”, die eine Repressionswelle auslöste und die Grundlage zur Zerschlagung der Beat-Szene bildete. Grundsätzlich wurde in Folge allen Beatbands die Spiellizenz entzogen, die nur neu erteilt wurde, wenn die MusikerInnen ausdrücklich die staatliche Politik unterstützten, im Sinne der Gremien künstlerische Fähigkeiten belegten und ein Arbeitsverhältnis nachwiesen. Bands mit einem englischsprachigen Namen wurden ohne Einschränkung verboten.

In Leipzig antworteten Jugendliche auf die Verbotspolitik der Partei mit einer Demonstration zu der mit Parolen wie ”Weg mit dem Verbot - für Beat-Musik” und ”Schlagt zu, kämpft um das Beat-Recht” aufgerufen wurde. Schätzungen zufolge nahmen rund 2.500 Personen an dem Protestmarsch teil, denen teilweise schwer bewaffnete Sicherheitskräfte gegenüber standen. Nachdem der Demonstrationszug durch die Innenstadt gezogen war, wurde er gewaltsam aufgelöst. Nach offiziellen Angaben wurden 267 Personen verhaftet und zumeist wegen Rowdytum, Aufwiegelung und Zusammenrottung angeklagt. Die in der Folgezeit verhängten drakonischen Schuldsprüche zielten auf eine deutlich abschreckende Wirkung. ”Nach der Verhaftung ging es ab in die Braunkohle, in ein Arbeitslager in Regis-Breitingen. Dort mußten wir im Tagbau schuften, Gleisbetten ausstopfen, Schwellen schleppen. Genau 14 Tage nach der Verhaftung wurde ich entlassen. Andere mußten länger bleiben. Mir sind Fälle bis zu sechs Wochen bekannt. Ich mußte mich öffentlich im Betrieb entschuldigen. Für die Zeit meiner Abwesenheit wurde mir der Lohn gestrichen. (...)”(3)

Die 11. Tagung des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965 konzentrierte sich insbesondere auf die offizielle Begründung und Festlegung der veränderten kulturpolitischen Ausrichtung. Dabei kam es zu einer scharfen Verurteilung von kritischen RegisseurInnen, SchriftstellerInnen und MusikerInnen. Die vorgeblichen Exzesse im Zusammenhang mit dem Beat wurden mit einer verfehlten Politik der FDJ und insbesondere mit dem Bestreben der westlichen Staaten, die DDR ideologisch zu unterwandern, erklärt. In einem der Tagungsbeiträge begründete der spätere Staatschef Erich Honecker das Vorgehen gegen die AnhängerInnen des Beat: ”Der Gegner nutzt diese Art Musik aus, um durch die Übersteigerung der Beat-Rhythmen Jugendliche zu Exzessen aufzuputschen. Der schändliche Einfluß solcher Musik auf das Denken und Handeln von Jugendlichen wurde grob unterschätzt. Entschieden und systematisch müssen die dekadenten Züge bekämpft werden, die im Westen in letzter Zeit die Oberhand gewannen und auch bei uns Einfluß fanden. Daraus entstand eine hektische, aufpeitschende Musik, die die moralische Zersetzung der Jugend begünstigt. (...)”(4)

Eine im marxistischen Sinne dialektische Herangehensweise, wie die des Komponisten Hanns Eisler, war der DDR-Führung weitgehend fremd. Eisler hatte im Zusammenhang mit dem Boogie Woogie, einem im Umfeld des Jazz entstandenen populären Tanz- und Musikstil, eine Toleranz und Offenheit auf der ästhetischen und verschärfte Bemühungen auf der politischen Ebene gefordert, um ein sozialistisches Bewußtsein bei den Jugendlichen zu entwickeln, das für die westliche Propaganda nicht anfällig ist. Dieser Ansatz beinhaltete indirekt auch die grundlegende Forderung, daß im Gegensatz zur Vorgehensweise in der DDR gesellschaftliche Widersprüche nicht verdrängt oder gar unterdrückt werden, sondern sich mit deren Ursachen auseinander gesetzt wird, um diese dann an der Wurzel anzugehen und aufzuheben.

