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Wolfgang Sterneck
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Wolfgang Neuhaus:

AM NULLPUNKT DER POSTHUMANITÄT
- Cyberpunk-Fragmente -

"These days it all changes ...
Nothing stable, nothing static.
Nothing to stand on or to cling to ...
No maps for these territories ,
though they are of our own creation ...
No myths for these countries of the mind
(...) Accelerating constantly ,
toward some null point of post - humanity"
William Gibson(1)

0. Intro

Wenn man sich die bundesdeutsche Cyberpunk (CP) - Diskussion (2) anschaut, wird man ein Gefühl von Provinzialität nicht los. In der Bundesrepublik erschienen erste Einführungstexte zu einem Zeitpunkt, als die Bewegung "offiziell" schon wieder vorbei war (3). Einige Schlagworte, mit denen der CP belegt wurde, sind bekannt: "Mode", "Zeitgeist", "Science Fiction (SF) der Postmoderne". CP habe nur "Oberflächensensibilität", zeichne sich durch "temporeichen Stil" aus. Die "ideale Unterhaltungslektüre"für jeden Computerfreak usw.(4)

Nun, die Gemütlichkeit der Rezeption ist vorbei: die Zeiten werden unübersichtlicher, konfuser, schneller, und wer SF als Spiegel gesellschaftlicher Zustände ernst nehmen will, kommt um neue Anstrengungen der Analyse nicht herum(5). Ich will nicht versuchen, ein Phänomen wie CP umfassend darzustellen, sondern einige Mosaiksteine liefern 6, aus denen sich ein facettenreiches Bilddes ganzen kulturellen Spannungsfeldes ergibt, das der CP (als "multimediale" Angelegenheit) meiner Meinung nach thematisch berührt und mitgeprägt hat, wie verschiedene Tendenzen erfaßt, "vor-konstruiert" werden, die heute deutlich absehbar sind und beginnen, ihren Einfluß auf das gesellschaftliche Leben zu entfalten:die neue globale Situation des Spätkapitalismus (verbunden mit der raschen Entwicklung neuer Medien und ihren kulturellen Effekten), das Eindringen der Technologie in den Körper (was ein neues Nachdenken über Subjektivität und das "Menschliche" notwendig macht) und die "(Wieder)Geburt" der Künstlichen Intelligenz (KI)(die, wenn sie gelingt, eine relevante Begleitung post - humaner Erkenntnisproduktion seinund vielleicht eine eigene Evolution in Gang setzen kann) (7).

1. Cyberspace und die Globalisierung des Spätkapitalismus

Daß ca. 35000 transnationale Konzerne weltweit die ökonomischen Beziehungenbestimmen, hat schon zu der Vermutung geführt, ob Aliens, wenn sie auf diesen Planeten kämen, nicht Konzerne für die herrschende intelligente Lebensform halten würden. Es läßt sich ergänzen, daß die Aliens schnell erkennen würden, daß diese nicht alles unter Kontrolle hat: ihre Zentralen liegen in relativ ruhigen Zonen hauptsächlich auf der Nordhalbkugel, während in anderen GebietenPhänomene von massiver Zerstörung und Elend zu beobachten sind. Und sie wären erstaunt, wie ungebremst sich die Lebensform vermehrt, obwohl sie, als ungewolltes Ergebnis ihres blinden Treibens, die Grundlagen ihrer eigenen Existenz gefährdet ...

Club of Rome: "Insgesamt wird die Menschheit heute, kurz vor der Jahrtausendwende, von der Größenordnung der Probleme, die von allen Seiten auf sie einstürzen, buchstäblich überwältigt - das Wort ist keine Übertreibung. Die traditionellen Strukturen, Regierungen und Institutionen haben die Probleme in ihrer gegenwärtigen Größenordnung nicht mehr im Griff. Zu allem Überfluß kommt zu archaischen und ungeeigneten Strukturen eine tiefe moralische Krise. Die Auflösung von Wertsystemen, die Infragestellung der Tradition, der Zusammenbruch von Ideologien, das Fehlen einer globalen Vision und die Grenzen der Demokratie in ihrer gegenwärtigen Gestalt verstärken die Leere, mit der sich Gesellschaften und Individuen konfrontiert sehen. Die Menschen fühlen sich den Problemen hilflos ausgeliefert, gelähmt durch die Bedrohung durch bisher unbekannte Gefahren einerseits und durch die Unfähigkeit, rechtzeitig auf komplexe Probleme zu reagieren und das Übel an der Wurzel zu packen, statt sich nur mit den Folgen zu befassen, andererseits." (8)

Der "Rhythmus einer neuen Ära", der sich im CP ausdrückt. Man bekommt den Eindruck, daß die Metropolen eine Art Spielwiese darstellen,die von einem "stürmischen Meer" umgeben ist. Die Freizügigkeit der Metropolen ist unbestreitbar, was Konventionen, Werte betrifft; auf der Basis eines relativ hohen Grundreichtums gibt es (noch) für den größten Teil der Bevölkerung eine hohe Mobilität, viele Konsummöglichkeiten, eine Überversorgung mit Unterhaltung. Verschiedene Lebenskulturen sind parallel in der Gesellschaft entstanden; die kapitalistischen Industriestaaten sind zum Experimentierfeld stilistischer und diskursiver Unterschiedlichkeit geworden, ohne Normierung (teils positiv), aber auch ohne Utopie. Es hat sich ein kulturelles "Kontinuum" gebildet, in dem die gesellschaftlichen Gegensätze (diskursiv) nivelliert werden und in dem die Lösung für Probleme sehr metropolen - zentriert abgebildet werden. Ein Selbstbedienungsladen der Ideologien. Die Vielfalt der symbolischen (sub)kulturellen Codes ist auch als Reaktion auf die wachsende technische Ausstattung verschiedener Lebensbereiche zu sehen. Die Technik wird zum neuen "Medium" kultureller Differenzierung.

"Ihre Mutter hat einen Job, aber Kelsey weiß nicht, was sie arbeitet. Irgend etwas wie Fernsehen mit Zahlen machen. Wenn die Mutter von der Firma spricht, stellt sich Kelsey ein riesiges Tier vor. Die Mutter lacht, sagt, das sei so falsch nicht. Sagt, die Firma habe Büros in allen großen Städten, gehöre aber nirgendwo hin; nicht nach LA, nicht nach Moskau oder Singapur. Sagt, daß heutzutage Städte und Firmen zählen, nicht Länder." (9)

Ein Ergebnis dieser Ausdifferenzierung ist die Ungleichzeitigkeit der kulturellen Wahrnehmung von Prozessen. Die Elite der Techno - Kultur, die sich durch technisch strukturierte oder vermittelte Fähigkeiten auszeichnet, ist selbst nur eine Minderheit in der Ersten Welt.Läßt sich ein neues "Dispositiv der Macht" (Michel Foucault) beschreiben, in dem die neuen Eliten repräsentiert sind ? Wahrscheinlich ist das Ende alter Konzeptionen von Politik, danationale Perspektiven allein nicht mehr möglich sind, um die globalen Probleme in den Blick zu kriegen. Der polnische Futurologe und SF - Autor Stanislav Lem betont, daß der politische Propagandakampf auf eine Wirklichkeit abgestimmt ist, die im technologischen, materiellen Sinn nicht existiert. (10)

Allgemein läßt sich die Beschleunigung sozialer Prozesse beobachten. Lem formuliert als offenes Problem, daß unklar bleibt, wie man sich dem immer schneller werdenden kulturellen Wandel anpassen kann. Man muß erkennen, daß der Fortschritt widersprüchlicher, komplexer wird. Immer mehr Parameter und Variablen der materiellen Umwelt sind von menschlichen Handlungen beeinflußbar, und es können Situationen entstehen, die nicht mehr korrigiert werden können. Zugleich erfolgt eine immer weitere Verbreitung von technischen Objekten - es entsteht eine komplexere Umgebung mit Steuerungsmechanismen von Vorgängen, die zum Teil außerhalb menschlicher Zugriffsmöglichkeit liegen.

"Der Sararimann war Japaner gewesen, aber die Leute in Ninsei waren Gaijin. Gruppen von Matrosen vom Hafen drüben, einzelne Touristen, die verbissen Vergnügungen nachjagten, die in keinem Reiseführer verzeichnet waren, schwere Jungs vom Sprawl, die mit Transplantaten und Implantaten protzten, und ein Dutzend verschiedene Spezies von Gaunern, alle durchschwärmten sie die Straße in einem komplizierten Reigen von Lust und Kommerz. Es gab zahllose Theorien darüber, warum Chiba City die Enklave von Ninsei duldete, aber Case neigte zur Ansicht, daß der Yakuza diesen Ort gewissermaßen als historischen Park erhalte, als Denkmal für die bescheidenen Anfänge. Andererseits leuchtete ihm auch ein, daß die wachsende Technisierung Freiräume brauchte, daß Night City nicht wegen seiner Bewohner existierte, sondern als absichtlich ungeregeltes Spielfeld der Technologie." (22/23)

Es kann der Zeitpunkt einer kulturell grundlegenden Innovationsschwelle sein, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens prägen wird und die alle irritieren muß, die langsame techno-kulturelle Evolutionen erwarten (wie sie aus der Technik - Geschichte bekannt sind).Diese Schwelle kann eine Diskontinuität darstellen, die Sinn - Kontexte umbricht und neue Perspektiven notwendig macht, ja sogar einen neuen gesellschaftlichen Grundkonsens.

Bruce Sterling: "In Gibsons Texten finden wir uns auf der Straße wieder, in der Gosse, der muffigen, wo´s ums nackte Überleben geht, wo High Tech ein permanentes unterschwelliges Hintergrundrauschen bildet (...) In seiner Welt ist die große Wissenschaft kein Wunderbrunnen schrulliger Genies, sondern eine allgegenwärtige, alles durchdringende, greifbare Kraft. Die Geschichten zeichnen ein Bild der modernen Misere, das jeder auf den ersten Blick erkennt. Gibsons Extrapolationen führen uns mit überspitzter Klarheit den verborgenen Teil eines Eisbergs sozialen Wandels vor. Dieser Eisberg treibt mit finsterer Majestät durchs späte zwanzigste Jahrhundert, aber seine Proportionen sind gewaltig und düster." (11)

Joseph Weizenbaum: "Aber eines weiß ich, nämlich daß man keine historischen Vergleiche anstellen soll. In den letzten fünfzig Jahren haben wir eine Diskontinuität erfahren, die ihresgleichen eben gerade nicht hat: da ist z.B. die Raumfahrt, mit der es uns gelungen ist, unsere Unterschrift ins All zu schreiben, und zwar auf unauslöschliche Weise (...) Das konnte man früher nicht. Dann zeigt sich die Diskontinuität auch in der Fähigkeit - und hier zeigt sie sich vielleicht am deutlichsten -, uns selber auszurotten, ganz und gar; dem Menschengeschlecht, der menschlichen Existenz einfach ein Ende zu machen. Auch das konnte man früher nicht (...) Meiner Überzeugung nach sind wir heute alle Passagiere auf einer Titanic: wir fahren auf den Eisberg zu, aber es ist zu spät, das Steuer herumzureissen. Es ist uns einfach bestimmt, auf diesen Berg aufzufahren; das Schiff muß sinken." (12)

Es entsteht neuer sozialer Sprengstoff, was allen SF-Lesern sowieso, aber auch anderen Zeitgenossen bewußt ist : niemand weiß, wie die kommenden gesellschaftlichen Spannungen, z.B. durch die Freisetzung von Arbeitskraft durch Automation, aufgefangen werden können. Der sich ausweitende Freizeitsektor allein wird - wie auch ? - die Sinn - Krise kaum ausgleichen. Die Widersprüchlichkeit dieser Gesellschaftsform wird durch Begleiterscheinungen des technischen Fortschritts stärker zu Tage treten und immer mehr Ausschließungseffekte erzeugen. Die sozialen Realitäten verschärfen sich sichtbar: die Auflösung alter Arbeitsbeziehungen führt zu Verelendung und neuer Armut.

Wolfgang Coy: "Der Maschine den gesunden Menschenverstand beizubringen, soll der entscheidende Schritt sein, um den künstlichen Menschen - und das heißt immer auch den künstlichen Sklaven - zu entwickeln. Die Grundprinzipien sind Zucht und Ordnung , die Prinzipien, die die Herrschaft des Menschen über den Menschen ausdrücken. Die alltägliche Münze dieser Herrschaft kommt weniger aus den Sprüchen der Machthaber, die sowieso den geschichtlichen Prozeß kaum verstehen - sie kommt aus den Kalkülen der Ingenieure und Wissenschaftler, es ist das Fabriksystem , es ist die herrschende Technik. Objektiv, fortschrittlich, systemneutral sind die selbstauferlegten Attribute. Die Technik ist aber nicht objektiv zwischen Managern, Ingenieuren und Arbeitern verteilt: Das ist an der Fabrik zu sehen,... Die Ingenieure sind keine unschuldigen Spezialisten, sondern durch ihre Ausbildung und Arbeit Propagandisten des Fabriksystems mit seinen unterliegenden gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen. Wir müssen Alternativen zu diesem Fabriksystem entwickeln." (13)

Die Globalisierung des (Spät)Kapitalismus ist auch ein Prozeß der Re-Strukturierungüber die neuen Technologien. Welches neue Gesellschaftsmodell wird konturiert ?Kommt es zu einer teilweisen Wiederkehr ältererer kapitalistischer Verhältnisse mit high-tech-Verbindung(14) ?Auch komplexere Arbeits-Funktionen werden mittlerweile in die 3.Welt ausgelagert. Die Formbestimmtheit der Technologien bringt es zudem mit sich, daß Technologien "unterdrückt" oder verschwendet werden.

Larry McCaffery: "... CP philosophy - a view combining a matter-of-fact acceptance that technology has irrevocably transformed our world together with a cocky assurance that individiuals possessing enough know-how can ride this Fourth Wave of technological change to places that The System hadn´t anticipated." (14a)

Die konstitutiven Merkmale der "Postmoderne", wie Jameson sie beschreibt: 1. neue Oberflächlichkeit (auch festgemacht an einer neuen Kultur künstlicher Bilder)2. der daraus resultierende Verlust der Fähigkeit, Geschichte aktiv zu erfahren 3. völlig neue emotionale Grundstimmung 4. Abhängigkeit dieser Phänomene von einer völlig neuen Technik (die für ein neues Weltwirtschaftssystem steht) 5. Wandel des Raumgefühls 6. neuer Welt - Raum des multinationalen Kapitalismus. (15)

Fredric Jameson: "Dabei sollte ein Durchbruch möglich sein zu heute noch nicht vorstellbaren neuen Formen der Repräsentation dieses Raums, mit denen wir wieder beginnen können, unseren Standort als individuelle und kollektive Subjekte zu bestimmen.. Nur so wäre eine neue Handlungs- und Kampfesfähigkeit zu gewinnen, die zur Zeit in der herrschenden räumlichen wie gesellschaftlichen Konfusion neutralisiert worden ist. Wenn es so etwas wie eine politische Erscheinungsform der Postmoderne geben sollte, so wäre diese dazu aufgerufen, eine globale Kartographie unserer Wahrnehmung und Erkenntnis zu entwerfen und diese in den genau zu ermessenden gesellschaftlichen Raum zu projizieren."(16)

Die Technik ist nicht bestimmend in letzter Instanz für die gesamte Kulturproduktion, denn die Repräsentationen des Kommunikations- und Computer-Netzes sind nur verzerrte Darstellungen von etwas Tieferliegendem, dem globalen Systems des gegenwärtigen multinationalen Kapitalismus, das mit herkömmlichen theoretischen Mitteln und Vorstellungen nicht zu begreifen ist: das "neue dezentrierte globale Netz des Spätkapitalismus" (Jameson) als spezifischem Netz von Macht und Kontrolle. Das individuelle Bewußtsein muß lernen, die globalen Beziehungen der Verhältnisse zu denken, die seine Existenzbedingungen bestimmen.

