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Wolfgang Sterneck:
DIE SPUREN DES PANTHERS
- HIPHOP IN DEN USA -
- Die letzten Poeten -
- Der Kampf der Black Panthers -
- Streetparties und der neue Stil -
- Der Ausverkauf -
- HipHop und der American Dream -
- Die Gangsta-Rapper -
- Rassismus und Widerstand -
- HipHop und das neue Bewußtsein -
In den Ghettos der us-amerikanischen Großstädte entstand
in den siebziger Jahren mit dem HipHop eine eigenständige Ausdrucksform
der afro-amerikanischen Jugend. Bis heute ist der HipHop gleichermaßen
ein Ausdruck der sozialen Situation, wie auch der Forderung nach
grundlegenden Veränderungen.
DIE LETZTEN POETEN
Black Power gehörte zu den Symbolwörtern der sechziger
Jahre. Die schwarze Bevölkerung in den USA, die sich selbst
vielfach als African Americans bezeichnet, entwickelte zu dieser
Zeit ein neues Selbstbewußtsein und stellte sich mit erhobener
Faust dem täglichen Rassismus entgegen. Die 1968 in Harlem
gegründete Musikgruppe Last Poets verstand sich als Teil dieser
Bewegung und versuchte die entsprechenden Inhalte über eine
Verbindung von kämpferischer Lyrik und rhythmischer Musik weiterzutragen.
Ihren Namen leiteten die Musiker von einem Gedicht Willie Kgositsiles
ab, der darin pathetisch vorhersagte, daß im Rahmen revolutionärer
Veränderungen Pistolen und Gewehre die Stelle von Gedichten
und Essays einnehmen werden. In der hoffnungsvollen Erwartung eines
revolutionären Umbruchs in den USA bezeichneten sich die Bandmitglieder
selbst als die letzten Poeten, als die Last Poets.
Anfangs traten sie vorwiegend in den Straßen der schwarzen
Ghettos auf, um dort auch die Menschen anzusprechen, die mit Flugblättern
nicht erreichbar sind und auch keine Konzerte besuchen. Die Gedichte
waren bestimmt von Beschreibungen der sozialen Verhältnisse,
vom Aufruf zum Widerstand, aber auch von der Kritik an der erduldenden
Passivität vieler Afro-AmerikanerInnen. And the sun plays
on my eyes and I hear the hungry cries of black children. Their
stomachs turned inside out. Their minds full of fear and doubt.
Being told lies. Being watched by spies. While another Nigger Nigger
Nigger in Vietnam dies. And black people cry out in vain against
injustice and pain to one whose mind is insane. And it doesnt
need to rain for their tears have poured for years. And we are loved
for being ignorant and hated if we are militant. But promises can
do nothing for me its time to set ourselves free. (...)
Im Mittelpunkt der ersten Aufnahmen stand der Vortrag der Texte,
der ursprünglich nur minimalistisch von Congo-Rhythmen untermalt
wurde. Rückblickend gelten die Last Poets insbesondere auf
Grund des Sprechgesangs neben dem etwas später ähnlich
arbeitenden Dichter Gil Scott-Heron als wegweisende Vorläufer
des Rap und des HipHop. Die Last Poets sahen ihre Auftritte in der
Tradition der Oral History, der mündlichen Geschichtsvermittlung
der schwarzen SklavInnen durch ihre Lieder und Erzählungen.
Die Ursprünge der Oral History gehen wiederum auf die Griots,
die umherziehenden Geschichtenerzähler Westafrikas, zurück.
Diese trugen in gesprochener und gesungener Versform die Geschichten
ihrer Völker von Generation zu Generation weiter und bildeten
dadurch das kollektive Gedächtnis der einzelnen Stämme.
Noch heute ist die mündliche Überlieferung in einigen
Gebieten Westafrikas die am weitesten verbreitete Form der Vermittlung
der eigenen Geschichte, die allerdings im Zuge der weltweiten medialen
Gleichschaltung zunehmend verdrängt wird.
DER KAMPF DER BLACK PANTHERS
In den sechziger Jahren war es zuerst die BürgerInnenrechtsbewegung
mit Martin Luther King an der Spitze, die Reformen mit dem Ziel
der bürgerlichen Gleichstellung der Afro-AmerikanerInnen forderte.
Nachdem deren Bemühungen erfolglos blieben, setzte zunehmend
eine Radikalisierung ein, die sich unter anderem in lokalen Unruhen
und Aufständen, sowie organisatorisch in der Black Panther
Party ausdrückte. Wir fordern Freiheit. Wir fordern die
Macht, das Schicksal unseres schwarzen Volkes selber zu bestimmen.
Wir fordern Land, Brot, Unterkunft, Erziehung, Kleidung, Gerechtigkeit
und Frieden... (1)
In ihrem Kampf um eine befreiende Veränderung richteten sich
die Black Panthers gegen das kapitalistische System, das sie als
eigentliche Wurzel des Rassismus ansahen. Um dieses System zu stürzen
wurde der politische wie auch der bewaffnete Kampf auf allen Ebenen
propagiert. Langfristiges Ziel war die Errichtung eines unabhängigen
afro-amerikanischen Staates auf einem Teilgebiet der USA. In ihrem
Kampf solidarisierten sich die Black Panthers mit anderen Befreiungsbewegungen
und verstanden sich selbst als einen Teil des weltweiten antiimperialistischen
Kampfes. Von der Black Panther Party ausgehend, entstanden in den
Black Communities vielfältige gegenkulturelle Strukturen wie
zum Beispiel Basisgruppen, Volksküchen und Schulungsprojekte.
Nach der langen Geschichte der Ausbeutung und Unterdrückung
der Afro-AmerikanerInnen, beginnend mit der Zeit der Sklaverei,
gaben vor allem die Black Panthers den Anstoß, das damit verbundene
Minderwertigkeitsgefühl zugunsten eines neuem Selbstbewußtseins,
basierend auf einem Bekenntnis zur eigenen Geschichte, zu überwinden.
Entsprechend hart ging die Staatsmacht gegen die Black Panther
Party und gegen die Black-Power-Bewegung vor. Das FBI entwickelte
ein besonderes Programm zur Aufstandsbekämpfung, mit dem es
unter anderem gelang, die Black Panthers, sowie später auch
die Black Liberation Army und die schwarze Gefangenenbewegung zu
zerschlagen bzw. entscheidend zu schwächen. Viele AktivistInnen
wurden durch lange Gefängnisstrafen und teilweise auch durch
Mordanschläge zum Schweigen gebracht. Weitere Gründe für
den Niedergang der Bewegung waren interne Auseinandersetzungen über
den zukünftigen Weg der Organisation zwischen VertreterInnen
einer gemäßigteren und einer radikalen Position. Zudem
verhinderten patriarchale Strukturen innerhalb der Bewegung eine
konsequente revolutionäre Weiterentwicklung. So waren Frauen
völlig unterrepräsentiert und eine spezifische Frauenpolitik
wurde weder praktiziert noch diskutiert.
