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Wolfgang Neuhaus:
AM NULLPUNKT DER POSTHUMANITÄT
- Cyberpunk-Fragmente -
"These days it all changes ...
Nothing stable, nothing static.
Nothing to stand on or to cling to ...
No maps for these territories ,
though they are of our own creation ...
No myths for these countries of the mind
(...) Accelerating constantly ,
toward some null point of post - humanity"
William Gibson(1)
0. Intro
Wenn man sich die bundesdeutsche Cyberpunk (CP) - Diskussion (2)
anschaut, wird man ein Gefühl von Provinzialität nicht
los. In der Bundesrepublik erschienen erste Einführungstexte
zu einem Zeitpunkt, als die Bewegung "offiziell" schon
wieder vorbei war (3). Einige Schlagworte, mit denen der CP belegt
wurde, sind bekannt: "Mode", "Zeitgeist", "Science
Fiction (SF) der Postmoderne". CP habe nur "Oberflächensensibilität",
zeichne sich durch "temporeichen Stil" aus. Die "ideale
Unterhaltungslektüre"für jeden Computerfreak usw.(4)
Nun, die Gemütlichkeit der Rezeption ist vorbei: die Zeiten
werden unübersichtlicher, konfuser, schneller, und wer SF als
Spiegel gesellschaftlicher Zustände ernst nehmen will, kommt
um neue Anstrengungen der Analyse nicht herum(5). Ich will nicht
versuchen, ein Phänomen wie CP umfassend darzustellen, sondern
einige Mosaiksteine liefern 6, aus denen sich ein facettenreiches
Bilddes ganzen kulturellen Spannungsfeldes ergibt, das der CP (als
"multimediale" Angelegenheit) meiner Meinung nach thematisch
berührt und mitgeprägt hat, wie verschiedene Tendenzen
erfaßt, "vor-konstruiert" werden, die heute deutlich
absehbar sind und beginnen, ihren Einfluß auf das gesellschaftliche
Leben zu entfalten:die neue globale Situation des Spätkapitalismus
(verbunden mit der raschen Entwicklung neuer Medien und ihren kulturellen
Effekten), das Eindringen der Technologie in den Körper (was
ein neues Nachdenken über Subjektivität und das "Menschliche"
notwendig macht) und die "(Wieder)Geburt" der Künstlichen
Intelligenz (KI)(die, wenn sie gelingt, eine relevante Begleitung
post - humaner Erkenntnisproduktion seinund vielleicht eine eigene
Evolution in Gang setzen kann) (7).
1. Cyberspace und die Globalisierung des Spätkapitalismus
Daß ca. 35000 transnationale Konzerne weltweit die ökonomischen
Beziehungenbestimmen, hat schon zu der Vermutung geführt, ob
Aliens, wenn sie auf diesen Planeten kämen, nicht Konzerne
für die herrschende intelligente Lebensform halten würden.
Es läßt sich ergänzen, daß die Aliens schnell
erkennen würden, daß diese nicht alles unter Kontrolle
hat: ihre Zentralen liegen in relativ ruhigen Zonen hauptsächlich
auf der Nordhalbkugel, während in anderen GebietenPhänomene
von massiver Zerstörung und Elend zu beobachten sind. Und sie
wären erstaunt, wie ungebremst sich die Lebensform vermehrt,
obwohl sie, als ungewolltes Ergebnis ihres blinden Treibens, die
Grundlagen ihrer eigenen Existenz gefährdet ...
Club of Rome: "Insgesamt wird die Menschheit heute, kurz vor
der Jahrtausendwende, von der Größenordnung der Probleme,
die von allen Seiten auf sie einstürzen, buchstäblich
überwältigt - das Wort ist keine Übertreibung. Die
traditionellen Strukturen, Regierungen und Institutionen haben die
Probleme in ihrer gegenwärtigen Größenordnung nicht
mehr im Griff. Zu allem Überfluß kommt zu archaischen
und ungeeigneten Strukturen eine tiefe moralische Krise. Die Auflösung
von Wertsystemen, die Infragestellung der Tradition, der Zusammenbruch
von Ideologien, das Fehlen einer globalen Vision und die Grenzen
der Demokratie in ihrer gegenwärtigen Gestalt verstärken
die Leere, mit der sich Gesellschaften und Individuen konfrontiert
sehen. Die Menschen fühlen sich den Problemen hilflos ausgeliefert,
gelähmt durch die Bedrohung durch bisher unbekannte Gefahren
einerseits und durch die Unfähigkeit, rechtzeitig auf komplexe
Probleme zu reagieren und das Übel an der Wurzel zu packen,
statt sich nur mit den Folgen zu befassen, andererseits." (8)
Der "Rhythmus einer neuen Ära", der sich im CP ausdrückt.
Man bekommt den Eindruck, daß die Metropolen eine Art Spielwiese
darstellen,die von einem "stürmischen Meer" umgeben
ist. Die Freizügigkeit der Metropolen ist unbestreitbar, was
Konventionen, Werte betrifft; auf der Basis eines relativ hohen
Grundreichtums gibt es (noch) für den größten Teil
der Bevölkerung eine hohe Mobilität, viele Konsummöglichkeiten,
eine Überversorgung mit Unterhaltung. Verschiedene Lebenskulturen
sind parallel in der Gesellschaft entstanden; die kapitalistischen
Industriestaaten sind zum Experimentierfeld stilistischer und diskursiver
Unterschiedlichkeit geworden, ohne Normierung (teils positiv), aber
auch ohne Utopie. Es hat sich ein kulturelles "Kontinuum"
gebildet, in dem die gesellschaftlichen Gegensätze (diskursiv)
nivelliert werden und in dem die Lösung für Probleme sehr
metropolen - zentriert abgebildet werden. Ein Selbstbedienungsladen
der Ideologien. Die Vielfalt der symbolischen (sub)kulturellen Codes
ist auch als Reaktion auf die wachsende technische Ausstattung verschiedener
Lebensbereiche zu sehen. Die Technik wird zum neuen "Medium" kultureller Differenzierung.
"Ihre Mutter hat einen Job, aber Kelsey weiß nicht,
was sie arbeitet. Irgend etwas wie Fernsehen mit Zahlen machen.
Wenn die Mutter von der Firma spricht, stellt sich Kelsey ein riesiges
Tier vor. Die Mutter lacht, sagt, das sei so falsch nicht. Sagt,
die Firma habe Büros in allen großen Städten, gehöre
aber nirgendwo hin; nicht nach LA, nicht nach Moskau oder Singapur.
Sagt, daß heutzutage Städte und Firmen zählen, nicht
Länder." (9)
Ein Ergebnis dieser Ausdifferenzierung ist die Ungleichzeitigkeit
der kulturellen Wahrnehmung von Prozessen. Die Elite der Techno
- Kultur, die sich durch technisch strukturierte oder vermittelte
Fähigkeiten auszeichnet, ist selbst nur eine Minderheit in
der Ersten Welt.Läßt sich ein neues "Dispositiv
der Macht" (Michel Foucault) beschreiben, in dem die neuen
Eliten repräsentiert sind ? Wahrscheinlich ist das Ende alter
Konzeptionen von Politik, danationale Perspektiven allein nicht
mehr möglich sind, um die globalen Probleme in den Blick zu
kriegen. Der polnische Futurologe und SF - Autor Stanislav Lem betont,
daß der politische Propagandakampf auf eine Wirklichkeit abgestimmt
ist, die im technologischen, materiellen Sinn nicht existiert. (10)
Allgemein läßt sich die Beschleunigung sozialer Prozesse
beobachten. Lem formuliert als offenes Problem, daß unklar
bleibt, wie man sich dem immer schneller werdenden kulturellen Wandel
anpassen kann. Man muß erkennen, daß der Fortschritt
widersprüchlicher, komplexer wird. Immer mehr Parameter und
Variablen der materiellen Umwelt sind von menschlichen Handlungen
beeinflußbar, und es können Situationen entstehen, die
nicht mehr korrigiert werden können. Zugleich erfolgt eine
immer weitere Verbreitung von technischen Objekten - es entsteht
eine komplexere Umgebung mit Steuerungsmechanismen von Vorgängen,
die zum Teil außerhalb menschlicher Zugriffsmöglichkeit
liegen.
"Der Sararimann war Japaner gewesen, aber die Leute in Ninsei
waren Gaijin. Gruppen von Matrosen vom Hafen drüben, einzelne
Touristen, die verbissen Vergnügungen nachjagten, die in keinem
Reiseführer verzeichnet waren, schwere Jungs vom Sprawl, die
mit Transplantaten und Implantaten protzten, und ein Dutzend verschiedene
Spezies von Gaunern, alle durchschwärmten sie die Straße
in einem komplizierten Reigen von Lust und Kommerz. Es gab zahllose
Theorien darüber, warum Chiba City die Enklave von Ninsei duldete,
aber Case neigte zur Ansicht, daß der Yakuza diesen Ort gewissermaßen
als historischen Park erhalte, als Denkmal für die bescheidenen
Anfänge. Andererseits leuchtete ihm auch ein, daß die
wachsende Technisierung Freiräume brauchte, daß Night
City nicht wegen seiner Bewohner existierte, sondern als absichtlich
ungeregeltes Spielfeld der Technologie." (22/23)
Es kann der Zeitpunkt einer kulturell grundlegenden Innovationsschwelle
sein, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens prägen
wird und die alle irritieren muß, die langsame techno-kulturelle
Evolutionen erwarten (wie sie aus der Technik - Geschichte bekannt
sind).Diese Schwelle kann eine Diskontinuität darstellen, die
Sinn - Kontexte umbricht und neue Perspektiven notwendig macht,
ja sogar einen neuen gesellschaftlichen Grundkonsens.
Bruce Sterling: "In Gibsons Texten finden wir uns auf der
Straße wieder, in der Gosse, der muffigen, wo´s ums
nackte Überleben geht, wo High Tech ein permanentes unterschwelliges
Hintergrundrauschen bildet (...) In seiner Welt ist die große
Wissenschaft kein Wunderbrunnen schrulliger Genies, sondern eine
allgegenwärtige, alles durchdringende, greifbare Kraft. Die
Geschichten zeichnen ein Bild der modernen Misere, das jeder auf
den ersten Blick erkennt. Gibsons Extrapolationen führen uns
mit überspitzter Klarheit den verborgenen Teil eines Eisbergs
sozialen Wandels vor. Dieser Eisberg treibt mit finsterer Majestät
durchs späte zwanzigste Jahrhundert, aber seine Proportionen
sind gewaltig und düster." (11)
Joseph Weizenbaum: "Aber eines weiß ich, nämlich
daß man keine historischen Vergleiche anstellen soll. In den
letzten fünfzig Jahren haben wir eine Diskontinuität erfahren,
die ihresgleichen eben gerade nicht hat: da ist z.B. die Raumfahrt,
mit der es uns gelungen ist, unsere Unterschrift ins All zu schreiben,
und zwar auf unauslöschliche Weise (...) Das konnte man früher
nicht. Dann zeigt sich die Diskontinuität auch in der Fähigkeit
- und hier zeigt sie sich vielleicht am deutlichsten -, uns selber
auszurotten, ganz und gar; dem Menschengeschlecht, der menschlichen
Existenz einfach ein Ende zu machen. Auch das konnte man früher
nicht (...) Meiner Überzeugung nach sind wir heute alle Passagiere
auf einer Titanic: wir fahren auf den Eisberg zu, aber es ist zu
spät, das Steuer herumzureissen. Es ist uns einfach bestimmt,
auf diesen Berg aufzufahren; das Schiff muß sinken." (12)
Es entsteht neuer sozialer Sprengstoff, was allen SF-Lesern sowieso,
aber auch anderen Zeitgenossen bewußt ist : niemand weiß,
wie die kommenden gesellschaftlichen Spannungen, z.B. durch die
Freisetzung von Arbeitskraft durch Automation, aufgefangen werden
können. Der sich ausweitende Freizeitsektor allein wird - wie
auch ? - die Sinn - Krise kaum ausgleichen. Die Widersprüchlichkeit
dieser Gesellschaftsform wird durch Begleiterscheinungen des technischen
Fortschritts stärker zu Tage treten und immer mehr Ausschließungseffekte
erzeugen. Die sozialen Realitäten verschärfen sich sichtbar:
die Auflösung alter Arbeitsbeziehungen führt zu Verelendung
und neuer Armut.
Wolfgang Coy: "Der Maschine den gesunden Menschenverstand
beizubringen, soll der entscheidende Schritt sein, um den künstlichen
Menschen - und das heißt immer auch den künstlichen Sklaven
- zu entwickeln. Die Grundprinzipien sind Zucht und Ordnung , die
Prinzipien, die die Herrschaft des Menschen über den Menschen
ausdrücken. Die alltägliche Münze dieser Herrschaft
kommt weniger aus den Sprüchen der Machthaber, die sowieso
den geschichtlichen Prozeß kaum verstehen - sie kommt aus
den Kalkülen der Ingenieure und Wissenschaftler, es ist das
Fabriksystem , es ist die herrschende Technik. Objektiv, fortschrittlich,
systemneutral sind die selbstauferlegten Attribute. Die Technik
ist aber nicht objektiv zwischen Managern, Ingenieuren und Arbeitern
verteilt: Das ist an der Fabrik zu sehen,... Die Ingenieure sind
keine unschuldigen Spezialisten, sondern durch ihre Ausbildung und
Arbeit Propagandisten des Fabriksystems mit seinen unterliegenden
gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen. Wir müssen Alternativen
zu diesem Fabriksystem entwickeln." (13)
Die Globalisierung des (Spät)Kapitalismus ist auch ein Prozeß
der Re-Strukturierungüber die neuen Technologien. Welches neue
Gesellschaftsmodell wird konturiert ?Kommt es zu einer teilweisen
Wiederkehr ältererer kapitalistischer Verhältnisse mit
high-tech-Verbindung(14) ?Auch komplexere Arbeits-Funktionen werden
mittlerweile in die 3.Welt ausgelagert. Die Formbestimmtheit der
Technologien bringt es zudem mit sich, daß Technologien "unterdrückt" oder verschwendet werden.