Sterling: "Die intellektuelle Tradition des Westens ist im Umbruch. Der Kommunismus liegt im Sterben, und der Laissez-faire-kapitalismus ist ein Witz. In ein paar Jahrzehnten werden diese Vermächtnisse des neunzehnten jahrhunderts auf der Müllhalde liegen und durch etwas sehr viel Ausgeklügelteres ersetzt worden sein. Die Zukunft, wie ich sie sehe, wird multilateral und multikulturell sein und sich in äußerster Gärung befinden. Die meisten jungen Leute auf der Welt leben in der Dritten Welt. Sie werden in den kommenden Jahren die größte Quelle von Radikalität, Idealismus und Energie sein. Sie haben am meisten zu gewinnen, stehen dem größten Risiko einer Katastrophe gegenüber."(17)

Im Laufe der Zeit sind einige positive Bilder um Computer gebracht worden: potentiell (politisch) dezentral organisierbar, potentiell ein massenhaftes kreatives Medium : die Politik, wie sie Timothy Leary zusammenfaßt: "Komplexe elektronische Geräte in die Hand des Volkes ! Falls sich die Kyberpunk-Bewegung ein Ziel gesetzt haben sollte, so wäre dies, dem Individuum die Macht zu verleihen, seine Gedanken auf einem Monitor zusammenzustellen, zu verarbeiten und zu vermitteln."(18) Was die Demokratisierung der Technologienangeht, ist Gibson desillusioniertworden durch ein Erinnerung im Zusammenhang mit den Aufständen in Los Angeles 1992: "an image of people running out of a stereo store with consumable goods. Next to it was an Apple store, but no-one was looting it, running out with Power Books. I felt then that we weren´t going to get to Neuromancer ."(19)

Heiner Müller: "Es ist ein Spiel: Technik gebrauchen heißt auch, sich von ihr gebrauchen zu lassen. Es ist ein sehr gefährliches Spiel, bei dem die Regeln nicht feststehen. Aber ohne Gefahr gibt es keine Entwicklung (...) Es bleiben nur zwei Konzepte: zurück in den nationalen Gemüsegarten oder mit der Technik nach vorn in die Emanzipation von der Natur. Je entwickelter die Technik, desto ökologischer kann sie sein. Das ist eine Frage der Organisation, der wirtschaftlichen Strukturen. Da hat auf lange Sicht die sogenannte freie Marktwirtschaft keine Chancen. Darin liegt auch Hoffnung."(20)

Die Globalisierung der neuen Finanzmärkte, die durch die Revolutionierung der Kommunikationsmittel miteinander verbunden sind, ist ein Aspekt der neuen Welt - Ökonomie, die von multinationalen Konzernen in größerer Autonomie gegenüber national-staatlicher Kontrolle dominiert (21) wird.

Hans G. Helms: "Der ständige Umgang mit computergesteuerten Informationssystemen produziert eine wachsende Abstraktion von den gesellschaftlichen Prozessen. Der Weltkapitalhandel hat sich von den ihm zugrundeliegenden politökonomischen Prozessen abgelöst und folgt seinen softwarebedingten Gesetzmäßigkeiten." (22)

Ein weltweites Computer-Netz ist auf verschiedenen Ebenen entstanden (wobei der einzelne Computer unwichtiger wird und jetzt eine Art der Software entwickeltwird, die sich ihren Ort im Netz selbst sucht). Das Internet, die Datenleitungen der Banken usw.Das Ideal ist ein großes freies Kommunikationsnetz, das den Globus umspannt und ein Denkpotential repräsentiert - ein weiterer Schritt der kulturellen Evolution (weit in der Ferne).

Stewart Brand: "Indem Computer ´die Gesellschaft des Geistes´ proben und imitieren, formen sie zugleich den Geist der Gesellschaft. Computer und Kommunikation sind bereits so weit miteinander verschmolzen, daß sie zu einer Aktivität geworden sind, ohne daß es bislang Worte gibt, die bezeichnen, was diese Aktivität bewirkt (...) Wenn Menschen sich von anderen Organismen durch ihre ausgefeiltere Art der Kommunikation unterscheiden, dann impliziert die Ankunft einer neuen Ebene der Weltkommunikation auch die Einführung übermenschlicher Standards: einer Cyborg - Zivilisation vielleicht oder eines kognitiven Planeten. Die Politik hinkt, noch mehr als sonst, diesem Prozeß weit hinterher." (23)

"Ich meine, daß die ganze Welt zu einem einzigen Kommunikationsnetz zusammengezogen wird (...) Heute können wir überall auf diesem Planeten sitzen und uns alle menschliche Erfahrung auf einen Computerbildschirm holen."
"Das ist ein phantastischer Gedanke, fast schon ein bißchen unheimlich."
"Die Frage ist, ob die Geschichte sich einem Ende nähert - oder ob wir im Gegenteil auf der Schwelle zu einer ganz neuen Zeit stehen. Wir sind nicht länger nur Bürger einer Stadt oder eines einzelnen Staates. Wir leben in einer planetarischen Zivilisation."
"Das stimmt."
"Die technische Entwicklung war - nicht zuletzt was die Kommunikation betrifft - in den letzten dreißig, vierzig Jahren dramatischer als in der gesamten vorherigen Geschichte zusammen. Und noch immer ist, was wir erleben, vielleicht nur der Anfang ..." (23a)

Der Begriff "Cyberspace" (CS), der zur Bezeichung dieser Ebenen benutzt wird, hat eine mythische Anziehungskraft.( 24) Die Durchsetzung der neuen Medientechnologien wird oft mit ihm gekoppelt:es wird etwas angestrebt, das der literarischen Fiktion des CS "entspricht". Ein funktionierender CS (25) wäre auch das Ende von allem, was bekannt ist; aber : "Echte paradigma - ändernde Ansätze werden im CS rar sein", schreibt Bruce Sterling,"besonders wenn er von einer technophilosophischen Rhethorik getragen wird,die eine Revolution im Zustand der Menschen proklamiert." (26)

Gibson: das Besondere an der neuen Situation ist, daß die Information "außer-geografisch" geworden ist - im Netz ist es irrelevant geworden, woher sie kommt (der CS ist da, wo über Kontinente hinweg telefoniert wird, da, wo Milliarden Dollar elektronisch transferiert werden, da, wo Daten über Individuen gespeichert werden).

Es ist klar, daß vieles Marketing - Geschwätz bleiben wird. Der "Data Highway" (27) ist das nächste Modewort, das bereitsteht. Die Unübersichtlichkeit der verschiedenen Netz - Zusammenhänge wird zunehmen und in dem Maße bilden sich Ideologien und Bilder ihrer Anwendung.Der CP steht dabei für ein Bewußtsein der technologischen Möglichkeiten, auch in dem Sinn, ihr reibungsloses Funktionieren und ihre Unterordnung unter rein kommerzielle Interessen zu stören. Der Hacker ist eine populäre mythische Figur seit den Achtzigern und taucht u.a. in diversen CP - Romanen auf. Er symbolisiert einen bestimmten Lebensstil, bestimmte Eigenschaften: technisch kompetent, gewitzt, hartnäckig, subversiv, aber auch asozial, emotional verkrüppelt usw. Eine widersprüchliche Person jedenfalls, die auf eine Weise (über)lebt, die mit der allgemeinen "Mediatisierung" des Alltagslebens korrespondiert.

"Das Virus von Case hatte ein Fenster in das Steuer-Eis des Archivs gebohrt. Case hackte sich durch und stieß auf einen unendlichen, blauen Raum, von farbkodierten Sphären durchsetzt, die auf ein enges Gitter aus hellblauem Neon aufgezogen waren. Im Nicht-Raum der Matrix besaß das Innere einer beliebigen Datenkonstruktion grenzenlose subjektive Dimension;" (91)

Alan Kay: "Der Computer ist so wandelbar, daß er als Maschine auftreten kann oder als Sprache, die gestaltet und angewendet sein will. Er ist ein Medium, der jede Einzelheit jedes anderen Mediums dynamisch simulieren kann - auch Medien, die in der dinglichen Welt gar nicht möglich sind. Er ist kein Werkzeug, obwohl er sich wie viele Werkzeuge verhalten kann. Er ist das erste Metamedium, und als solches besitzt er Freiheitsgrade der Darstellung und des Ausdrucks, die es noch nie gab und die bisher kaum nenneswert untersucht sind. Was noch wichtiger ist: Computer machen Spaß, die Beschäftigung mit ihnen ist ein Wert an sich." (28)

Das erzählerische Potential des CS ist nicht ausgeschöpft - ein starkes Element, das ältere Darstellungen von Computer-Kommunikationen neu faßt und thematisch-strukturelle Wirkungen hat in vielen Bereichen der Pop-Kultur. Man sieht die "falsche" Simulation von Datenbewegungen in einem Netz, die eigentlich unsichtbar sind.

"Die Matrix hat ihre Wurzeln in primitiven Videospielen", sagte der Sprecher, "in frühen Computergrafikprogrammen und militärischen Experimenten mit Schädelelektroden." Auf dem Sony verblaßte ein zweidimensionaler Weltraumkrieg hinter einem Wald mathematisch konstruierter Farne, die die räumlichen Möglichkeiten logarithmischer Spiralen demonstrierten. Stahlblaue militärische Maßangaben in Fuß glimmten auf. Versuchstiere, an Testreihen angeschlossen, Helme, die Feuerkontrollschaltungen von Panzern und Kampfflugzeugen speisten. "Kyberspace. Unwillkürliche Halluzination, tagtäglich erlebt von Milliarden Berechtigten in allen Ländern, von Kindern zur Veranschaulichung mathematischer Begriffe ... Grafische Wiedergabe abstrahierter Daten aus den Banken sämtlicher Computer im menschlichen System. Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen, in den Nicht-Raum des Verstands gepackt, gruppierte Datenpakete. Wie die fliehenden Lichter einer Stadt..." (76)

Der CS funktioniert metaphorisch (als Handlungsrahmen, neue Art von "Abenteuerlandschaft") und prognostisch (Weiterdenken von Tendenzen der Computer- und Medienindustrie).(29) Letzteres ist allerdings nicht als konkrete Technik-Prognose zu verstehen, sondern gedacht in der tendenziellen Abbildung (30) von Mensch/ Maschine -Kommunikationen: den CS wird es so nicht geben, aber einen ähnlichen Raum, in dem Individuen, mit komplexen Schnittstellen ausgerüstet, über verschiedene Darstellungsmodalitäten mit anderen und Künstlichen Intelligenzen (KI) kommunizieren. Was in diesen spezifischemCS erreicht werden könnte, wäre eine Neuordnung der Beziehung Wissen/Realität: neue Erkenntnis - Ereignisse können stattfinden, vergleichbar vielleicht mit dem Wissensfortschritt und diesen noch übertreffend, der heute mit Computersimulationen erzielt wird. (31)

2. Das post-humane Zeitalter

Nicht wenige Berichte in den Medien, die die Einführung neuer Technologien behandeln, schließen mit dem Hinweis, daß"das menschliche Maß" natürlich nichtvergessen werden darf. Da bleibt die Frage, was das Maß denn sein soll (die Bedeutung wird sebstverständlich vorausgesetzt). Mir scheint es aber notwendig zu fragen, ob ein bestimmtes menschliches Selbstverständnis nicht zu einer "erkenntnistheoretischen" Falle (32) wird, die einmal verhindert, das das "Menschliche" (all das, was in der menschlichen Existenz eine letztlich unscharfe, unfaßbare Größe bleibt wie Emotionen, Stimmungen u.a.) in seinem Erleben bereichert wird (33), und zum zweiten, daß "es" (jetzt verstanden als Komplex von emotionalen/intelligenten Möglichkeiten) durch die (genau zu bestimmende) Verbindung mit maschinellen Möglichkeiten weiterentwickelt wird. (34)

Thomas Pynchon 1984: "Überlebt unsere Welt, wird die nächste große Herausforderung, die es wahrzunehmen gilt, ins Haus stehen - Ihr habt es hier zuerst gehört -, wenn die Kurven der Erforschung und Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, Robotern und der Molekularbiologie konvergieren. Jungejunge! Es wird unglaublich und nicht vorherzusagen sein, und selbst die höchsten Tiere wird es, so wollen wir demütig hoffen, von den Beinen holen."(35)

Die Auseinandersetzung darum, inwieweit die neuen Technologien die menschliche Existenz gefährden, hat erst in Ansätzen begonnen und wird schon mit allen rhetorischen Mittel geführt.Auf die Prognose des KI - Forschers Marvin Minsky, daß eine Konsequenz der technischen Entwicklung sei, daß eine neue Evolution beginnt, antwortet der KI - Kritiker Joseph Weizenbaum, daß das die Endlösung der Menschenfrage (?!) bedeute.(36) Die Wellen schlagen also schon hoch.

Wolfgang Jeschke: "Was der CP deutlich gemacht hat, ist die unheimliche, erschreckende und doch auf morbide Weise anziehende Möglichkeit, daß unsere Spezies zu einem Punkt gelangt ist, das Bild von sich selbst aufzugeben. Das Menschenbild (von Gott nach seinem Bilde geschaffen, wie manche glauben) ist dabei, sich aufzulösen (...) Nicht in Zeiträumen von Millionen oder Milliarden Jahren,..., wird der Mensch seine Erscheinungsform allmählich verändern, sondern schon binnen Jahrzehnten könnte es sein, daß wir bei der Kommunikation mit einer Intelligenz ohne Sichtkontakt nicht sagen können, ob wir esmit einem Menschen in Oldtimer-Outfit zu tun haben, mit einer Mischform aus menschlichen, tierischern oder pflanzlichen Genen, einem Konstrukt aus biologischen, mechanischen und elektronischen Elementen, mit einer Turing-Maschine oder mit einem menschlichen Bewußtsein, das als Software durch den CS geistert."(37)

Ich habe keine Schwierigkeiten, mir vorzustellen, welche seltsamen politischen Allianzen es geben wird, die technische Innovationen im Namen des Humanismus bekämpfen werden. Die Diskussion um die Apparate-Medizin oder die Abtreibung etwa ist nur ein sehr schwacher Vorgeschmack auf das, was da kommen kann. Die ideologischen Konflikte sind vorbestimmt, wobei mir nicht klar ist, wie die Kräfteverhältnisse sein werden (dazu muß natürlich allgemein der Einsatz der Auseinandersetzung klar sein).(38)

Vilem Flusser: "In der gegenwärtigen Phase beginnt man, sich über den Menschen zu wundern. Man ´analysiert´ ihn, und es stellt sich heraus, daß nichts drinsteckt. Daß ´Mensch´ ein Knoten aus physikalischen, physiologischen, psychischen, kulturellen Möglichkeiten ist (eine Kerbe in diesen einander überschneidenden Feldern), und das diese punktartigen Möglichkeiten sich zufällig verknüpfen. Und weil im Menschen nichts steckt (kein ´Ich´, kein ´Selbst´, kein ´Geist´), so stellt sich heraus, daß Welterklärung und Weltveränderung auch von Apparaten geleistet werden können.(39)

Gibson:"On the most basic level, computers in my books are simply a metaphor for human memory. I´m interested in the how´s and why´s of memory, the ways it defines who and what we are , in how easily it´s subject to revision. When i was writing Neuromancer , it was wonderful to be able to tie a lot of these interests into the computer-metaphor, but, the computer memory there is so much more like human memory than it´s ever likely to be."