In ihrer Hochzeit gelang es den Black Panthers die destruktive
Verweigerungshaltung der schwarzen Jugend in ein Aufbäumen
gegen die eigentlichen Ursachen ihrer von sozialen Mißständen
geprägten Situation zu verwandeln. Nach dem Zerfall und der
Zerschlagung der Bewegung dominierte vor allem in der jungen Generation
wieder ein Gefühl der Perspektivlosigkeit. In den siebziger
Jahren wurde das gesellschaftspolitische Verständnis des Alltags
in den Ghettos verdrängt. Immer mehr Jugendliche gingen den
selbstzerstörenden Weg in die Scheinwelten der harten Drogen
oder bekämpften sich gegenseitig als Mitglieder konkurrierender
Streetgangs. Gleichzeitig versuchten die Staatsorgane über
eine Politik der scheinbaren Integration die sozialen Gegensätze
zu entschärfen. So wurden mit Millionenbeträgen schwarze
systemkonforme Wirtschaftsstrukturen unterstützt, was zur Bildung
einer dünnen schwarzen Mittelschicht führte.
STREETPARTIES UND DER NEUE STIL
In dieser von zunehmenden Gegensätzen geprägten sozialen
Situation entwickelte sich in den schwarzen Ghettos mit dem HipHop
eine spezifische Jugendkultur, die insbesondere in der Musik und
den Graffities einen Ausdruck fand. HipHop spiegelte in einer für
viele Musikströmungen typischen Wechselwirkung die gesellschaftlichen
Verhältnisse und prägte gleichzeitig vielfältige
Entwicklungen. Die Ursprünge der HipHop-Graffities lagen in
den späten sechziger Jahren, als Jugendliche damit begannen
ihre Namen an Hauswände in ihrem Wohnviertel zu schreiben.
Der bekannteste der sogenannten Tagger war Tag Taki, der seinen
Namen zusammen mit der Zahl 183, die sich auf seinen Wohnort in
der 183. Straße bezog, an unüberschaubar vielen Stellen
in ganz New York hinterließ. Später bezeichnete der Begriff
Graffitie das Besprühen von U-Bahnwaggons und Hauswänden
mit großformatigen, comicartigen Bildern, kurzen Sprüchen
und Namenszügen. Bezeichnenderweise kriminalisierte die New
Yorker Stadtregierung die sogenannten Writer, stellte eine besondere
Eingreifgruppe auf und ließ die besprühten U-Bahnwaggons
wieder grau übermalen, allerdings ohne andauernden Erfolg,
da die Wagen ständig wieder neu besprüht wurden.
Musikalisch war die Entwicklung des HipHop eng mit den sogenannten
Streetparties verbunden, die um 1974 in den New Yorker Stadtteilen
Bronx und Harlem eine zunehmende Popularität erlangten. Zumeist
ohne behördliche Genehmigungen und damit illegal wurden kurzfristig
auf kleinen Plätzen oder direkt in den Straßen Discos
veranstaltet. Zu den populärsten Discjockeys (DJs) gehörte
zu dieser Zeit Kool DJ Herc: Ich organisierte eintrittsfreie
Parties im Freien. Den Strom erhielt ich aus Apartments und manchmal
von Straßenlampen. Oft hatten die aber zuwenig Saft und deshalb
liefen die Platten langsamer. Die Cops störte das alles nicht
besonders, denn durch die Parties waren alle Kids an einem Ort konzentriert,
hatten Spaß miteinander und führten keine Kämpfe.
Aber es kamen nicht nur die Jugendlichen, sondern die ganzen Familien.
Es waren große Parties für die ganze Nachbarschaft...(2)
Im Zusammenhang mit den Parties entwickelte Kool DJ Herc einen
eigenständigen und neuartigen Stil. Im Gegensatz zu herkömmlichen
DJs spielte Herc einzelne Stücke nicht vollständig ab,
sondern benutzte vielfach nur bestimmte Teile, so beispielsweise
Schlagzeugsolos oder monotone Baßläufe, die er auf zwei
Schallplattenspielern nacheinander abspielte und so das Stück
beziehungsweise den einzelnen Abschnitt beliebig verlängern
konnte. Er nahm gewisse Disco-Platten, die ein Percussionbreak
hatten und ließ diese Breaks weiter laufen. Das war der Teil
des Songs, auf den jeder wartete und sie ließen sich vor Freude
gehen und wurden wild. Und dann kam plötzlich doch der Sänger
und du wurdest völlig wahnsinnig.(...)(3)
Neben den Discjockeys Eddie Cheeba und DJ Hollywood gehörte
Kool DJ Herc auch zu den Begründern des Rap. Der Begriff bezeichnete
die Sprüche, Geschichten und Aufforderungen der DJs während
ihrer Shows. Einen wesentlichen Ursprung hat das Rappen im sogenannten
Toasten jamaikanischer DJs, welche die weitgehend instrumentalen
Dubversionen von Reggae-Stücken verbal begleiteten. Nachdem
die Rap-Passagen zunehmend zu einem eigenständigen Element
der Parties wurden und auf eine immer größer werdende
Zustimmung bei den Partygästen stieß, arbeiteten die
DJs mit sogenannten Masters of Ceremony (MCs) zusammen, welche die
Rap-Passagen übernahmen. Vor dem Hintergrund der von den DJs
gemixten Musik trugen die RapperInnen teilweise ausufernd lange
Texte rhythmisch im Slang der Ghettos vor. Verschiedene DJs wie
zum Beispiel der einflußreiche Afrika Bambaataa und insbesondere
Grandmaster Flash entwickelten die von Kool DJ Herc eingeführten
Techniken weiter, wobei die Abspielgeräte zu Musikinstrumenten
und die DJs selbst zu komponierenden MusikerInnen wurden. Aufnahmen
von den Shows wurden über Kassetten in der Szene verbreitet.
Grandmaster Flash spielte besonders populäre Stellen in andere
Songs ein. Dabei scratchte er, indem er teilweise die Schallplatten
während des Abspielens rhythmisch vor und zurück bewegte.
Auch Bambaataa war bekannt dafür, daß er Sequenzen aus
Stücken von stilistisch völlig unterschiedlichsten Musikgruppen
miteinander zu neuen Stücken verband. In einigen Fällen
wurden bis zu fünf Abspielgeräte von mehreren DJs gleichzeitig
benutzt, bei anderen Auftritten wurden Rhythmusmaschinen eingesetzt.
