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Wolfgang Sterneck
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Lawrence Lessig:

WIEDERERLANGEN EINER FREIEN KULTUR – EINE IDEE


- Creative Commons -

Creative Commons ist eine in Massachusetts gegründete gemeinnützige Gesellschaft, die allerdings von der Universität Stanford in Kalifornien aus operiert. Ihr Ziel ist es, eine Schicht des vernünftigen Urheberrechts auf die Extreme zu setzen, die derzeit vorherrschen. Sie tut dies, indem sie es Leuten leicht macht, auf der Arbeit anderer aufzubauen – indem sie es Schöpfern einfach macht, die Freiheit zum Ausdruck zu bringen, mit der andere ihre Arbeit nehmen und weiterentwickeln können. Möglich wird dies durch einfache Markierungen an den Werken, die mit menschenlesbaren Beschreibungen und juristisch wasserdichten Lizenzbestimmungen verknüpft sind.

Einfach – das bedeutet: ohne Mittelsmänner, ohne Anwälte. Durch Entwicklung eines Systems von Lizenzen, die Leute ihren Inhalten zuordnen können, versucht Creative Commons einen Bereich von Inhalten auszuzeichnen, auf den sich einfach und verlässlich aufbauen lässt. Diese Markierungen werden dann mit maschinenlesbaren Versionen der Lizenz verknüpft, die es Computern erlauben, automatisch Inhalte zu erkennen, die leicht weitergegeben werden können. Aus diesen drei Teilen — Lizenzbestimmungen, menschenlesbare Beschreibung, maschinenlesbare Markierungen — setzt sich eine Creative-Commons-Lizenz zusammen. Eine Creative-Commons-Lizenz bedeutet eine Gewährung von Freiheit an jeden, der die Lizenz in Anspruch nimmt, und, noch wichtiger, diese Person drückt damit aus, dass sie an etwas anderes als die Extreme „Alles“ oder „Nichts“ glaubt. Wenn Inhalte mit dem CC-Zeichen markiert sind, bedeutet dies nicht, dass das Urheberrecht aufgegeben wird, sondern dass bestimmte Freiheiten gewährt werden.

Diese Freiheiten gehen über die üblichen für faire Nutzung gewährten Freiheiten hinaus. Ihr genauer Umfang hängt von Entscheidungen ab, die der Urheber trifft. Der Urheber kann eine Lizenz wählen, die jede beliebige Nutzung erlaubt, solange er als Autor erwähnt wird. Er kann eine Lizenz wählen, die nur nichtkommerzielle Nutzung erlaubt. Er kann eine Lizenz wählen, die jede beliebige Nutzung erlaubt, solange die gleichen Rechte anderen weitergegeben werden („share and share alike“). Oder jede Nutzung, solange kein abgeleitetes Werk geschaffen wird. Oder jede beliebige Nutzung in Entwicklungsländern. Oder jede ausschnittsweise Nutzung, solange keine vollständigen Kopien erstellt werden. Oder schließlich jede Nutzung für Bildungszwecke.

Diese Optionen etablieren eine Reihe von Freiheiten, die über die Vorgaben des Urheberrechts hinausgehen. Sie ermöglichen auch Freiheiten, die über die traditionelle faire Nutzung hinausgehen. Und vor allem drücken sie diese Freiheit in einer Weise aus, auf die nachfolgende Nutzer bauen und sich verlassen können, ohne einen Anwalt beschäftigen zu müssen. Somit zielt Creative Commons darauf, eine Schicht von Inhalten, beherrscht von einer Schicht vernünftiger Urheberrechtsregeln, zu etablieren, so dass andere darauf aufbauen können. Die bewusste Entscheidung von Individuen und Schöpfern wird diese Inhalte bereitstellen. Und diese Inhalte werden uns ermöglichen, einen Gemeinbesitz von Informationsgütern wiederzuerlangen.