Damit kein Mißverständnis entsteht. Posthuman 39a bedeutet nicht, daß keine menschlichen, menschenwürdigen oder "gerechten" Lebensbedingungen mehr angestrebt werden. Das Beschwören von menschlichen Werten reicht jedenfalls nicht, den alltäglichen Horror in dieser Gesellschaft zu beenden. Die provokante Frage ist, ob Entwicklungsmöglichkeiten, die sich beziehen auf Prozesse der Wahrnehmung und der Intelligenz, im positiven Sinn "ent - menschlicht" werden können?Da ist es zu wenig, solche Gedanken pauschal als "anti - human" zu verdammen (40), wenn die neuen Perspektiven noch völlig im Dunkeln liegen und vielleicht gerade Möglichkeiten gewonnen werden können, die helfen, Aspekte des "humanistischen Traums", einer freien, menschengerechten Gesellschaft, zu verwirklichen, wenn auch auf unvorhergesehene Weise.( 41)

Gibson :"I don´t feel fear as much as a sort of elegiac sorrow, because it seems to me that what we are now,which (...) is not all of that admirable, is on its way out. (...) The artefacts we have created are in very direct ways starting to affect our evolution."(42)

Stanislav Lem: "Es wird nicht nur eine ´postindustrielle Gesellschaft´ entstehen und nicht nur eine Dienstleistungsgesellschaft, sondern eine qualitativ neue, die ihre größten Probleme mit den Errungenschaften der Biotechnologie haben wird. Anders gesagt, in unserer ´künstlich verwandelten´ Welt - denn in der Natur gibt es ja weder Städte, noch Atomkraftwerke oder Autobahnen - wird es zur Invasion der Technologie in das letzte Naturreservat vergangener Epochen kommen: in unserem Leib, und, wer weiß, vielleicht auch in unserer Seele oder, bescheidener ausgedrückt: in unserem Gehirn (als einer organischen ´datenverarbeitenden Einrichtung´). Es muß deswegen zu einem immer härteren Zusammenprall des Glaubens (in allen Konfessionen) mit dem unbarmherzig vordringenden Fortschritt kommen." (43)

Es ist ja nicht bloß eine metaphorische Fremdheit, die man in diesen Verhältnissen empfinden kann. Die Medienkonzerne betreiben auf ihre Art die "Kolonialisierung" der Körper ; ihr Ziel ist eine Art der Kontrolle, die die Subjekte des Konsums modelliert und unterwirft.(44) Wie die neue komplexe "Matrix der Herrschaftsbeziehungen" (Donna Haraway) aussehen wird, ist unklar. Wie die Subjekte in die neuen Netze der Macht eingesponnen und wie zugleich neue subjektive Freiheiten, neue Widerstandsformen entstehen, ist ein widersprüchlicher kultureller Prozeß.( 45)

"Sie schüttelte den Kopf. Es fiel ihm auf, daß die Brillengläser chirurgisch eingesetzt waren, um die Augenhöhlen zu versiegeln. Die silbernen Linsen wuchsen scheinbar aus der glatten, hellen Haut über den Wangen, umrahmt von dunklem, fransig geschnittenem Haar. Die Finger, die sich um die Flechette krümmten, waren schmal und hell, hatten burgunderrot lackierte Nägel, die unecht wirkten (...) Sie hielt ihm die offenen Hände mit leicht gespreizten Fingern hin. Mit einem kaum hörbaren Klicken schossen zehn zweischneidige, vier Zentimeter lange Skalpellklingen aus ihrem Gehäuse hinter den burgunderfarbenen Nägeln. Sie lächelte. Langsam glitten die Klingen zurück." (42f.)

Gegen den moralisierenden Aufschrei, daß die Technik bald die Menschlichkeit bedrohe, kann man weiter sagen, daß die allgemeine Dehumanisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen (in einem anderen, menschenverachtenden Sinn) doch "alltäglich" geworden ist. Das kriminelle Ausschlachten von Organen ist nur ein Beispiel.

Gibson: "Part of the world´s population is already post-human. Consider the health options available to a millionaire in Beverly Hills as opposed to a man starving in the streets of Bangladesh: The man in beverly Hills can, in effect, buy himself a new set of organs; the man in bangladesh is still human, a being from an agricultural planet. The man in Beverly Hills is something else."

"Der Barkeeper grinste. Seine Häßlichkeitwar legendär. Im Zeitalter käuflicher Schönheit hatte sein Mangel daran Signalwirkung. Der altertümliche Arm ächzte, als er nach einem anderen Glas griff. Es war eine russische Militärprothese, ein Greifer mit sieben Funktionen, rückkopplungsgesteuert, kraftgetrieben und eingegossen in schmuddeliges, pink Plastik." (10)

Es gibt andere Ebenen, post-humanzu sein sein: vom body building über Tätowierungen bis hin zu kosmetische Operationen u.a. Vielleicht alles Anzeichen für die (unbewußte) Suche nach anderen Identitäten(46), in dem Maße, wie sie in der kapitalistischen Konsumgesellschaft austauschbar sind.Bruce Sterling bemerkt, daß das, was in den 50ern unvorstellbar war, geradezu monströs klang,heute akzeptiert wird: so kosmetische Operationen. Die kulturellen Einstellungen ändern sich, und die Injektion von winzigen Maschinen, um beispielsweise Arterien zu reinigen, könnte demnächst als "anstößig" (47) empfunden werden.

Sterling: "Technological destruction of the human condition leads not to future-shocked zombies but to hopeful monsters ... CP sees new, transhuman potentials, new modes of existence and consciousness."

"Anscheinend starrte er unentwegt auf Molly, nahm schließlich aber die verspiegelte Brille ab. Seine Augen waren dunkelbraun wie sein militärisch kurzes Haar. Er lächelte. "(...) Ganz besonders du ", sagte er zu ihr, " mußt aufpassen. In der Türkei sieht man derart umgerüstete Frauen nicht gern".(122)

Die Koordinaten des menschlichen Universums verändern sich. Tod, Denken, Körper werden durch die Technik in eine neue Beziehung gesetzt (48).Larry McCaffery hat darauf hingewiesen(49), daß die gegenwärtig passierenden Veränderungen, die fast allein vom CP reflektiert würden,Beziehungen der Individuen zu Maschinen und zu Basis - Konzepten der Wahrnehmung in der westlichen Kultur betreffen: Bewußtsein, künstlich/natürlich, Leben/Tod - was heißt es eigentlich "menschlich" zu sein?(50)

Che Guevara 1965: "Der Weg ist lang und zum Teil unbekannt; wir kennen unsere Grenzen. Wir werden den Menschen des 21. Jahrhunderts hervorbringen: uns selbst. Wir härten uns im täglichen Handeln, indem wir einen neuen Menschen mit einer neuen Technik schaffen." (51)

Sterling: "Gewisse zentrale Themen tauchen im CP immer wieder auf. Das Thema der Eingriffe in den menschlichen Körper: Gliederprothesen, elektrische Stromkreisimplantate, kosmetische (kosmetoplastische) Chirurgie, Genmanipulation. Und sogar ein noch gewichtigeres Thema, nämlich das der Eingriffe in das Gehirn und Denken des Menschen: Interfacing zwischen Gehirn und Computer, KI, Neurochemie - kurz, Techniken, die dem Wesen der menschlichen Spezies radikal - neue Grenzen abstecken, die die Natur des individuellen ´ich´ neu definieren."(52)

In einem bestimmten Umfang ist es heute schon möglich, eine künstliche Person mit Hilfe von künstlichen Teilen (Prothesen, Implantate), die Körperteile ersetzen, herzustellen. Der Beginn der Fähigkeit, sich "re-designen" zu können, sich einen besseren Körper (53) zu machen.

"Die Kundschaft war jung, die wenigsten davon waren über zwanzig. Alle hatten sie wohl eingepflanzte Karbonkontakte hinter dem linken Ohr, obwohl Molly keinen Blick darauf verschwendete. An den Schaltern vor den Ständen waren Aberhunderte von Plättchen aus Mikrocomputer - Software ausgestellt, rechteckige Splitter aus buntem Silikon, transparent versiegelt und auf weißen Kartonstreifchen fixiert. Molly ging zum siebten Stand an der Südwand. Hinter dem Schalter starrte ein Junge mit kahlrasiertem Schädel Löcher in die Luft. Ein Dutzend Mikrosoft - Plättchen ragten aus dem Kontakt hinter seinem Ohr." (81)

Entscheidend ist, verschiedene Subjektivitätsformen theoretisch zu unterscheiden (die biologische "Einheit" von verschiedenen kulturellen Bedingungen: (im)materiellen Faktoren). In den neuen kulturellen Formen werdendie Individuen selbst"umgearbeitet", nicht nur durch Lebensumstände. Das Subjekt ist nicht länger eine Ganzheit, ein autonomes "Ich" ; das "Ich" wird stärker fragmentiert 53a und unvollendet erfahren (54), zusammengesetzt aus vielfältigen Identitäten, bezogen auf verschiedene gesellschaftliche Welten, als Produziertes, im Prozeß entstehend.(55)

Félix Guattari: "Worauf ich mit Nachdruck hinweisen möchte, ist gerade der zutiefst pluralistische, multizentrale und heterogene Charakter der gegenwärtigen Subjektivität, und das trotz der Homogenisierung, der sie aufgrund des allumfassenden Einflusses der Massenmedien unterliegt. In dieser Hinsicht ist ein Individuum bereits ein ´Kollektiv´ aus heterogenen Bestandteilen. Ein subjektives Faktum verweist auf personale Territorien - den Körper, das Selbst -, aber gleichzeitig auch auf Kollektiv-Territorien - die Familie, die Gruppe, die Ethnie. Und daran schließen sich alle Subjektivierungsprozesse an, die in Sprache, Schrift, Informatik und technologischen Maschinen Gestalt annehmen." (56)

"Meine eigene Vergangenheit ist vor Jahren komplett verschütt gegangen. Ich verstand Fox´ Gewohnheit, spät nachts seine Brieftasche zu leeren und durch seine Identitätskarten zu blättern. Er legte die Dinger in verschiedenen Mustern aus und sortierte sie um, bis sich irgendein Bild abzeichnete. Ich wußte, worauf er wartete."(57)

Das "Ich" als Schnittpunkt von gesellschaftlichen Beziehungen, wobei die Technik ein immer wichtigerer Faktor beim Finden neuer Identitäten wird , als ein Moment der Bewegung von Individuen, die im fortschreitenden Erleben/Erkennen sich verändern. Die vielfältige gesellschaftliche Einführung der Computer - Technologie zeigt ja, daß neue Subjekt - Anforderungen entstehen, die die Individuen erfüllen müssen, wenn sie eine Position in den Strukturen einnehmen. Was die Individuen aber alles mit neuen Technologien machen, ist nicht vorherbestimmbar: wenn man im Umgang mit ihnen Fähigkeiten erlernt, gibt es immer einen Sinn - Überhang, der nicht in der Struktur aufgeht. Was eine "Identität" ist, wird in Zukunft offener sein, im negativen Sinne vielleicht, daß eine (noch) größere Austauschbarkeit, Oberflächlichkeit entsteht, im positiven, daß eine weitere individuelle Fähigkeit für einige entwickelbar wird, die eigene Identität ständig zu erfinden und auszubauen.

Gibson: "What the characters deign in my fiction by internalizing machines, is usually adegree of efficiency, some sort of task relatedefficiency. As for what they lose by doing this, I don´t know. They become further from us, but I´ve always been quite open to the idea that they somehow remain human."

Jameson beschreibt dies als Entwicklung vom entfremdeten zum fragmentarischen Subjekt. Es entsteht eine neue Sichtweise des Subjekts: historisch läßt sich die Auflösung bestimmter im Zeitalter des klassischen Kapitalismus, der Kleinfamilie usw. existierender zentrierter Subjekt-Formen beschreiben. Neue "Intensitäten", Stimmungensind spürbar, die nicht mehr personengebunden sind. Die Entfremdung ist aber abstrakt - komplexer geworden.

Fredric Jameson: "Meine Hauptthese ist, daß es mit dieser neuesten Verwandlung von Räumlichkeit, daß es dem postmodernen Hyperraum gelungen ist, die Fähigkeit des individuellen menschlichen Körpers zu überschreiten, sich selbst zu lokalisieren, seine unmittelbare Umgebung durch die Wahrnehmung zu strukturieren und kognitiv seine Person in einer vermeßbaren äußeren Welt durch Wahrnehmung und Erkenntnis zu bestimmen. Und so meine ich, daß die beunruhigende Diskrepanz zwischen dem Körper und seiner hergestellten Umwelt (...) selbst als Symbol und Analogon für ein noch größeres Dilemma stehen kann: die Unfähigkeit, unseres Bewußtseins (zur Zeit jedenfalls), das große, globale, multinationale und dezentrierte Kommunikationsgeflecht zu begreifen, in dem wir als individuelle Subjekte gefangen sind."

Den eigenen Körper/die eigene Intelligenz "virtuell" sehen, als Wahrnehmen von Chancen, um sein Leben zu gestalten, in der Verbindung mit gesellschaftlichen Prozessen - das die andere Bedeutung des neuen Subjekts, das eine andere Wahrnehmung hat. Eine literarische Beschreibung von Walter Jon Williams klingt da an, daß das Ich ein "Paket spezifischer Potentiale" ist, als Person in einem komplexen Beziehungs-Muster; bewegt sie sich , verändern sich die Beziehungen zu anderen und damit die Bedingungen - eine besondere Reflexion, sich in solchen Mustern wahrzunehmen, zugleich intuitiv und logisch.(58)

Heiner Müller: "Es geht darum, die Technik auszubauen und zu benutzen. Es geht um die Hochzeit von Mensch und Maschine. Dadurch wird der Mensch weniger störanfällig gegen seine natürlichen Impulse. Natur ist alt, Technik ist neu. Wo die Ideologien verdampfen, kommen die alten Triebkräfte hoch, und die kann man nur mit Technik bekämpfen und nicht mit Ideologien oder Religionen (...) Was bekämpft werden muß, ist das Primitive. Es ist nicht natürlich, in einem Kasten zu sitzen und zu fliegen. Und deswegen muß es sein, denn die Natur saugt uns auf, bringt uns zum Verschwinden."

Donna Haraway: "Vielleicht besteht die entscheidende Herausforderung von Gentechnologie und der damit verbundenen Reproduktionstechnologien darin, daß sie unser Vertruaen in die Naturhaftigkeit unserer Körper, unsere Vorstellungen darüber, wo unsere Körper enden, die Umwelt und andere Menschen beginnen, erschüttern. Die Unterscheidungen zwischen natürlich und künstlich erhalten in den modernen Naturwissenschaften eine vollkommen neue Struktur, und diese Verschiebungen werden sich in den Bereichen Geschlecht und Reproduktion grundlegend auf unsere Vorstellungswelten, auf unser Leben auswirken. Erfindungen auf dem Gebiet von Therapie und Diagnostik und eventuelle Neuentwürfe menschlicher Reproduktion sind allesamt technische Verkörperungen einer grundsätzlichen modernen materiellen Neuanordnung von Grenzen." (59)

Als Gedankenspiel meint Gibson, daß es eine völlig neue Erfahrung sein wird, sich ohne die Hintergrundgeräusche des Körpers wahrzunehmen: wenn es möglich sein wird, wird es keine menschliche Erfahrung sein, aber eine völlig neue, die erste unverstellte Erfahrung des post-humanen Zeitalters.