In den achtziger Jahren wurden die von den DJs entwickelten Techniken
zu einem festen Bestandteil der Popmusik, wobei im Rahmen des Sampling
mit perfektionierten technischen Mitteln gleichermaßen Musiksequenzen,
wie auch Geräusche eingespielt wurden. Eng mit dem neuen Stil
verbunden, entwickelte sich mit dem Breakdance ein eigener Tanzstil,
der von einer Verbindung akrobatischer Bewegungen mit roboterhaften
Einlagen gekennzeichnet war.
DER AUSVERKAUF
Nachdem sich die HipHop-Kultur lange fast ausschließlich
auf die schwarzen Ghettos konzentrierte und außerhalb dieser
kaum Beachtung fand, setzte um 1980 innerhalb kurzer Zeit ein Ausverkauf
des HipHop ein, der sich mit der für den kapitalistischen Markt
typischen verschlingenden Dynamik vollzog. Die weltweite Vermarktung
wurde durch das Stück Rappers Delight der
Sugarhill Gang eingeleitet. Silvia Robinson, eine etablierte schwarze
Produzentin hatte durch ihre Kinder von der Popularität des
HipHop erfahren und stellte in Erahnung der Erfolgsmöglichkeiten
die Gruppe speziell für eine Schallplatten-Veröffentlichung
zusammen. Wonder Mike, damaliges Mitglied der Sugarhill Gang, beschrieb
später in einem Interview wie die Gruppe vermarktet wurde:
Zuerst habe ich meine Raps alleine geschrieben. Ich kannte
mich mit der Musik aus, ich wußte wie man einen Song schreibt.
Aber wie man daraus einen Hit macht, etwas, das sich überall
verkauft und nicht nur mir gefällt, dabei hat mir die Produzentin
Silvia Robinson geholfen. Sie kennt die Formel mit der ein Hit gemacht
wird. Als wir dann Platten gemacht haben, mußten wir genau
die richtige Formulierung finden. Wir mußten uns an einem
dauernd verändernden Publikumsgeschmack orientieren.Wir mußten
passende Texte schreiben, aufpassen, was die Medien sagen, den musikalischen
Trend beobachten.(4)
Nach den ersten kommerziellen Erfolgen begannen die großen
Musikkonzerne die HipHop-Szene zu vermarkten, wobei die RapperInnen
in der Regel nur einen winzigen Bruchteil des finanziellen Gewinns
erhielten. Die Musik und die Texte wurden auf den weißen Markt
abgestimmt, was vielfach zu einer inhaltlichen Entschärfung
führte. Entsprechend wurden in Hollywood klischeehafte HipHop-Filme
produziert, die Musical-Theater führten vergleichbare Stücke
auf, in den trendorientierten Galerien wurden Graffities angeboten
und in TV-Shows traten plötzlich Breakdance-Gruppen auf. Bezeichnend
war dabei, daß von dieser Entwicklung einmal mehr einige im
wesentlichen von Weißen beherrschte Konzerne profitierten
und im Stil kolonialer Ausbeutung eine Ausdrucksform der schwarzen
Bevölkerung in ihrem Sinne vereinnahmten und entschärften.
Nur in wenigen Fällen spiegelten die Veröffentlichungen
die Situation in den Ghettos. Herausragend war in dieser Hinsicht
das Stück The Message von Grandmaster Flash and
the Furious Five. Der im wesentlichen von Melle Mel geschriebene
Text beschreibt in einer unverschleierten Weise das Leben in den
afro-amerikanischen Wohngebieten und das dort vorherrschende Gefühl
der Ausweglosigkeit, ohne allerdings übergreifende Zusammenhänge
oder Ursachen aufzuzeigen. Broken glass everywhere, people
pissin on the stage. Ya know they just dont care. I
cant take the smell, I cant take the noise. Got no money
to move out, I guess I got no choice. Rats in the front room, roaches
in the back. Junkies in the alley with the baseball bat. I tried
to get away but I couldnt get far cause the man at the
station repossessed my car. Dont push me cause Im
close to the edge. Im tryin not to loose my head. Its
like a jungle sometimes, it makes me wonder how I keep from going
under... Youll grow up in the ghetto, livin second-rate.
And your eyes will sing a song of decay. The places you play und
where youll stay, looks like one big alleyway. Youll
admire all the pimps, the pushers, and the big money makers. Drivin
big cars, spendin twenties and tens. And you wanna grow up
to be like them - Ha! Ha! You say, Im cool, Im no fool.
but then you wind up droppin outta high school. Now youre
unemployed, all null and void...
HIPHOP UND DER AMERICAN DREAM
In ihrer Gesamtheit gesehen ergab die HipHop-Kultur in den späten
siebziger Jahren ein widersprüchliches Bild. Sie reproduzierte
herrschende Strukturen, wie das Leistungsprinzip, widersetzte sich
aber auf einer anderen Ebene den staatlichen Integrationsmechanismen
und bildete ein Gegengewicht zu den mörderischen Kämpfen
der Streetgangs. Die ursprünglichen Ausdrucksformen des HipHop
waren alle von der gleichen grundlegenden Lebenshaltung geprägt.
Zu den Folgen der Niederlage der Black-Power-Bewegung gehörte
eine zunehmende Konkurrenzhaltung und eine damit verbundene Vereinzelung
im zwischenmenschlichen Bereich. Über individuelle Leistungen
und wirtschaftlichen Erfolg, aber nicht mehr durch eine kollektive
Politik wurde versucht, dem Elend der Slums und Ghettos im Idealfall
zu entfliehen oder zumindest dort eine besondere Stellung zu erlangen.
Bis heute werden die schwarzen Sport- und Musikstars propagandistisch
als Argument für diesen Weg und als Vorzeigeobjekte für
die angebliche Durchlässigkeit der us-amerikanischen Gesellschaft
mißbraucht. Millionen versuchen vergeblich diese Stars nachzuahmen
und den American Dream für sich zu realisieren. Sie werden
dabei zu Opfern einer Ideologie bzw. eines Systems, welche sich
nicht an den eigentlichen Bedürfnissen orientiert, sondern
die Menschen vorrangig auf ihre Verwertbarkeit reduziert.
Übereinstimmend mit diesen psycho-sozialen Entwicklungen stellte
der HipHop die einzelne Person in das Zentrum der einzelnen Ausdrucksformen.