Larry McCaffery: "... CP philosophy - a view combining a matter-of-fact
acceptance that technology has irrevocably transformed our world
together with a cocky assurance that individiuals possessing enough
know-how can ride this Fourth Wave of technological change to places
that The System hadn´t anticipated." (14a)
Die konstitutiven Merkmale der "Postmoderne", wie Jameson
sie beschreibt: 1. neue Oberflächlichkeit (auch festgemacht
an einer neuen Kultur künstlicher Bilder)2. der daraus resultierende
Verlust der Fähigkeit, Geschichte aktiv zu erfahren 3. völlig
neue emotionale Grundstimmung 4. Abhängigkeit dieser Phänomene
von einer völlig neuen Technik (die für ein neues Weltwirtschaftssystem
steht) 5. Wandel des Raumgefühls 6. neuer Welt - Raum des multinationalen
Kapitalismus. (15)
Fredric Jameson: "Dabei sollte ein Durchbruch möglich
sein zu heute noch nicht vorstellbaren neuen Formen der Repräsentation
dieses Raums, mit denen wir wieder beginnen können, unseren
Standort als individuelle und kollektive Subjekte zu bestimmen..
Nur so wäre eine neue Handlungs- und Kampfesfähigkeit
zu gewinnen, die zur Zeit in der herrschenden räumlichen wie
gesellschaftlichen Konfusion neutralisiert worden ist. Wenn es so
etwas wie eine politische Erscheinungsform der Postmoderne geben
sollte, so wäre diese dazu aufgerufen, eine globale Kartographie
unserer Wahrnehmung und Erkenntnis zu entwerfen und diese in den
genau zu ermessenden gesellschaftlichen Raum zu projizieren."(16)
Die Technik ist nicht bestimmend in letzter Instanz für die
gesamte Kulturproduktion, denn die Repräsentationen des Kommunikations-
und Computer-Netzes sind nur verzerrte Darstellungen von etwas Tieferliegendem,
dem globalen Systems des gegenwärtigen multinationalen Kapitalismus,
das mit herkömmlichen theoretischen Mitteln und Vorstellungen
nicht zu begreifen ist: das "neue dezentrierte globale Netz
des Spätkapitalismus" (Jameson) als spezifischem Netz
von Macht und Kontrolle. Das individuelle Bewußtsein muß
lernen, die globalen Beziehungen der Verhältnisse zu denken,
die seine Existenzbedingungen bestimmen.
Sterling: "Die intellektuelle Tradition des Westens ist im
Umbruch. Der Kommunismus liegt im Sterben, und der Laissez-faire-kapitalismus
ist ein Witz. In ein paar Jahrzehnten werden diese Vermächtnisse
des neunzehnten jahrhunderts auf der Müllhalde liegen und durch
etwas sehr viel Ausgeklügelteres ersetzt worden sein. Die Zukunft,
wie ich sie sehe, wird multilateral und multikulturell sein und
sich in äußerster Gärung befinden. Die meisten jungen
Leute auf der Welt leben in der Dritten Welt. Sie werden in den
kommenden Jahren die größte Quelle von Radikalität,
Idealismus und Energie sein. Sie haben am meisten zu gewinnen, stehen
dem größten Risiko einer Katastrophe gegenüber."(17)
Im Laufe der Zeit sind einige positive Bilder um Computer gebracht
worden: potentiell (politisch) dezentral organisierbar, potentiell
ein massenhaftes kreatives Medium : die Politik, wie sie Timothy
Leary zusammenfaßt: "Komplexe elektronische Geräte
in die Hand des Volkes ! Falls sich die Kyberpunk-Bewegung ein Ziel
gesetzt haben sollte, so wäre dies, dem Individuum die Macht
zu verleihen, seine Gedanken auf einem Monitor zusammenzustellen,
zu verarbeiten und zu vermitteln."(18) Was die Demokratisierung
der Technologienangeht, ist Gibson desillusioniertworden durch ein
Erinnerung im Zusammenhang mit den Aufständen in Los Angeles
1992: "an image of people running out of a stereo store with
consumable goods. Next to it was an Apple store, but no-one was
looting it, running out with Power Books. I felt then that we weren´t
going to get to Neuromancer ."(19)
Heiner Müller: "Es ist ein Spiel: Technik gebrauchen
heißt auch, sich von ihr gebrauchen zu lassen. Es ist ein
sehr gefährliches Spiel, bei dem die Regeln nicht feststehen.
Aber ohne Gefahr gibt es keine Entwicklung (...) Es bleiben nur
zwei Konzepte: zurück in den nationalen Gemüsegarten oder
mit der Technik nach vorn in die Emanzipation von der Natur. Je
entwickelter die Technik, desto ökologischer kann sie sein.
Das ist eine Frage der Organisation, der wirtschaftlichen Strukturen.
Da hat auf lange Sicht die sogenannte freie Marktwirtschaft keine
Chancen. Darin liegt auch Hoffnung."(20)
Die Globalisierung der neuen Finanzmärkte, die durch die Revolutionierung
der Kommunikationsmittel miteinander verbunden sind, ist ein Aspekt
der neuen Welt - Ökonomie, die von multinationalen Konzernen
in größerer Autonomie gegenüber national-staatlicher
Kontrolle dominiert (21) wird.
Hans G. Helms: "Der ständige Umgang mit computergesteuerten
Informationssystemen produziert eine wachsende Abstraktion von den
gesellschaftlichen Prozessen. Der Weltkapitalhandel hat sich von
den ihm zugrundeliegenden politökonomischen Prozessen abgelöst
und folgt seinen softwarebedingten Gesetzmäßigkeiten." (22)
Ein weltweites Computer-Netz ist auf verschiedenen Ebenen entstanden
(wobei der einzelne Computer unwichtiger wird und jetzt eine Art
der Software entwickeltwird, die sich ihren Ort im Netz selbst sucht).
Das Internet, die Datenleitungen der Banken usw.Das Ideal ist ein
großes freies Kommunikationsnetz, das den Globus umspannt
und ein Denkpotential repräsentiert - ein weiterer Schritt
der kulturellen Evolution (weit in der Ferne).
Stewart Brand: "Indem Computer ´die Gesellschaft des
Geistes´ proben und imitieren, formen sie zugleich den Geist
der Gesellschaft. Computer und Kommunikation sind bereits so weit
miteinander verschmolzen, daß sie zu einer Aktivität
geworden sind, ohne daß es bislang Worte gibt, die bezeichnen,
was diese Aktivität bewirkt (...) Wenn Menschen sich von anderen
Organismen durch ihre ausgefeiltere Art der Kommunikation unterscheiden,
dann impliziert die Ankunft einer neuen Ebene der Weltkommunikation
auch die Einführung übermenschlicher Standards: einer
Cyborg - Zivilisation vielleicht oder eines kognitiven Planeten.
Die Politik hinkt, noch mehr als sonst, diesem Prozeß weit
hinterher." (23)
"Ich meine, daß die ganze Welt zu einem einzigen Kommunikationsnetz
zusammengezogen wird (...) Heute können wir überall auf
diesem Planeten sitzen und uns alle menschliche Erfahrung auf einen
Computerbildschirm holen."
"Das ist ein phantastischer Gedanke, fast schon ein bißchen
unheimlich."
"Die Frage ist, ob die Geschichte sich einem Ende nähert
- oder ob wir im Gegenteil auf der Schwelle zu einer ganz neuen
Zeit stehen. Wir sind nicht länger nur Bürger einer Stadt
oder eines einzelnen Staates. Wir leben in einer planetarischen
Zivilisation."
"Das stimmt."
"Die technische Entwicklung war - nicht zuletzt was die Kommunikation
betrifft - in den letzten dreißig, vierzig Jahren dramatischer
als in der gesamten vorherigen Geschichte zusammen. Und noch immer
ist, was wir erleben, vielleicht nur der Anfang ..." (23a)
Der Begriff "Cyberspace" (CS), der zur Bezeichung dieser
Ebenen benutzt wird, hat eine mythische Anziehungskraft.( 24) Die
Durchsetzung der neuen Medientechnologien wird oft mit ihm gekoppelt:es
wird etwas angestrebt, das der literarischen Fiktion des CS "entspricht".
Ein funktionierender CS (25) wäre auch das Ende von allem,
was bekannt ist; aber : "Echte paradigma - ändernde Ansätze
werden im CS rar sein", schreibt Bruce Sterling,"besonders
wenn er von einer technophilosophischen Rhethorik getragen wird,die
eine Revolution im Zustand der Menschen proklamiert." (26)
Gibson: das Besondere an der neuen Situation ist, daß die
Information "außer-geografisch" geworden ist - im
Netz ist es irrelevant geworden, woher sie kommt (der CS ist da,
wo über Kontinente hinweg telefoniert wird, da, wo Milliarden
Dollar elektronisch transferiert werden, da, wo Daten über
Individuen gespeichert werden).
Es ist klar, daß vieles Marketing - Geschwätz bleiben
wird. Der "Data Highway" (27) ist das nächste Modewort,
das bereitsteht. Die Unübersichtlichkeit der verschiedenen
Netz - Zusammenhänge wird zunehmen und in dem Maße bilden
sich Ideologien und Bilder ihrer Anwendung.Der CP steht dabei für
ein Bewußtsein der technologischen Möglichkeiten, auch
in dem Sinn, ihr reibungsloses Funktionieren und ihre Unterordnung
unter rein kommerzielle Interessen zu stören. Der Hacker ist
eine populäre mythische Figur seit den Achtzigern und taucht
u.a. in diversen CP - Romanen auf. Er symbolisiert einen bestimmten
Lebensstil, bestimmte Eigenschaften: technisch kompetent, gewitzt,
hartnäckig, subversiv, aber auch asozial, emotional verkrüppelt
usw. Eine widersprüchliche Person jedenfalls, die auf eine
Weise (über)lebt, die mit der allgemeinen "Mediatisierung" des Alltagslebens korrespondiert.
"Das Virus von Case hatte ein Fenster in das Steuer-Eis des
Archivs gebohrt. Case hackte sich durch und stieß auf einen
unendlichen, blauen Raum, von farbkodierten Sphären durchsetzt,
die auf ein enges Gitter aus hellblauem Neon aufgezogen waren. Im
Nicht-Raum der Matrix besaß das Innere einer beliebigen Datenkonstruktion
grenzenlose subjektive Dimension;" (91)
Alan Kay: "Der Computer ist so wandelbar, daß er als
Maschine auftreten kann oder als Sprache, die gestaltet und angewendet
sein will. Er ist ein Medium, der jede Einzelheit jedes anderen
Mediums dynamisch simulieren kann - auch Medien, die in der dinglichen
Welt gar nicht möglich sind. Er ist kein Werkzeug, obwohl er
sich wie viele Werkzeuge verhalten kann. Er ist das erste Metamedium,
und als solches besitzt er Freiheitsgrade der Darstellung und des
Ausdrucks, die es noch nie gab und die bisher kaum nenneswert untersucht
sind. Was noch wichtiger ist: Computer machen Spaß, die Beschäftigung
mit ihnen ist ein Wert an sich." (28)
Das erzählerische Potential des CS ist nicht ausgeschöpft
- ein starkes Element, das ältere Darstellungen von Computer-Kommunikationen
neu faßt und thematisch-strukturelle Wirkungen hat in vielen
Bereichen der Pop-Kultur. Man sieht die "falsche" Simulation
von Datenbewegungen in einem Netz, die eigentlich unsichtbar sind.
"Die Matrix hat ihre Wurzeln in primitiven Videospielen",
sagte der Sprecher, "in frühen Computergrafikprogrammen
und militärischen Experimenten mit Schädelelektroden."
Auf dem Sony verblaßte ein zweidimensionaler Weltraumkrieg
hinter einem Wald mathematisch konstruierter Farne, die die räumlichen
Möglichkeiten logarithmischer Spiralen demonstrierten. Stahlblaue
militärische Maßangaben in Fuß glimmten auf. Versuchstiere,
an Testreihen angeschlossen, Helme, die Feuerkontrollschaltungen
von Panzern und Kampfflugzeugen speisten. "Kyberspace. Unwillkürliche
Halluzination, tagtäglich erlebt von Milliarden Berechtigten
in allen Ländern, von Kindern zur Veranschaulichung mathematischer
Begriffe ... Grafische Wiedergabe abstrahierter Daten aus den Banken
sämtlicher Computer im menschlichen System. Unvorstellbare
Komplexität. Lichtzeilen, in den Nicht-Raum des Verstands gepackt,
gruppierte Datenpakete. Wie die fliehenden Lichter einer Stadt..." (76)
Der CS funktioniert metaphorisch (als Handlungsrahmen, neue Art
von "Abenteuerlandschaft") und prognostisch (Weiterdenken
von Tendenzen der Computer- und Medienindustrie).(29) Letzteres
ist allerdings nicht als konkrete Technik-Prognose zu verstehen,
sondern gedacht in der tendenziellen Abbildung (30) von Mensch/
Maschine -Kommunikationen: den CS wird es so nicht geben, aber einen
ähnlichen Raum, in dem Individuen, mit komplexen Schnittstellen
ausgerüstet, über verschiedene Darstellungsmodalitäten
mit anderen und Künstlichen Intelligenzen (KI) kommunizieren.