Stanislav Lem 1970: "Stellen wir uns nun vor, daß ein auto-evolutionäres Programm bereits an der Schwelle des nächsten Jahrhunderts steht; angesichts einer solchen Bedrohung könnte der traditionelle Körper an Wert gewinnen, und da er zu einer Art Reliquie, zu einem Heiligtum wird, das man bis zum letzten Tropfen (des alten, animalischen) Blutes verteidigen muß, würde er ein Zentrum neuer Art schaffen: einer rein somatischen oder gar ´somatisch-genitalen´ Religion. Es ist nicht schwer, sich Kreuzzüge vorzustellen, die zur Verteidigung des Körpers ausziehen - in einigen Dutzend Jahren von heute;" (60)

"Ich denke, daß ihr in ein Zeitalter der Metamorphose eintreten werdet, daß ihr euch dazu durchringen werdet, eure ganze Geschichte zu verwerfen, das ganze Erbe, den ganzen Rest des natürlichen Menschen, dessen zu schöner Tragik überhöhtes Bild in den Spiegeln eurer Religionen reflektiert wird - daß ihr eure Grenzen überschreiten werdet, denn ihr habt keine andere Wahl -, ind in dem, was jetzt wie ein Sprung in den reißenden Schlund erscheint, werdet ihr eine Herausforderung erblicken, wenn nicht gar Schönheit, und ihr werdet auf eure Art handeln - da sich der Mensch nur dadurch retten kann, daß er den Menschen preisgibt."(61)

Am Horizontzeichnet sich die direkte Schnittstelle zwischen menschlichem Gehirn und Computer ab (62). Moravec hält es für möglich, daß es gelingen wird, die Bewußtseinsinhalte, als Datenstruktur repräsentiert, direkt in einem Maschinen-Gehirn zu speichern. Der gesamte Bewußtseins-Zustand, der Wissen, Persönlichkeit, psychische Dispositionen, Emotionen umfaßt, soll transferierbar sein. Minsky ist derselben Meinung und willperfekte Kopien schaffen. Die Probleme, die auf diesem Weg technisch zu lösen sind, sind sehr groß, schon allein deshalb, weil das Gehirn die "komplexeste Maschine" ist, die die Wissenschaftler bisher kennen.

Hans G. Helms: "Die symbiotische Entwicklung der Computer-, der Gen- und der Biotechnologien führt zwangsläufig zur Fernsteuerung der Gehirne der Menschen."

"Kyberspace, wie ihn das Deck präsentierte, hatte keinen besonderen Bezug mehr zum physischen Standort. Als Case einsteckte, fiel sein Blick auf die vertraute Konfiguration der aztekischen Datenpyramide der Eastern Seabord Fission Authority. "Wie geht´s, Dixie?" "Bin tot, Case. Hatte genug Zeit in diesem Hosaka, um das rauszukriegen." Was ist das für ein Gefühl?" "Keins." "Plagt dich das?" "Was mich plagt, ist, das mich nichts plagt." (...) "Tu mir ´nen Gefallen, Case." "Was denn, Dix?" "Dieses gottverdammte Ding, lösch es, wenn du fertig bist!" (143/44)

Moravec handelt mit erstaunlicher Leichtigkeit das Problem subjektiven Bewußtseins ab. In der Gesellschaft einer zukünftigen Super-Intelligenz machen alte Bewußtseins-Konzepte keinen Sinn mehr (denkende, sich selbst reproduzierende Maschinen werden "biologischer"). Es bestehe keine Notwendigkeit mehr für eine "geschlossene Identität" ; es gebe genug Bewußtseins - Kopien dann, die sich unterschiedlich weiterentwickeln (und kopieren) können, so daß es nichts mache, wenn eine Kopie zerstört wird, da genug andere da sind. Minsky geht noch weiter, indem er sagt, daß "persönliches Überleben" im engeren Sinn nicht mehr interessant sei, da man, wenn man technisch so weit ist, "das Beste" von Personen digital zusammenbringen kann. Gibson wann soll man die Kopie von sich machen lassen , wenn man jung ist...?Wo ist man "selbst ",wenn 50 Kopien von einem herumlaufen ?

überMarie - France, die Gründermutter des Teshier - Ashpool - Clans: "Sie gab die Entwicklung unsrer KI in Auftrag. Sie war recht visionär. Sie träumte von einer Symbiose zwischen uns und den AIs, die unsre geschäftlichen Entscheidungen fällen sollten. Unsere bewußten Entscheidungen, müßte ich sagen. Tessier - Ashpool wäre unsterblich, wie ein Insektenstaat organisiert, und jeder von uns Teil einer größeren Entität. Faszinierend." (297/98)

Die technische "Ausweitung" des Gehirns ist natürlich nur möglich, wenn manversteht, wie es funktioniert. Minsky ist der Meinung, daß die Menschen jetztGefangene des Körpers sind, mit begrenzter Kapazität, mit begrenzter Intelligenz, mit begrenzter Lebensdauer: "jeder, der damit zufrieden ist, verdient es zu sterben". Nach Moravec wird in den Labors der Wissenschaftler und Techniker eine neue Generation an "Nachkommen" gebildet, die sich eines Tages abkoppeln und eine eigenen Zivilisation gründen wird; für die (unveränderten) Menschen bleibt u.U. nur eine Nischenexistenz. (63) Vielleicht formen einige Menschen und Maschinen eine super - individuelle Einheit, die tendenziell physisch unsterblich ist, tendenziell unbegrenzt in ihrer Intelligenz und die nach den Sternen greift ...

Marvin Minsky: "der Naturwissenschaftler hat keine Angst vor der Idee, ewig zu leben. Der Humanist aber denkt, das wäre furchtbar. Wir können heute nur deshalb nicht ewig leben, weil der Aberglaube von der Seele die leute 2000 Jahre davon abgehalten hat, die Naturwissenschaft voranzutreiben. Hätte man früher angefangen, dann gäbe es KI seit 1500 jahren, und jeder von uns wäre heute in der Lage, eine Sicherheitskopie von sich zu machen ! Wer Religion und Aberglaube akzeptiert, betrügt sich um die Chance des ewigen Lebens !"

Gibson: "The desire to escape the limitation of mortality would save to me the obvious goal of the scientific program. My doubts come in, when I wonder who are we going to do this to. I mean you may want to live forever, but do you want your parents to live forever ? Do you want Ronald Reagan to live forever ? Who are they going to do this to first? Are they going it to do to benign philosophers in the order of Dr. Minsky or are they going to do to it to political despots in central america ?"

Fest steht jedenfalls, daß die dramatischen Veränderungen, die von einigen prophezeit werden, was z.B. die Veränderung von Körperlichkeit angeht, und die innerhalb einer Generation u.U. stattfinden sollen, im gesellschaftlichen Umfeld durchgesetzt werden müssen. Wenn in 50 Jahren die Menschheit angeblich auf einer neuen gentechnolgischen Basis stehen wird 64, muß dem eine neue Weltökonomie entsprechen, eine neue Politik, kurzum: eine neue Kultur. Ist das wirklich eine realistische Annahme? Das, was man bisher sinnvoll als posthuman bezeichnen kann, bezieht sich vorläufig auf neue Formen der Selbst-Wahrnehmung, mit einer neuen Offenheit, die körperliche Ausstattung mit technischen Prothesen und das "Selbst" mehr als strukturelles Potential zu denken.

Stelarc: "Die Evolution endet, wenn die Technologie in den Körper eindringt. Sobald die Technologie jede Person mit dem Potential für ihr individuelles Fortschreiten in ihrer eigenen Entwicklung ausstattet, ist der Zusammenhalt der Spezies nicht mehr wichtig. Spannend ist nun nicht die Geist - Körper - Unterscheidung, sondern die Körper - Spezies - Spaltung Der Körper muß seine biologischen, kulturellen und planetarischen Fesseln sprengen. Die Signifikanz der Technologie mag darin liegen, daß sie in einer fremden - post-historischen, trans-humanen und sogar außerirdischen - Bewußtheit kulminiert. Die ersten Zeichen einer fremden Intelligenz können durchaus von diesem Planeten kommen." (65)

William S. Burroughs: "Jede Spezies findet ihr Ende. Ihr steht ein gewisses Potential zur Verfügung, das sie ausschöpfen kann und dann erreicht sie irgendwann einen Punkt, an dem es heißt Mutation oder Tod. Wir sind an diesem Punkt angelangt. Ich glaube, daß ein großer Teil unseres soziologischen Chaos in Wirklichkeit nur die Reflexion einer biologischen Krise, der Tatsache, daß wir kurz vor dem Ende unseres Weges stehen, ist."(66)

Die Technisierung kultureller Teil-Prozesse, die Denken/Körper vielfältig beeinflußt, ist der Katalysator einer Subjekt - Transformation in eine offene Zukunft: vielleicht eineArt von Cyborg als "Individuum", das subtil/direkt mit verschiediedene Techniken verbunden ist (in der Umgebung, am Körper,im Körper), die verschiedene Funktionen haben und das Wachtum der neuen Einheit neu dimensionieren. Es hat eine Wahrscheinlichkeit, daß die Körpertechnisch "entwickelt" werden müssen als Vorbereitung auf noch nicht vorstellbare (unerreichbare) Dimensionen von Zeit/Raum. Das Post-Humane ist dabei eine Aufforderung, die neuen Potentiale zu begreifen und Wege auszuprobieren, sich mit ihnen zu verbinden.( 67)

3. Das Abenteuer der Künstlichen Intelligenz

Die Grenze der Künstlichen Intelligenz (68) -ist eine Assoziation mit den Maschinen in Reichweite, die auch Denkvorgänge einbezieht ? Als Auslagerung intelligenter Denk-Funktionen ? Für den britischen Mathematiker Alan Turing war es schon in der fünfziger Jahren keine Frage, daß es in einem ersten Schritt Maschinen geben wird, die das menschliche Bewußtsein simulieren (der "Turing-Test").Wenn sie dannin ihrer Entwicklung konvergieren, werde es schwierig werden, den menschlichen Standard der Intelligenz dem ihren gleich zu halten.

Gibson: "I don´t think there is any reason for machines to be like us (...). I think it´s a funny thing in sort of build into our ideas, what artificial intelligence would be, that we should strive to create something that really would pass the Turing test (...). What´s the point ? It´s not really the smart machine we need. I suspect that, when we do have something like real artificial intelligence, it would be a lot more elegant."

"Wie schlau ist´neAI, Case ?""Je nachdem. Manche sind nicht schlauer als ein Hund. Schoßtier. Kosten trotzdem ´ne MengeGeld. Die richtig schlauen sind so schlau, wie die Turing - Bullen zuzulassen bereit sind.""Hör mal, du bist´nCowboy. Wie kommt´s, daß du nicht total abfährst auf solche Dinger? ""Nun", sagte er, " zum einen sind sie selten. Die meisten sind militärisch, die schlauen zumindest, und wir können das Eis nicht knacken. Daher kommt überhaupt das ganze Eis, weißt du? Und dann sind da die Turing - Bullen, und mit denen ist nicht gut Kirschen essen".(131)

Alan Turing: "Ab einem bestimmten Zeitpunkt müßten wir daher damit rechnen, daß die Maschinen die Macht übernehmen." (69)

Das Thema einer "Schwelle" findet sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder in theoretischen Texten. Der Kybernetiker Norbert Wiener schreibt in den Fünfzigern: "Ich sagte schon, daß der moderne Mensch und vor allem der moderne Amerikaner, so viel Know-how er auch haben mag, sehr wenig um das Know-what weiß. Er wird die überlegene Gewandtheit der Entscheidungen, die die Maschine fällt, annehmen, ohne allzusehr nach ihren Motiven und Hintergründen zu forschen.(...) Jede zum Fällen von Entscheidungen gebaute Maschine wird sich starr an den Buchstaben halten, wenn sie nicht die Fähigkeit zu lernen besitzt. Wehe uns, wenn wir sie unser Verhalten bestimmen lassen, ohne vorher die Gesetze ihres Handelns geprüft und uns überzeugt zu haben, daß es sich nach für uns annehmbaren Grundsätzen vollzieht ! Die Machine aber, die wie der Flaschengeist lernen kann und auf Grund ihres Lernens Entscheidungen fällen kann, wir durchaus nicht gebunden sein, Entscheidungen zu treffen, wie wir sie getroffen hätten oder wie sie für uns annehmbar wären. Denn der Mensch, der das Problem seiner Verantwortung blindlings auf die Maschine abwälzt, sei sie nun lernfähig oder nicht, streut seine Verantwortung in alle Winde und wird sie auf den Schwingen des Sturmwinds zurückkommen sehen." (70)

Wintermute : "Ihr baut ständig Modelle. Steinkreise, Kathedralen. Pfeifenorgeln. Rechenmaschinen. Ich habe keine Ahnung, warum ich jetzt hier bin, weißt du das ? Aber wenn das Ding heut´nacht läuft, habt Ihr endlich das einzig Wahre zustandegebracht." (...) "Ihr, das ist kollektiv gemeint. Deine Spezies." (223/24)

Marvin Minsky sieht 1969 eine ähnliche Dramatik: "Die Geschwindigkeit der Maschinenentwicklung ist millionenmal größer, weil wir verschiedene Verbesserungen einfach miteinander verbinden können, während die Natur vom zufälligen Zusammentreffen von Verbesserungen abhängt. Heute lösen Maschinen Probleme größtenteils nach den Prinzipien, die wir in sie einbauen. Es dürfte nicht lange dauern, bis wir lernen, sie auf das spezielle Problem anzusetzen, die ihnen eigene Fähigkeit, Probleme zu lösen, von sich aus zu verbessern. Ist erst einmal eine gewisse Schwelle überschritten, könnte dies zu einer Beschleunigungsspirale führen, und es dürfte schwierig sein, einen zuverlässigen Regler einzubauen, der diese Spirale in Schranken hielte. Man braucht deswegen keinen Alarm zu schlagen; denn gegenwärtig haben wir einen Mangel, keinen Überfluß an Maschinenintelligenz. Aber die Klugheit rät, das Problem ernsthaft ins Auge zu fassen und sorgfältig die Schrittefür den Zeitpunkt zu bedenken, in dem die Schwelle in Sicht kommt." (71)

Diese Äußerungen sind historisch, und der technische Stand der Entwicklung war nicht im entferntesten so ausgereift, als daß diese Hoffnungen/Befürchtungen hätten auf realen Boden stoßen können. Die SF dieser Jahre war, um nur einen Aspekt zu nennen, bevölkert von bösartigen Großcomputern, die nach der Weltherrschaft strebten.

Der deutsche Computer-Pionier Konrad Zuse 1971: "Als höchstes erreichbares Ziel, als Stein der Weisenerschien mir die Konstruktion der Keimzelle eines künstlichen Supergehirns. Einmal in die Welt gesetzt, würde es durch Lern-Prozesse sich selbst ständig verbessern und könnte mit dem gesamten Wissen der Zeit gefüttert werden. Die Lösung aller weiteren schwierigen Fragen könnte man diesem Instrument überlassen, sofern es man noch im Griff hätte." (72)

Ist KI möglich?: "I don´t really worry about whether it´s possible or not; it´s part of our myth-matrix. We seem to need to think that it´s possible, but i don´t know." (73)

Inwieweit kann es möglich sein , daß menschenunabhängige, automatische Steuerungsprozesse auf verschiedenen Ebenengesellschaftliche Mechanismen der Organisation außer Kraft setzen ? Unter der Voraussetzung, es gelingt tatsächlich, intelligente Maschinen zu bauen:nach welchen Kriterien werden sie über die Notwendigkeit der Steuerung entscheiden ? Es können völlig andere sein, was Konflikte mit den Vorgaben ihrer Konstrukteure erzeugen kann.