Den SprüherInnen, die ihre Namen in riesigen Buchstaben an
die Wände hinterließen, den TänzerInnen, die von
anderen umringt, abwechselnd ihr Können vorführten und
den Discjockeys, die sich selbst als den Mittelpunkt der Szene betrachteten,
ging es vor allem darum, der oder die Beste zu sein. Insbesondere
die Rapper überboten sich in selbstverherrlichenden Darstellungen
und Texten. Unablässig wurden der vorgebliche Erfolg, die eigenen
Fähigkeiten und die sexuelle Potenz dargestellt. Bezeichnend
war die Bedeutung von äußeren Statussymbolen, wie zum
Beispiel von Goldketten, welche viele Rapper betont zur Schau stellten.
Sie spiegelten damit die von den Medien unablässig propagierte
Grundeinstellung, daß Glück nur über materiellen
Wohlstand und Erfolg zu erreichen ist.
Als Ausdruck der Entpolitisierung in den siebziger Jahren war für
den HipHop zudem charakteristisch, daß klare politische Positionen
in der Regel weder in den Rap-Texten noch in den Graffities vertreten
wurden. Vielmehr stand eine Party-Mentalität im Vordergrund,
die vom persönlichen Vergnügen, dem Spaß und der
Ablenkung geprägt war. Auch im Bezug auf die Rolle der Frauen
spiegelte HipHop die Situation innerhalb der Black Community bzw.
generell die Situation in den USA. Die dreifache Unterdrückung
der afro-amerikanischen Frauen auf Grund ihres Geschlechts, ihrer
Hautfarbe und zumeist auch auf Grund ihrer Klassenzugehörigkeit
drückte sich unter anderem in den oftmals sexistischen Rap-Texten
und in der in fast allen Bereichen gegebenen Männerdominanz
aus. So traten beispielsweise Frauen lange weder als DJs noch als
MCs auf.
Im Zusammenhang mit der HipHop-Kultur veränderte sich das
Klima unter den Jugendlichen. Vielfach schlossen sich Jugendliche
aus bestimmten Stadtteilen zu sogenannten Crews zusammen, welche
wie die Streetgangs in einem selbstgewählten Konkurrenzverhältnis
standen. Im Gegensatz zu diesen trugen die Crews ihre Auseinandersetzungen
allerdings nicht bewaffnet aus, sondern wettbewerbsartig unter anderem
in Bezug auf die Originalität der Graffities oder den Fähigkeiten
auf der Tanzfläche. Der Rapper Melle Mel faßte die Entwicklung
wie folgt zusammen: Alles fing mit Breakdance und Graffiti
an. Plötzlich gab es nicht nur Gangs, sondern einfach Gruppen
von Leuten, die zusammen die U-Bahn ansprühten oder eine Crew
mit einem DJ und Tänzern bildeten. Graffiti gehört genauso
zu dieser Kultur, denn diese Kids haben auch versucht, etwas mitzuteilen.
Wenn sie etwas auf eine Wand schrieben, dann nicht, um diese Mauer
schmutzig zu machen, sondern um auszudrücken: Hey, hier
bin ich und das kann ich!. Das ist das gleiche, was Rap und
Breakdance sind: der Versuch zu sagen Wir sind hier. Wir sind
mehr als eine Statistik. Wir sind mehr als die Ghettokinder aus
der Bronx.(5)
HIPHOP UND DIE STREETGANGS
Die Crews bildeten jedoch nur eine kurzzeitige Erscheinung, vielmehr
war in den achtziger und frühen neunziger Jahren der Lebensinhalt
der meisten afro-amerikanischen Jugendlichen in den Großstädten
vorrangig an den Streetgangs ausgerichtet, die durch einen sonst
nicht gegebenen Gruppenzusammenhalt einen der letzten Bezugspunkte
in einer vielfach haltlosen Umwelt bilden. Zudem bieten sie den
Jugendlichen in den Ghettos durch gemeinsame kriminelle Aktivitäten
eine der wenigen Möglichkeiten zu Geld zu kommen. Innerhalb
der Gangs, wie auch im Verhältnis zu anderen, gilt das Recht
des Stärkeren. Mädchen und Frauen stehen in der Gruppenhierarchie
zumeist ganz unten.
Die Auseinandersetzungen zwischen den Gangs haben sich inzwischen
in einem für europäische Verhältnisse noch kaum vorstellbaren
Maße zugespitzt. In den us-amerikanischen Großstädten
kommt es dabei jährlich zu mehreren tausend Toten, so sterben
in Los Angeles im Zusammenhang mit den Kämpfen der Streetgangs
jährlich durchschnittlich 700 Menschen. Noch vor AIDS ist Mord
die überwiegende Todesursache von schwarzen Jugendlichen. Meist
geht es bei den Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft in einem
bestimmten Revier, um Drogengeschäfte oder einfach um eine
Möglichkeit, den unterdrückten Energien freien Lauf zu
lassen. Das herrschende Leistungs- und Konkurrenzprinzip wird dabei
auf den reinen Überlebenskampf reduziert. Zwangsläufig
bestimmt offene Gewalt den Alltag.
Die eigentliche Ursache für die innere Frustration und die
Perspektivlosigkeit bzw. für die Situation, welche die Kämpfe
der Gangs bedingt, bleibt dabei zumeist unerkannt und dementsprechend
unangetastet. Im Grunde ist die Subkultur der Streetgangs nichts
anderes als ein verkleinertes Abbild der us-amerikanischen Gesellschaft
bzw. eine Folge des patriarchal-kapitalistischen Systems, welches
ein gleichberechtigtes und solidarisches Leben nicht zuläßt.
Gleichzeitig entsprechen sie in ihrer Ausrichtung den unzähligen
TV-Serien, die materiellen Reichtum als höchstes Ziel definieren,
sowie ein gewalttätiges Vorgehen als Mittel zur Durchsetzung
persönlicher Ziele und sexistische Verhaltensnormen als selbstverständlich
darstellen. Dennoch liegt auch den Streetgangs eine Verweigerungshaltung
zugrunde, die sich unter bestimmten Bedingungen politisch entfalten
kann wie das Beispiel der Black Panthers zeigte.
Nach der Kommerzialisierung der HipHop-Kultur folgte eine Phase
der musikalischen Stagnation, die um 1984 unter anderem durch die
Band Run DMC und deren Verbindung von Heavy Metal und HipHop aufgehoben
wurde. In Folge löste eine neue Generation von vielfältig
ausgerichteten HipHop-Bands die alten RapperInnen der sogenannten
Old School ab, wobei die inhaltlichen Aussagen eine wachsende Bedeutung
erhielten. In ihrer Gesamtheit wurden die RapperInnen zum wichtigsten
Sprachrohr der Jugend aus den schwarzen Ghettos und erhielten gleichzeitig
einen Einfluß, der teilweise den von Eltern, LehrerInnen und
PolitikerInnen um ein vielfaches übertraf.