Dies ist nur eines von vielen Projekten innerhalb von Creative Commons. Und natürlich ist Creative Commons nicht die einzige Organisation, die sich für solche Freiheiten einsetzt. Was Creative Commons allerdings von vielen unterscheidet ist, dass wir nicht nur über einen Gemeinbesitz reden oder Gesetzgeber zu überreden versuchen, ihn aufzubauen. Unser Ziel ist es, eine Bewegung von Inhaltskonsumenten und -produzenten („Inhaltsförderern“, wie die Staatsanwältin Mia Garlick sie nennt) zu schaffen, die helfen, den Gemeinbesitz aufzubauen, und die durch ihre Arbeit die Bedeutung des Gemeinbesitzes für die Kreativität demonstrieren.

Ziel ist nicht der Kampf gegen die Anhänger des Prinzips „Alle Rechte vorbehalten“. Es geht darum, es zu ergänzen. Die Probleme, die das Gesetz uns als Kultur bereitet, sind unsinnige und unvorhergesehene Folgen jahrhundertealter Gesetze, wie sie bei deren Anwendung auf eine Technik entstehen, die niemand außer vielleicht Jefferson sich damals hätte vorstellen können. Die Regeln ergaben vor dem Hintergrund der Technik von damals vielleicht Sinn, aber sie ergeben im digitalen Zeitalter keinen Sinn. Neue Regeln – mit anderen Freiheiten, die sich von Menschen ohne juristische Vermittlung nutzen lassen – tun Not. Creative Commons gibt Menschen eine Möglichkeit, diese Regeln wirksam zu etablieren.

Warum sollten Schöpfer freiwillig daran mitwirken, totale Kontrolle aufzugeben? Manche wirken mit, um ihre Inhalte besser zu verbreiten. Cory Doctorow ist zum Beispiel Science-Fiction-Autor. Sein erster Roman Down and Out in the Magic Kingdom war am Tag des Verkaufsbeginns in Buchläden zugleich im Netz unter einer Creative-Commons-Lizenz frei verfügbar.

Warum sollte ein Verleger sich jemals auf so etwas einlassen? Ich vermute, dass der Verleger etwa folgendermaßen rechnete: Es gibt zweierlei Leute da draußen: (1) diejenigen, die Corys Buch in jedem Falle kaufen, egal ob es im Netz erhältlich ist oder nicht, (2) diejenigen, die von Corys Buch nie etwas hören werden, wenn es nicht im Netz frei verfügbar gemacht wird. Ein Teil von (1) wird Corys Buch herunterladen, statt es zu kaufen. Nennen wir sie die schlechten (1)er. Ein Teil von (2) wird Corys Buch runterladen, mögen und dann kaufen. Nennen wir sie die guten (2)er. Wenn es mehr gute (2)er als schlechte (1)er gibt, führt die Strategie, Corys Buch online verfügbar zu machen, wahrscheinlich zu einem Anstieg im Verkauf des Buches.

In der Tat spricht die Erfahrung von Corys Herausgeber für dieses Kalkül. Die erste Auflage des Buches war mehrere Monate früher als erwartet ausverkauft. Dieser erste Roman eines Science-Fiction-Autors wurde ein voller Erfolg.

Die Idee, dass freie Inhalte den Wert von nichtfreien steigern könnten, wurde durch die Erfahrung eines weiteren Autors bestätigt. Peter Wayner, der ein Buch über die Freie-Software-Bewegung mit dem Titel Free for All geschrieben hat, stellte eine elektronische Version seines Buches im Netz frei zur Verfügung, als das Buch nicht mehr gedruckt wurde. Daraufhin überwachte er die Preise für das Buch in Antiquariaten. Wie vorhergesagt, stieg mit der Zahl der Downloads seines Buches auch der Preis der gebrauchten Bücher.