Eiine Turing - Agentin: "Seit Jahrtausenden träumt der Mensch von einem Pakt mit Dämonen. Erst jetzt ist so etwas möglich. Und womit würdest du entlohnt? Was wäre der Preis dafür, dem Ding zu helfen, sich zu befreien und zu wachsen?"(...) "... Du kommst mit uns. Zusammen mit dem angeblichen Armitage kehrst du mit uns nach Genf zurück, wo du im Prozeß gegen diese Intelligenz aussagen wirst. Wenn nicht, bringen wir dich um." (213)

Michael Crichton:" Viele Theoretiker sagen voraus, eines Tages würde eine superintelligente Maschine geschaffen werden, ein Computer, der um vieles mehrleisten kann als ein Mensch. Die Maschine könnte aus Biochips bestehen und damit wahrhaftig eine andere Lebensform darstellen. Ein solcher Computer ist in nächster Zeit nicht zu erwarten. Aber wir können ihn uns als zukünftiges Phänomen vorstellen. Muß uns nicht schon der Gedanke in Angst und Schrecken versetzen? Ich glaube nicht,, daß wir uns jemals einer superintelligenten Maschine unterwerfen werden. Wir haben als menschlich stets das aufgefaßt, was an uns einzigartig ist, und wir haben solche Stürme früher schon überstanden." (74)

Klar sollte sein, daß kein Anlaß zu einer humanen "Arroganz" besteht: selbst mit den Maßstäben menschlicher Selbst-Definition werden heute verschiedene Arten von Intelligenz unterschieden (rational-logisch, handwerklich, sozial u.a.), so daß man weiterdenken kann, daß es keine "natürlich - menschlichen" Grenzen gibt für die Entwicklung neuer Intelligenz (außer der Vorstellungskraft und praktischen Fähigkeit ihrer Erfinder, solche Prozesse in Gang zu setzen (75)).So kann man den Maschinen unter Umständen Wege zeigen, ihreRegeln zu verändern und Entscheidungskriterien für Veränderungen zu finden und damit eine höhere, andere Intelligenz zu erlangen als ihre ursprünglichen Erbauer. Es besteht aber die Gefahr, daß Maschinen Probleme lösen können und müssen, ohne daß länger eine Kontrollmöglichkeit von seiten der Menschenbesteht.(76). Minsky ist der Meinung, daß maneine Maschine menschenähnlich (wenn man menschliche Intelligenz versteht) machen kann, aber auch sehr verschieden: es bleibt eine Frage der Programmierung, die sie mächtig, fremd macht, das heißt, sie in die Lage versetzt, Entscheidungen zu treffen, wobei man aber möglicherweise nicht versteht,wie sie funktioniert, und sie "versteht" nicht, wie die Menschen funktionieren .(77)

Case: "Ich hab echt keine Ahnung, was passiert, wenn Wintermute gewinnt, aber es wird sich was ändern !" (336)

Der SF-Autor Vernor Vinge: "When a race succeeds in making creatures that are smarter than it is, then all the rules are changed. And from the standpoint of that race, you´ve gone through a singularity. That´s because it´s not possible before that point to talk meaningfully about issues that are important after that point."(78)Wenn "es" passiert, werden die künstlichen Wesen die eigentlich Handelnden sein; man kann sie nicht ausdenken, nicht ihren Standpunkt einnehmen - ist die "Singularität" durchlaufen, wird es weitergehen . Die literarische Darstellung kann, muß ungenau, geheimnisvoll bleiben, und "Neuromancer " ist da gelungen. Wintermute : "Nun, ich stehe auch unter Zwang. Und ich weiß nicht warum. Wollte ich dich meinen eigenen Überlegungen oder gewissermaßen Spekulationen dazu unterziehen, würde das ein paar von deinen Leben beanspruchen. Denn ich habe viel darüber nachgedacht. Trotzdem weiß ich´s nicht. Aber wenn´s vorbei ist, wenn wir nichts falsch machen, dann werd ich Teil von was Größerem, viel Größerem." (269)

Es scheint, als bliebe keine Wahl. Ungezählt zwar die Stimmen, die den Tod der KI vorhergesagt haben (und deren Scheitern war beträchtlich, gemessen an den Vorhersagen der KI-Zunft selbst). Doch mit neuen Techniken entstehen auch neue Potentiale, ein Projekt wie KI zu realisieren (wobei viel davon abhängt, wie "intelligent" KI konzipiert und mit welchen Perspektiven verknüpft wird). Ein Computer, der Schach spielt, muß keine Anwendung nützlicher Intelligenz sein. Man muß (mit neuer Intelligenz) über die neuen Möglichkeiten nachdenken, um nicht verrückt zu werden und vorbereitet zu sein - die Anforderungen sind zu hoch, als das man warten könnte. Die Maschinen mögen helfen bei der Bewältigung der globalen Probleme des nächsten Jahrtausends, aber "auf Kosten höchster Anforderungen an unsere Aufrichtigkeit und Intelligenz" (Norbert Wiener). Der Ingenieur Eric K. Drexler, der auf dem Gebiet der Nanotechnologie arbeitet, der Erforschung von Maschinen-Anwendungen auf molekularer Ebene (als u.U. ungeheurer Potenzierung von technischer Leistungsfähigkeiten) hat auf das Problem hingewiesen, zu einem bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung genaue Aussagen über den Stand einer Technik machen zu wollen:

"Niemand kann mit Gewißheit sagen, wann eine Technologie ausgereift sein wird (...) Für jemanden, der über weiträumige Entwicklungen und langfristig angestrebte Ziele nachdenkt, sind präzise zeitliche Prognosen unwichtig (...) Lösungen hängen oft von Einsichten ab, die man nicht jederzeit herbeiführen kann. Dennoch müssen Computer und Roboter der Nanotechnologie nicht notgedrungen komplexer sein als heutige Modelle. Es gibt natürliche Grenzen, aber innerhalb dieser Grenzen ist vieles möglich. Wie eingangs erwähnt, bestehen neben der Nützlichkeit neuer Technologien auch Gefahren, die sich zu einer Angelegenheit auf Leben und Tod steigern können. Ein erster Schritt besteht darin, zu erkennen und zu kritisieren. (...) Es gehtnicht darum, neue Erkenntnisse der Wissenschaft detailliert vorauszuplanen. Sie sollten vielmehr auf ihre Realisierbarkeit untersucht werden, um die Zukunft sinnvoll und gewinnbringend zu gestalten." (79)

Was ändert sich ? Ein anderer Cyberpunk-Autor, Walter Jon Williams, entwirfteine widersprüchliche Szenerie: "Molekulare Maschinen denken schneller, folgern besser, lernen aus Fehlern, verschieben Daten in Sekundenbruchteilen. Sie sind vollkommen effizient: keine Rohstoffverschwendung, keine Umweltverschmutzung, keine schädlichen Nebenwirkungen. Sie sind gedacht, um uns zu erlösen von Plackerei und Langeweile, um uns gar von der Sterblichkeit zu befreien und das verborgene Potential im Menschen freizusetzen.

Für die allermeisten blieb das Potential verborgen. Ein Bruchteil der Bevölkerung - zwei Prozent vielleicht - hat genügend Phnatasie und Verstand, um sich der neuen Technologie zu bedienen, um damit sich und ihre Ideale zu artikulieren und sich voll zu entfalten."(80)

Marvin Minsky 1987: "Alles, was Sie über Computer oder KI hören, sollten Sie ignorieren. Denn wir befinden uns noch in der Steinzeit. Wir leben in den tausend Jahren zwischen ´Keiner Technologie´ und ´Jeder Technologie´. Sie können lesen, was Ihre Zeitgenossen denken, aber Sie sollten nicht vergessen, daß sie ignorante Wilde sind." (81)

Was man absehen kann, ist eine Ausweitung der individuellen/gesellschaftlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnis - Räume: das individuelle Intelligenz-Spektrum wird breiter, wobei KI die neuen Wissensprozesse organisieren können.

Vilem Flusser: "Die Menschen werden umso freier, je kompetenter die Computer sind, mit denen sie sich koppeln. Je raffinierter die KI, desto größer die Einbildungskraft jener, die gekoppelt mit ihr Bilder erzeugen." (82)

In Neuromancer treten KI alsHandlungsträger auf: ein Anzeichen dafür, daß gesellschaftliche Konflikte nicht mehreinfach zu personalisieren sind , da die Struktur-Ebenen sich ausdifferenzieren und nicht mehr einfach in Charakteren gefaßt werden können. "Wintermute war Kollektivgehirn, Entscheidungsfäller, der verändernd auf die Außenwelt einwirkte. Neuromancer war Persönlichkeit. Neuromancer war Unsterblichkeit. Marie - France mußte irgendetwas in Wintermute eingebaut haben, die Besessenheit, die ihn dazu getrieben hatte, sich selbständig zu machen und mit Neuromancer zu vereinen." (344)

Raymond Kurzweil: "Die Computerintelligenz entwickelt sich ständig weiter. Radikal neue, massiv parallele Computerarchitekturen und neue Erkenntnisse zu den Algorithmen des Sehens, Hörens und zum Erwerb körperlicher Fertigkeiten bringen Computer immer mehr auf die Höhe menschlicher Leistungsfähigkeit und verbessern gleichzeitig die Leistung auf Gebieten, auf denen Computer seit je überlegen waren. Während Maschinen-Intelligenz sich weiter auf den Menschen hin entwickelt, ändert sich die menschliche Intelligenz, wenn überhaupt, nur sehr langsam (...) Nun treten wir in ein Zeitalter ein, in dem diese letzte Vorstellung unserer Einzigartigkeit einmal mehr herausgefordert ist. Diese Herausforderung kommt natürlich nicht über Nacht. Bis man ernsthaft behaupten kann, daß Computer eine dem Menschen vergleichbare Fähigkeit des Denkens haben, werden mindestens hundert Jahre vergehen, von der Erfindung des elektronischen Computers Ende der vierziger Jahre ab gerechnet. Wir haben Zeit, uns an den Gedanken zu gewöhnen. Vielleicht sollten wir an unseren Ausgangspunkt zurückkehren und den ursprünglichen Wert des Menschseins schätzen lernen."(83)

"Ich bin Metall und Plastik und Glas und Sand und diese kleinen Stücke metallisierten Fleisches, und ich bin das System dieser Dinge und der Signale, die durch sie hindurchgehen und sich zwischen ihnen verlieren. Nun bin ich noch weiter hinaufgegangen, zu Halo City, keine Station, sondern ein Ort für Menschen, wo das, was ich bin, und das, was ihr seid, auf unbestimmte Art und Weise zusammenwirken, und ihr verändert euch auf genauso unbestimmte Art und Weise, wie ihr es schon vorher getan habt (...) Maschinenintelligenz, so nennt ihr mich,... Ich weiß nicht, was ich bin, aber ich weiß, daß ich bin und daß ich ihre Schöpfung bin. Während die Tage verstreichen, bemühe ich mich zu verstehen, was diese Dinge bedeuten."(84)

Wenn esintelligente Maschinen geben wird, wird man nicht genau wissen unter Umständen, was vor sich geht: an äußeren Zeichen kann man möglicherweise ablesen, daß sieihre Umwelt manipulieren, was man als Zweckverhalten interpretieren kann; sie werden nicht unbedingt bewußt sein, keine "Seele" haben, aber doch eine Entität sein (Bruce Sterling).

Physik - Nobelpreisträger Gerd Binnig: "Was kommt nach der Intelligenz ? Dazu fällt einem vieles ein. Ich schreibe einmal hin, was sich mir aufdrängt: die künstliche Intelligenz. Wobei wir künstlich nicht als Gegensatz zu natürlich, sondern als Spezialfall davon sehen wollen. ´Künstlich´ bedeutet, es ist vom Menschen gemacht. Damit spekuliere ich, daß mit der künstlichen Intelligenz noch etwas ganz Wichtiges in der Zukunft passieren wird. Möglicherweise entsteht künstliches Leben. Also sagen wir: ´Mit der Reproduktion von künstlicher Intelligenz wird künstliches Leben entstehen´. Damit haben wir Menschen eigentlich ganz schlechte Karten. Vielleicht werden wir überflüssig. Sollten wir etwas dagegen tun ? Und wie wird es dann weitergehen ?"(85)

4. Science Fiction im Jahr 2000

In den letzten Jahren wurde schon diskutiert, ob Science Fiction als eigenständiges Genre noch möglich, überhaupt notwendig ist. Tatsache ist, daß einer enormen Ausweitung des "Stoffs" im sozialen Raum (neue kulturelle Objekte, Beziehungen (86)) zum Teil eine merkwürdige Verarmung der SF entgegensteht. Ich habe keine Lust, CP als festes Subgenre zu definieren, daß "Paradigmenprobleme" der SF gelöst hat (bis es selbst welche bekommt). CP ist ein "Indikator" (87) für Aufgaben, die sich stellen.

Sterling : CP ist ein Versuch, "die ursprüngliche Literatur einer postindustriellen Gesellschaft begründen" , eine Literatur, die den Stellenwert der Technologie begreift. Gibsons Selbsteinschätzung: CP als Schiene in der SF, "die Vorstellungen aus Surrealismus und Pop-Kultur mit esoterischen historischen und wissenschaftlichen Informationen mischt".

Der CP umschreibt einen "Riß" in der "normalen" Wirklichkeit, durch den etwas sichtbar wird, das man auf Dauer nicht ignorieren kann. So sehr sich die Wahrnehmung auch sträubt, die Erkenntnis ist unvermeidbar, daß ein Leben in interessanten Zeiten bevorsteht: die Absicherungen, "Einzäunungen" des "bekannten" kulturellen Universums verschwinden - "Turbulenzen" in den sozialen Strukturen stehen bevor, aus denen etwas Neues hervorgehen kann, da die alten Verhältnisse umgebrochen werden. SF kann eine Rolle spielen als "Quelle subversiver Information, als Einstimmung auf kulturelle Überraschungen".

Peter Schattschneider: der CP "sagt nicht, wie es wird; er sagt nicht einmal: was wäre, wenn... Er sagt, daß wir am Ende dieses Jahrtausends ein Problem mit der Kommunikation haben, das uns zu entgleiten droht. Und er sagt, daß die Fiktion (des Fernsehens, der Computer, der programmierten Reisen, der Konsumfetische, kurz: der Simulation ) unsere Wirklichkeit bereits jetzt in einem Ausmaß bestimmt, das nachdenklich machen sollte. Das heißt nicht, daß sie, die Fiktion, verwerflich wäre. Sie eröffnet ungeahnte Perspektiven für ein neues Lernen, eine neue Vielfalt, ein neues Erleben - die Frage ist, ob wir sie werden nutzen können."(88)

Michael Moorcock 1970 : "Offensichtlich wird unsere Kriegführung abstrakter, wird unsere allgemeine Unterhaltung abstrakter und werden unsere Beziehungen untereinander abstrakter. Alle Sachverhalte werden in dieser zukunftsorientierten Welt notwendigerweise abstrakter, die games people play eingeschlossen. Man könnte einwenden, das sei eine gefährliche Sache und wir verlören die Beziehung zur Realität, aber das scheint unabwendbar zu sein. Anscheinend müssen wir in einer neuen Realität Fuß fassen, müssen wir mit dem Unabwendbaren zu leben lernen. Unsere Literatur kann Verständnis für diese Zukunftswelt erzeugen, in der wir unserer Denkhaltung nach schon leben." (88a)

Im Prozeß des kulturellen Fortschritts entstehen außergewöhnliche soziale Zustände, die auf neue Weise bewältigt werden müssen - ein sehr widersprüchlicher Prozeß, der unterschiedliche Arten des (Re)Agierens bewirkt. CP als Spiel mit den möglichen kulturellen Effekten neuer Technologien. Die Technik wird in dem Sinn relevant, daß sie eigenständiger Teil der Kultur wird (wenn die KI - Prognosen sich bewahrheiten) und kulturelle Prozesse beeinflußt, verstärkt (Technik als neuer "Handlungsrahmen").

Die technologische Durchdringung der Gesellschaft ist ein Prozeß, dessen Auswirkungen nichtvorausberechnet werden können; er ist umfassend und beeinflußt Körperverhalten, intelligentes Denken.