Nachdem HipHop auch bei weißen Jugendlichen eine zunehmende
Popularität erlangte, nahm der Druck reaktionärer Organisationen
wie der Elternvereinigung Parents Music Resource Center zu.
Dies führte zu einer Kennzeichnung von Veröffentlichungen
mit einem angeblich jugendgefährdenden Inhalt durch den Aufdruck
Parental Advisory Explicit Lyrics (Elterlicher
Hinweis: Explizite Texte). Dazu gehören unter anderem
radikale politische Aussagen, eine offene Darstellung sexueller
Handlungen oder auch die unverschleierte Beschreibung des Alltags
in den Ghettos. Bald darauf trat jedoch eine gegenteilige Wirkung
ein, da viele Jugendliche den Aufdruck als ein Qualitätsmerkmal
verstanden.
DIE GANGSTA-RAPPER
Zunehmend spiegelten sich die Auseinandersetzungen der Streetgangs
auch in der HipHop-Musik. Viele Gruppen stellen bis heute die Beschreibung
des Alltags in den Ghettos aus der Sichtweise der Streetgangs in
den Mittelpunkt ihrer Veröffentlichungen. Die meisten der ausschließlich
männlichen Gangsta-Rapper vergleichen sich dabei selbst mit
Reportern, welche die Ereignisse in den afro-amerikanischen Stadtteilen
dokumentarisch beschreiben ohne sie zu bewerten. Tatsächlich
ist es jedoch für den Gangsta-Rap in großem Maße
charakteristisch, daß die Gewaltstrukturen der Streetgangs
nicht nur dargestellt, sondern oftmals verherrlicht und damit letztlich
bestätigt werden. Nur in Ausnahmefällen kommt es zu einer
Hinterfragung der Situation oder zu einer Einordnung in einen größeren
gesellschaftlichen Zusammenhang. Zumeist werden die angestauten
Aggressionen auf künstlich geschaffene Feindbilder projiziert,
während sich systemkritische Positionen auf eine haßerfüllte
Ablehnung der Polizei beschränken. In der Regel haben die Gangsta-Rapper
kaum ein Interesse die Abläufe zu vermitteln oder gar auf Verständnis
zu stoßen. Neben finanziellen Aspekten steht die glorifizierende
Selbstdarstellung der eigenen Person im Vordergrund. Die Mitglieder
vieler Gruppen sehen sich gerne in der Rolle des harten Mannes und
betonen ihre Herkunft als Gangmitglied, teilweise auch als Drogenhändler
oder Zuhälter.
Zu den populärsten Bands aus dem Bereich des Gangsta-Rap zählt
N.W.A. (Niggers With Attitude), der unter anderem Eazy E., Dr. Dre
und Ice Cube angehören bzw. angehörten. Die zentralen
Themen ihrer Texte, die oftmals einen autobiographischen Charakter
haben, sind die Gewalt in den Ghettos, das Auftreten der Streetgangs
und die alltägliche Kriminalität wie beispielsweise Autodiebstähle
und der Handel mit Drogen. Charakteristisch für N.W.A. und
generell für den Gangsta-Rap ist die Beschreibung zwischengeschlechtlicher
Beziehungen als Gewalt- und Machtverhältnisse, die letztlich
immer von Männern dominiert werden. Auf Grund der inhaltlichen
Aussagen der Band weigerten sich mehrere TV- und Radiostationen
die Songs und die Videos der Band auszustrahlen. Um einen drohenden
Boykott großer Handelsketten zu umgehen, veröffentlichten
N.W.A. neben den Originalaufnahmen mit den sogenannten clean
versions entschärfte bzw. selbstzensierte Versionen ihrer
Stücke. Ein für N.W.A. in vieler Hinsicht bezeichnendes
Stück ist Gangsta Gangsta. Heres a
little something bout a nigger like me, who never shouldve
been let out of the penitentiary. Ice Cube would like to say that
I am a crazy motherfucker from around the way. Since I was a youth
I smoke breath out, now Im the motherfucker you read about.
Takin a life or two thats what the hell I do. You dont
like how Im livin? Well, fuck you! This is a gang and
Im in it. My man Drell fuck you up in a minute. With
a right-left-right-left youre toothless and they say goddam
theyre ruthless...
Nach persönlichen und finanziellen Unstimmigkeiten verließ
Ice Cube Niggers With Attitude und nahm mehrere vielbeachtete LPs
auf. Auf der 1990 erschienenen Veröffentlichung AmeriKKKas
most wanted stellt er die USA als ein grundlegend rassistisches
Land dar, kritisiert aber auch die mörderischen Auseinandersetzungen
innerhalb der Black Community. So beschreibt er beispielsweise in
einem Stück die schwarze Jugend als eine aussterbende
Gattung. Die LP beginnt mit der akustischen Darstellung einer
Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl. Wie fließend der Übergang
von einer unreflektierenden Strukturen ausgerichteten Rebellion
zu klar formulierten reaktionären Positionen sein kann, zeigte
die Ice-Cube-Veröffentlichung Death Certificate
in einer besonders deutlichen Weise. Ausgehend von einem Bekenntnis
zur Nation of Islam richtete sich Ice Cube in einer haßerfüllten
Weise generell gegen Weiße, sowie in einzelnen Texten gezielt
gegen Menschen jüdischen Glaubens, Schwule und Frauen, die
nicht völlig seinem Rollenbild entsprechen.
Neben Ice Cube nimmt auch Ice-T in den schwarzen Ghettos die Position
eines vorbildhaften Idols ein. Ice-T verbrachte einen Teil seiner
Jugend in South Central, dem am stärksten von Streetgangs geprägten
Stadtteil von Los Angeles, und schloß sich dort selbst einer
Gang an. Nach seinem Aufstieg zum HipHop-Star verwies Ice-T in Interviews
image-gerecht auf seine in diesem Zusammenhang entstandene Schußverletzung,
betonte aber selbst nie geschossen oder mit Drogen gehandelt zu
haben. Das Gangster-Image setzt Ice-T immer wieder gleichermaßen
provozierend und verkaufsfördernd ein. Mehrfach ließ er sich auf Schallplattencovern mit Waffen, teueren Autos und leichtbekleideten
Frauen abbilden.
Großes Aufsehen erzeugte das von Ice-T zusammen mit seiner
Band Body Count veröffentlichte Stück Cop Killer,
in dem der Musiker der weitverbreiteten polizeilichen Willkür
haßerfüllte Rachephantasien gegenüberstellt. Nach
einer scharfen öffentlichen Kritik, der sich auch der damalige
US-Präsident George Bush anschloß, verschiedenen Boykottmaßnahmen
und Bombendrohungen zog Ice-T jedoch das Stück in den Vereinigten
Staaten zurück. I got my black shirt on. I got my black
gloves on. I got my ski mask on. This shits been to long.
