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Stelarc:
FRAKTALES FLEISCH
In meinen früheren Aktionen trat der Körper mit Technologie
auf, die an ihm angebracht war (die Dritte Hand: betätigt durch
EMG-Signale), die in ihn eingeführt wurde (die Magen-Skulptur:
ein leuchtender, Geräusche erzeugender, sich öffnender
und schliessender, sich ausweitender und zusammenziehender Mechanismus
der in der Bauchhöhle tätig ist), die an das Netz angeschlossen
war (der Körper wird von Personen an anderen Orten betreten
und ferngesteuert aktiviert).
Der Körper wurde vergrößert, infiltriert und wird
nun ein Wirt - nicht nur für Technologie, sondern auch für
entfernte Akteure. Genauso wie das Internet umfangreiche und interaktive
Wege bietet, um Information und Bilder zu verteilen, zu verknüpfen
und zu erhalten, könnte es nun unerwartete Möglichkeiten
eröffnen, um in den Körper einzudringen, ihn anzuschließen
und zu laden.
Das Internet ist keineswegs nur ein Werkzeug zur Befriedigung altmodischer
metaphysischer Begierden der Entkörperlichung. Im Gegenteil
dazu bietet es ausdrucksvolle individuelle und kollektive Strategien
zur Projektion körperlicher Präsenz und zur Entwicklung
körperlicher Bewußtheit. Das Internet treibt nicht das
Verschwinden des Körpers und die Auflösung des Selbst
voran - es bringt vielmehr neue kollektive physische Verbindungen
und eine telematische Bewertung der Subjektivität hervor. Die
Authenzität eines solchen Körpers ist dabei nicht von
seiner Individualität abhängig, sondern eher von der Vielfältigkeit
kooperierender Akteure. Was wichtig wird, ist nicht die Individualität
des Körpers, sondern seine Anschlußmöglichkeiten
- nicht seine Beweglichkeit und Lokalisation, sondern seine Schnittstelle...
DIE ÜBERWINDUNG DER OBERFLÄCHE
Als Oberfläche war Haut einst der Anfang der Welt und simultan
dazu die Begrenzung des Selbst. Aber jetzt, gedehnt, durchlöchert
und penetriert von Technologie, ist die Haut nicht mehr die weiche
und empfindsame Oberfläche einer Stelle oder einer Fläche.
Haut bedeutet nicht länger Geschlossenheit. Das Brechen von
Oberfläche und Haut bedeutet die Aufhebung von Innen und Außen.
Ein Kunstwerk wurde in den Körper eingeführt. Die Magen-Skulptur
wurde 40cm weit in meine Magenhöhle eingeführt. Nicht
als prothesenhaftes Implantat, sondern als eine ästhetische
Erweiterung. Der Körper wird als hohl erfahren, mit keiner
nennenswerten Unterscheidung zwischen öffentlichem, privatem
und physiologischem Raum. Der hohle Körper wird zum Wirt, nicht
für ein Selbst, sondern einfach für eine Skulptur.
Als Schnittstelle ist die Haut veraltet. Die Bedeutung von Cyber
kann durchaus im Akt des Abwerfens der Haut durch den Körper
liegen. Das Kleiden des Körpers mit Membranen, eingebettet
in ein alternatives Sensorium mit Input- und Output-Apparaturen
erschafft die Möglichkeit intimerer, weiter entwickelter Interaktivität.
Subjektiv erlebt sich der Körper mehr als ausgedehntes System,
denn als eine geschlossene Struktur. Das Selbst wird neu definiert.
Teilweise liegt es an dieser Ausweitung, daß der Körper
leer wird. Diese Leere wurzelt jedoch nicht in einem Mangel, sondern
in der Ausweitung und Ausdehnung seiner Fähigkeiten, in seinen
neuen sensorischen Antennen und in seiner im zunehmendem Maße
ferngesteuerten Funktion...
FRAKTALES FLEISCH
Erwäge einen Körper, der seine Bewußtheit und sein
Handeln in andere Körper und Körperteile an anderen Orten
ausdehnt. Eine handlungsfähige Einheit die räumlich verteilt,
aber elektronisch verbunden ist. Eine Bewegung die Du in Melbourne
initiierst, würde räumlich verschoben und manifestierte
sich in einem anderen Körper in Rotterdam. Eine gleitende,
sich verschiebende Bewußtheit, die weder ganz hier
in diesem Körper, noch ganz dort in anderen Körpern
ist. Es geht nicht um einen fragmentierten Körper, sondern
eine Vielfalt an Körpern und Körperteilen, die sich gegenseitig
zu Handlungen veranlassen und ferngesteuert führen. Es geht
nicht um Herren-Sklaven-Kontrollmechanismen, sondern um Rückkopplungsschleifen
veränderter Bewußtheit, Handlungsfähigkeit und um
geteilte Physiologie.