DIE SAUBERKEIT IN DER MUSIK

Nach den Beschlüssen des Zentralkomitees wurden rund zwei Jahre lang keine neuen Beat-Schallplatten auf den staatlichen Labels veröffentlicht. Erst 1968 erschienen wieder Aufnahmen mit systemkonformen Texten, die den Anfang einer langsamen Lockerung der Politik gegenüber der Beat- und der Rockmusik markierten. Die Staatsführung hatte zuvor erkannt, daß sich die mit der Musik verbundene Jugendrebellion langfristig nicht unterdrücken ließ und es in ihrem Sinne wesentlich wirksamer war, die Musik zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren. Zudem hatte sich die DDR erfolgreich um die Ausrichtung des X. Weltjugendfestivals 1973 beworben, das in vielen Staaten eine mit dem olympischen Spielen vergleichbare Bedeutung besaß. Zur Aufbesserung ihres Bildes in der Weltöffentlichkeit wollte sich die Staatsführung ein offenes jugendfreundliches Image geben, zu dem unter anderem die Rockmusik beitragen sollte.

So kam es zu Schallplattenaufnahmen und Fernsehauftritten, die einige Zeit zuvor noch unmöglich waren. Für die kritischen Bands bedeutete das Einlassen auf diese Entwicklung allerdings ein ständiges Balancieren zwischen den eigenen Ansprüchen und zwanghaften Zugeständnissen. Dabei gelang es nur wenigen Bands, die neuen Möglichkeiten zu nutzen ohne sich völlig vereinnahmen zu lassen. Die Grundhaltung, die trotz der ansatzweisen Öffnung die Basis der staatlichen Kulturpolitik bildete, verdeutlichte beispielhaft eine Aussage von Kurt Hager, einem langjährigen Mitglied des SED-Politbüros: ”Die Tanzmusik soll wirksam dazu beitragen, Geschmack zu bilden und saubere Beziehungen zwischen jungen Menschen zu fördern.”(5)

Um über die Entwicklungen in der Rockszene ständig unterrichtet zu sein, beschäftigte das Ministerium für Staatssicherheit auch RockmusikerInnen als inoffizielle Mitarbeiter. Zu diesen gehörte mit Peter Meyer der Bandleader der Puhdys, der kommerziell erfolgreichsten Rockband in der DDR. Den Unterlagen des Ministeriums zufolge ”erarbeitete er eine Reihe operativ interessanter Informationen aus dem Kreis der freischaffenden Künstler.”(6) Wichtiger war jedoch die Funktion, welche die Puhdys als Band erfüllten indem sie für viele Jugendliche einen wesentlichen Bezugspunkt bildeten und gleichzeitig deren Interesse an der Rockmusik in systemkonforme Bahnen lenkten.

Grundsätzlich durften noch immer nur MusikerInnen auftreten und Schallplatten veröffentlichen, die vom Komitee für Unterhaltungskunst eine sogenannte Einstufung erhielten. Die Einstufung setzte eine Vorstellung bei der staatlichen Kulturbehörde voraus, die dann nach ästhetischen und inhaltlichen Kriterien die entsprechenden Genehmigungen erteilten, welche mit verschiedenen Vergünstigungen verbunden waren. So konnten beispielsweise die eingestuften Bands, die offiziell als Berufstanzkapellen bezeichnet wurden, im Gegensatz zu anderen Musikgruppen problemlos Instrumente erhalten. Zwangsläufig war die von einigen KulturfunktionärInnen insbesondere im Vergleich zur BRD hochgelobte Rockszene, von einigen Ausnahmen abgesehen, weder eigenständig noch kreativ. Wie im Rahmen des kapitalistischen Musikmarktes wurden verkaufsorientiert Stars aufgebaut, mit einem speziellen Image versehen und werbewirksam in den Fernseh- und Radiosendungen vorgestellt. Wesentliche Merkmale der meisten Bands des sogenannten DDR-Rock waren das Kopieren westlicher Vorbilder und die völlige Anpassung an die staatlichen Vorgaben. Den erfolgreichsten MusikerInnen, KomponistInnen und ProduzentInnen ermöglichte die Musik ein verhältnismäßig luxuriöses und privilegiertes Leben, was allerdings offiziell nicht eingestanden wurde, da es zu offensichtlich dem sozialistischen Gleichheitsgedanken widersprach.