I got my brain on hype. Tonitell be your nite. I got this
long-assed knife. And your neck looks just right! My adrenalines
pumpin. I got my stereo bumpin. Im bout
to kill me somethin. A pig stopped me for nothin! Cop
Killer - Its better you than me. Cop Killer - Fuck police
brutality. Cop Killer - Fuck the Police...
Auch die 1993 veröffentlichte CD Home Invasion,
deren erstes Stück stilgetreu von drei Schüssen und einem
folgenden zynischen Gelächter eingeleitet wird, löste
Kontroversen aus und führte zur Auflösung des Vertrages
zwischen dem Musikmulti Time Warner und Ice-T. Das Cover zeigte
einen weißen Jugendlichen, der über einen Walkman eine
Ice-T-Kassette hört. Symbolhaft wird dabei graphisch dargestellt,
wie der Jugendliche dadurch mit Themen wie Gewalt, Verbrechen, und
Vergewaltigung, aber auch mit radikalen politischen Inhalten konfrontiert
wird. Mit einem ironischen Unterton stellte sich Ice-T dadurch selbst
in der Rolle des jungendverderbenden Rockstars dar, die ihm insbesondere
von konservativen weißen Elternvereinigungen immer wieder
zugewiesen wird.
RASSISMUS UND WIDERSTAND
Trotz verschiedener Veränderungen ist die us-amerikanische
Gesellschaft noch immer eine rassistische. Politische und wirtschaftliche
Entscheidungen werden fast ausschließlich von Weißen
getroffen und entsprechend vermitteln auch die Medien und die Schulen
ein Weltbild, das von einer weißen Sicht geprägt ist.
In den achtziger Jahren bewirkte die Wirtschafts- und Sozialpolitik
der Reagan-Regierung eine verstärkt anwachsende Kluft zwischen
Arm und Reich, von der insbesondere die afro-amerikanische Bevölkerung
betroffen war. So wird bis heute ein Drittel der schwarzen Bevölkerung
selbst von staatlichen Stellen als arm eingestuft, wobei ein beträchtlicher
Teil unterhalb des Existenzminimums lebt. Zudem werden Afro-AmerikanerInnen
vor Gericht von zumeist weißen RichterInnen härter bestraft,
die Arbeitslosenrate ist um ein dreifaches höher und auf Grund
mangelhafter medizinischer Versorgung ist auch die Kindersterblichkeitsrate
bei Schwarzen doppelt so hoch wie in der weißen Bevölkerung.
Mehrfach führten die Lebensbedingungen in den schwarzen Ghettos
zu spontanen Unruhen und Aufständen, den sogenannten Riots,
wie im Januar 1989 in Miami und im April 1992 in Los Angeles. In
beiden Fällen waren rassistische Polizeiübergriffe und
deren juristische Duldung die Auslößer der Riots, die
erst durch den Einsatz des Militärs beendet werden konnten.
Gleichzeitig blieben verschiedene Ansätze, eine mit der Black
Panther Party vergleichbare revolutionäre Organisation aufzubauen,
trotz einer zunehmenden Radikalisierung innerhalb der Black Communities,
weitgehend erfolglos. Einen starken Einfluß erhielt dagegen
die von Louis Farrakhan geführte Nation of Islam, die insbesondere
durch Hilfsprogramme für Arme und ein entschiedenes Vorgehen
gegen den Drogenhandel in den Ghettos großen Zuspruch erhielt.
Wie bei allen großen religiösen Organisationen ist allerdings
die Ausrichtung der Nation Of Islam von einer Verschleierung der
tatsächlich bestehenden Verhältnisse bestimmt. Charakteristisch
sind zudem grundlegende reaktionäre Positionen, wie beispielsweise
offen antisemitische und homophobe Einstellungen.
Ein Ausdruck der Politisierung innerhalb der Community bzw. in
einigen Fällen auch ein Wegbereiter dieser Entwicklung waren
HipHop-MusikerInnen, die in ihren Texten gesellschaftspolitische
Positionen vertraten, wobei einige bemerkenswerte inhaltliche Parallelen
zum politisch bewußten Free Jazz der sechziger Jahre deutlich
zum Ausdruck kamen. Die Gruppen bezogen sich auf die Black-Power-Bewegung
und schwarze Leitfiguren wie insbesondere Malcolm X, forderten zum
Widerstand gegen den weißen Rassismus und den Klassencharakter
der Gesellschaft auf, kritisierten aber auch entschieden die Gewalt
in den Ghettos. Sie wurden zu einem Sprachrohr der Jugend in den
Ghettos und trugen entscheidend zu einer Veränderung des Bewußtseins
von der eigenen Geschichte und der konkreten Lebenssituation bei.
Malcolm X selbst hatte 1964 in einer Rede am Beispiel des in der
Bürgerrechtsbewegung äußerst populären Liedes
We shall overcome eine konkrete Verbindung einer revolutionären
Musik mit entsprechenden Handlungen gefordert: Ich bin keiner
von denen, die für We shall overcome eintreten.
Ich glaube einfach nicht, daß wir singend etwas verändern
können. Wenn ihr euch eine 45er Pistole besorgt und dann anfangt
We shall overcome zu singen, dann bin ich dabei. Aber
ich bin nicht für Lieder, die euch nicht zugleich sagen, wie
ihr etwas Brauchbares bekommt, das ihr benutzen könnt, wenn
ihr mit dem Singen fertig seid. Mir ist klar, daß ich einiges
sage, von dem ihr annehmt, daß es mir Ärger einbringen
kann, aber, Brüder, ich wurde mit derartigem Ärger geboren.