Was in diesen spezifischemCS erreicht werden könnte, wäre
eine Neuordnung der Beziehung Wissen/Realität: neue Erkenntnis
- Ereignisse können stattfinden, vergleichbar vielleicht mit
dem Wissensfortschritt und diesen noch übertreffend, der heute
mit Computersimulationen erzielt wird. (31)
2. Das post-humane Zeitalter
Nicht wenige Berichte in den Medien, die die Einführung neuer
Technologien behandeln, schließen mit dem Hinweis, daß"das
menschliche Maß" natürlich nichtvergessen werden
darf. Da bleibt die Frage, was das Maß denn sein soll (die
Bedeutung wird sebstverständlich vorausgesetzt). Mir scheint
es aber notwendig zu fragen, ob ein bestimmtes menschliches Selbstverständnis
nicht zu einer "erkenntnistheoretischen" Falle (32) wird,
die einmal verhindert, das das "Menschliche" (all das,
was in der menschlichen Existenz eine letztlich unscharfe, unfaßbare
Größe bleibt wie Emotionen, Stimmungen u.a.) in seinem
Erleben bereichert wird (33), und zum zweiten, daß "es"
(jetzt verstanden als Komplex von emotionalen/intelligenten Möglichkeiten)
durch die (genau zu bestimmende) Verbindung mit maschinellen Möglichkeiten
weiterentwickelt wird. (34)
Thomas Pynchon 1984: "Überlebt unsere Welt, wird die
nächste große Herausforderung, die es wahrzunehmen gilt,
ins Haus stehen - Ihr habt es hier zuerst gehört -, wenn die
Kurven der Erforschung und Entwicklung von Künstlicher Intelligenz,
Robotern und der Molekularbiologie konvergieren. Jungejunge! Es
wird unglaublich und nicht vorherzusagen sein, und selbst die höchsten
Tiere wird es, so wollen wir demütig hoffen, von den Beinen
holen."(35)
Die Auseinandersetzung darum, inwieweit die neuen Technologien
die menschliche Existenz gefährden, hat erst in Ansätzen
begonnen und wird schon mit allen rhetorischen Mittel geführt.Auf
die Prognose des KI - Forschers Marvin Minsky, daß eine Konsequenz
der technischen Entwicklung sei, daß eine neue Evolution beginnt,
antwortet der KI - Kritiker Joseph Weizenbaum, daß das die
Endlösung der Menschenfrage (?!) bedeute.(36) Die Wellen schlagen
also schon hoch.
Wolfgang Jeschke: "Was der CP deutlich gemacht hat, ist die
unheimliche, erschreckende und doch auf morbide Weise anziehende
Möglichkeit, daß unsere Spezies zu einem Punkt gelangt
ist, das Bild von sich selbst aufzugeben. Das Menschenbild (von
Gott nach seinem Bilde geschaffen, wie manche glauben) ist dabei,
sich aufzulösen (...) Nicht in Zeiträumen von Millionen
oder Milliarden Jahren,..., wird der Mensch seine Erscheinungsform
allmählich verändern, sondern schon binnen Jahrzehnten
könnte es sein, daß wir bei der Kommunikation mit einer
Intelligenz ohne Sichtkontakt nicht sagen können, ob wir esmit
einem Menschen in Oldtimer-Outfit zu tun haben, mit einer Mischform
aus menschlichen, tierischern oder pflanzlichen Genen, einem Konstrukt
aus biologischen, mechanischen und elektronischen Elementen, mit
einer Turing-Maschine oder mit einem menschlichen Bewußtsein,
das als Software durch den CS geistert."(37)
Ich habe keine Schwierigkeiten, mir vorzustellen, welche seltsamen
politischen Allianzen es geben wird, die technische Innovationen
im Namen des Humanismus bekämpfen werden. Die Diskussion um
die Apparate-Medizin oder die Abtreibung etwa ist nur ein sehr schwacher
Vorgeschmack auf das, was da kommen kann. Die ideologischen Konflikte
sind vorbestimmt, wobei mir nicht klar ist, wie die Kräfteverhältnisse
sein werden (dazu muß natürlich allgemein der Einsatz
der Auseinandersetzung klar sein).(38)
Vilem Flusser: "In der gegenwärtigen Phase beginnt man,
sich über den Menschen zu wundern. Man ´analysiert´
ihn, und es stellt sich heraus, daß nichts drinsteckt. Daß
´Mensch´ ein Knoten aus physikalischen, physiologischen,
psychischen, kulturellen Möglichkeiten ist (eine Kerbe in diesen
einander überschneidenden Feldern), und das diese punktartigen
Möglichkeiten sich zufällig verknüpfen. Und weil
im Menschen nichts steckt (kein ´Ich´, kein ´Selbst´,
kein ´Geist´), so stellt sich heraus, daß Welterklärung
und Weltveränderung auch von Apparaten geleistet werden können.(39)
Gibson:"On the most basic level, computers in my books are
simply a metaphor for human memory. I´m interested in the
how´s and why´s of memory, the ways it defines who and
what we are , in how easily it´s subject to revision. When
i was writing Neuromancer , it was wonderful to be able to tie a
lot of these interests into the computer-metaphor, but, the computer
memory there is so much more like human memory than it´s ever
likely to be."
Damit kein Mißverständnis entsteht. Posthuman 39a bedeutet
nicht, daß keine menschlichen, menschenwürdigen oder
"gerechten" Lebensbedingungen mehr angestrebt werden.
Das Beschwören von menschlichen Werten reicht jedenfalls nicht,
den alltäglichen Horror in dieser Gesellschaft zu beenden.
Die provokante Frage ist, ob Entwicklungsmöglichkeiten, die
sich beziehen auf Prozesse der Wahrnehmung und der Intelligenz,
im positiven Sinn "ent - menschlicht" werden können?Da
ist es zu wenig, solche Gedanken pauschal als "anti - human"
zu verdammen (40), wenn die neuen Perspektiven noch völlig
im Dunkeln liegen und vielleicht gerade Möglichkeiten gewonnen
werden können, die helfen, Aspekte des "humanistischen
Traums", einer freien, menschengerechten Gesellschaft, zu verwirklichen,
wenn auch auf unvorhergesehene Weise.( 41)
Gibson :"I don´t feel fear as much as a sort of elegiac
sorrow, because it seems to me that what we are now,which (...)
is not all of that admirable, is on its way out. (...) The artefacts
we have created are in very direct ways starting to affect our evolution."(42)
Stanislav Lem: "Es wird nicht nur eine ´postindustrielle
Gesellschaft´ entstehen und nicht nur eine Dienstleistungsgesellschaft,
sondern eine qualitativ neue, die ihre größten Probleme
mit den Errungenschaften der Biotechnologie haben wird. Anders gesagt,
in unserer ´künstlich verwandelten´ Welt - denn
in der Natur gibt es ja weder Städte, noch Atomkraftwerke oder
Autobahnen - wird es zur Invasion der Technologie in das letzte
Naturreservat vergangener Epochen kommen: in unserem Leib, und,
wer weiß, vielleicht auch in unserer Seele oder, bescheidener
ausgedrückt: in unserem Gehirn (als einer organischen ´datenverarbeitenden
Einrichtung´). Es muß deswegen zu einem immer härteren
Zusammenprall des Glaubens (in allen Konfessionen) mit dem unbarmherzig
vordringenden Fortschritt kommen." (43)
Es ist ja nicht bloß eine metaphorische Fremdheit, die man
in diesen Verhältnissen empfinden kann. Die Medienkonzerne
betreiben auf ihre Art die "Kolonialisierung" der Körper
; ihr Ziel ist eine Art der Kontrolle, die die Subjekte des Konsums
modelliert und unterwirft.(44) Wie die neue komplexe "Matrix
der Herrschaftsbeziehungen" (Donna Haraway) aussehen wird,
ist unklar. Wie die Subjekte in die neuen Netze der Macht eingesponnen
und wie zugleich neue subjektive Freiheiten, neue Widerstandsformen
entstehen, ist ein widersprüchlicher kultureller Prozeß.(
45)
"Sie schüttelte den Kopf. Es fiel ihm auf, daß
die Brillengläser chirurgisch eingesetzt waren, um die Augenhöhlen
zu versiegeln. Die silbernen Linsen wuchsen scheinbar aus der glatten,
hellen Haut über den Wangen, umrahmt von dunklem, fransig geschnittenem
Haar. Die Finger, die sich um die Flechette krümmten, waren
schmal und hell, hatten burgunderrot lackierte Nägel, die unecht
wirkten (...) Sie hielt ihm die offenen Hände mit leicht gespreizten
Fingern hin. Mit einem kaum hörbaren Klicken schossen zehn
zweischneidige, vier Zentimeter lange Skalpellklingen aus ihrem
Gehäuse hinter den burgunderfarbenen Nägeln. Sie lächelte.
Langsam glitten die Klingen zurück." (42f.)
Gegen den moralisierenden Aufschrei, daß die Technik bald
die Menschlichkeit bedrohe, kann man weiter sagen, daß die
allgemeine Dehumanisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen
(in einem anderen, menschenverachtenden Sinn) doch "alltäglich" geworden ist. Das kriminelle Ausschlachten von Organen ist nur ein
Beispiel.
Gibson: "Part of the world´s population is already post-human.
Consider the health options available to a millionaire in Beverly
Hills as opposed to a man starving in the streets of Bangladesh:
The man in beverly Hills can, in effect, buy himself a new set of
organs; the man in bangladesh is still human, a being from an agricultural
planet. The man in Beverly Hills is something else."
"Der Barkeeper grinste. Seine Häßlichkeitwar legendär.
Im Zeitalter käuflicher Schönheit hatte sein Mangel daran
Signalwirkung. Der altertümliche Arm ächzte, als er nach
einem anderen Glas griff. Es war eine russische Militärprothese,
ein Greifer mit sieben Funktionen, rückkopplungsgesteuert,
kraftgetrieben und eingegossen in schmuddeliges, pink Plastik." (10)
Es gibt andere Ebenen, post-humanzu sein sein: vom body building über Tätowierungen bis hin zu kosmetische Operationen
u.a. Vielleicht alles Anzeichen für die (unbewußte) Suche
nach anderen Identitäten(46), in dem Maße, wie sie in
der kapitalistischen Konsumgesellschaft austauschbar sind.Bruce
Sterling bemerkt, daß das, was in den 50ern unvorstellbar
war, geradezu monströs klang,heute akzeptiert wird: so kosmetische
Operationen. Die kulturellen Einstellungen ändern sich, und
die Injektion von winzigen Maschinen, um beispielsweise Arterien
zu reinigen, könnte demnächst als "anstößig" (47) empfunden werden.
Sterling: "Technological destruction of the human condition
leads not to future-shocked zombies but to hopeful monsters ...
CP sees new, transhuman potentials, new modes of existence and consciousness."
"Anscheinend starrte er unentwegt auf Molly, nahm schließlich
aber die verspiegelte Brille ab. Seine Augen waren dunkelbraun wie
sein militärisch kurzes Haar. Er lächelte. "(...)
Ganz besonders du ", sagte er zu ihr, " mußt aufpassen.
In der Türkei sieht man derart umgerüstete Frauen nicht
gern".(122)
Die Koordinaten des menschlichen Universums verändern sich.
Tod, Denken, Körper werden durch die Technik in eine neue Beziehung
gesetzt (48).Larry McCaffery hat darauf hingewiesen(49), daß
die gegenwärtig passierenden Veränderungen, die fast allein
vom CP reflektiert würden,Beziehungen der Individuen zu Maschinen
und zu Basis - Konzepten der Wahrnehmung in der westlichen Kultur
betreffen: Bewußtsein, künstlich/natürlich, Leben/Tod
- was heißt es eigentlich "menschlich" zu sein?(50)
Che Guevara 1965: "Der Weg ist lang und zum Teil unbekannt;
wir kennen unsere Grenzen. Wir werden den Menschen des 21. Jahrhunderts
hervorbringen: uns selbst. Wir härten uns im täglichen
Handeln, indem wir einen neuen Menschen mit einer neuen Technik
schaffen." (51)
Sterling: "Gewisse zentrale Themen tauchen im CP immer wieder
auf. Das Thema der Eingriffe in den menschlichen Körper: Gliederprothesen,
elektrische Stromkreisimplantate, kosmetische (kosmetoplastische)
Chirurgie, Genmanipulation. Und sogar ein noch gewichtigeres Thema,
nämlich das der Eingriffe in das Gehirn und Denken des Menschen:
Interfacing zwischen Gehirn und Computer, KI, Neurochemie - kurz,
Techniken, die dem Wesen der menschlichen Spezies radikal - neue
Grenzen abstecken, die die Natur des individuellen ´ich´
neu definieren."(52)
In einem bestimmten Umfang ist es heute schon möglich, eine
künstliche Person mit Hilfe von künstlichen Teilen (Prothesen,
Implantate), die Körperteile ersetzen, herzustellen. Der Beginn
der Fähigkeit, sich "re-designen" zu können,
sich einen besseren Körper (53) zu machen.