Zu den wenigen Bands, die einen eigenständigen Weg einschlugen, gehörte Renft, die aus der verbotenen Beatband Butlers hervorgegangen war. Der folgende Rückblick des Bandmitglieds Christian Kunert verdeutlichte die Grundhaltung der Gruppe: ”Ich erinnere mich mit Vergnügen an eine Großveranstaltung im Berliner Friedrichspalast mit vielleicht zehn Gruppen. Weil das Fernsehen da war, sollten alle play back spielen, was dem zahlenden Publikum gegenüber gelinde gesagt eine Unverschämtheit ist. Bei der öffentlichen Generalprobe läuft dieser Wahnsinn ab: Leute, mit denen du gerade noch ganz normal gequatscht hast, springen in großer Manier auf die Bühne, und sobald ihr Band eingespielt wird, fangen sie an, wie die Kaputten zu hampeln. Die Leute im Saal haben dafür aus gutem Grund kein Verständnis, einige aber klatschen immer noch, weil sie meinen, das müsse so sein.”

Der Auftritt von Renft entlarvte dann die gesamte Veranstaltung und darüber hinaus auch den künstlichen Charakter der Rockszene: ”Bei unserem Auftritt passierte etwas Unerwartetes und doch Logisches. Wir kommen langsam und in normalen Klamotten auf die Bühne. Das Band wird eingespielt, und wir sind noch nicht mal an den Instrumenten, was den Schwindel auch für den letzten Zweifler offensichtlich macht. Der Gesang beginnt und Monster grinst. Er trommelt wie King Kong auf seiner Gitarre rum und gibt statt Gesang, ein lautes Juhu von sich, das die ganze Musik übertönt. Schallendes Gelächter bei allen Beteiligten. So geht das weiter, unser Auftritt ist die blanke Verhohnepipelung des so mühsam hochgepäppelten Marionetten-Rock. Am Ende sind uns die Leute dankbar für den einzigen echten Beitrag in diesem toten Konzert und jubeln ungefähr 20 Minuten lang. Die Veranstalter sprechen von Sabotage, eigentlich zu Recht...”(7)

Nachdem sich die Renft-Mitglieder auch nach einer Verschärfung des staatlichen Drucks nicht vereinnahmen ließen wurde die Band 1975 verboten. Vor allem die Texte, die sich kritisch mit der Wehrpflicht, der Parteielite und der Entfremdung im Arbeitsbereich auseinandersetzten, wurden von den entscheidenden Organen nicht länger geduldet. Der Band wurde mitgeteilt, daß sie mit ihren Aussagen ”die Arbeiterklasse verletzt und die Staats- und Sicherheitsorgane diffamiert” hätten, deshalb sei die Gruppe Renft als ”nicht mehr existent anzusehen”.(8)

Der Dichter und Liedermacher Wolf Biermann stand seit den sechziger Jahren im Brennpunkt der staatlichen Kulturpolitik. Ausgehend von einer marxistischen Position, die sich inhaltlich und formal an Bertolt Brecht orientierte, griff Biermann beständig rückschrittliche Entwicklungen in der DDR an, wobei er aber nie das Ziel des Kommunismus in Frage stellte und grundsätzlich den von der DDR eingeschlagenen Weg verteidigte. ”Die DDR / Ist eingesargt in Mauern / Ist wahrlich nicht das Paradies / Der Arbeiter und Bauern. / Wenn wir mit Recht kein gutes Haar / An unsrem Staate lassen / - Es spricht für unsre Republik / Daß diese da sie hassen!”(9) Auf Biermanns gleichermaßen kritische wie solidarische Haltung antwortete die Parteiführung mit einem Ausschluß und in Folge der 11. Parteikonferenz der SED 1965 mit einem Auftritts-, Veröffentlichungs- und Ausreiseverbot. Erst im Spätsommer 1976 wurde Biermann wieder genehmigt vor einem größeren Publikum aufzutreten. Der scheinbare Kurswechsel erwies sich jedoch als eine beabsichtigte Täuschung. Nach einer gewerkschaftlich organisierten Tournee durch die BRD wurde Biermann die Rückreise verweigert und ihm einige Zeit später offiziell die Staatsbürgerschaft entzogen. Auf die vielfältigen Solidaritätsbekundungen mit Biermann in der DDR antworteten die Staatsorgane mit Repressionsmaßnahmen.