Hierbei handelt es sich um Beispiele dafür, wie man die Allmende nutzen kann, um proprietäre Inhalte besser zu verbreiten. Ich halte das für einen wunderbaren und allgemein gültigen Grund zur Nutzung der Allmende. Es gibt aber auch andere gute Gründe. Manche, die sich für die „Sampling-Lizenz“ entscheiden, tun dies, weil alles andere Heuchelei wäre. Die Sampling-Lizenz erlaubt es, für kommerzielle oder nichtkommerzielle Zwecke Teile aus dem Werk weiterzuverwenden. Es bleibt lediglich verboten, das Werk als Ganzes Dritten zur Verfügung zu stellen. Dies entspricht der eigenen Kunstpraxis dieser Urheber: auch sie selbst betreiben Sampling von anderen. Weil die juristischen Kosten des Sampling so hoch sind (Walter Leaphart, Manager der Rap-Gruppe Public Enemy, die mit der Bearbeitung fremder Musikfragmente groß wurde, hat bekannt gegeben, dass er Public Enemy das Sampling nicht mehr erlaube, da die juristischen Kosten zu hoch seienHYPERLINK "https://www.opensourcepress.de/freie_kultur/lessig-web240.html#fn18x17"18 ), veröffentlichen diese Künstler Inhalte in eine schöpferische Umwelt, auf die andere so aufbauen können, dass deren Form der Kreativität wächst.

Schließlich gibt es viele, die ihre Inhalte einfach deshalb mit einer Creative-Commons-Lizenz versehen haben, weil sie andere darauf hinweisen wollten, wie wichtig das Gleichgewicht in dieser Debatte ist. Wenn Sie einfach mit dem System mitlaufen, dann drücken Sie damit letztlich Ihr Einverständnis mit der vorherrschenden Regel „Alle Rechte vorbehalten“ aus. Gut für Sie, aber viele sehen das anders. Viele glauben, dass, so gut diese Regel auch für Hollywood & Co. sein mag, sie nicht beschreibt, wie die meisten Schöpfer die mit ihren Inhalten verbundenen Rechte sehen. Die Creative-Commons-Lizenz drückt diese Sicht mit den Worten „Manche Rechte vorbehalten“ („Some Rights Reserved“) aus und macht es einfach, diese Sicht anderen mitzuteilen.

In den ersten sechs Monaten des Creative-Commons-Experiments wurden eine Million Werke unter diese Lizenzen einer freien Kultur gestellt. Der nächste Schritt besteht darin, es durch Zusammenarbeit mit Softwareanbietern den Anwendern leichter zu machen, ihre Werke mit den Freiheiten von Creative Commons auszustatten. Im darauf folgenden Schritt werden wir dann beobachten, was passiert, und diejenigen Schöpfer feiern, die Inhalte auf der Grundlage befreiter Inhalte bauen.

Dies sind die ersten Schritte zur Wiedererlangung eines Gemeinbesitzes. Es sind nicht bloße Argumente, sondern Handlungen. Der Aufbau eines Gemeinbesitzes ist der erste Schritt, um Menschen zu zeigen, wie wichtig dieser Bereich für Kreativität und Innovation ist. Creative Commons beruht auf freiwilligen Schritten, diesen Wiederaufbau zu erreichen. Sie werden zu einer Welt führen, in der mehr möglich ist als nur freiwillige Schritte.

Creative Commons ist nur ein Beispiel für freiwillige Bemühungen von Individuen und Schöpfern, den Rechte-Mix zu ändern, der derzeit den Bereich des Schaffens beherrschen. Das Projekt steht nicht im Wettbewerb zum Urheberrecht, sondern ergänzt es. Es soll nicht die Rechte der Urheber verdrängen, sondern es den Urhebern erleichtern, ihre Rechte in einer flexibleren und günstigeren Weise wahrzunehmen. Dieser Unterschied, so glauben wir, wird die Verbreitung der Kreativität erleichtern.


Auszug aus:
Lawrence Lessig: Freie Kultur - Wesen und Zukunft der Kreativität
(Aus dem Englischen übersetzt von Annegret Claushues und Hartmut Pilch).
Quelle: opensourcepress.de

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial 2.0 License. 
Creative Commons: creativecommons.org



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