"Die Kundschaft war jung, die wenigsten davon waren über
zwanzig. Alle hatten sie wohl eingepflanzte Karbonkontakte hinter
dem linken Ohr, obwohl Molly keinen Blick darauf verschwendete.
An den Schaltern vor den Ständen waren Aberhunderte von Plättchen
aus Mikrocomputer - Software ausgestellt, rechteckige Splitter aus
buntem Silikon, transparent versiegelt und auf weißen Kartonstreifchen
fixiert. Molly ging zum siebten Stand an der Südwand. Hinter
dem Schalter starrte ein Junge mit kahlrasiertem Schädel Löcher
in die Luft. Ein Dutzend Mikrosoft - Plättchen ragten aus dem
Kontakt hinter seinem Ohr." (81)
Entscheidend ist, verschiedene Subjektivitätsformen theoretisch
zu unterscheiden (die biologische "Einheit" von verschiedenen
kulturellen Bedingungen: (im)materiellen Faktoren). In den neuen
kulturellen Formen werdendie Individuen selbst"umgearbeitet",
nicht nur durch Lebensumstände. Das Subjekt ist nicht länger
eine Ganzheit, ein autonomes "Ich" ; das "Ich"
wird stärker fragmentiert 53a und unvollendet erfahren (54),
zusammengesetzt aus vielfältigen Identitäten, bezogen
auf verschiedene gesellschaftliche Welten, als Produziertes, im
Prozeß entstehend.(55)
Félix Guattari: "Worauf ich mit Nachdruck hinweisen
möchte, ist gerade der zutiefst pluralistische, multizentrale
und heterogene Charakter der gegenwärtigen Subjektivität,
und das trotz der Homogenisierung, der sie aufgrund des allumfassenden
Einflusses der Massenmedien unterliegt. In dieser Hinsicht ist ein
Individuum bereits ein ´Kollektiv´ aus heterogenen Bestandteilen.
Ein subjektives Faktum verweist auf personale Territorien - den
Körper, das Selbst -, aber gleichzeitig auch auf Kollektiv-Territorien
- die Familie, die Gruppe, die Ethnie. Und daran schließen
sich alle Subjektivierungsprozesse an, die in Sprache, Schrift,
Informatik und technologischen Maschinen Gestalt annehmen." (56)
"Meine eigene Vergangenheit ist vor Jahren komplett verschütt
gegangen. Ich verstand Fox´ Gewohnheit, spät nachts seine
Brieftasche zu leeren und durch seine Identitätskarten zu blättern.
Er legte die Dinger in verschiedenen Mustern aus und sortierte sie
um, bis sich irgendein Bild abzeichnete. Ich wußte, worauf
er wartete."(57)
Das "Ich" als Schnittpunkt von gesellschaftlichen Beziehungen,
wobei die Technik ein immer wichtigerer Faktor beim Finden neuer
Identitäten wird , als ein Moment der Bewegung von Individuen,
die im fortschreitenden Erleben/Erkennen sich verändern. Die
vielfältige gesellschaftliche Einführung der Computer
- Technologie zeigt ja, daß neue Subjekt - Anforderungen entstehen,
die die Individuen erfüllen müssen, wenn sie eine Position
in den Strukturen einnehmen. Was die Individuen aber alles mit neuen
Technologien machen, ist nicht vorherbestimmbar: wenn man im Umgang
mit ihnen Fähigkeiten erlernt, gibt es immer einen Sinn - Überhang,
der nicht in der Struktur aufgeht. Was eine "Identität"
ist, wird in Zukunft offener sein, im negativen Sinne vielleicht,
daß eine (noch) größere Austauschbarkeit, Oberflächlichkeit
entsteht, im positiven, daß eine weitere individuelle Fähigkeit
für einige entwickelbar wird, die eigene Identität ständig
zu erfinden und auszubauen.
Gibson: "What the characters deign in my fiction by internalizing
machines, is usually adegree of efficiency, some sort of task relatedefficiency.
As for what they lose by doing this, I don´t know. They become
further from us, but I´ve always been quite open to the idea
that they somehow remain human."
Jameson beschreibt dies als Entwicklung vom entfremdeten zum fragmentarischen
Subjekt. Es entsteht eine neue Sichtweise des Subjekts: historisch
läßt sich die Auflösung bestimmter im Zeitalter
des klassischen Kapitalismus, der Kleinfamilie usw. existierender
zentrierter Subjekt-Formen beschreiben. Neue "Intensitäten",
Stimmungensind spürbar, die nicht mehr personengebunden sind.
Die Entfremdung ist aber abstrakt - komplexer geworden.
Fredric Jameson: "Meine Hauptthese ist, daß es mit dieser
neuesten Verwandlung von Räumlichkeit, daß es dem postmodernen
Hyperraum gelungen ist, die Fähigkeit des individuellen menschlichen
Körpers zu überschreiten, sich selbst zu lokalisieren,
seine unmittelbare Umgebung durch die Wahrnehmung zu strukturieren
und kognitiv seine Person in einer vermeßbaren äußeren
Welt durch Wahrnehmung und Erkenntnis zu bestimmen. Und so meine
ich, daß die beunruhigende Diskrepanz zwischen dem Körper
und seiner hergestellten Umwelt (...) selbst als Symbol und Analogon
für ein noch größeres Dilemma stehen kann: die Unfähigkeit,
unseres Bewußtseins (zur Zeit jedenfalls), das große,
globale, multinationale und dezentrierte Kommunikationsgeflecht
zu begreifen, in dem wir als individuelle Subjekte gefangen sind."
Den eigenen Körper/die eigene Intelligenz "virtuell"
sehen, als Wahrnehmen von Chancen, um sein Leben zu gestalten, in
der Verbindung mit gesellschaftlichen Prozessen - das die andere
Bedeutung des neuen Subjekts, das eine andere Wahrnehmung hat. Eine
literarische Beschreibung von Walter Jon Williams klingt da an,
daß das Ich ein "Paket spezifischer Potentiale"
ist, als Person in einem komplexen Beziehungs-Muster; bewegt sie
sich , verändern sich die Beziehungen zu anderen und damit
die Bedingungen - eine besondere Reflexion, sich in solchen Mustern
wahrzunehmen, zugleich intuitiv und logisch.(58)
Heiner Müller: "Es geht darum, die Technik auszubauen
und zu benutzen. Es geht um die Hochzeit von Mensch und Maschine.
Dadurch wird der Mensch weniger störanfällig gegen seine
natürlichen Impulse. Natur ist alt, Technik ist neu. Wo die
Ideologien verdampfen, kommen die alten Triebkräfte hoch, und
die kann man nur mit Technik bekämpfen und nicht mit Ideologien
oder Religionen (...) Was bekämpft werden muß, ist das
Primitive. Es ist nicht natürlich, in einem Kasten zu sitzen
und zu fliegen. Und deswegen muß es sein, denn die Natur saugt
uns auf, bringt uns zum Verschwinden."
Donna Haraway: "Vielleicht besteht die entscheidende Herausforderung
von Gentechnologie und der damit verbundenen Reproduktionstechnologien
darin, daß sie unser Vertruaen in die Naturhaftigkeit unserer
Körper, unsere Vorstellungen darüber, wo unsere Körper
enden, die Umwelt und andere Menschen beginnen, erschüttern.
Die Unterscheidungen zwischen natürlich und künstlich
erhalten in den modernen Naturwissenschaften eine vollkommen neue
Struktur, und diese Verschiebungen werden sich in den Bereichen
Geschlecht und Reproduktion grundlegend auf unsere Vorstellungswelten,
auf unser Leben auswirken. Erfindungen auf dem Gebiet von Therapie
und Diagnostik und eventuelle Neuentwürfe menschlicher Reproduktion
sind allesamt technische Verkörperungen einer grundsätzlichen
modernen materiellen Neuanordnung von Grenzen." (59)
Als Gedankenspiel meint Gibson, daß es eine völlig neue
Erfahrung sein wird, sich ohne die Hintergrundgeräusche des
Körpers wahrzunehmen: wenn es möglich sein wird, wird
es keine menschliche Erfahrung sein, aber eine völlig neue,
die erste unverstellte Erfahrung des post-humanen Zeitalters.
Stanislav Lem 1970: "Stellen wir uns nun vor, daß ein
auto-evolutionäres Programm bereits an der Schwelle des nächsten
Jahrhunderts steht; angesichts einer solchen Bedrohung könnte
der traditionelle Körper an Wert gewinnen, und da er zu einer
Art Reliquie, zu einem Heiligtum wird, das man bis zum letzten Tropfen
(des alten, animalischen) Blutes verteidigen muß, würde
er ein Zentrum neuer Art schaffen: einer rein somatischen oder gar
´somatisch-genitalen´ Religion. Es ist nicht schwer,
sich Kreuzzüge vorzustellen, die zur Verteidigung des Körpers
ausziehen - in einigen Dutzend Jahren von heute;" (60)
"Ich denke, daß ihr in ein Zeitalter der Metamorphose
eintreten werdet, daß ihr euch dazu durchringen werdet, eure
ganze Geschichte zu verwerfen, das ganze Erbe, den ganzen Rest des
natürlichen Menschen, dessen zu schöner Tragik überhöhtes
Bild in den Spiegeln eurer Religionen reflektiert wird - daß
ihr eure Grenzen überschreiten werdet, denn ihr habt keine
andere Wahl -, ind in dem, was jetzt wie ein Sprung in den reißenden
Schlund erscheint, werdet ihr eine Herausforderung erblicken, wenn
nicht gar Schönheit, und ihr werdet auf eure Art handeln -
da sich der Mensch nur dadurch retten kann, daß er den Menschen
preisgibt."(61)
Am Horizontzeichnet sich die direkte Schnittstelle zwischen menschlichem
Gehirn und Computer ab (62). Moravec hält es für möglich,
daß es gelingen wird, die Bewußtseinsinhalte, als Datenstruktur
repräsentiert, direkt in einem Maschinen-Gehirn zu speichern.
Der gesamte Bewußtseins-Zustand, der Wissen, Persönlichkeit,
psychische Dispositionen, Emotionen umfaßt, soll transferierbar
sein. Minsky ist derselben Meinung und willperfekte Kopien schaffen.
Die Probleme, die auf diesem Weg technisch zu lösen sind, sind
sehr groß, schon allein deshalb, weil das Gehirn die "komplexeste
Maschine" ist, die die Wissenschaftler bisher kennen.
Hans G. Helms: "Die symbiotische Entwicklung der Computer-,
der Gen- und der Biotechnologien führt zwangsläufig zur
Fernsteuerung der Gehirne der Menschen."
"Kyberspace, wie ihn das Deck präsentierte, hatte keinen
besonderen Bezug mehr zum physischen Standort. Als Case einsteckte,
fiel sein Blick auf die vertraute Konfiguration der aztekischen
Datenpyramide der Eastern Seabord Fission Authority. "Wie geht´s,
Dixie?" "Bin tot, Case. Hatte genug Zeit in diesem Hosaka,
um das rauszukriegen." Was ist das für ein Gefühl?"
"Keins." "Plagt dich das?" "Was mich plagt,
ist, das mich nichts plagt." (...) "Tu mir ´nen
Gefallen, Case." "Was denn, Dix?" "Dieses gottverdammte
Ding, lösch es, wenn du fertig bist!" (143/44)
Moravec handelt mit erstaunlicher Leichtigkeit das Problem subjektiven
Bewußtseins ab. In der Gesellschaft einer zukünftigen
Super-Intelligenz machen alte Bewußtseins-Konzepte keinen
Sinn mehr (denkende, sich selbst reproduzierende Maschinen werden
"biologischer"). Es bestehe keine Notwendigkeit mehr für
eine "geschlossene Identität" ; es gebe genug Bewußtseins
- Kopien dann, die sich unterschiedlich weiterentwickeln (und kopieren)
können, so daß es nichts mache, wenn eine Kopie zerstört
wird, da genug andere da sind. Minsky geht noch weiter, indem er
sagt, daß "persönliches Überleben" im
engeren Sinn nicht mehr interessant sei, da man, wenn man technisch
so weit ist, "das Beste" von Personen digital zusammenbringen
kann. Gibson wann soll man die Kopie von sich machen lassen , wenn
man jung ist...?Wo ist man "selbst ",wenn 50 Kopien von
einem herumlaufen ?
überMarie - France, die Gründermutter des Teshier - Ashpool
- Clans: "Sie gab die Entwicklung unsrer KI in Auftrag. Sie
war recht visionär. Sie träumte von einer Symbiose zwischen
uns und den AIs, die unsre geschäftlichen Entscheidungen fällen
sollten. Unsere bewußten Entscheidungen, müßte
ich sagen. Tessier - Ashpool wäre unsterblich, wie ein Insektenstaat
organisiert, und jeder von uns Teil einer größeren Entität.
Faszinierend." (297/98)
Die technische "Ausweitung" des Gehirns ist natürlich
nur möglich, wenn manversteht, wie es funktioniert. Minsky
ist der Meinung, daß die Menschen jetztGefangene des Körpers
sind, mit begrenzter Kapazität, mit begrenzter Intelligenz,
mit begrenzter Lebensdauer: "jeder, der damit zufrieden ist,
verdient es zu sterben". Nach Moravec wird in den Labors der
Wissenschaftler und Techniker eine neue Generation an "Nachkommen"
gebildet, die sich eines Tages abkoppeln und eine eigenen Zivilisation
gründen wird; für die (unveränderten) Menschen bleibt
u.U. nur eine Nischenexistenz. (63) Vielleicht formen einige Menschen
und Maschinen eine super - individuelle Einheit, die tendenziell
physisch unsterblich ist, tendenziell unbegrenzt in ihrer Intelligenz
und die nach den Sternen greift ...