DIE KULTUR DER VERWEIGERUNG

Wie beim Beat verband in den siebziger Jahren die meisten Jugendlichen in den Großstädten der Industrienationen, über alle scheinbaren und tatsächlichen Systemgrenzen hinweg, ein zumindest ähnliches Lebensgefühl. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts verkörperte Punk als Musik- und Lebensstil die Grundhaltung vieler Jugendlicher in der Perspektivlosigkeit, Aggression, Langweile und das Aufbegehren gegen Autoritäten eine besondere Rolle spielten. Die im Vergleich zu westlichen Staaten verschwindend kleine Punk-Szene in der DDR hatte in der Mitte der achtziger Jahre ihre stärkste Ausprägung. Sie übernahm verschiedene Ausdrucksformen von der Bewegung im Westen, wobei die wesentlichen Entwicklungen jedoch davon unabhängig in der konkret gegebenen Situation wurzelten. Die Szene an sich war keineswegs homogen, vielmehr waren die Übergänge zu anderen oppositionellen Gruppierungen und Strömungen fließend. In den meisten Städten ließ sich weniger von einer Punk-Szene als von einer gegenkulturellen Szene sprechen, zu der viele im Einzelnen unterschiedlich ausgerichtete Gruppen gehörten. Im Gegensatz zu den gleichermaßen von den östlichen und den westlichen Medien vermittelten Klischees hatte das Aussehen innerhalb der Szene eine eher nebensächliche Bedeutung. Punk und der sich daraus entwickelnde Hardcore wurden konstruktiv im Sinne eines selbstbestimmten Lebens verstanden, in dem das Vergnügen eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Allerdings gab es auch Gruppen, die Punk auf laute Musik, Saufgelage und ein provozierendes Aussehen reduzierten.

Während große Teile der Punk-Bewegung im Westen nach einer anfänglichen Phase der Rebellion in Lethargie verfielen und sich zunehmend auf die Musik fixierten, versuchten viele Punx in der DDR beständig aus den vorgegebenen Strukturen des Alltags auszubrechen. ”Wir haben gelernt, daß man davon wegkommen muß, immer nur zu fragen: ’Spielt ’ne Band?’ - So beschlossen wir einmal eine Nachtwanderung zu machen. Als wir losfuhren, gab es gleich einen Mordsspaß weil der letzte Bus um 20 Uhr von uns völlig gefüllt wurde und so die Bürgers nicht mehr reinpaßten und demzufolge nicht mitfahren konnten. Warum soll man nicht mal auf die lustige Art zurückgeben und zurücktreten. Es waren wieder viele Leute von außerhalb da und es hat sehr viel Spaß gemacht. Fünfzig Punx mit Taschenlampen nachts im Wald. Abends sind wir dann im Dorf auf eine Tanzveranstaltung geplatzt, wo wir Walzer tanzten.”(10)

Zu den Bands der Anfangszeit gehörten Gegenschlag, die sich später zu Paranoia und Kaltfront umbenannten, und Wutanfall, aus denen L’Attentat hervorging, sowie Schleimkeim und Namenlos. Zu Gute kam diesen Bands zweifellos, daß ihnen im Gegensatz zu früheren Beat- und Rockbands mit der Kassette ein Medium zur Verfügung stand, welches es ermöglichte selbstständig und unabhängig von staatlichen Einrichtungen Aufnahmen zu vervielfältigen. Die Kosten für einen Kassettenrecorder und Kassetten waren erschwinglich, wenn auch für DDR-Verhältnisse relativ hoch. In der DDR kursierten Aufnahmen von Punkbands und anderen gegenkulturellen Musikgruppen, die zigfach überspielt von einer Person zur nächsten gelangten. Das Vervielfältigungsmonopol des Staates konnte so durchbrochen werden.

Anders als beispielsweise viele kritische SchriftstellerInnen aus der Generation vor ihnen, lehnten die Punx, die meist von einem anarchistischen Selbstverständnis ausgingen, jede Verständigung mit dem System und seinen VertreterInnen ab. Sie sahen keine Möglichkeit der Veränderung innerhalb des ”realen Sozialismus”, der für sie keiner war. Ihr Traum einer freien Gesellschaft basierte auf Idealen, die sich in der Realität der DDR in keinster Weise wiederfanden. Voller Zynismus faßte die Band Konstruktives Liebeskommando in diesem Sinne ihr eigenes Lebensgefühl und das Verhältnis zu denen, die sich bereitwillig in das System eingeordnet hatten, in einem Songtext zusammen: ”Opa, ich fühl’ mich wie ’ne leere Bier-Dose auf ’m Müll. Onkel, ich bin die ausgetretene Zigarettenschachtel unter deinen Latschen. Tante, ich bin der Dreck unter deinen Fingernägeln. Mutti, ich bin dein fünfundzwanzigjähriger verrosteter Ehering. Papa, ich bin dein - ich bin dein - deiner Onanie...”.