Stelle Dir vor, eine Seite deines Körpers würde ferngesteuert,
während die andere Hälfte nach lokalen Anweisungen handeln
könnte. Du siehst deinen Körper sich bewegen, aber weder
hast Du es initiiert, noch kontaktierst Du deine Muskeln um die
Bewegung zu erzeugen. Stelle dir die Konsequenzen und Vorteile vor,
die es mit sich bringen würde, ein geteilter Körper zu
sein, der elektronische Signale aussendet, um andere Körper
zu steuern, und Signale empfängt, die durch das Verhalten eines
entfernten Körpers erzeugt werden. Ein neuer komplexerer Körper
- nicht einfach der Körper eines einzelnen Akteurs, sondern
ein Wirt für eine Vielfalt an entfernten und fremden Akteuren
unterschiedlichster Physiologien und Standpunkte. Stell Dir eine
Handlung vor, die von einem Körper an einem Ort begonnen und
von einem anderen Körper an einem anderen Ort beendet würde.
Oder die Übermittlung und Konditionierung einer Fähigkeit.
Der Körper nicht als ein Ort für Prägungen, sondern
als Medium der Manifestation entfernter Handelnder...
Eine Möglichkeit dies umzusetzen ist das Touch-Screen-Muskelstimulationssystem
(Stimbod). Es wurde dadurch eine Methode entwickelt, die es ermöglicht
Körperbewegungen zu programmieren, indem die Muskelbereiche
an einem Computermodell berührt werden. Die Bewegungssequenz
kann durch eine Loop-Funktion fortlaufend wiederholt werden. Es
ist gleichermaßen möglich durch Druckbefehle Bewegungen
zu choreographieren wie auch Bewegungssequenzen aus einer Bibliothek
von Gesten aneinander zu fügen. Vor der Übermittlung der
Signale ermöglicht das System die Stimulation der programmierten
Bewegung zur Analyse und Bewertung. Auf einer tieferen Ebene der
Stimulation ist es ein System, um einen Körper zu etwas zu
veranlassen, auf einer höheren Stimulationsebene ist es ein
System, um einen Körper zu betätigen. Es geht hierbei
nicht um die Fernsteuerung des Körpers, sondern vielmehr um
das Konstruieren von Körpern mit geteilter Physiologie, die
von einer Vielfalt an Akteuren gesteuert werden. War es Wittgenstein
der fragte, was übrig bliebe, wenn wir durch das Heben des
Arms die Intention den Arm zu heben, entfernen könnten?
In unseren platonischen, cartesianischen und freudschen Vergangenheiten
mag dies als pathologisch angesehen worden sein und in unserer focaultschen
Gegenwart konzentrieren wir uns auf Prägung und Kontrolle des
Körpers. Muß jedoch ein Körper kontinuierlich seinen
emotionalen, sozialen und biologischen Status Quo bestätigen?
In den Bereichen der Cyber-Komplexität könnte die Unzulänglichkeit
und Überholtheit des egogesteuerten, biologischen Körpers
nicht offensichtlicher sein. Ein Übergang vom Psycho-Körper
zu Cyber-Systemen wird notwendig, um in entfernten räumen,
beschleunigten Situationen und komplexen technologischen Bereichen
effektiv und intuitiv zu funktionieren.
Während eines Seminars über Sexualität und Medizin
in Melbourne fragte mich Sandy Stone nach den cybersexuellen Implikationen
des Stimbod-Systems. Ohne vorher darüber nachgedacht zu haben,
versuchte ich zu erläutern, wie es sein würde. Wenn ich
in Melbourne wäre und Sandy in New York, würde eine Berührung
meiner Brust Sandy dazu veranlassen, ihren Busen zu streicheln.
Jemand der sie dort beobachtete, würde es als einen Akt der
Selbstbefriedigung sehen, als einen masturbatorischen Akt. Trotzdem
würde sie wissen das ihre Hand aus der Ferne gesteuert würde!
Kräfte-Feedbacks empfangend, würde ich meine Berührung
durch eine andere Person an einem anderen Ort als sekundäre
und zusätzliche Empfindung erfahren. Durch das Berühren
meines Brustkorbs kann ich ebenso ihre Brust fühlen. Eine Intimität
über Schnittstelle, eine Intimität ohne Nähe.
Bedenke, daß das Stimbod nicht bloß die Empfindung einer
Berührung, sondern ein Betätigungssystem ist. Kann ein
Körper mit Erfahrungen extremer Abwesenheit und fremder Handlung
zurechtkommen, ohne von altmodischen metaphysischen Ängsten
und Besessenheiten von Individualität und Handlungsfreiheit
überwältigt zu werden? Für ein Stimbod würde
es also notwendig sein, Wirklichsein weder als vollständig-präsent-in-diesem-Körper,
noch als vollständig-präsent-in-jenem-Körper zu erfahren,
sondern als teilweise Hier und teilweise Dort. Ein einsatzfähiges
System von räumlich verteilten aber elektronisch gekoppelten
Klustern von Körpern, in hin und her fließendem Bewußtsein,
erweitert und verändert durch eine Fremdsteuerung...