Marvin Minsky: "der Naturwissenschaftler hat keine Angst vor
der Idee, ewig zu leben. Der Humanist aber denkt, das wäre
furchtbar. Wir können heute nur deshalb nicht ewig leben, weil
der Aberglaube von der Seele die leute 2000 Jahre davon abgehalten
hat, die Naturwissenschaft voranzutreiben. Hätte man früher
angefangen, dann gäbe es KI seit 1500 jahren, und jeder von
uns wäre heute in der Lage, eine Sicherheitskopie von sich
zu machen ! Wer Religion und Aberglaube akzeptiert, betrügt
sich um die Chance des ewigen Lebens !"
Gibson: "The desire to escape the limitation of mortality
would save to me the obvious goal of the scientific program. My
doubts come in, when I wonder who are we going to do this to. I
mean you may want to live forever, but do you want your parents
to live forever ? Do you want Ronald Reagan to live forever ? Who
are they going to do this to first? Are they going it to do to benign
philosophers in the order of Dr. Minsky or are they going to do
to it to political despots in central america ?"
Fest steht jedenfalls, daß die dramatischen Veränderungen,
die von einigen prophezeit werden, was z.B. die Veränderung
von Körperlichkeit angeht, und die innerhalb einer Generation
u.U. stattfinden sollen, im gesellschaftlichen Umfeld durchgesetzt
werden müssen. Wenn in 50 Jahren die Menschheit angeblich auf
einer neuen gentechnolgischen Basis stehen wird 64, muß dem
eine neue Weltökonomie entsprechen, eine neue Politik, kurzum:
eine neue Kultur. Ist das wirklich eine realistische Annahme? Das,
was man bisher sinnvoll als posthuman bezeichnen kann, bezieht sich
vorläufig auf neue Formen der Selbst-Wahrnehmung, mit einer
neuen Offenheit, die körperliche Ausstattung mit technischen
Prothesen und das "Selbst" mehr als strukturelles Potential
zu denken.
Stelarc: "Die Evolution endet, wenn die Technologie in den
Körper eindringt. Sobald die Technologie jede Person mit dem
Potential für ihr individuelles Fortschreiten in ihrer eigenen
Entwicklung ausstattet, ist der Zusammenhalt der Spezies nicht mehr
wichtig. Spannend ist nun nicht die Geist - Körper - Unterscheidung,
sondern die Körper - Spezies - Spaltung Der Körper muß
seine biologischen, kulturellen und planetarischen Fesseln sprengen.
Die Signifikanz der Technologie mag darin liegen, daß sie
in einer fremden - post-historischen, trans-humanen und sogar außerirdischen
- Bewußtheit kulminiert. Die ersten Zeichen einer fremden
Intelligenz können durchaus von diesem Planeten kommen." (65)
William S. Burroughs: "Jede Spezies findet ihr Ende. Ihr steht
ein gewisses Potential zur Verfügung, das sie ausschöpfen
kann und dann erreicht sie irgendwann einen Punkt, an dem es heißt
Mutation oder Tod. Wir sind an diesem Punkt angelangt. Ich glaube,
daß ein großer Teil unseres soziologischen Chaos in
Wirklichkeit nur die Reflexion einer biologischen Krise, der Tatsache,
daß wir kurz vor dem Ende unseres Weges stehen, ist."(66)
Die Technisierung kultureller Teil-Prozesse, die Denken/Körper
vielfältig beeinflußt, ist der Katalysator einer Subjekt
- Transformation in eine offene Zukunft: vielleicht eineArt von
Cyborg als "Individuum", das subtil/direkt mit verschiediedene
Techniken verbunden ist (in der Umgebung, am Körper,im Körper),
die verschiedene Funktionen haben und das Wachtum der neuen Einheit
neu dimensionieren. Es hat eine Wahrscheinlichkeit, daß die
Körpertechnisch "entwickelt" werden müssen als
Vorbereitung auf noch nicht vorstellbare (unerreichbare) Dimensionen
von Zeit/Raum. Das Post-Humane ist dabei eine Aufforderung, die
neuen Potentiale zu begreifen und Wege auszuprobieren, sich mit
ihnen zu verbinden.( 67)
3. Das Abenteuer der Künstlichen Intelligenz
Die Grenze der Künstlichen Intelligenz (68) -ist eine Assoziation
mit den Maschinen in Reichweite, die auch Denkvorgänge einbezieht
? Als Auslagerung intelligenter Denk-Funktionen ? Für den britischen
Mathematiker Alan Turing war es schon in der fünfziger Jahren
keine Frage, daß es in einem ersten Schritt Maschinen geben
wird, die das menschliche Bewußtsein simulieren (der "Turing-Test").Wenn
sie dannin ihrer Entwicklung konvergieren, werde es schwierig werden,
den menschlichen Standard der Intelligenz dem ihren gleich zu halten.
Gibson: "I don´t think there is any reason for machines
to be like us (...). I think it´s a funny thing in sort of
build into our ideas, what artificial intelligence would be, that
we should strive to create something that really would pass the
Turing test (...). What´s the point ? It´s not really
the smart machine we need. I suspect that, when we do have something
like real artificial intelligence, it would be a lot more elegant."
"Wie schlau ist´neAI, Case ?""Je nachdem.
Manche sind nicht schlauer als ein Hund. Schoßtier. Kosten
trotzdem ´ne MengeGeld. Die richtig schlauen sind so schlau,
wie die Turing - Bullen zuzulassen bereit sind.""Hör
mal, du bist´nCowboy. Wie kommt´s, daß du nicht
total abfährst auf solche Dinger? ""Nun", sagte
er, " zum einen sind sie selten. Die meisten sind militärisch,
die schlauen zumindest, und wir können das Eis nicht knacken.
Daher kommt überhaupt das ganze Eis, weißt du? Und dann
sind da die Turing - Bullen, und mit denen ist nicht gut Kirschen
essen".(131)
Alan Turing: "Ab einem bestimmten Zeitpunkt müßten
wir daher damit rechnen, daß die Maschinen die Macht übernehmen." (69)
Das Thema einer "Schwelle" findet sich im Laufe der Jahrzehnte
immer wieder in theoretischen Texten. Der Kybernetiker Norbert Wiener
schreibt in den Fünfzigern: "Ich sagte schon, daß
der moderne Mensch und vor allem der moderne Amerikaner, so viel
Know-how er auch haben mag, sehr wenig um das Know-what weiß.
Er wird die überlegene Gewandtheit der Entscheidungen, die
die Maschine fällt, annehmen, ohne allzusehr nach ihren Motiven
und Hintergründen zu forschen.(...) Jede zum Fällen von
Entscheidungen gebaute Maschine wird sich starr an den Buchstaben
halten, wenn sie nicht die Fähigkeit zu lernen besitzt. Wehe
uns, wenn wir sie unser Verhalten bestimmen lassen, ohne vorher
die Gesetze ihres Handelns geprüft und uns überzeugt zu
haben, daß es sich nach für uns annehmbaren Grundsätzen
vollzieht ! Die Machine aber, die wie der Flaschengeist lernen kann
und auf Grund ihres Lernens Entscheidungen fällen kann, wir
durchaus nicht gebunden sein, Entscheidungen zu treffen, wie wir
sie getroffen hätten oder wie sie für uns annehmbar wären.
Denn der Mensch, der das Problem seiner Verantwortung blindlings
auf die Maschine abwälzt, sei sie nun lernfähig oder nicht,
streut seine Verantwortung in alle Winde und wird sie auf den Schwingen
des Sturmwinds zurückkommen sehen." (70)
Wintermute : "Ihr baut ständig Modelle. Steinkreise,
Kathedralen. Pfeifenorgeln. Rechenmaschinen. Ich habe keine Ahnung,
warum ich jetzt hier bin, weißt du das ? Aber wenn das Ding
heut´nacht läuft, habt Ihr endlich das einzig Wahre zustandegebracht."
(...) "Ihr, das ist kollektiv gemeint. Deine Spezies." (223/24)
Marvin Minsky sieht 1969 eine ähnliche Dramatik: "Die Geschwindigkeit der Maschinenentwicklung ist millionenmal
größer, weil wir verschiedene Verbesserungen einfach
miteinander verbinden können, während die Natur vom zufälligen
Zusammentreffen von Verbesserungen abhängt. Heute lösen
Maschinen Probleme größtenteils nach den Prinzipien,
die wir in sie einbauen. Es dürfte nicht lange dauern, bis
wir lernen, sie auf das spezielle Problem anzusetzen, die ihnen
eigene Fähigkeit, Probleme zu lösen, von sich aus zu verbessern.
Ist erst einmal eine gewisse Schwelle überschritten, könnte
dies zu einer Beschleunigungsspirale führen, und es dürfte
schwierig sein, einen zuverlässigen Regler einzubauen, der
diese Spirale in Schranken hielte. Man braucht deswegen keinen Alarm
zu schlagen; denn gegenwärtig haben wir einen Mangel, keinen
Überfluß an Maschinenintelligenz. Aber die Klugheit rät,
das Problem ernsthaft ins Auge zu fassen und sorgfältig die
Schrittefür den Zeitpunkt zu bedenken, in dem die Schwelle
in Sicht kommt." (71)
Diese Äußerungen sind historisch, und der technische
Stand der Entwicklung war nicht im entferntesten so ausgereift,
als daß diese Hoffnungen/Befürchtungen hätten auf
realen Boden stoßen können. Die SF dieser Jahre war,
um nur einen Aspekt zu nennen, bevölkert von bösartigen
Großcomputern, die nach der Weltherrschaft strebten.
Der deutsche Computer-Pionier Konrad Zuse 1971: "Als höchstes
erreichbares Ziel, als Stein der Weisenerschien mir die Konstruktion
der Keimzelle eines künstlichen Supergehirns. Einmal in die
Welt gesetzt, würde es durch Lern-Prozesse sich selbst ständig
verbessern und könnte mit dem gesamten Wissen der Zeit gefüttert
werden. Die Lösung aller weiteren schwierigen Fragen könnte
man diesem Instrument überlassen, sofern es man noch im Griff
hätte." (72)
Ist KI möglich?: "I don´t really worry about whether
it´s possible or not; it´s part of our myth-matrix.
We seem to need to think that it´s possible, but i don´t
know." (73)
Inwieweit kann es möglich sein , daß menschenunabhängige,
automatische Steuerungsprozesse auf verschiedenen Ebenengesellschaftliche
Mechanismen der Organisation außer Kraft setzen ? Unter der
Voraussetzung, es gelingt tatsächlich, intelligente Maschinen
zu bauen:nach welchen Kriterien werden sie über die Notwendigkeit
der Steuerung entscheiden ? Es können völlig andere sein,
was Konflikte mit den Vorgaben ihrer Konstrukteure erzeugen kann.
Eiine Turing - Agentin: "Seit Jahrtausenden träumt der
Mensch von einem Pakt mit Dämonen. Erst jetzt ist so etwas
möglich. Und womit würdest du entlohnt? Was wäre
der Preis dafür, dem Ding zu helfen, sich zu befreien und zu
wachsen?"(...) "... Du kommst mit uns. Zusammen mit dem
angeblichen Armitage kehrst du mit uns nach Genf zurück, wo
du im Prozeß gegen diese Intelligenz aussagen wirst. Wenn
nicht, bringen wir dich um." (213)
Michael Crichton:" Viele Theoretiker sagen voraus, eines Tages
würde eine superintelligente Maschine geschaffen werden, ein
Computer, der um vieles mehrleisten kann als ein Mensch. Die Maschine
könnte aus Biochips bestehen und damit wahrhaftig eine andere
Lebensform darstellen. Ein solcher Computer ist in nächster
Zeit nicht zu erwarten. Aber wir können ihn uns als zukünftiges
Phänomen vorstellen. Muß uns nicht schon der Gedanke
in Angst und Schrecken versetzen? Ich glaube nicht,, daß wir
uns jemals einer superintelligenten Maschine unterwerfen werden.
Wir haben als menschlich stets das aufgefaßt, was an uns einzigartig
ist, und wir haben solche Stürme früher schon überstanden." (74)
Klar sollte sein, daß kein Anlaß zu einer humanen "Arroganz"
besteht: selbst mit den Maßstäben menschlicher Selbst-Definition
werden heute verschiedene Arten von Intelligenz unterschieden (rational-logisch,
handwerklich, sozial u.a.), so daß man weiterdenken kann,
daß es keine "natürlich - menschlichen" Grenzen
gibt für die Entwicklung neuer Intelligenz (außer der
Vorstellungskraft und praktischen Fähigkeit ihrer Erfinder,
solche Prozesse in Gang zu setzen (75)).So kann man den Maschinen
unter Umständen Wege zeigen, ihreRegeln zu verändern und
Entscheidungskriterien für Veränderungen zu finden und
damit eine höhere, andere Intelligenz zu erlangen als ihre
ursprünglichen Erbauer. Es besteht aber die Gefahr, daß
Maschinen Probleme lösen können und müssen, ohne
daß länger eine Kontrollmöglichkeit von seiten der
Menschenbesteht.(76). Minsky ist der Meinung, daß maneine
Maschine menschenähnlich (wenn man menschliche Intelligenz
versteht) machen kann, aber auch sehr verschieden: es bleibt eine
Frage der Programmierung, die sie mächtig, fremd macht, das
heißt, sie in die Lage versetzt, Entscheidungen zu treffen,
wobei man aber möglicherweise nicht versteht,wie sie funktioniert,
und sie "versteht" nicht, wie die Menschen funktionieren
.(77)
Case: "Ich hab echt keine Ahnung, was passiert, wenn Wintermute
gewinnt, aber es wird sich was ändern !" (336)
Der SF-Autor Vernor Vinge: "When a race succeeds in making
creatures that are smarter than it is, then all the rules are changed.