Ein zumindest ansatzweise selbstbestimmtes Leben zu führen, bedeutete sich weitmöglichst den staatlichen Vorgaben bzw. den entsprechenden Organisationen zu verweigern, was allerdings weitreichende Folgen hatte. So war es beispielsweise praktisch nicht möglich ohne FDJ-Mitgliedschaft zu studieren. Tiefgreifender war jedoch der fast allgegenwärtige subtile Druck von Teilen der Bevölkerung, der sich gegen alle richtete, die einen eigenständigen und dem System widersprechenden Weg gingen. Imad Abdul Maijd, einer der Gründer der Leipziger Punkband L’Attentat, die zu den aktivsten Gruppen der Szene gehörte, beschrieb den ständigen Druck folgendermaßen: ”Andauernd bekommst du gesagt, was du machen und denken sollst und weil wir uns nicht daran halten, sind wir ständig Gewalt in den verschiedensten Arten ausgesetzt. Auf der Straße und auf der Arbeit, in der Schule und im Elternhaus. Wir sprengen bestimmte Normen und das wird eben nicht geduldet... Wir sind oft wie eine große Familie, die die gleichen Interessen hat und zusammen feiert. Aber der normale Bürger fühlt sich durch uns angegriffen. Weil wir etwas anders aussehen, müssen wir uns immer wieder faschistische Sprüche anhören, daß es früher so etwas nicht gegeben hätte und wir in die Gaskammer gehören. An all dem siehst du aber schon, wie schwach das ganze System hier ist, sonst bräuchten sie nicht soviel Angst vor uns zu haben.”(11)

Offiziell bestritten die staatlichen Organe die Existenz von Punk und Hardcore in der DDR als Musikstil wie als bewußte Einstellung. Die führenden Theoretiker der Partei bezeichneten die Punk-Bewegung im Westen dagegen einerseits als chaotischen Protest gegen das kapitalistische System, andererseits aber auch, wie zum Beispiel im SED-Zentralorgan Neues Deutschland, als ein Mittel zur Manipulation der Jugend. Andere Zeitungen sprachen in der Tradition der offiziellen jugendpolitischen Positionen im Bezug auf Punk von einem Mangel an sittlichen Werten. Den Gesetzen der DDR zufolge waren Kontakte zu westlichen Medien illegal. Die meisten Punkbands lehnten Kontakte zu den westlichen Massenmedien jedoch schon von sich aus ab. Zuvor hatten sie mehrfach die Erfahrung gemacht, daß viele westliche Zeitschriften und Fernsehanstalten nicht an einer objektiven Darstellung interessiert waren, sondern vorrangig an aufreißerischen Berichten mit dem Anstrich des ungewöhnlichen und sensationellen. Zudem dienten die Berichte oftmals zur scheinbaren Bestätigung antikommunistischer Positionen. Dieses Verhältnis zu den westlichen Medien war allerdings auch einer der wesentlichen Gründe dafür, daß der Beitrag der Punx und einiger anderer gegenkultureller Gruppen zur Wende in der westlichen Öffentlichkeit nicht zur Sprache kam.

Viele ehemalige Angehörige der Szene entzogen sich den ständigen Repressalien indem sie Ausreiseanträge stellten, die zumeist nach längeren Wartezeiten bewilligt wurden. Dem staatlichen Druck unterwarfen sich dagegen auch Bands wie Feeling B, die sich nach der Wende als Vertreter des DDR-Untergrunds präsentierten. Sie arbeiteten mit Staatsorganen zusammen, die bis zuletzt repressiv gegen konsequente Bands vorgingen. Zwangsläufig distanzierten sie sich damit indirekt von der Untergrund- bzw. der Punk-Szene und widersprachen dabei völlig ihren angeblichen Ansprüchen. Feeling B gehörte auch zu den sogenannten anderen Bands, die 1989 die Möglichkeit erhielten auf dem ”Parocktikum”-Sampler des staatlichen Labels Amiga eigene Stücke zu veröffentlichen. Die vielbeachtete Schallplatte war jedoch weniger ein Dokument der DDR-Gegenkultur, als vielmehr der Ausdruck des staatlichen Versuches einen Teil der wachsenden Gegenkultur zu vereinnahmen und eine Toleranz vorzutäuschen, die es tatsächlich nicht gab.