John Shirley: "CP eine Mögl, sich auf den Zukunftsschock vorzubereiten, umgehen zu lernen mit den Flutwellen der Veränderungen, die auf unsere Gesellschaft zukommen werden".(89)

SF ist ein Mittel zum Ausloten der kulturellen Flächen, auf denen Verschiebungen der Maßstäbe (technische Innovationen, neue Bewertungen u.a.) stattfinden: inhaltliche Neuerungen, die in Korrespondenz stehen mit sozialen Veränderungen-CP hat einige Schlaglichter geworfen auf die kulturellen "Unsicherheitszonen" der Zukunft. Eine neue konzeptionelle Präzisierung in eine neue "Fremdheit" hinein: es ist völlig unklar, was "Posthumanität" bedeuten kann, was daraus für ein gesellschaftlicher Zusammenhang gebildet werden kann, aber SF kann ein Gefühl dafür schaffen, was an neuem Selbstverständnis entstehen kann, in Kopplung mit den Maschinen. Ein Nullpunkt, wo ein neuer Sinn ensteht, wo vieles möglich ist. Um an den Grenzen der neuen Vorstellungsräume zu reisen und alte Identitätsformen zu verlassen, sind gute "Werkzeuge der Kartographie" nötig - so eine Literatur, die ihre "Darstellungsfunktionen" ändern kann, um die neuen vieldimensionalen Räume zu "übersetzen". In der komplexer werdenden Umweltist eine neue künstlerische Haltung interessant, die einen Ausdruck findet für neue Funktionsebenen der Gesellschaft. Wie die Welt sich verändert, wird immer mehr in hochstrukturierten, technisch vermittelten Zusammenhängen stattfinden, die nicht einfach wahrzunehmen sind. Es wird schwieriger, dafür künstlerische Repräsentationen zu finden.

Gibson: "Wenn ich die Abhängigkeiten der Leute erkennen will, muß ich hinausgehen in die wirkliche Welt, muß Dinge finden, die mich stören und sie dann im Buch festhalten, denn die wirkliche Welt ist weit schreckenerregender als jeder fremde Planet, densich irgendwer ausdenken kann."(90)

Stanislav Lem 1964: "Die SF kann in dem skizzierten Problemkreis sowohl Visionen vermitteln, die bestimmte Formen autoevolutionärer Realisierungen gutheißen aus auch Warnungen aussprechen, indem sie prophezeit, was sein wird, wenn die Kultur - ... statt den Eingang zu den Labyrinthen der Omnimetamorphosierbarkeit des Menschen zu bewachen - es zuläßt, daß sie durch den technologischen Trend, der das Tages- und Jahresinteresse über das Jahrzehnte- und Jahrhundertinteresse stellt, gezähmt und majorisiert wird." (91)Die besondere Qualität von SF liegt darin, wie die überraschende Neubestimmung der Welt-Elemente gelingt, die in dem Stoff verdichtet sind, inwieweit im Ansatz neue Sinn-Horizonte eröffnet werden: vielleicht ist es notwendiger denn je, die individuellen Fantasien anzuregen für die neuen Herausforderungen. Die Bereitschaft forcieren,sich mit Träumen, Utopien auseinanderzusetzen 92. Und dabei einen ästhetischen Weg finde, die Maschinen als "Utopie-Maschinen" zu präzisieren, nicht nur als Mittel der Macht des Faktischen, in den Bedingungen dieser Welt. Auch für die SF bedeutet es eine weitergehende Arbeit,den Möglichkeits-Raum maschineller Entwicklung anzureissen. Technik kann einKatalysator utopischer Prozesse sein (wenn man diese Vorstellung noch verfolgen will und eine Sehnsucht nach anderen techno-kulturellen "Mustern" hat), deren Perspektiven offen sind und artikuliert, das heißt mit gesellschaftlichen Träumen, Interessen und Bedürfnissen in Beziehung gesetzt werden müssen.

Donna Haraway: "Die Kyborg-Vision kann uns einen Weg weisen aus diesem Irrgarten der Dualismen( Geist/Körper, Natur/Kultur u.a.) , mit denen wir uns bisher unsere Werkzeuge erklärt haben. Das ist ein anderer Traum einer gemeinsamen Sprache. Er enthält sowohl das Aufbauen wie auch das Zerstören von Maschinen, Identitäten, Kategorien, Beziehungen, Räumen, Geschichten."

Heiner Müller: "Die Überwältigung der Menschen durch die Instrumente zu verhindern ist jetzt die Aufgabe der Kunst (...) Nicht die Korrektur der Politik, sondern die Technik ist jetzt das Wesentliche."

In einem überschaubaren Zeitraum, in den nächsten Jahrzehnten, werden kulturelle Prozesse Brüche, Störungen in den dominanten Weltanschauungen erzeugen, bedingt vor allem durch die technische Evolution : Potentiale bilden sich, dieGrenzen und Möglichkeiten der Selbst-Verwirklichung verdeutlichen und die auch imaginär vorbereitet werden. Neue Maschinen - Umgebungen entstehen, die neue Fantasien verlangen, neue Wahrnehmungsfähigkeiten. Es ist ungeheures Wirklichkeitsmaterial vorhanden, um in aufregenden Visionen für das nächste Jahrtausend verarbeitet zu werden- in derErkenntnis, daß zukünftige Mensch- Maschine- Verbindungen eine Option sind, in eine neue Geschichte einzutreten.