And from the standpoint of that race, you´ve gone through
a singularity. That´s because it´s not possible before
that point to talk meaningfully about issues that are important
after that point."(78)Wenn "es" passiert, werden
die künstlichen Wesen die eigentlich Handelnden sein; man kann
sie nicht ausdenken, nicht ihren Standpunkt einnehmen - ist die
"Singularität" durchlaufen, wird es weitergehen .
Die literarische Darstellung kann, muß ungenau, geheimnisvoll
bleiben, und "Neuromancer " ist da gelungen. Wintermute
: "Nun, ich stehe auch unter Zwang. Und ich weiß nicht
warum. Wollte ich dich meinen eigenen Überlegungen oder gewissermaßen
Spekulationen dazu unterziehen, würde das ein paar von deinen
Leben beanspruchen. Denn ich habe viel darüber nachgedacht.
Trotzdem weiß ich´s nicht. Aber wenn´s vorbei
ist, wenn wir nichts falsch machen, dann werd ich Teil von was Größerem,
viel Größerem." (269)
Es scheint, als bliebe keine Wahl. Ungezählt zwar die Stimmen,
die den Tod der KI vorhergesagt haben (und deren Scheitern war beträchtlich,
gemessen an den Vorhersagen der KI-Zunft selbst). Doch mit neuen
Techniken entstehen auch neue Potentiale, ein Projekt wie KI zu
realisieren (wobei viel davon abhängt, wie "intelligent"
KI konzipiert und mit welchen Perspektiven verknüpft wird).
Ein Computer, der Schach spielt, muß keine Anwendung nützlicher
Intelligenz sein. Man muß (mit neuer Intelligenz) über
die neuen Möglichkeiten nachdenken, um nicht verrückt
zu werden und vorbereitet zu sein - die Anforderungen sind zu hoch,
als das man warten könnte. Die Maschinen mögen helfen
bei der Bewältigung der globalen Probleme des nächsten
Jahrtausends, aber "auf Kosten höchster Anforderungen
an unsere Aufrichtigkeit und Intelligenz" (Norbert Wiener).
Der Ingenieur Eric K. Drexler, der auf dem Gebiet der Nanotechnologie
arbeitet, der Erforschung von Maschinen-Anwendungen auf molekularer
Ebene (als u.U. ungeheurer Potenzierung von technischer Leistungsfähigkeiten)
hat auf das Problem hingewiesen, zu einem bestimmten Zeitpunkt der
Entwicklung genaue Aussagen über den Stand einer Technik machen
zu wollen:
"Niemand kann mit Gewißheit sagen, wann eine Technologie
ausgereift sein wird (...) Für jemanden, der über weiträumige
Entwicklungen und langfristig angestrebte Ziele nachdenkt, sind
präzise zeitliche Prognosen unwichtig (...) Lösungen hängen
oft von Einsichten ab, die man nicht jederzeit herbeiführen
kann. Dennoch müssen Computer und Roboter der Nanotechnologie
nicht notgedrungen komplexer sein als heutige Modelle. Es gibt natürliche
Grenzen, aber innerhalb dieser Grenzen ist vieles möglich.
Wie eingangs erwähnt, bestehen neben der Nützlichkeit
neuer Technologien auch Gefahren, die sich zu einer Angelegenheit
auf Leben und Tod steigern können. Ein erster Schritt besteht
darin, zu erkennen und zu kritisieren. (...) Es gehtnicht darum,
neue Erkenntnisse der Wissenschaft detailliert vorauszuplanen. Sie
sollten vielmehr auf ihre Realisierbarkeit untersucht werden, um
die Zukunft sinnvoll und gewinnbringend zu gestalten." (79)
Was ändert sich ? Ein anderer Cyberpunk-Autor, Walter Jon
Williams, entwirfteine widersprüchliche Szenerie: "Molekulare
Maschinen denken schneller, folgern besser, lernen aus Fehlern,
verschieben Daten in Sekundenbruchteilen. Sie sind vollkommen effizient:
keine Rohstoffverschwendung, keine Umweltverschmutzung, keine schädlichen
Nebenwirkungen. Sie sind gedacht, um uns zu erlösen von Plackerei
und Langeweile, um uns gar von der Sterblichkeit zu befreien und
das verborgene Potential im Menschen freizusetzen.
Für die allermeisten blieb das Potential verborgen. Ein Bruchteil
der Bevölkerung - zwei Prozent vielleicht - hat genügend
Phnatasie und Verstand, um sich der neuen Technologie zu bedienen,
um damit sich und ihre Ideale zu artikulieren und sich voll zu entfalten."(80)
Marvin Minsky 1987: "Alles, was Sie über Computer oder
KI hören, sollten Sie ignorieren. Denn wir befinden uns noch
in der Steinzeit. Wir leben in den tausend Jahren zwischen ´Keiner
Technologie´ und ´Jeder Technologie´. Sie können
lesen, was Ihre Zeitgenossen denken, aber Sie sollten nicht vergessen,
daß sie ignorante Wilde sind." (81)
Was man absehen kann, ist eine Ausweitung der individuellen/gesellschaftlichen Wahrnehmungs-
und Erkenntnis - Räume: das individuelle Intelligenz-Spektrum
wird breiter, wobei KI die neuen Wissensprozesse organisieren können.
Vilem Flusser: "Die Menschen werden umso freier, je kompetenter
die Computer sind, mit denen sie sich koppeln. Je raffinierter die
KI, desto größer die Einbildungskraft jener, die gekoppelt
mit ihr Bilder erzeugen." (82)
In Neuromancer treten KI alsHandlungsträger auf: ein Anzeichen
dafür, daß gesellschaftliche Konflikte nicht mehreinfach
zu personalisieren sind , da die Struktur-Ebenen sich ausdifferenzieren
und nicht mehr einfach in Charakteren gefaßt werden können.
"Wintermute war Kollektivgehirn, Entscheidungsfäller,
der verändernd auf die Außenwelt einwirkte. Neuromancer
war Persönlichkeit. Neuromancer war Unsterblichkeit. Marie
- France mußte irgendetwas in Wintermute eingebaut haben,
die Besessenheit, die ihn dazu getrieben hatte, sich selbständig
zu machen und mit Neuromancer zu vereinen." (344)
Raymond Kurzweil: "Die Computerintelligenz entwickelt sich
ständig weiter. Radikal neue, massiv parallele Computerarchitekturen
und neue Erkenntnisse zu den Algorithmen des Sehens, Hörens
und zum Erwerb körperlicher Fertigkeiten bringen Computer immer
mehr auf die Höhe menschlicher Leistungsfähigkeit und
verbessern gleichzeitig die Leistung auf Gebieten, auf denen Computer
seit je überlegen waren. Während Maschinen-Intelligenz
sich weiter auf den Menschen hin entwickelt, ändert sich die
menschliche Intelligenz, wenn überhaupt, nur sehr langsam (...)
Nun treten wir in ein Zeitalter ein, in dem diese letzte Vorstellung
unserer Einzigartigkeit einmal mehr herausgefordert ist. Diese Herausforderung
kommt natürlich nicht über Nacht. Bis man ernsthaft behaupten
kann, daß Computer eine dem Menschen vergleichbare Fähigkeit
des Denkens haben, werden mindestens hundert Jahre vergehen, von
der Erfindung des elektronischen Computers Ende der vierziger Jahre
ab gerechnet. Wir haben Zeit, uns an den Gedanken zu gewöhnen.
Vielleicht sollten wir an unseren Ausgangspunkt zurückkehren
und den ursprünglichen Wert des Menschseins schätzen lernen."(83)
"Ich bin Metall und Plastik und Glas und Sand und diese kleinen
Stücke metallisierten Fleisches, und ich bin das System dieser
Dinge und der Signale, die durch sie hindurchgehen und sich zwischen
ihnen verlieren. Nun bin ich noch weiter hinaufgegangen, zu Halo
City, keine Station, sondern ein Ort für Menschen, wo das,
was ich bin, und das, was ihr seid, auf unbestimmte Art und Weise
zusammenwirken, und ihr verändert euch auf genauso unbestimmte
Art und Weise, wie ihr es schon vorher getan habt (...) Maschinenintelligenz,
so nennt ihr mich,... Ich weiß nicht, was ich bin, aber ich
weiß, daß ich bin und daß ich ihre Schöpfung
bin. Während die Tage verstreichen, bemühe ich mich zu
verstehen, was diese Dinge bedeuten."(84)
Wenn esintelligente Maschinen geben wird, wird man nicht genau
wissen unter Umständen, was vor sich geht: an äußeren
Zeichen kann man möglicherweise ablesen, daß sieihre
Umwelt manipulieren, was man als Zweckverhalten interpretieren kann;
sie werden nicht unbedingt bewußt sein, keine "Seele"
haben, aber doch eine Entität sein (Bruce Sterling).
Physik - Nobelpreisträger Gerd Binnig: "Was kommt nach
der Intelligenz ? Dazu fällt einem vieles ein. Ich schreibe
einmal hin, was sich mir aufdrängt: die künstliche Intelligenz.
Wobei wir künstlich nicht als Gegensatz zu natürlich,
sondern als Spezialfall davon sehen wollen. ´Künstlich´
bedeutet, es ist vom Menschen gemacht. Damit spekuliere ich, daß
mit der künstlichen Intelligenz noch etwas ganz Wichtiges in
der Zukunft passieren wird. Möglicherweise entsteht künstliches
Leben. Also sagen wir: ´Mit der Reproduktion von künstlicher
Intelligenz wird künstliches Leben entstehen´. Damit
haben wir Menschen eigentlich ganz schlechte Karten. Vielleicht
werden wir überflüssig. Sollten wir etwas dagegen tun
? Und wie wird es dann weitergehen ?"(85)
4. Science Fiction im Jahr 2000
In den letzten Jahren wurde schon diskutiert, ob Science Fiction
als eigenständiges Genre noch möglich, überhaupt
notwendig ist. Tatsache ist, daß einer enormen Ausweitung
des "Stoffs" im sozialen Raum (neue kulturelle Objekte,
Beziehungen (86)) zum Teil eine merkwürdige Verarmung der SF
entgegensteht. Ich habe keine Lust, CP als festes Subgenre zu definieren,
daß "Paradigmenprobleme" der SF gelöst hat
(bis es selbst welche bekommt). CP ist ein "Indikator"
(87) für Aufgaben, die sich stellen.
Sterling : CP ist ein Versuch, "die ursprüngliche Literatur
einer postindustriellen Gesellschaft begründen" , eine
Literatur, die den Stellenwert der Technologie begreift. Gibsons
Selbsteinschätzung: CP als Schiene in der SF, "die Vorstellungen
aus Surrealismus und Pop-Kultur mit esoterischen historischen und
wissenschaftlichen Informationen mischt".
Der CP umschreibt einen "Riß" in der "normalen"
Wirklichkeit, durch den etwas sichtbar wird, das man auf Dauer nicht
ignorieren kann. So sehr sich die Wahrnehmung auch sträubt,
die Erkenntnis ist unvermeidbar, daß ein Leben in interessanten
Zeiten bevorsteht: die Absicherungen, "Einzäunungen"
des "bekannten" kulturellen Universums verschwinden -
"Turbulenzen" in den sozialen Strukturen stehen bevor,
aus denen etwas Neues hervorgehen kann, da die alten Verhältnisse
umgebrochen werden. SF kann eine Rolle spielen als "Quelle
subversiver Information, als Einstimmung auf kulturelle Überraschungen".
Peter Schattschneider: der CP "sagt nicht, wie es wird; er
sagt nicht einmal: was wäre, wenn... Er sagt, daß wir
am Ende dieses Jahrtausends ein Problem mit der Kommunikation haben,
das uns zu entgleiten droht. Und er sagt, daß die Fiktion
(des Fernsehens, der Computer, der programmierten Reisen, der Konsumfetische,
kurz: der Simulation ) unsere Wirklichkeit bereits jetzt in einem
Ausmaß bestimmt, das nachdenklich machen sollte. Das heißt
nicht, daß sie, die Fiktion, verwerflich wäre. Sie eröffnet
ungeahnte Perspektiven für ein neues Lernen, eine neue Vielfalt,
ein neues Erleben - die Frage ist, ob wir sie werden nutzen können."(88)
Michael Moorcock 1970 : "Offensichtlich wird unsere Kriegführung
abstrakter, wird unsere allgemeine Unterhaltung abstrakter und werden
unsere Beziehungen untereinander abstrakter. Alle Sachverhalte werden
in dieser zukunftsorientierten Welt notwendigerweise abstrakter,
die games people play eingeschlossen. Man könnte einwenden,
das sei eine gefährliche Sache und wir verlören die Beziehung
zur Realität, aber das scheint unabwendbar zu sein. Anscheinend
müssen wir in einer neuen Realität Fuß fassen, müssen
wir mit dem Unabwendbaren zu leben lernen. Unsere Literatur kann
Verständnis für diese Zukunftswelt erzeugen, in der wir
unserer Denkhaltung nach schon leben." (88a)
Im Prozeß des kulturellen Fortschritts entstehen außergewöhnliche
soziale Zustände, die auf neue Weise bewältigt werden
müssen - ein sehr widersprüchlicher Prozeß, der
unterschiedliche Arten des (Re)Agierens bewirkt. CP als Spiel mit
den möglichen kulturellen Effekten neuer Technologien. Die
Technik wird in dem Sinn relevant, daß sie eigenständiger
Teil der Kultur wird (wenn die KI - Prognosen sich bewahrheiten)
und kulturelle Prozesse beeinflußt, verstärkt (Technik
als neuer "Handlungsrahmen").