Der Staatssicherheit gelang es jedoch auch Leitfiguren des musikalischen und literarischen Undergrounds der achtziger Jahre wie Imad Abdul-Majid und Sascha Anderson als inoffizielle Mitarbeiter zu gewinnen. Paradoxer Weise standen beide für oppositionelle Bewegungen und Projekte, die sie zum Teil selbst hinsichtlich einer grundlegend systemkritischen Haltung maßgeblich beeinflußten. Gleichzeitig informierten sie die Stasi über einzelne Personen und Abläufe, um daraus persönliche Vorteile, im Falle von Abdul-Majid die Möglichkeit einer Ausreise, ziehen zu können.(12) Unabhängig von der Frage nach persönlicher Verantwortung wird an diesen Personen die schizophrene Widersprüchlichkeit deutlich, die weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in der DDR bis tief in oppositionelle Kreise charakterisierte.

Für die konsequenten Bands gab es neben privaten Feiern und Veranstaltungen der evangelischen Kirche keine Möglichkeit aufzutreten. Der Kirche wurde von staatlicher Seite einige Freiheiten zugestanden, welche vor allem über die ”Kirche von unten” auch von weitgehend atheistischen Gruppen wie den Punx genutzt wurden. So waren sogenannte kirchliche Werkstätten oftmals mit politischen Diskussionsrunden, Informationsständen von oppositionellen Gruppen und Konzerten von gegenkulturellen Bands verbunden. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen stießen diese Aktivitäten bei den FunktionärInnen der Kirche jedoch meist auf Ablehnung. Die Führung der evangelischen Kirche war vielmehr an einer Sicherung ihrer eigenen Position innerhalb des bestehenden Systems interessiert und stellte die Staatsordnung nicht in Frage. Entsprechend wurde auf die Forderung der Punx nach Räumlichkeiten in der Regel nicht eingegangen.

Zu den selbstorganisierten Feiern kamen teilweise mehreren hundert Personen aus der ganzen DDR. Vorrangig ging es darum, sich zu treffen, zu vergnügen und Erfahrungen auszutauschen. Mehrfach fanden die Feiern in besetzten Häusern statt, die zu den wenigen Freiräumen gehörten, in denen der Ansatz eines selbstbestimmten Lebens möglich war. Die Staatsmacht reagierte auf die Besetzungen unterschiedlich, einige wurden geduldet, teilweise um die Szene besser beobachten zu können, in anderen Fällen wurden die Häuser brutal geräumt. Zwangsläufig hatten die Feiern als Ausdruck der gegenkulturellen Strukturen in der DDR einen politischen Charakter. Entsprechend wurden sie mehrmals von der Staatssicherheit und der Volkspolizei gewaltsam beendet. In einem anonym verfaßten Erfahrungsbericht eines Beteiligten hieß es dazu: ”Vielen Leipzigern war der 28. März 1981 noch gut in Erinnerung, als über hundert Freaks ein leerstehendes Abrißhaus besetzt hatten, um darin ungestört und unbeschränkt eine Rockpalastfete zu feiern. Damals wollten Stasi und Bullen im Schutze der Dunkelheit ein Exempel statuieren. Sie räumten das Haus mit sieben Überfallkommandos und nahmen 94 Personen fest. Danach folgte stundenlanges Stehen vor einer Mauer mit Händen im Genick, anschließend Verhöre. Fast alle mußten Geldstrafen in Höhe von 75 bis 300 Mark zahlen.”(12)