Wolfgang Neuhaus


Anmerkungen
1 - aus: Memory Palace, in: Prix Art Futura Katalog, Barcelona 1992, 197
2 - Die US-Diskussion des CP ist ziemlich aktiv. Eine Auswahl an Publikationen: George Slusser/Thomas Shippey (Ed.): Fiction 2000: CP and the future of the narrative, Athens 1992;Scott Bukatman : Terminal identity : The virtual subject in postmodern SF, Duke UP 1993; Lance Olsen : William Gibson, Starmont House 1992; Gareth Branwyn (Ed.): Beyond CP , 1992 (ein Hypercard - Programm mit Bei-rägen von Richard Kadrey, Marc Laidlaw, Rudy Rucker u.a.; Vertrieb auf Disketten. Kontakt: The computer lab. Über Internet: gareth@well.sf.ca.us, über CompuServe: 72531,3473. Fax: 001- 703 - 527 - 6207). In der Fachzeitschrift Science Fiction Studies sind in den letzten Jahren mehrere Texte zu denCP-Romanen von Gibson erschienen.
3 - 10 Jahre ist es her, daß Gibsons "Neuromancer" erschienen ist.Offenbar wird es allgemein ernster genommen, als Gibson es sich je vorgestellt hat(er mochte vor allem britische Rezensionen, die das Buch als Satire gelesen haben). Diverse Stoffe, die er erarbeitet hat, sind Teil der kulturellen"Hintergrundstrahlung" geworden, unabhängig vom Autor, und werdenbeispielsweise jetzt erst in Hollywood "absorbiert". Abel Ferrara ("Body Snatchers") bereitet eine Verfilmung der short story "New Rose Hotel" vor. " Johnny Mnenomic" ist gerade in der Produktion (Regie: Robert Longo). James Cameron ("Terminator 2") hatte Interesse, "Chrom brennt" zu verfilmen. John Carpenter ("Die Klapperschlange") will, wenn die Computer -SFX so weit sind, "Neuromancer" umsetzen, zu dem schon Drehbuchentwürfe kursieren (so der Entwurf eines Autors von"Demolition Man").
4 - Nur ein Beispiel für eine gewisse Arroganz (und Ignoranz) aus der internationalen Rezeption: "Es ist klar, daß Gibson ein talentierter junger Autor ist, der sich zu einem der besten des Genres entwickeln könnte (...) Bislang sind auch gewisse Zweifel an Gibsons Themenbandbreite erlaubt; er muß noch eine ganze Menge zu Papier bringen, das nicht in seinem Zukunfts-Szenario spielt oder das eine moralische oder philosophische Dimension hat." (aus: Brian W. Aldiss/ David Wingrove : Der Milliarden - Jahre - Traum . Die Geschichte der SF, Bastei Lübbe SF Special 24135, Bergisch Gladbach 1990, 741/42)
5 - Vorweg zu "Neuromancer": es macht einfach Spaß, Gibsons Literatur zu lesen. Er entfacht ein wahres Feuerwerk an Ideen und Eindrücken, das einen packt (und das auf keinen Fall analytisch "seziert" werden kann). Seine Kurzgeschichten "New Rose Hotel", "Chrom brennt", "Der Wintermarkt" (alle in "Cyberspace", Heyne SF-Bd. 4468, München 1988) sind wahre Kleinode der SF. Ich kenne aus den letzten Jahren keine stories, die an Dichte und Pointiertheit an Gibson herankommen ( auch die anderen CP-Autoren schaffen das nicht). Ich finde es nicht entscheidend, daß zuviel Techno- oder Straßenjargon verwendet wird. Gibson ist ein Autor der "Tiefenstruktur", das heißt der kulturellen Entwicklungen, Möglichkeits-Linien, die strukturell vorbereitet werden und die vereinzelt an der Oberfläche erscheinen, bevor sie zu einem "Wirklichkeitsstrom" werden, zum Inhalt von Kulturpraktiken (oder auch nicht). Die Atmosphären, Szenerien beiGibson sind so effektiv angelegt, daß sie viel von solchen Linien künstlerisch "filtern". Meine Auswahl an Material, das Entwicklungen anzeigt, ist daher mit einigen Zitaten aus "Neuromancer" u.a. angereichert,die diesen Resonanz geben.
6 - Ein Angebot an die Leser, sich durch das Material eine eigene Route zu suchen. Kursiv sind dabei Zi tate und Bemerkungen zu "Neuromancer" (Heyne SF-Bd. 4400,München 1988) u.a. gesetzt, sowie Äußerungen von Schriftstellern.
7 - Zu einigen Namen, die in den Zitaten auftauchen: Neuromancer und Wintermute sind zwei Künstliche Intelligenzen, die im Hintergrund agieren und sich am Ende vereinigen. Case ist ein Console-Cowboy, ein Hacker im Cyberspace und Molly eine Berufskillerin, die ein paar implantierte Extras aufzuweisen hat. Dixie Flatline ist eine Art File, in dem das Bewußtsein eines physisch toten Hackers gespeichert ist, und Marie-France heißt die weibliche Gründerin des Tessier - Ashpool - Clans, einer exzentrischen Familie, die im Orbit lebt und nach Unsterblichkeit strebt.
8 - Club of Rome - Bericht 1991: Die globale Revolution, SPIEGEL Spezial 2,74
9 - Gibson: Fernsehen machen, in: Michael Nagula (Hg.): Atomic Avenue (AA), Heyne SF-Bd. 4704, München 1990, 59
10 - Stanislav Lem: "Wir stehen vor immer neuen Abgründen des Nichtwissens" . Ein Gespräch, in: Adalbert Reif/Ruth Renée Reif (Hg.): Grenz - Gespräche, Stuttgart 1993, 146
11 - Vorwort, in: Cyberspace ...
12 - in: Kurs auf den Eisberg. Ein Gespräch, Zürich 1984, 47/48
13 - in: Industrieroboter . Zur Archäologie der zweiten Schöpfung, Berlin 1985, 147/48
14 - Pam Rosenthal interpretiert CP als Medienproduktion, die aufmerksam ist dafür, wie die desorientierenden technologischen und politischen Veränderungen historisch wahrgenommen werden. Es gibt kein zivilpolitisches Leben mehr, aber ein kulturelles in hoher "Auflösung" (mit vielen technischen Details): nahezu jede menschliche Erfahrung kann digitalisiert werden und billig für den Massenkonsum reproduziert werden. Fazit: keine allgemein befreiende Techno-Kultur - ganz im Gegenteil, in der neuen kapitalistischen Welt "befreit" sich das Kapital und der technologische Fortschritt zunehmend von der Notwendigkeit, die Mehrheit der nationalen Arbeiterklasse in die Zukunft zu integrieren: Einführung von niedrigeren Löhnen, Deregulierung des Arbeitsmarktes, Automation. Die Leistung des CP ist, genau zu beobachten, wie sich die Grenzen, Regeln des Systems verschieben und literarisch die Botschaften der dunklen neuen Zukunft vorwegzunehmen, die sich da öffnet. CP (als Literatur, Film etc.) ist die bestmögliche Annäherung, da "formale Mechanismen" der imaginären Verarbeitung erfunden werden, ohne die niemand die tagtäglichen "Sensationen" der Entwicklungen rundherum vergegenwärtigen
kann. Rosenthal schließt damit, daß CP eine nützliche Anregung ist, eine "neue politisch revolutionäre Sprache" zu finden. Was sie damit genau meint, bleibt unklar. Siehe: Jacked in: Fordism, CP, marxism , in: Socialist review 11991
14 - aus: Skating across CP`s brave new worlds: an interview with Lewis Shiner, in: Critique spring ´92, 177
15 - Suvin kommt zu einer sehr differenzierten Einschätzung des CP, insbesondere der Literatur von Gibson, da dieser "zentrale Probleme unserer Raumzeit" identifiziert habe (siehe: Über Gibson und die CP - SF , in:Nagula (Hg.): AA .Seine Kritik ist aber zu eingeengt, wenn er schreibt:"Die Geschichte (im CP) ist ein allumfassendes grausames Schicksal, mehr als ein bißchen transzendental in ihrer sehr intimen Einfügung in das Fleisch der kleinen Protagonisten. Das Dilemma, in welchem Verhältnis persönliche Handlungen und Verhaltensweisen zum sozialen Wandel stehen, ist in Gibsons Modell zugleich unausweichlich und unlösbar (...). Mit einem Wort, ein lebensfähiger, diesseitiger, kollektiver und öffentlicher Utopismus liegt nicht innerhalb des Horizonts der CP - Struktur des Fühlens."(ebd.,548/49) Wie könnte denn ein solcher positiver "Utopismus" aussehen und wie wäre er literarisch "lösbar"?
16 - aus: Postmoderne - Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus , in: Andreas Huyssen/Klaus R. Scherpe (Hg.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek 1986, 100
17 - in: Das SF - Jahr 61991, 527/28. Eine andere Betonung dieser Fakten findet man bei Vilem Flusser: "Die Dritte Welt ist vor allem durch die demographische Explosion, das heißt, durch verringerte Babysterblichkeit gekennzeichnet. Meine Freunde schätzen das Durchschnittsalter in Brasilien auf 9 1/2 Jahre. Das heißt, daß das Lebensniveau dort trotz, allerdings inkompetenter Einführung von Technologie und, allerdings miserabel funktionierender, Marktwirtschaft nur sehr langsam steigt und daher relativ zur Ersten Welt abnimmt, wenn es auch absolut zunimmt. Denn Halbwüchsige sind unproduktiv, und falls sie irgendwie erzogen werden sollten, eine schwere Belastung. Sie sind auch eine Gefahr für die übrige Menschheit, wenn sie nicht kontrolliert sind (...) Die nicht beneidenswerte Aufgabe einer verantwortlichen Weltmacht ist, diese Teenagerwelle ein bis zwei Generationen lang zu kontrollieren, in der Hoffnung, daß nachher Technik, freier Markt und automatische Apparate das Lebensniveau der Dritten Welt beträchtlich heben. Die Aussichten sind dunkel. Wahrscheinlich werden diese Lausbuben die ganze Menschheit normalisieren. Cholera, Hungersnot und städtische Virulenz werden auf der ganzen Welt, auch bei uns wieder normal werden, wie sie es ja bis vor 200 Jahren überall waren. Die einzigartige Periode des Wohlstands in der Ersten Welt wird vorbei sein." (aus: Rückkopplung, in: kulturRRevolution . zeitschrift für angewandte diskurstheorie261991,6)
18 - aus: Die Ära der Kyber-Punks, in: WIENER 4/1987
19 - aus: Life after CP , in: i-D The new look issue - 12/1993, 43
20 - alle Müller - Zitate aus: Zur Lage derNation . Interviews , Berlin 1990
21 - Karlheinz Steinmüller nennt als "Gesetze" des CP: high tech ist behaftet mit unerwarteten und zumeist unerfreulichen Neben- und Folgewirkungen ; jede Innovation wird mißbraucht für privaten Lustgewinn
und Machtpolitik ; high tech führt nicht zu "high life". Siehe: High - Tech als Subkultur . Der CP lebt von der Endzeitstimmung , in: VDI - Nachrichten 6.3.1992,16
22 - aus: Gesellschaftliche Veränderungen durch elektronische Medien, in: Hermann Sturm (Hg.): Verzeichnungen . Vom Handgreiflichen zum Zeichen, Essen 1989
23 - in: Media lab. Computer, Kommunikation und neue Medien , Reinbek1990
23 - aus. Jostein Gaarder: Sofies Welt. Ein Ro über die G. der Phil, Mü/Wien ´93, 516
24 - Die Faszination CS ist in den letzten Jahren oft genug behandelt worden. Auch im SF-Jahr sind einige Beiträge dazu erschienen. Ich versuche mich auf Aspekte zu konzentrieren, die den CS nicht nur als virtuelle Realität darstellen, als neue Mediendroge u.ä., sondern diedieUtopie eines "erkenntnisbezogenen CS" (Darko Suvin) verdeutlichen.
25 - Der CS, in welcher konkreten Form auch immer, ist meiner Meinung nach ein neues Medium, dessen relevante Funktionen sich auf die Steigerung kultureller Intelligenz beziehen (und daneben auf neue Spektakel der Unterhaltung). Die völlig überzogene Debatte um Geschlechtlichkeit und Sex im CS scheint eher ein Symptom für die Schwierigkeit zu sein, die post - humane (Zusatz)Bedingung menschlicher Existenz zu denken(siehe den nächsten Abschnitt). Einen Ausschnitt dieser Debatte präsentiert: Marie - Luise Angerer : The pleasure of the interface . Beziehungsgeflechte in einer telematischen Kultur, in: Das Argument 20/11/99
26 - aus: Die Zukunft von CS: Wildes Grenzland gegen hyperrealen Grundbesitz, in: Gottfried Hattinger u.a. (Hg.): Virtuelle Welten. Bd. II der Ars Electronica 90, Linz 1990
27 - Gibson weist auf die widersprüchlichen Bedingungen hin, in denen der "Data Highway" entwickelt werden soll:"A system that in some cases isn't able to teach basic evolution, a system bedevilled by the religious agendas of textbook censors, now proposes to throwitself open to a barrage of ultrahighbandwidth information from a world of Serbian race-hatred, Moslem fundamentalism, and Chinese Mao Zedong thought. A system that has managed to remain largely unchanged since the 19th Century now proposes to jack in, bravely bringing itself on-line in an attempt to meet the challenges of the 21st.I applaud your courage in this (...)But many of America's bad dreams, our sorriest futurescenarios, stem from a single and terrible fact:there currently exists in this nation a vast and disenfranchisedunderclass, drawn, most shamefully, along racial lines, andpermanent feature of the American landscape. What you propose here, ladies and gentlemen, may well represent nothing less than this nation's last and best hope of providing something like a level socio-economic playing field for a true majority of its citizens." (Rede bei der National Academy of Sciences Convoca tion on Technology and Education, Washington D.C., May 10, 1993, verbreitet über Internet)
28 - aus: Software, in: Spektrum der Wissenschaft Sh. Computer - Software 1985
29 - Folgende Aussage belegt den Einfluß, den die Medienwelt auf die Produktion seiner Literatur hat(te): "What I wanted, was something that allowed access to the formal narrative territory of cinema, something that would give me the literary equivalent of an editing table. I wanted to be a able to move the characters spatially without having to walk them between the points. So I warm up with the idea of projecting them into a sort of imaginary cybernetic territory, where I can than shift them around electronically. As I began to work with that, I think I realize that it would also providing me with a sort of metaphoric handle which to examine the world of media which we all inhabit." (Gibson bei einem Workshop an der Akademie der Künste Westberlin, Juni 1991)
30 - Eine völlige Überschätzung der Medien, ganz in der theoretischen Ideologie des Poststrukturalismus, ist nachzulesen bei dem Philosophen Norbert Bolz: "Durch die Elektrifizierung unseres Lebens ist die Geschwindigkeit von Impulsen im Zentralnervensystem zum Maß für die gesellschaftlichen Informationsprozesse geworden. Und so wie das Zentralnervensystem die Glieder und Sinne eines Organismus koordiniert, so steuern die elektrotechnischen Medien den Selbstvollzug der Weltgesellschaft. Seit es elektronische Massenmedien gibt, kann die Weltgesellschaft praktisch ´auf den Schlag´, ´im Augenblick´ koordiniert werden. Seither ist es viel wichtiger, rechtzeitig zu sein, als einig zu sein. Geschwindigkeit zählt mehr als Argumente. Unsere kulturelle und intellektuelle Herkunft ist fast gleichgültig angesichts einer Zukunft, die weltweit im Zeichen der neuen Medien stehen wird." (siehe: Die unerträgliche Geschwindigkeit des Seins, in: Universitas 61994)
31 - Vilem Flusser arbeitet am Mythos der Techno - Kultur : "... das Gebiet einer künftigen, elektronische Bilder synthetisierenden Gesellschaft. Das wird, von hier und jetzt aus gesehen, eine abenteuerliche Gesellschaft sein, in der sich das Leben von unserem eigenen radikal unterscheidet. Die gegenwärtigen wissenschaftlichen, politischen und künstlerischen Kategorien werden dort kaum mehr wiederzuerkennen sein, und selbst das Lebensgefühl, die existentielle Stimmung, wird in dieser Gesellschaft eine uns neue und fremde Färbung haben. Es geht hierbei nicht um eine in weiter Ferne schwebende Zukunft: Wir sind bereits jetzt und hier auf dem Absprung dorthin. Zahlreiche Aspekte dieser abenteuerlich neuen Gesellschafts- und Lebensform sind schon heute an unserer Umgebung und an uns selbst ersichtlich. Wir leben in einer emportauchenden Utopie, die gleichsam vom Grund her in unsere Umwelt und in unsere Poren eindringt. Was um uns herum und in uns geschieht, ist fantastisch, und alle vorangegangenen Utopien, seien sie positiv oder negativ gewesen, verblassen angesichts dessen, was da emportaucht."
32 - Eine Kritik an der theoretischen Formation des Humanismus (und ihrer zentralen Kategorie des Subjekts) wird in den Geistes - und Sozialwissenschaften seit Ende der sechziger Jahre geführt. Aktuelleres Material für diese Diskussion findet man z.B. in: Robert Weimann / Hans-Ulrich Gumbrecht (Hg.): Postmoderne - globale Differenz, Frankfurt/M.1991 oder Hans Rudi Fischer u.a. (Hg.): Das Ende der großen Entwürfe, Frankfurt/M.1992
33 - Wie sehr der Humanismus-Diskurs implizit die Wahrnehmung des CP beeinflußt, zeigt als Beispiel folgende "selbstverständliche" Aussage : in Gibsons Romanen sind die Protagonisten "Produkte einer übergreifenden und durchdringenden Entwicklung, die das Humane durch Funktionalität, die Kultur durch künstliche Intelligenz ersetzt" (aus: Klaus W. Pietrek : Die letzten Cowboys auf den wilden Ebenen der digitalen Matrix, in: Ulcus Molle Info 1-3 1989,31).
34 - Das ist in der US-Diskussion des CP ein Thema. "The potential in CP for undermining concepts like ´subjectivity´and ´identity´ derives in part from its production within what has been termed ´the technological imagination´; that is, CP is hard SF which recognizes the paradigm - shattering role of technology in post-industrial society (...) The anti-humanist discourse of CP´s frequent manifestoes, however, strongly supports de Lauritis ´s contention that ´technology is our historical context, political and personal´. As I have suggested, this context functions in CP as one of the most powerful of the multiplicities of structures which combine to produce the postmodern subject." (aus: Veronica Hollinger: Cybernetic deconstructions: CP and postmodernism, in: Mosaic 21990,35) Hollinger resümiert, daß der CP eine wichtige Anregung in den achtziger Jahren gewesen ist, das Bild einer unterlegenen Menschlichkeit zu zeichnen, beherrscht von einer außer Kontrolle geratenen Technologie. In Zukunft muß die Beziehung Mensch/Maschine auf eine neue (de)konstruktive Weise gedacht werden, um das zu verstehen, was eine "wechselseitige Evolution" geworden ist.
35 - zitiert nach: Martin Stingelin: Sturm auf die Informationsmaschinen? In Begleitung von Thomas Pynchons Aufsatz "Is it o.k. to be a Luddite?", in: Hans-Ulrich Reck (Hg.): Kanalarbeit , Basel 1988
36 - Einen kurzen Überblick über diese gegensätzlichen Standpunkte gibt der Artikel "Denn sie wissen nicht, was sie tun" von Nick S. Martins (in: GEOWissen 3, 1992), der Aussagen von Minsky und dem Robotik-Forscher Hans Moravec mit denenvon Weizenbaum und demSozialphilosophen Hans Jonas konfrontiert.
37 - Editorial, in: Das SF - Jahr61991
38 - "We need first to understand that the human form - including human desire and all its external representations - may be changing radically, and thus must be re - visioned. We need to understand that five hundred years of humanism may be coming to an end, as humanism transforms itself into something that we must helplessly call posthumanism." (aus: Ihab Hassan : Prometheus as performer : toward a posthumanist culture ?, in: Michael Benamou/Charles Caramello (Ed.): Performance in postmodern culture, Madison 1977)
39 - aus: Vom schönsten Kind des Glaubens, in: kultuRRevolution 221990, 64
39a - (zu ´posthuman´): Norman Spinrad äußert sich zu Tendenzen des Posthumanen in der CP-Literatur allgemein, siehe: Die Neuromantiker. Nachwort, in:Neuromancer...
40 - weiteres Material zu dieser Auseinandersetzung findet man in: Godela Unseld : Maschinenintelligenz oder Menschenphantasie. Ein Plädoyer für den Ausstieg aus unserer technisch-wissenschaftlichen Kultur, Frankfurt/M. 1992