Ich kümmere mich nicht darum. Ich bin nur an einer Sache interessiert,
und das ist die Freiheit - mit allen Mitteln, die notwendig sind...(6)
HIPHOP UND DAS NEUE BEWUSSTSEIN
Zu den in den USA einflußreichsten und weltweit kommerziell
erfolgreichsten HipHop-Bands gehören Public Enemy. Die Gruppe
verknüpft eine gleichermaßen harte wie auch eingängige
Musik mit kämpferisch-revolutionären, teilweise aber auch
mit reaktionären Aussagen. Die Berechtigung zum Widerstand
leitet Chuck D, der für die meisten Texte der Band verantwortlich
ist, aus der Zeit der Sklaverei ab. Rassismus entstand in
der westlichen Welt aus ökonomischen Gründen. - Holt
die Nigger aus Afrika, sie werden das Land bearbeiten und wir werden
das Geld machen. - Das Geld aus dem SklavInnengeschäft
ist immer noch im Umlauf und das ist der Grund dafür, daß
die Leute reich sind. Umverteilung ist der richtige Weg, weil der
Wohlstand aus dem Blut, dem Schweiß und den Tränen unserer
Leute entstanden ist. Aber glaubst du, die Weißen werden uns
ihr Geld geben, nur weil ihre Ur-Urväter es durch den SklavInnenhandel
bekamen. Wenn wir es wollen, müssen wir darum kämpfen.(7)
Eine zentrale Zielsetzung der Veröffentlichungen von Public
Enemy ist das Bestreben ein neues afro-amerikanisches Selbstbewußtsein
und davon ausgehend ein verändertes Verhältnis zur schwarzen
Geschichte zu entwickeln. Die Band bezieht sich dabei gleichermaßen
auf die Black Panther Party und Malcolm X, wie auch auf die Nation
of Islam und deren Führer Louis Farrakhan. Die inhaltlichen
Aussagen soll die Security of the First World (S1W) unterstreichen,
die Schutzgruppe der Band, die betont militärisch auftritt,
allerdings nur mit Attrappen bewaffnet ist. Das Symbol Public
Enemys zeigt einen afro-amerikanischen Jugendlichen im Zielfernrohr
eines Polizeigewehrs. Es spielt damit auf Übergriffe durch
die Staatsorgane an, die sich insbesondere gegen schwarze Jugendliche
richten. Wir sind nicht Anti-Weiß, wir sind Pro-Schwarz.
Black Power ist Selbstverteidigung, weil die schwarzen Menschen
in Amerika in einem System groß werden, das gegen uns errichtet
wurde. Wenn du dich in einem Box-Ring befindest und du hebst nicht
deine Fäuste, dann wirst du eine in die Fresse bekommen.
Die Glaubwürdigkeit der revolutionären Positionen Public
Enemys wurde jedoch mehrfach entscheidend erschüttert. So erregten
1989 antisemitische Stellungnahmen des damaligen Bandmitglieds Professor
Griff großes öffentliches Aufsehen. Erst nach langem
Zögern entschloß sich Chuck D in Folge des öffentlichen
Drucks Griff aus der Band auszuschließen. Weitaus weniger
Beachtung fanden sexistische Äußerungen, sowie die homophoben
Positionen des Gründungsmitglieds Flavor Flav, der AIDS als
Strafe Gottes für Schwule bezeichnete.
Der kommerzielle Durchbruch gelang der Band 1987 mit der weltweit
millionenfach verkauften LP It takes a nation of millions
to hold us back, die inhaltlich einen großen Einfluß
auf viele afro-amerikanische Jugendliche hatte. Die Aufnahmen sind
von harten Grundrhythmen geprägt, die ständig von Breakbeats
und Scratcheinlagen unterbrochen oder überspielt werden. Im
Vordergrund steht der Vortrag der zumeist sehr ausführlichen
und langen Texte. In einem Interview faßte Chuck D das Konzept
der LP, das gleichzeitig auch das Konzept der Band darstellt, in
einem Satz zusammen: Der Gedanke dieses Albums ist der, daß
wir selbst unsere eigene Kraft bilden.(8)
Neben Public Enemy gehört die Band Boogie Down Productions
um KRS One zu den wichtigsten politischen HipHop-Gruppen. KRS One
verbrachte wie viele Afro-AmerikanerInnen seiner Generation einen
wesentlichen Teil seines Lebens obdachlos in der New Yorker Bronx,
sowie in Heimen und Gefängnissen. Zusammen mit dem Bewährungshelfer
Scott La Rock, der ihn stark beeinflußte, veröffentlichte
er 1987 unter der Bezeichnung Boogie Down Production eine Gangsta-Rap-LP
mit kritischen Untertönen. Nachdem La Rock beim Versuch einen
Streit zu schlichten erschossen wurde, führte KRS One Boogie
Down Production im wesentlichen alleine fort und stellte zunehmend
politische Inhalte in den Vordergrund. Sein Konzept faßte
er programmatisch mit dem aus den Wörtern Education (Erziehung)
und Entertainment (Unterhaltung) gebildeten Begriff Edutainment
zusammen. Musikalisch arbeitete KRS One insbesondere auch mit Reggae-
und Raggamuffin-Elementen, wobei die oftmals minimalistisch
aufgebauten Stücke durch eingespielte Samples und Scratch-Passagen
untermalt wurden.
Im Zentrum der Veröffentlichungen von Boogie Down Production
steht das Ziel der Veränderung des Bewußtseins der HöhrerInnen
und dadurch langfristig die Veränderung der gesellschaftlichen
Bedingungen: Die Kids hören meine Musik, und die Politik
ist ein Bestandteil dieser Musik. Und so erfahren sie einen Teil
der Wahrheit, weil es der einzige Weg ist, die Wahrheit zu erfahren.
In der Schule lernen sie nur eins und eins gleich zwei, zwei und
zwei gleich vier... Einem Volk potentieller Malcolm Xs wird
nur soviel vermittelt, daß sie gerade durchkommen, ohne gefährlich
zu werden.(9) Mehrfach betonte KRS One, daß er alle
Mittel billigt, die zu einer gerechteren Gesellschaft führen.
In dem Text des Stückes Necessary, der sich wie
auch das Cover der LP By all means necessary auf Malcolm
X bezieht, heißt es dementsprechend: They know by all
means necessary that peace is the name of this game. Whether peace
by war or peace by peace, the reality of peace is scary but we must
get there one way or another. By all means necessary.
KRS One beteiligte sich maßgeblich an der Organisation verschiedener
Benefiz-Projekte. Zu den populärsten Projekten gehörte
die Stop the Violence-Kampagne, die sich insbesondere
gegen die Gewalt in den Ghettos richtete, und die H.E.A.L.-Kampagne
(Human Education Against Lies), die auf der Vorstellung eines gemeinsamen
und gleichberechtigten Lebens von Menschen verschiedener Kulturen
basiert und deshalb insbesondere das us-amerikanische Schulsystem
kritisiert, in dem historische Entwicklungen fast ausschließlich
aus einer weißen Sicht vermittelt wird. Die Gewinne aus den
damit verbundenen Musikveröffentlichungen, an denen sich verschiedene
MusikerInnen beteiligten, wurden unter anderem für die kostenlose
Verteilung von Büchern und Tonträgern eingesetzt, welche
die Ideen der Kampagnen beschrieben.
Die Rapperin Sister Souljah nimmt mit ihren radikalen Aussagen
als Frau in der HipHop-Szene eine Sonderstellung ein. In der Regel
kommen in den HipHop-Veröffentlichungen von Frauen, die vielfach
an der Popmusik orientiert sind, die Vorstellungen und Vorgaben
der männlichen Förderer und Produzenten zum Ausdruck.