DIE MUSIK NACH DER WENDE

In Rahmen der sogenannten Wende kam es im November 1989 zum Sturz der SED und im folgenden Jahr zum Anschluß der DDR an die BRD. Zwangsläufig war auch der Musikbereich von grundlegenden Veränderungen durchdrungen. Mit dem Zerfall des SED-Staates wurden der Kulturbürokratie ihre Machtmittel genommen, es galten fortan die Bedingungen des kapitalistischen Marktes. So wurde der staatliche Monopolbetrieb VEB Deutsche Schallplatten Berlin, zu dem auch das für Pop- und Rock-Veröffentlichungen zuständige Label Amiga gehörte, wurde zu einer GmbH umgestaltet. Der gleichzeitige Versuch, sich vom alten DDR-Image zu lösen und ein neues verkaufswirksames Image zu etablieren, schlug allerdings fehl. Das Unternehmen hatte gegenüber den westlichen Musikmultis, die mit ihren Produkten sofort den Markt überschwemmten, keine Chance. Schließlich verkaufte die staatliche Treuhand die Deutsche Schallplatten GmbH Berlin an einen Unternehmer aus der Automobilbranche, der das Unternehmen umstrukturierte und 1993 die Rechte an den Pop- und Rockstücken wiederum an die Ariola GmbH, die dem multinational operierenden Medienkonzern Bertelsmann angehört, weiterverkaufte.

Der kommerzielle Musikbereich wurde durch die Wende nur eingeschränkt demokratisiert. Den ParteifunktionärInnen wurde zwar mit ihrer Entmachtung die Entscheidungsmacht genommen, diese ging aber zu den Managern der Musikkonzerne über, die nun darüber bestimmen, welche Veröffentlichungen auf dem Musikmarkt eine Chance haben. Unabhängige Produktionen werden schon allein auf Grund mangelnder Werbemöglichkeiten und fehlender Beziehungen zu den Medien nur einem kleinen Kreis bekannt. Die ehemals staatlich geförderten MusikerInnen, die einst den Rockmarkt bestimmten, hatten unter den neuen Bedingungen anfangs keinen kommerziellen Erfolg. Erst im Zusammenhang mit den Enttäuschungen über die politischen und sozialen Zustände nach dem Anschluß, der Entwicklung eines neuen Selbstbewußtseins vieler ehemaliger DDR-BürgerInnen und einer nostalgischen Rückbesinnung erlangten die Bands des DDR-Rock eine neue Popularität.

Für die gegenkulturellen und konsequenten Bands bedeutete die Aufhebung der Einstufungen und der fast völlige Wegfall staatlicher Repressalien im musikalischen Bereich ein zuvor nicht gekanntes Maß an Freiheit. Insbesondere konnten nun Konzerte offiziell veranstaltet und Musikaufnahmen straffrei vertrieben werden, vorausgesetzt die notwendigen finanziellen Mittel und die entsprechenden Kontakte waren vorhanden. Ein Teil der einstigen Szene hielt am Ziel einer tatsächlich freien Gesellschaftsordnung fest. Daneben hatten aber auch viele Personen und Gruppen Probleme die Entwicklungen zu verarbeiten und verdrängten in Anbetracht der neuen Verführungen ihre einstigen Ideale.

In einigen Städten entstanden Gruppen, die von einer linken, radikalen Einstellung ausgehend den Zusammenhang zwischen Politik und Musik betonten und versuchten bestehende gegenkulturelle Strukturen weiter zu entwickeln. So entstand beispielsweise in Leipzig die Gruppe ReAktion, die aus Zusammenhängen hervorging, die schon vor der Wende bestanden. Die Gruppe zerfiel jedoch nach etwa zwei Jahren, als die Widersprüche einzelner Personen zwischen inhaltlichem Anspruch und gelebter Praxis nicht mehr zu überbrücken waren. In einer Selbstdarstellung aus der Anfangszeit der Gruppe beschrieben die ReAktion-Mitglieder ihr Selbstverständnis vor dem Hintergrund der kulturpolitischen Entwicklungen: ”Nach der ’großen Wende’ werden wir überschüttet von westlichen Bands. Die Westmanagements lassen sich die Chance, Kohle im Osten zu machen, nicht entgehen und machen ihre schmutzigen Geschäfte mit den Kulturbossen hier... ReAktion-Konzerte werden von uns selbst vorbereitet, durchgeführt und finanziert. Jeder Mitwirkende arbeitet freiwillig und unentgeltlich und wir alle möchten, daß die Veranstaltungen gut ablaufen. Diesen Anspruch beziehen wir auch auf die Bands, die wir einladen. - Also Bands, die nicht als Stars oder aus Kommerzgründen kommen, sondern um mit uns gemeinsam Spaß zu haben und dabei Ansichten einzubringen.”(13) Projekte wie ReAktion bildeten jedoch nur ein minimales Gegengewicht zu den vom Westen gesteuerten gesellschaftlichen Entwicklungen. Ihre Bedeutung nahm zwar zu, insbesondere auch im Widerstand gegen die zunehmenden faschistischen Übergriffe, sie waren aber nie in breiten Bevölkerungskreisen verankert, sondern vielmehr einem ständigen Druck ausgesetzt.