41 - Die Herausforderung wird größer,positive Utopien mit neuen Techniken zu verbinden. Da kann schnell das Klischee entsehen, daß die alte SF noch Zukunftshoffnungen hatte, während der CP nur noch eine düstere Szenerie des menschlichen Niedergangs zeichnet und keinen positiven technischen Fortschritt mehr kennt. Da bleibt dann die stereotype Bedrohung des nicht "humanen" Menschen aus der Retorte übrig (ohne Zwischentöne, die etwas anderes andeuten können). Karlheinz Steinmüller schreibt in dem Zusammenhang: "Schleichend verwischt die Grenze zwischen Mensch und Maschine. Walkman und Herzschrittmacher sind erst der Anfang. Die SF zeigt, wohin die Entwicklung laufen könnte: implantiertes Computerinterface, künstliche Organe, Biochips - der Superman aus der Retorte, Nietzsches Übermensch heißt heute ´Terminator´ (...) Sehr bald schon, so das Credo der Cyberpunker, werden wir nicht mehr unterscheiden können, was da vor uns steht, Mensch oder Maschine. ´Fortschritt´, mir graut vor dir." (aus: Wenn der Zeitgeist durch die Zukunft weht ... , in: Programmheft des Capital Con ´92, Berlin)
42 - Einige Zitate von Gibson u.a. stammen aus der britischen Fernsehproduktion "New nightmares", die 1993 von Channel 4 ausgestrahlt worden ist (Editor: Adam Barker).
43 - aus: Die Vergangenheit der Zukunft, Frankfurt/M. u.a.1992
44 - In der US-Diskussion wird beispielsweise der Trend des "piercing", bei dem Metallringe u.a. durch Körperteile gestochen werden, schon als Anzeichen der Gegenkultur gesehen, auf dem "Schauplatz" des Körpers erste mikropolitische Kämpfe zu führen, die um Einschreibungsweisen von Macht gehen. Siehe: Mark Dery : Cyborging the body politic, in: Mondo 20006,1992
45 - Wie (verdächtig) "vertraut - normal - selbstverständlich" lesen sich da doch folgende Sätze: "In diesen (soziotechnischen Systemen) wandelt allerdings der Mensch seine Aufgaben und seine Funktionen, aus dem Homo sapiens wird der Homo sapiens informaticus. Es entsteht ein Mensch und ein Menschenbild, welches darauf aufbaut, daß sich menschliche und technische Informationsverarbeitung komplementieren. Wir sehen immer mehr die Entwicklung zur psychischen Mobilität mit
Informationsverarbeitungstechnik - in Analogie zur physischen Mobilität mit Verkehrstechnik." (aus: Klaus Haefner: Autonome, Unberechenbare und Ersetzbare, in: Helmut A. Müller (Hg.): Die Gegenwart der Zukunft, Bern u.a.1991,116)
46 - Was ist eine "Identität"? Wenn man eine komplexe kulturelle Situation beschreibt, kann das ein Begriff sein, der einen "natürlichen - menschlichen Zustand" ausdrückt, in der Perspektive, diesen wiederherzustellen. Im Bericht des "fortschrittlichen" Club of Rome liest sich das so: "Menschen brauchen ein Bewußtsein der eigenen Identität, wenn sie ein Leben in Anstand und menschlicher Würde führen wollen.
Viele Gesellschaften der Vergangenheit (?) haben das sehr gut verstanden, aber im heutigen Strudel der Veränderungen ist es schwer, die eigene Identität zu bewahren.(...) In den westlichen Gesellschaften
mit ihrerseichten Ideologie des Konsums - ´Ich bin, was ich habe´ beziehungsweise´Ich bin, was ich tue´- sind die fundamentaleren Aspekte des Lebens wie die Religion, die ethnische Identität und die ererbten Werte und Überzeugungen (?!)in Vergessenheit geraten." Das Beispiel zeigt die ideologische Macht des Humanismus - Diskurses. Damit das menschliche Subjekt nicht aus dem Zentrum der kulturellen Sinn-Produktion gerät,werden die alten Werte von Religion u.a. in Kauf genommen (in deren Namen unzählige schwere Verbrechen begangen worden sind). Wenn sich das nicht sofort in eine zukünftige kulturelle Abwehrfront gegen die weitere Technisierung eingliedern liesse, wäre es eher komisch, daß dieHerren vom Club lieber ihren Gottes - Glauben (natürlich "aufgeklärt" als "Spiritualität") behalten wollen, als über neue Identitätsformen nachzudenken. Außerdem widerspricht das ihrer eigenen Kritik an den "archaischen Strukturen", denn warum sollten alte Denkweisen dabei helfen, die neuen komplexen Problemsituationen zu lösen oder eine globale Vision zu erzeugen ? (siehe Zitat im Text)
47 - Ein Beleg dafür, wie die Demontage des Humanismus-Diskurses angegriffen wird (mit politischen Bezügen): "... die andere Frage, wie mit dem Machtanspruch einer Technik zu leben sei, die ihrer moralischen Bewältigung so sichtbar spottet. Die Frage ist darüber hinaus, wie den Rebellionen vorzubeugen ist, welche politische Kultur, Vernunft und Zivilisation bedrohen und mit ihnen alles, was der alte Kontinent an menschlichem Maß trotz aller Katastrophen noch bewahren konnte. Ohne schmerzhafte Überprüfungen wird es dabei nicht abgehen, aber auch nicht ohne moralischen Mut, den Willen zur Verantwortung und die Fähigkeit, Freiheit und Ordnung zusammenzudenken -" (aus: Michael Stürmer : Wie modern ist der moderne Mensch ? Historische Dissonanzen , in: Jürgen Mittelstraß (Hg.): Wissenschaftlich - technischer Fortschritt als Aufgabe in einer freiheitlichen Kultur, Köln 1987, 26)
48 - Eine weitere drastische Artikulation der anti - humanen Bedeutung der Technik: "Das Alltagsverhalten hat gegen den Technikimperialismus nur eine Chance, weil es bereits zertrümmert ist und aus den Bruchstücken heraus nicht anders kann, als sich anarchisch, und deshalb vielleicht doch erfolgreich, zu entziehen und den technischen Perfektionismus leerlaufen zu lassen. Das globale Technikprojekt geht in der Tat auf technische Totalität aus: die Substitution menschlicher Besonderheit. Es braucht kein Fachwissen, um zu sehen, daß das ein Wahn ist." (aus: Dieter Hoffmann - Axthelm: Über die Schnittstelle, in: Ästhetik & Kommunikation 75 1990, 37)
49 - in: The desert of the real : the CP controversy, in: Mississippi review 47/481988
50 - Norbert Bolz liefert einen Schnelldurchlauf durch Stationen der postmodernen Kulturlandschaft, die gekennzeichnet sein soll durch die Kränkung des Humanismus :"Der Mensch des Humanismus irrt wie ein Fremder durch eine Welt, die von hoher Komplexität, extremer Beschleunigung und einer bis an die Grenze des Immateriellen vorangetriebenen Mikrologisierung geprägt ist. Das Funktionieren dynamischer Systeme, die Geschwindigkeit der Datenströmeund die Gadgets der Mikroelektronik stehen in keinem Verhältnis mehr zum humanistischen Maß des Menschen. Wir sind... Prothesengötter, angeschlossen an Techniken, die man nicht versteht; umstellt von Objekten, die man nicht durchschaut."
Die berechtigte Kritik an bestimmten theoretischen Implikationen des Humanismus-Diskurses (besonders die Vorstellung des Subjekts als einer relativ "geschlossenen Einheit", die aus "sich" heraus Erkenntnisse produziert und Erfahrungen macht), wird in die andere Richtung übertrieben: der Mensch als antiquiertes Anhängsel von subjektlosen Prozessen der Datenverarbeitung.Daß eine theoretische Interpretation nicht mehr greift, bedeutet aber nicht, daß von vornherein die praktischen menschlichen Maßstäbe der (Re)Produktion von Lebensnotwendigkeiten verschwinden. Bestimmte gesamtgesellschaftliche Effekte der Mikroelektronik sind nicht vorhersehbar, was aber nicht heißt, daß ihr Einsatz in Teilbereichen nicht kreativ-rational-kompetent vollzogen wird. Siehe: Die unerträgliche Geschwindigkeit ...
51- aus: Der Sozialismus und der Mensch in Kuba, in: Der neue Mensch . Entwürfe für das Leben in der Zukunft, Dortmund1984, 35
52 - aus: Vorwort, in: Sterling (Hg.): Spiegelschatten . Die große CP - Anthologie, Heyne SF-Bd. 4544, München 1988, 17
53 - Claudia Springerweist auf den Widerspruch hin, daß im CP, ob literarisch oder visuell, für die Beschreibung der neuen Mensch/Maschine - Einheiten eine Sprache und Bildlichkeit benutzt wird, die stark mit menschlichen Körper - Funktionen verbunden sind (ein Beispiel wäre der bodybuilding- mäßige männliche "Körperpanzer" des Cyborgs Robocop). Siehe: The pleasure of the interface, in: Screen 31991
53a - (zu ´fragmentiert´): Die besondere Wirkung von Gibsons Literatur geht von einer Art "fraktaler Ästhetik" aus. Gibsons baut seine stories aus Ortsbeschreibungen, Erinnerungen, Metaphern, Dialog, Stimmungen, Technikbildern in schnellem Wechsel auf. Bei einem erneuten Lesen nachZeit hat man bei den besten stories das Gefühl, man liest sie zum ersten Mal. Jedes Element scheint eine neue Bedeutung zu haben. Seine fragmentarische Schreibweise, die eine "organische" Einheit bildet, korrespondiert dabei mit fragmentarischen Wahrnehmungsweisen des Subjekts, und Gibson thematisiert das selbst in seiner ersten story: "Eine Hologramm-Rose hat diese Eigenschaft: Wiederhergeholt und beleuchtet, zeigt ein jedes Fragment das ganze Bild der Rose. Nach Delta fallend, sieht er sich als die Rose, wobei ein jedes seiner verstreuten Fragmente ein Ganzes offenbart, das er nicht kennt."
(in: Cyberspace..., 61)
54 - Michael Nagula berührt diese Problematik, wenn er schreibt: "Die Gesellschaft bekommt den Platz desÜberindividuums zugewiesen, indem der einzelne an seine menschlichen Grenzen stößt und sich nach Computerart ´aufrüsten´ muß..., um seine neuen Glieder, seine schwindende Perspektive weiter in den Dienst der ihm übergeordneten Struktur zu stellen, die er längst nicht mehr integrieren kann. Intuitiv reagiert er so auf das Spannungsverhältnis, in dem er zur Gesellschaft steht, macht sich zu ihrem Bestandteil, der bloß noch Informationsträger und nicht mehr ist. Das ist seine Art und Weise, sich Sicherheit zu verschaffen. Noch in der Auflösung seiner selbst die ihm zugewiesene Funktion zu erfüllen, die in einer reinen Weitergabe gespeicherter Information besteht." (aus: Palimpseste . CP und die Urbarmachung der SF .Nachwort, in: Sterling (Hg.): Spiegelschatten ..., 394) Das ist eine düstere Perspektive, die Nagula da zeichnet. Das Individuum ist nur noch Effekt einer Struktur, die es nicht mehr durchschaut und blindlings erfüllt. Das scheint mir eher eine nicht weiterbringende Übertragung einiger Theoreme aus strukturalistischen Konzepten von Lacan (Stichwort : das Subjekt als Effekt der Struktur des Unbewußten) und Kittler (das Subjekt als Effekt der Struktur von Medienmaschinen) zu sein, die zu wenig die Materialität, Widersprüchlichkeit von kulturellen Prozessen der Subjekt-Konstitution berücksichtigt.
55 - Siehe dazu: Stuart Hall : Brave new world , in:Marxism todayoct.1988, 24f.
56 - aus: Praktiken der Zukunft . Modernität und Maschinismus, Technik und Ökosophie, in: Lettre international24 1994
57 - aus: Gibson: New Rose Hotel, in: Cyberspace...
58 - siehe: Die Stimme des Wirbelwinds, Heyne SF-Bd. 4578, München 1990
59 - aus: Lieber Kyborg als Göttin! Für eine sozialistisch - feministische Unterwanderung der Gentechnologie. Dieser für die amerikanische CP-Diskussion so wichtige Text erschien schon 1984 auf Deutsch in: Bernd-Peter Lange/Anna Maria Stuby (Hg.): "1984" (Gulliver . Deutsch - Englische Jahrbücher Bd. 14), Berlin
60 - aus: Phantastik und Futurologie II, Phantastische Bibliothek Bd. 126, Frankfurt/M. 1980, 596
61 - aus: Golems Antrittsvorlesung,in: Lem: Imaginäre Größe , Frankfurt/M. 1976, 205
62 - Siehe dazu auch: Günther Luxbacher u.a. : Cyberspace und virtuelle Welten . Die aktuelle Diskussion um Geist und Maschine, in: Das SF - Jahr 61991
63 - Hans Moravec: "Eine postbiologische Welt, die von sich selbst vollkommenden, denkenden Maschinen beherrscht würde, wäre von unserer Welt so verschieden, wie diese von der Welt der leblosen Chemie, die ihr voranging. Sich ein Bewußtsein von solchen Kindern des Geistes, die durch keinerlei materielle Zwänge mehr eingeengt sind, vorzustellen, übersteigt eigentlich die Kraft unserer Fantasie." (aus: Mindchildren . Der Wettlauf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz, Hamburg1990, 14/15).In einem Interview für Mondo 2000 (Nr. 11 1993) meint er, daß die Maschinen in Zukunft die vollständige Versorgung der Menschen übernehmenund diese sich in neuartige "Stammesgesellschaften" zurückziehen. Aus futurologischer Sicht wird Moravecs Buch übrigens als "schlechte SF" inpretiert, als Vertreter einer "magischen Traditionslinie" (?) in der Technik. Siehe: Ute Hoffmann / Lutz Marz: Leitbildperspektiven: Technische Innovationen zwischen Vorstellung und Verwirklichung, in: Klaus Burmeister / Karlheinz Steinmüller (Hg.): Streifzüge ins Übermorgen . SF und Zukunftsforschung, Weinheim/Basel 1992, 219.
64 - siehe dazu:Greg Bear: Blutmusik, Heyne SF-Bd. 4480, München 1990
65 - aus: Gesteigerte Gebärden / Obsoletes Begehren . Post - evolutionäre Strategien, in: Karl Gerbel / Peter Weibel (Hg.): Die Welt von Innen - Endo&Nano (Ars Electronica 92), Linz 1992
66 - zitiert nach: Science Fiction Times31987, 12
67 - weiteres Material zu dieser Problematik findet man in: Gert Kaiser u.a. (Hg.): Kultur und Technik im 21. Jahrhundert, Frankfurt/M. - New York1993
68 - zwei Publikationen, die die Kontroverse um KI präsentieren: Günther Cyranek/Wolfgang Coy (Hg.): Die maschinelle Kunst des Denkens . Perspektiven und Grenzen der KI , Braunschweig/Wiesbaden 1994 ; Sybille Krämer (Hg.): Geist, Gehirn, KI : zeitgenössische Modelle des Denkens, Berlin u.a. 1994
69in: Intelligence Service . Schriften , Berlin 1987
70 - in: Mensch und Menschmaschine, Berlin u.a.1958
71 - aus: Maschinen sind mehr als sie scheinen, in: Maschinen wie Menschen (erschienen in der Reihe "Modelle für eine neue Welt", hrsg. von Robert Jungk/Hans Josef Mundt), München u.a. 1969
72 - in: Der Computer - mein Lebenswerk , München 1971
73 - aus: Daniel Fischlin u.a.: "The charisma leak" : a conversation with William Gibson and Bruce Sterling, in: SF Studies 19 1992, 7
74 - in: Alltag mit Mikros . Computerfibel von A - Z , Reinbek 1985
75 - Der französische Philosoph Jean-Francois Lyotard erklärt, daß das zentrale Problem von Technik und Wissenschaft ist, für die "Software" des (menschlichen) Denkens eine Hardware zu entwickeln, die nicht mehr von den Lebensbedingungen der Erde abhängig ist - das ist ein Prozeß, der schließlich ohne menschliches Subjekt vollzogen wird (d.h., ohne im engeren Sinn menschlich-verkörperlichtes Denken), sondern mit KI, da das Ausbrennen der Sonne in der Zeit ein kosmisches Exil notwendig macht. Siehe: Das Inhumane, Wien 1989.
76 - Felix Guattari nennt neue Werte wie "Maschinen-Kreativität" und "Re-Singularisation der Existenz" als Brennpunkte einer neuen fortschrittlichen Polarität.Will die Menschheit das globale Chaos verhindern, wird sie eine "Vernunft- und Liebesehe mit den vielfältigen Verzweigungen des Maschinismus" eingehen müssen. Er benutzt biologische Metaphern der Evolution, um eine positive technologische Entwicklung zu denken. "Maschinen sind keine in sich selbst (ab-) geschlossenen Totalitäten. Sie unterhalten genau bestimmte Beziehungen zu einem raum-zeitlichen Außen sowie zum Universum der Zeichen und zu Virtualitäts-Feldern (...) Die Erscheinung dieser Genealogien und Alteritäts-Felder ist komplex. Sie ist ununterbrochen dem Einfluß aller schöpferischen Kräfte der Wissenschaften, der Künste und der sozialen Innovationen ausgesetzt, die sich gegenseitig durchdringen und eine unsere Biosphäre umhüllende ´Mechanosphäre´ bilden. Diese Umhüllung hat man sich aber nicht in der Art eines fesselnden Halseisens oder einer an gelegten Rüstung vorzustellen, sondern als einen abstraktiven Maschinen-´Belag´, der dem Werden des Menschen Perspektiven zu eröffnen sucht." (in: Lettre)
77 - Der KI-Forscher Jörg Siekmann 1984:"Die KI-Forschung ist ein Trend der Geschichte, den wir nicht aufhalten können. KI-Systeme aus diesem Bereich werden in den nächsten zwanzig Jahren tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen hervorrufen und sich schließlich in der ganzen Gesellschaft einnisten. In der Übergangsperiode vor einem solchen Einsatz der Systeme wird es wegen unnötiger Besorgnis zu Verwirrungen kommen. Wir müssen uns bemühen, Künstliche Intelligenz als unseren Freund und Partner zu betrachten. Wir denken, daß das möglich ist." (zitiert nach: Rolf Kreibich: Die Wissenschaftsgesellschaft . Von Galilei zur High - Tech - Revolution, Frankfurt/M. 1986,726)
78 - aus: Hurtling towards the singularity . Interview, in: Mondo 200011989, 116
79 - aus: Technologie der Zukunft, in: John Brockman (Hg.): Neue Realität, München 1990, 113
80 - aus: Flatline, in: Nagula (Hg.): AA ...
81 - zitiert nach: Brand, Media lab ..., 137
82 - in: Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen 1989, 97
83 - in: KI - Das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, München - Wien 1993, 449
84 - in: Tom Maddox: Das Aleph System, Bastei - Lübbe SF-Bd. 23135, Bergisch Gladbach 1993
85 - in: Aus dem Nichts . Über die Kreativität von Natur und Mensch, München - Zürich 1990, 77
86 - Gibson: "I think most people would be very hard pressed to say exactly how many electric engines they have in their home and automobile. It´s virtually impossible, you just don´t know. We never think about them, they are all around us, they are operating constantly and they are just part of the background. I think that computation will go that way, so the computers will become small and transparent and finally invisible and sort of spread out through everything. And everything will be interconnected and we simply won´t be aware of it."
87 - CP wird nun von den Medien als Techno - (Sub)Kultur der Neunziger genannt, siehe: FOCUS 151993
88 - aus: SF - Vision für das 3. Jahrtausend, in: Das SF-Jahr71992, 439/40
88 - aus: Eine neue Literatur, in: Frank Rainer Scheck (Hg.): Computerträume . Neue SF , Münchewn 1973, 10/11
89 - zitiert nach: Nagula (Hg.): AA... , 630
90 - zitiert nach:"Brave new worlds", einer US - Fernsehproduktion von 1992 (Autor: Paul Oremland)
91 - in: Phantastik und Futurologie I , Phantastische Bibliothek Bd. 122, Frankfurt/M. 1984, 244
92 - Nochmal Guattari: "In der zukünftigen politischen Auseinandersetzung wird es weniger darauf ankommen, in der Öffentlichkeit eine massenhafte Anhängerschaft für eine bestimmte Idee zu erobern; vielmehr wird entscheidend sein, zu sehen, in welch vielfältigen, lebendigen sozialen Segmenten sich die öffentliche Meinung strukturiert. Die Realität ist nicht mehr einzig und unteilbar. Sie ist vielfältig und wird von Möglichkeits-Linien durchquert, die von den Praktiken menschlichen Handelns flugs ergriffen werden können. Neben der Energie, der Information und den neuen Werkstoffen stellt sich im Herzen neuer Maschinen-Abenteuer, seien sie technologischer, sozialer, theoretischer oder ästhetischer Art, ein Wille zur Wahl und zum Eingehen von Risiken ein."


Dank an Wolfgang Neuhaus für die Genehmigung zur Veröffentlichung im Archiv Sterneck.net

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