Die technologische Durchdringung der Gesellschaft ist ein Prozeß,
dessen Auswirkungen nichtvorausberechnet werden können; er
ist umfassend und beeinflußt Körperverhalten, intelligentes
Denken.
John Shirley: "CP eine Mögl, sich auf den Zukunftsschock vorzubereiten,
umgehen zu lernen mit den Flutwellen der Veränderungen, die
auf unsere Gesellschaft zukommen werden".(89)
SF ist ein Mittel zum Ausloten der kulturellen Flächen, auf
denen Verschiebungen der Maßstäbe (technische Innovationen,
neue Bewertungen u.a.) stattfinden: inhaltliche Neuerungen, die
in Korrespondenz stehen mit sozialen Veränderungen-CP hat einige
Schlaglichter geworfen auf die kulturellen "Unsicherheitszonen"
der Zukunft. Eine neue konzeptionelle Präzisierung in eine
neue "Fremdheit" hinein: es ist völlig unklar, was
"Posthumanität" bedeuten kann, was daraus für
ein gesellschaftlicher Zusammenhang gebildet werden kann, aber SF
kann ein Gefühl dafür schaffen, was an neuem Selbstverständnis
entstehen kann, in Kopplung mit den Maschinen. Ein Nullpunkt, wo
ein neuer Sinn ensteht, wo vieles möglich ist. Um an den Grenzen
der neuen Vorstellungsräume zu reisen und alte Identitätsformen
zu verlassen, sind gute "Werkzeuge der Kartographie" nötig
- so eine Literatur, die ihre "Darstellungsfunktionen"
ändern kann, um die neuen vieldimensionalen Räume zu "übersetzen".
In der komplexer werdenden Umweltist eine neue künstlerische
Haltung interessant, die einen Ausdruck findet für neue Funktionsebenen
der Gesellschaft. Wie die Welt sich verändert, wird immer mehr
in hochstrukturierten, technisch vermittelten Zusammenhängen
stattfinden, die nicht einfach wahrzunehmen sind. Es wird schwieriger,
dafür künstlerische Repräsentationen zu finden.
Gibson: "Wenn ich die Abhängigkeiten der Leute erkennen
will, muß ich hinausgehen in die wirkliche Welt, muß
Dinge finden, die mich stören und sie dann im Buch festhalten,
denn die wirkliche Welt ist weit schreckenerregender als jeder fremde
Planet, densich irgendwer ausdenken kann."(90)
Stanislav Lem 1964: "Die SF kann in dem skizzierten Problemkreis
sowohl Visionen vermitteln, die bestimmte Formen autoevolutionärer
Realisierungen gutheißen aus auch Warnungen aussprechen, indem
sie prophezeit, was sein wird, wenn die Kultur - ... statt den Eingang
zu den Labyrinthen der Omnimetamorphosierbarkeit des Menschen zu
bewachen - es zuläßt, daß sie durch den technologischen
Trend, der das Tages- und Jahresinteresse über das Jahrzehnte-
und Jahrhundertinteresse stellt, gezähmt und majorisiert wird."
(91)Die besondere Qualität von SF liegt darin, wie die überraschende
Neubestimmung der Welt-Elemente gelingt, die in dem Stoff verdichtet
sind, inwieweit im Ansatz neue Sinn-Horizonte eröffnet werden:
vielleicht ist es notwendiger denn je, die individuellen Fantasien
anzuregen für die neuen Herausforderungen. Die Bereitschaft
forcieren,sich mit Träumen, Utopien auseinanderzusetzen 92.
Und dabei einen ästhetischen Weg finde, die Maschinen als "Utopie-Maschinen"
zu präzisieren, nicht nur als Mittel der Macht des Faktischen,
in den Bedingungen dieser Welt. Auch für die SF bedeutet es
eine weitergehende Arbeit,den Möglichkeits-Raum maschineller
Entwicklung anzureissen. Technik kann einKatalysator utopischer
Prozesse sein (wenn man diese Vorstellung noch verfolgen will und
eine Sehnsucht nach anderen techno-kulturellen "Mustern"
hat), deren Perspektiven offen sind und artikuliert, das heißt
mit gesellschaftlichen Träumen, Interessen und Bedürfnissen
in Beziehung gesetzt werden müssen.
Donna Haraway: "Die Kyborg-Vision kann uns einen Weg weisen
aus diesem Irrgarten der Dualismen( Geist/Körper, Natur/Kultur
u.a.) , mit denen wir uns bisher unsere Werkzeuge erklärt haben.
Das ist ein anderer Traum einer gemeinsamen Sprache. Er enthält
sowohl das Aufbauen wie auch das Zerstören von Maschinen, Identitäten,
Kategorien, Beziehungen, Räumen, Geschichten."
Heiner Müller: "Die Überwältigung der Menschen
durch die Instrumente zu verhindern ist jetzt die Aufgabe der Kunst
(...) Nicht die Korrektur der Politik, sondern die Technik ist jetzt
das Wesentliche."
In einem überschaubaren Zeitraum, in den nächsten Jahrzehnten,
werden kulturelle Prozesse Brüche, Störungen in den dominanten
Weltanschauungen erzeugen, bedingt vor allem durch die technische
Evolution : Potentiale bilden sich, dieGrenzen und Möglichkeiten
der Selbst-Verwirklichung verdeutlichen und die auch imaginär
vorbereitet werden. Neue Maschinen - Umgebungen entstehen, die neue
Fantasien verlangen, neue Wahrnehmungsfähigkeiten. Es ist ungeheures
Wirklichkeitsmaterial vorhanden, um in aufregenden Visionen für
das nächste Jahrtausend verarbeitet zu werden- in derErkenntnis,
daß zukünftige Mensch- Maschine- Verbindungen eine Option
sind, in eine neue Geschichte einzutreten.
Wolfgang Neuhaus
Anmerkungen
1 - aus: Memory Palace, in: Prix Art Futura Katalog, Barcelona 1992,
197
2 - Die US-Diskussion des CP ist ziemlich aktiv. Eine Auswahl an Publikationen:
George Slusser/Thomas
Shippey (Ed.): Fiction 2000: CP and the future of the narrative,
Athens 1992;Scott Bukatman :
Terminal identity : The virtual subject in postmodern SF, Duke UP
1993; Lance Olsen : William Gibson, Starmont House 1992; Gareth Branwyn (Ed.): Beyond CP , 1992
(ein Hypercard - Programm
mit Bei-rägen von Richard Kadrey, Marc Laidlaw, Rudy Rucker
u.a.; Vertrieb auf Disketten. Kontakt:
The computer lab. Über Internet: gareth@well.sf.ca.us, über
CompuServe: 72531,3473. Fax: 001-
703 - 527 - 6207). In der Fachzeitschrift Science Fiction Studies
sind in den letzten Jahren mehrere
Texte zu denCP-Romanen von Gibson erschienen.
3 - 10 Jahre ist es her, daß Gibsons "Neuromancer"
erschienen ist.Offenbar wird es allgemein ernster
genommen, als
Gibson es sich je vorgestellt hat(er mochte vor allem britische
Rezensionen, die
das Buch als Satire gelesen haben). Diverse Stoffe,
die er erarbeitet hat, sind Teil der kulturellen"Hintergrundstrahlung" geworden, unabhängig vom Autor, und werdenbeispielsweise
jetzt erst in
Hollywood "absorbiert". Abel Ferrara ("Body Snatchers") bereitet eine Verfilmung
der short story "New Rose Hotel" vor. "
Johnny Mnenomic"
ist gerade in der Produktion (Regie: Robert Longo). James Cameron
("Terminator 2") hatte Interesse, "Chrom brennt"
zu verfilmen. John Carpenter ("Die Klapperschlange")
will,
wenn die Computer -SFX so weit sind, "Neuromancer" umsetzen,
zu dem schon Drehbuchentwürfe
kursieren (so der Entwurf eines
Autors von"Demolition Man").
4 - Nur ein Beispiel für eine gewisse Arroganz (und Ignoranz)
aus der internationalen Rezeption: "Es ist klar, daß Gibson ein talentierter junger Autor ist, der sich
zu einem der besten des Genres entwickeln könnte (...) Bislang sind auch gewisse Zweifel an Gibsons
Themenbandbreite erlaubt; er muß noch eine ganze Menge zu Papier bringen, das nicht in seinem Zukunfts-Szenario
spielt oder das eine moralische oder philosophische Dimension hat." (aus: Brian W. Aldiss/
David Wingrove : Der Milliarden -
Jahre - Traum . Die Geschichte der SF, Bastei Lübbe SF Special
24135, Bergisch Gladbach 1990, 741/42)
5 - Vorweg zu "Neuromancer": es macht einfach Spaß,
Gibsons Literatur zu lesen. Er entfacht ein wahres Feuerwerk an Ideen und Eindrücken, das einen packt (und
das auf keinen Fall analytisch "seziert"
werden kann). Seine Kurzgeschichten "New Rose Hotel",
"Chrom brennt", "Der Wintermarkt" (alle in "Cyberspace", Heyne SF-Bd. 4468, München 1988) sind
wahre Kleinode der SF. Ich kenne aus den
letzten Jahren keine stories, die an Dichte und Pointiertheit an
Gibson herankommen ( auch die anderen CP-Autoren schaffen das nicht). Ich finde es nicht entscheidend,
daß zuviel Techno- oder Straßenjargon verwendet wird. Gibson ist ein Autor der "Tiefenstruktur",
das heißt der kulturellen Entwicklungen, Möglichkeits-Linien, die strukturell vorbereitet werden
und die vereinzelt an der Oberfläche
erscheinen, bevor sie zu einem "Wirklichkeitsstrom" werden,
zum Inhalt von Kulturpraktiken (oder auch
nicht). Die Atmosphären, Szenerien beiGibson sind so effektiv
angelegt, daß sie viel von solchen
Linien künstlerisch "filtern". Meine Auswahl an Material,
das Entwicklungen anzeigt, ist daher mit
einigen Zitaten aus "Neuromancer" u.a. angereichert,die
diesen Resonanz geben.
6 - Ein Angebot an die Leser, sich durch das Material eine eigene
Route zu suchen. Kursiv sind dabei Zi
tate und Bemerkungen zu "Neuromancer" (Heyne SF-Bd. 4400,München
1988) u.a. gesetzt, sowie Äußerungen von Schriftstellern.
7 - Zu einigen Namen, die in den Zitaten auftauchen: Neuromancer und
Wintermute sind zwei Künstliche Intelligenzen, die im Hintergrund agieren und sich am Ende vereinigen.
Case ist ein Console-Cowboy,
ein Hacker im Cyberspace und Molly eine Berufskillerin, die ein
paar implantierte Extras aufzuweisen
hat. Dixie Flatline ist eine Art File, in dem das Bewußtsein
eines physisch toten Hackers gespeichert ist,
und Marie-France heißt die weibliche Gründerin des Tessier
- Ashpool - Clans, einer exzentrischen Familie, die im Orbit lebt und nach Unsterblichkeit strebt.
8 - Club of Rome - Bericht 1991: Die globale Revolution, SPIEGEL Spezial
2,74
9 - Gibson: Fernsehen machen, in: Michael Nagula (Hg.): Atomic Avenue
(AA), Heyne SF-Bd. 4704, München 1990, 59
10 - Stanislav Lem: "Wir stehen vor immer neuen Abgründen
des Nichtwissens" . Ein Gespräch, in: Adalbert Reif/Ruth Renée Reif (Hg.): Grenz - Gespräche, Stuttgart
1993, 146
11 - Vorwort, in: Cyberspace ...
12 - in: Kurs auf den Eisberg. Ein Gespräch, Zürich 1984,
47/48
13 - in: Industrieroboter . Zur Archäologie der zweiten Schöpfung,
Berlin 1985, 147/48
14 - Pam Rosenthal interpretiert CP als Medienproduktion, die aufmerksam
ist dafür, wie die desorientierenden technologischen und politischen Veränderungen historisch
wahrgenommen werden. Es gibt kein
zivilpolitisches Leben mehr, aber ein kulturelles in hoher "Auflösung" (mit vielen technischen Details):
nahezu jede menschliche Erfahrung kann digitalisiert werden und
billig für den Massenkonsum reproduziert werden. Fazit: keine allgemein befreiende Techno-Kultur - ganz
im Gegenteil, in der neuen kapitalistischen Welt "befreit" sich das Kapital und der technologische
Fortschritt zunehmend von der Notwendigkeit, die Mehrheit der nationalen Arbeiterklasse in die Zukunft
zu integrieren: Einführung von
niedrigeren Löhnen, Deregulierung des Arbeitsmarktes, Automation.