Das repressive Vorgehen gegen die Beat-, Rock- und Punkszene in der DDR wurzelte in den autoritären Strukturen, welche die gesamte Gesellschaft durchzogen und teilweise bis heute durchziehen. Charakteristisch für die DDR und darüber hinaus generell für autoritäre Systeme war der Zwang zur Anpassung und Unterordnung, sowie die Unterdrückung der Gefühle und Bedürfnisse zu Gunsten fremder Interessen. In fast allen Bereichen bestimmte der patriarchale Übervater Staat bzw. die Partei das Denken und Handeln bis ins Detail. Eine Folge dieser gesellschaftlichen Strukturen und der Verinnerlichung derselben war die zwanghafte Fixierung auf Werte wie Ordnung, Disziplin und Sauberkeit, die nicht zuletzt beständig in den Argumentationen der Staatsorgane gegen die rebellischen Jugend- und Musikbewegungen auftauchten. Charakteristisch war zudem, daß angestaute Aggressionen zumeist nicht gegen die eigentlichen gesellschaftlichen Ursachen gerichtet wurden, sondern vielfach gegen Personen, die den vorgegebenen Normen und Vorstellungen in irgendeiner Form widersprachen.

Anmerkungen:
1) Gerd Hertel, ehemaliges Mitglied der Sputniks, zitiert in: Rauhut, Michael / Beat in der Grauzone. (Basisdruck). Berlin, 1993.
2) Ständige Kommission Jugendfragen des Bezirkstages Leipzig / Dem Mißbrauch der Jugend keinen Raum! In: Leipziger Volkszeitung 20.10.1965. Als Faksimile nachgedruckt in: Rauhut / Beat. (Siehe 1).
3) Wede, Jürgen / Ich war sechzehn. In: Freitag 23.10.1990.
4) Bericht des Politbüros an das 11. Plenum des ZK der SED. (Vorgetragen von Erich Honecker). (1965). In: Schubbe, Elimar (Hrsg.) / Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED 1946-1970. (Seewald Verlag). Stuttgart, 1972.
5) Kurt Hager zitiert in: Leitner, Olaf / Rockszene DDR. (Rowohlt Verlag). Reinbeck bei Hamburg, 1983.
6) Aus einem Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit. Zitiert in: Stern Nr. 34/93. Hamburg, 1993.
7) Kunert, Christian / ”Schau mich nicht so schüchtern an, weil ich dich gut leiden kann.” - Rock in der
DDR. In: Gülden, Jörg und Humann, Klaus (Hrsg.) / Rocksession Nr. 2. (Rowohlt Verlag). Reinbeck, 1978.
8) Aus der Verbotserklärung gegenüber der Gruppe Renft durch das Komitee für Unterhaltungskunst. Zitiert in: Kunert / Rock. (Siehe 7).
9) Biermann, Wolf / Deutschland. Ein Wintermärchen. (1972). In: Biermann, Wolf / Nachlaß 1. (Kiepenheuer & Witsch). Köln, 1977.
10) Paul / DDR - Die doppelte Realität. In: Trust Nr. 4. Augsburg, 1987.
11) Aus einem Gespräch des Autors mit Imad Abdul Maijd im September 1988 in Ost-Berlin.
12) Siehe dazu: Galenza, Ronald und Havemeister, Heinz (Hg.) / Wir wollen immer artig sein ... (Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag). Berlin, 1999.
13) ”Freaks und Punks” / 17. Juli 1982. In: Haase, Norbert, Reese, Lothar und Wensierski, Peter (Hrsg.) / VEB Nachwuchs. (Rowohlt Verlag). Reinbeck bei Hamburg, 1983.
14) ReAktion / Infos u nd Fotos. (Selbstverlag). Leipzig, 1990.

Aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck:
Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft.

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