Nur selten werden von den Musikerinnen eigenständige Positionen
vertreten. Wie bei vielen anderen Rapperinnen grenzt sich allerdings
auch Sister Souljah vom Feminismus ab. Grundsätzlich stellt
sie die rassistische Unterdrückung im Verhältnis zur geschlechtsspezifischen
in den Vordergrund, widerspricht dabei aber keineswegs der Erkenntnis
von der Unterdrückung der Frau, sondern kritisiert den Feminismus
als eine von weißen Frauen bestimmte Bewegung. Die von ihr
angestrebte Gesellschaftsform beruht nicht wie das europäische,
selbstorientierte System auf dem Gesetz des Stärkeren, sondern
auf der traditionellen afrikanischen Philosophie von Balance, Gleichheit
und Harmonie.(10) Ihre Aussagen zur gegenwärtigen Situation
sind vom Haß auf die weiße Bevölkerung als Träger
einer Generationen überdauernden Unterdrückung und Ausbeutung
der Afro-AmerikanerInnen geprägt. Wenn du schwarz bist,
kämpfst du von dem Tag, an dem du dir bewußt wird, daß du schwarz bist, bis zu dem Tag, an dem du stirbst.
Charakteristisch für die Aussagen von Sister Souljah ist die
Einleitung des Stückes The final solution; Slaverys
back in effect, in der sie auch indirekt ihre Ablehnung sexueller
Beziehungen zwischen weißen und schwarzen Menschen begründet:
If your white grand-grand-grandfather killed my grand-grand-grandfather
and your white grand-grandfather sold my grand-grandfather and your
white grandfather raped my grandmother and your father stoled, lied
and robbed my father, what kind of a fool do I have to be to say
come my friend to the white doughter and son?
Auch die Beatnigs benutzten ihre Musik als Mittel um gesellschaftspolitische
Positionen zu vermitteln und letztlich Bewußtsein zu verändern.
In ihren Stücken beschrieb die Band den manipulierenden Einfluß
des Fernsehens, betonte die Bedeutung von Malcolm X, und forderte
die HörerInnen auf, sich mit der eigenen Persönlichkeit
auseinanderzusetzen und zu versuchen, sich weiterzuentwickeln. Der
Name der Gruppe nahm Bezug auf Nigger, dem während
der Zeit der Sklaverei geprägten Schimpfwort für die Afro-AmerikanerInnen.
Der Begriff Nigs wurde dabei in einem sehr umfassenden
Sinne als positives Gegenstück zu Nigger benutzt
und auf unterschiedliche unterdrückte Randgruppen wie zum Beispiel
auf Lesben und Schwule, auf Obdachlose und Behinderte oder eben
auf die Afro-AmerikanerInnen bezogen. Die Beatnigs gingen dabei
von der Erkenntnis aus, daß in einer Zeit, in der die Manipulation
von Bedürfnissen und Bewußtsein totalitäre Züge
angenommen hat, einzelne unterdrückte Randgruppen im lokalen
wie im globalen Maßstab zu einem der letzten Ausgangspunkte
des Widerstandes geworden sind. Sie spüren den repressiven
Charakter des Systems am deutlichsten, während der Großteil
der Bevölkerung in den westlichen Staaten subjektiv in das
System integriert ist.
Im Gegensatz zu den meisten anderen nur aus Männer bestehenden
HipHop-Bands kritisierten die Beatnigs insbesondere auch den herrschenden
Sexismus: Wir sind mit sexistischen Einstellungen groß
geworden, lange bevor wir fähig waren, uns selbst in Frage
zu stellen. Aber jeder von uns muß daran arbeiten und immer
wieder sich selbst hinterfragen, um diese Einstellungen zu überwinden.
Insbesondere müssen wir die für Amerika so typische Macho-Haltung
überwinden, die sich in der Außenpolitik genauso wie
in den Beziehungen in der Familie zeigt.(11)
Aus den Beatnigs, deren stilistisch übergreifende Stücke
HipHop-, Industrial- und Rock-Einflüsse verbanden, gingen die
Disposable Heroes of Hiphoprisy hervor, die sich musikalisch fast
ausschließlich auf den HipHop-Bereich beschränkten. Inhaltlich
knüpfte die Band wie auch die anderen politischen HipHop-Gruppen
an die Tradition der Last Poets an und verband wie diese radikale
politische Inhalte mit einer betont rhythmischen Musik. Die von
den Last Poets am Anfang der siebziger Jahre formulierte Hoffnung,
daß im Rahmen eines revolutionären Wandels Pistolen und
Gewehre die Stelle von Gedichten und Essays einnehmen werden, erfüllte
sich nicht. Jedoch wurde die afro-amerikanische Musik immer dann,
wenn sie inhaltlich eine konsequente revolutionäre Position
vermittelte und sich nicht auf eine egozentrische Wiedergabe der
Realität in den Ghettos beschränkte, selbst zu einer Waffe
im Kampf um ein neues Bewußtsein auf der Basis von innerer
und äußerer Veränderung.
(1998)
Anmerkungen:
1) Programm der Black Panther Party. (1966). In: Amendt, Gerhard
(Hrsg.) / Black Power - Dokumente und Analysen. (Suhrkamp). Frankfurt
am Main, 1971.
2) Aus einem Gespräch des Autors mit Kool DJ Herc am 25.5.1994
in Frankfurt am Main.
3) Afrika Bambaataa zitiert in: Toop, David / Rap Attack. (Hannibal).
St. Andrä-Wördern, 1992.
4) Wonder Mike zitiert in: Ossi, Rappneck und Moondust, Ziggie /
HipHop. (Bastei). Gladbach, 1984.
5) Melle Mel zitiert in: Ossi / HipHop. (Siehe 4).
6) Malcolm X / At the Audubon. (1964). In: Malcolm X / Malcolm X
speaks. (Grove). New York, 1965.
7) Aus einem Interview mit Chuck D in: Chiesa, Guido / HipHop -
potere alla parola. (Nuovi Equilibri). Viterbo (Italien), ohne Jahresangabe.
8) Chuck D zitiert in: Dufresne, David / Yo! Rap Revolution. (Verlag
Michael Schwinn). Neustadt, 1992.
9) Aus einem Interview mit KRS One in: Spex Nr. 7/88. Köln,
1988.
10) Aus einem Interview mit Sister Souljah in: Bad Nr. 6/92. Bonn,
1992.
11) Aus einem Gespräch des Autors mit Michael Franti (Beatnigs)
am 10.12.1988 in Frankfurt am Main.
Aus dem Buch:
Wolfgang Sterneck:
Der Kampf um die Träume - Musik und Gesellschaft. (1998).
contact@sterneck.net
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