OPERATIVES INTERNET
Für die Telepolis 1995 war es Personen im Pompidure
Center (Paris), im Media Lab (Helsinki) und auf
der Doors of Perception-Konferenz (Amsterdam) möglich,
aus der Ferne in einen Körper in Luxemburg einzudringen und
ihn zu betätigen, indem sie ein Touch-Screen-Schnittstellen-Muskelstimulationssystem
benutzten. ISDN-Picturel-Links erlaubten es dem Körper das
Gesicht jener Person zu sehen, die ihn gerade bewegte, während
die Programmierenden ihre ferngesteuerte Choreographie beobachten
konnten.
Eine durch das Internet betriebene und aus ihm geladene Performance
ist Ping Body, die für Digital Aesthetics in Sydney
und auch 1996 für d.e.a.f. in Rotterdam realisiert
wurde. Der Körper wird dabei nicht von anderen Körpern
an anderen Plätzen zu Handlungen veranlaßt, sondern die
Internet-Aktivität selbst choreographiert und komponiert die
Performance. Zufällige von über 30 globalen Internet-Domains
erzeugte Werte zwischen 0 bis 2000 Millisekunden wurden auf Bizeps,
Beugemuskeln, Kniesehnen und Wadenmuskel übertragen. Signale
von 0 bis 60 Volt erzeugen unfreiwillige Bewegungen, wobei die Bewegungen
des Körpers mit einem Midi-Interface verstärkt werden,
welches Position, Entfernung und Beugung der Körperglieder
mißt.
Aktiviert durch Internet-Daten wird der Körper als Info und
Image auf eine Website geladen um woanders von anderen Leuten gesehen
zu werden. Der Körper wird telematisch durch die reflektierenden
Signale eines übersteigerten räumlichen und elektrischen
Systems maßstabsgetreu erweitert, stimuliert und gedehnt.
Die übliche Beziehung zum Internet ist umgekehrt - an Stelle
der Konstruktion des Internet durch den Input von Menschen konstruiert
hier das Internet die Aktivitäten eines Körpers. Der Körper
wird zum Nexus für Internet-Aktivität - seine Aktivität
ein statistischer Konstrukt von Computer-Netzwerken...
Früher war die Verbindung und Kommunikation mit anderen Menschen
über das Internet auf die Oberfläche beschränkt,
mit einer akuten Abwesenheit von physikalischer Präsenz. Dies
war nicht die Erfahrung von authentisch gewachsener Abwesenheit,
die in einen effektiv handelnden Körper in der wirklichen Welt
resultiert - Abwesenheit des Körpers im Internet ist eine Abwesenheit
von Unzulänglichkeit, einer Unzulänglichkeit sich angeeigneter
Feedback-Schleifen. Wenn wir mehr hochqualitative Bild-, Sound-,
Kräfte-Feedback-Empfindungen zwischen den Körpern schalten,
dann beginnen wir neue ausdrucksvolle Präsenzen zu erschaffen.
Durch die Übertragung der Empfindungen des entfernten Körpers
auf deine Haut und deine Nervenenden, wird die bisher gegebene psychologische
und räumliche Distanz zwischen den Körpern im Netz überwunden.
Das Internet ist nicht mehr nur ein Werkzeug zur Übermittlung
von Informationen, sondern ein Umwandlungsmodus, der auf die physikalische
Aktion zwischen Körpern einwirkt. Elektronischer Raum in diesem
Sinne eher als ein Bereich der Aktion denn der Information. Stell
dir einen Körper vor, der bewußt und offen ist, in den
eingedrungen wurde, der vergrößert und mit erweiterten
Handlungsmöglichkeiten ausgestattet wurde. Stell dir einen
Körper vor, dessen Bewußtheit ausgeweitet durch Ersatzroboter
in Situationen ausgeweitet wird, die sonst nie ein Körper erfahren
könnte. Diese Maschinen würden die Handlungsmöglichkeiten
multiplizieren und die Subtilität, Geschwindigkeit und Komplexität
menschlicher Aktivität steigern. Vielleicht geht es bei der
Beantwortung der Frage, was es bedeutet Mensch zu sein, gerade darum
unsere Menschhaftigkeit zu überwinden...
- Auszug aus dem Vortag Parasite Visions. (Übersetzung:
NormaN). -
Stelarc
Warum sollten unsere Körper an der Haut enden ... - Stelarc -
Thanks to Stelarc und Norman.
Aus: Wolfgang Sterneck (Hg.) / Cybertribe-Visionen.
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