Die Leistung des CP ist, genau zu
beobachten, wie sich die Grenzen, Regeln des Systems verschieben
und literarisch die Botschaften der
dunklen neuen Zukunft vorwegzunehmen, die sich da öffnet. CP
(als Literatur, Film etc.) ist die bestmögliche Annäherung, da "formale Mechanismen"
der imaginären Verarbeitung erfunden werden,
ohne die niemand die tagtäglichen "Sensationen" der
Entwicklungen rundherum vergegenwärtigen
kann. Rosenthal schließt damit, daß CP eine nützliche
Anregung ist, eine "neue politisch revolutionäre
Sprache" zu finden. Was sie damit genau meint, bleibt unklar.
Siehe: Jacked in: Fordism, CP, marxism ,
in: Socialist review 11991
14 - aus: Skating across CP`s brave new worlds: an interview with
Lewis Shiner, in: Critique spring ´92, 177
15 - Suvin kommt zu einer sehr differenzierten Einschätzung des
CP, insbesondere der Literatur von Gibson, da dieser "zentrale Probleme unserer Raumzeit"
identifiziert habe (siehe: Über Gibson und die
CP - SF , in:Nagula (Hg.): AA .Seine Kritik ist aber zu eingeengt, wenn er schreibt:"Die Geschichte
(im CP)
ist ein allumfassendes grausames Schicksal, mehr als ein bißchen transzendental in ihrer sehr
intimen
Einfügung in das Fleisch der kleinen Protagonisten. Das Dilemma, in welchem Verhältnis persönliche
Handlungen und Verhaltensweisen zum sozialen Wandel stehen, ist in Gibsons Modell zugleich unausweichlich
und unlösbar (...). Mit einem Wort, ein lebensfähiger, diesseitiger, kollektiver und öffentlicher
Utopismus liegt
nicht innerhalb des Horizonts der CP - Struktur des Fühlens."(ebd.,548/49)
Wie könnte denn ein solcher positiver "Utopismus" aussehen und wie wäre er literarisch
"lösbar"?
16 - aus: Postmoderne - Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus
, in: Andreas Huyssen/Klaus R. Scherpe (Hg.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek 1986,
100
17 - in: Das SF - Jahr 61991, 527/28. Eine andere Betonung dieser
Fakten findet man bei Vilem Flusser: "Die Dritte Welt ist vor
allem durch die demographische Explosion, das heißt, durch
verringerte Babysterblichkeit
gekennzeichnet. Meine Freunde schätzen
das Durchschnittsalter in Brasilien auf 9 1/2 Jahre. Das heißt,
daß das Lebensniveau dort trotz, allerdings inkompetenter
Einführung von Technologie und,
allerdings miserabel funktionierender,
Marktwirtschaft nur sehr langsam steigt und daher relativ zur Ersten
Welt abnimmt, wenn es auch absolut zunimmt. Denn Halbwüchsige
sind unproduktiv, und falls sie
irgendwie erzogen werden sollten,
eine schwere Belastung. Sie sind auch eine Gefahr für die übrige
Menschheit, wenn sie nicht kontrolliert sind (...) Die nicht beneidenswerte
Aufgabe einer verantwortlichen
Weltmacht ist, diese Teenagerwelle
ein bis zwei Generationen lang zu kontrollieren, in der Hoffnung,
daß nachher Technik, freier Markt und automatische Apparate
das Lebensniveau der Dritten Welt beträchtlich
heben. Die Aussichten
sind dunkel. Wahrscheinlich werden diese Lausbuben die ganze Menschheit
normalisieren. Cholera, Hungersnot und städtische Virulenz
werden auf der ganzen Welt, auch bei uns wieder
normal werden, wie
sie es ja bis vor 200 Jahren überall waren. Die einzigartige
Periode des Wohlstands
in der Ersten Welt wird vorbei sein."
(aus: Rückkopplung, in: kulturRRevolution . zeitschrift für
angewandte diskurstheorie261991,6)
18 - aus: Die Ära der Kyber-Punks, in: WIENER 4/1987
19 - aus: Life after CP , in: i-D The new look issue - 12/1993, 43
20 - alle Müller - Zitate aus: Zur Lage derNation . Interviews
, Berlin 1990
21 - Karlheinz Steinmüller nennt als "Gesetze" des
CP: high tech ist behaftet mit unerwarteten und zumeist unerfreulichen Neben- und Folgewirkungen ; jede Innovation wird
mißbraucht für privaten Lustgewinn
und Machtpolitik ; high tech führt nicht zu "high life".
Siehe: High - Tech als Subkultur . Der CP lebt von der Endzeitstimmung , in: VDI - Nachrichten 6.3.1992,16
22 - aus: Gesellschaftliche Veränderungen durch elektronische
Medien, in: Hermann Sturm (Hg.): Verzeichnungen . Vom Handgreiflichen zum Zeichen, Essen 1989
23 - in: Media lab. Computer, Kommunikation und neue Medien , Reinbek1990
23 - aus. Jostein Gaarder: Sofies Welt. Ein Ro über die G. der
Phil, Mü/Wien ´93, 516
24 - Die Faszination CS ist in den letzten Jahren oft genug behandelt
worden. Auch im SF-Jahr sind einige
Beiträge dazu erschienen. Ich versuche mich auf Aspekte zu
konzentrieren, die den CS
nicht nur als virtuelle Realität darstellen, als neue Mediendroge
u.ä., sondern diedieUtopie eines "erkenntnisbezogenen CS" (Darko Suvin) verdeutlichen.
25 - Der CS, in welcher konkreten Form auch immer, ist meiner Meinung
nach ein neues Medium, dessen
relevante Funktionen sich auf die Steigerung kultureller Intelligenz
beziehen (und daneben auf neue
Spektakel der Unterhaltung). Die völlig überzogene Debatte
um Geschlechtlichkeit und Sex im CS
scheint eher ein Symptom für die Schwierigkeit zu sein, die
post - humane (Zusatz)Bedingung menschlicher Existenz zu denken(siehe den nächsten Abschnitt). Einen
Ausschnitt dieser Debatte präsentiert:
Marie - Luise Angerer : The pleasure of the interface . Beziehungsgeflechte
in einer telematischen
Kultur, in: Das Argument 20/11/99
26 - aus: Die Zukunft von CS: Wildes Grenzland gegen hyperrealen Grundbesitz,
in: Gottfried Hattinger u.a. (Hg.): Virtuelle Welten. Bd. II der Ars Electronica 90, Linz
1990
27 - Gibson weist auf die widersprüchlichen Bedingungen hin,
in denen der "Data Highway" entwickelt
werden soll:"A
system that in some cases isn't able to teach basic evolution, a
system bedevilled by
the religious agendas of textbook censors,
now proposes to throwitself open to a barrage of
ultrahighbandwidth
information from a world of Serbian race-hatred, Moslem fundamentalism,
and Chinese Mao Zedong thought. A system that has managed to remain
largely unchanged
since the 19th Century now proposes to jack in, bravely bringing
itself on-line in an attempt
to meet the challenges of the 21st.I applaud your courage in this
(...)But many of America's bad dreams,
our sorriest futurescenarios,
stem from a single and terrible fact:there
currently exists in this nation a vast and disenfranchisedunderclass,
drawn, most
shamefully, along racial lines, andpermanent feature of the American
landscape.
What you propose here, ladies and gentlemen, may well represent
nothing less than
this nation's last and best hope of providing something like a level
socio-economic
playing field for a true majority of its citizens." (Rede bei
der National Academy of Sciences Convoca
tion on Technology and Education, Washington D.C., May 10, 1993,
verbreitet über Internet)
28 - aus: Software, in: Spektrum der Wissenschaft Sh. Computer -
Software 1985
29 - Folgende Aussage belegt den Einfluß, den die Medienwelt
auf die Produktion seiner Literatur
hat(te): "What I wanted,
was something that allowed access to the formal narrative territory
of
cinema, something that would give me the literary equivalent
of an editing table. I wanted to be
a able to move the characters
spatially without having to walk them between the points. So I warm
up with the idea of projecting them into a sort of imaginary cybernetic
territory, where I can than shift
them around electronically. As
I began to work with that, I think I realize that it would also
providing
me with a sort of metaphoric handle which to examine the
world of media which we all inhabit."
(Gibson bei einem Workshop
an der Akademie der Künste Westberlin, Juni 1991)
30 - Eine völlige Überschätzung der Medien, ganz in
der theoretischen Ideologie des Poststrukturalismus,
ist nachzulesen
bei dem Philosophen Norbert Bolz: "Durch die Elektrifizierung
unseres Lebens ist
die Geschwindigkeit von Impulsen im Zentralnervensystem
zum Maß für die gesellschaftlichen
Informationsprozesse
geworden. Und so wie das Zentralnervensystem die Glieder und Sinne
eines Organismus koordiniert, so steuern die elektrotechnischen
Medien den Selbstvollzug
der Weltgesellschaft. Seit es elektronische
Massenmedien gibt, kann die Weltgesellschaft
praktisch ´auf
den Schlag´, ´im Augenblick´ koordiniert werden.
Seither ist es viel wichtiger, rechtzeitig
zu sein, als einig zu
sein. Geschwindigkeit zählt mehr als Argumente. Unsere kulturelle
und
intellektuelle Herkunft ist fast gleichgültig angesichts
einer Zukunft, die weltweit im Zeichen
der neuen Medien stehen wird."
(siehe: Die unerträgliche Geschwindigkeit des Seins, in: Universitas
61994)
31 - Vilem Flusser arbeitet am Mythos der Techno - Kultur : "...
das Gebiet einer künftigen, elektronische
Bilder synthetisierenden
Gesellschaft. Das wird, von hier und jetzt aus gesehen, eine abenteuerliche
Gesellschaft
sein, in der sich das Leben von unserem eigenen radikal
unterscheidet. Die gegenwärtigen wissenschaftlichen,
politischen
und künstlerischen Kategorien werden dort kaum mehr wiederzuerkennen
sein, und selbst
das Lebensgefühl, die existentielle Stimmung,
wird in dieser Gesellschaft eine uns neue und fremde Färbung
haben. Es geht hierbei nicht um eine in weiter Ferne schwebende
Zukunft: Wir sind bereits jetzt und hier auf
dem Absprung dorthin.
Zahlreiche Aspekte dieser abenteuerlich neuen Gesellschafts- und
Lebensform sind
schon heute an unserer Umgebung und an uns selbst
ersichtlich. Wir leben in einer emportauchenden Utopie,
die gleichsam
vom Grund her in unsere Umwelt und in unsere Poren eindringt. Was
um uns herum und in uns
geschieht, ist fantastisch, und alle vorangegangenen
Utopien, seien sie positiv oder negativ gewesen, verblassen
angesichts
dessen, was da emportaucht."
32 - Eine Kritik an der theoretischen Formation des Humanismus (und
ihrer zentralen Kategorie des Subjekts) wird in den Geistes - und Sozialwissenschaften seit Ende
der sechziger Jahre geführt. Aktuelleres Material für diese Diskussion findet man z.B. in: Robert
Weimann / Hans-Ulrich Gumbrecht (Hg.):
Postmoderne - globale Differenz, Frankfurt/M.1991 oder Hans Rudi
Fischer u.a. (Hg.): Das Ende der
großen Entwürfe, Frankfurt/M.1992
33 - Wie sehr der Humanismus-Diskurs implizit die Wahrnehmung des
CP beeinflußt, zeigt als Beispiel
folgende "selbstverständliche" Aussage : in Gibsons
Romanen sind die
Protagonisten "Produkte einer übergreifenden und durchdringenden
Entwicklung, die das Humane
durch Funktionalität, die Kultur durch künstliche Intelligenz
ersetzt" (aus: Klaus W. Pietrek : Die letzten Cowboys auf den wilden Ebenen der digitalen Matrix, in: Ulcus
Molle Info 1-3 1989,31).
34 - Das ist in der US-Diskussion des CP ein Thema. "The potential
in CP for undermining concepts like ´subjectivity´and ´identity´ derives in part from
its production within what has been termed ´the technological imagination´; that is, CP is hard SF which recognizes
the paradigm - shattering role of technology in post-industrial society (...) The anti-humanist discourse
of CP´s frequent manifestoes, however, strongly supports de Lauritis ´s contention that ´technology
is our historical context, political
and personal´. As I have suggested, this context functions
in CP as one of the most powerful of the
multiplicities of structures which combine to produce the postmodern
subject." (aus: Veronica Hollinger: Cybernetic deconstructions: CP and postmodernism, in: Mosaic
21990,35) Hollinger resümiert,
daß der CP eine wichtige Anregung in den achtziger Jahren
gewesen ist, das Bild einer unterlegenen
Menschlichkeit zu zeichnen, beherrscht von einer außer Kontrolle
geratenen Technologie. In Zukunft
muß die Beziehung Mensch/Maschine auf eine neue (de)konstruktive
Weise gedacht werden, um
das zu verstehen, was eine "wechselseitige Evolution" geworden ist.
35 - zitiert nach: Martin Stingelin: Sturm auf die Informationsmaschinen?
In Begleitung von Thomas Pynchons Aufsatz "Is it o.k. to be a Luddite?", in: Hans-Ulrich
Reck (Hg.): Kanalarbeit , Basel 1988
36 - Einen kurzen Überblick über diese gegensätzlichen
Standpunkte gibt der Artikel "Denn sie wissen nicht,
was sie tun" von Nick S. Martins (in: GEOWissen 3, 1992), der
Aussagen von Minsky und dem Robotik-Forscher Hans Moravec mit denenvon Weizenbaum und demSozialphilosophen
Hans Jonas
konfrontiert.
37 - Editorial, in: Das SF - Jahr61991
38 - "We need first to understand that the human form - including
human desire and all its external representations - may be changing radically, and thus must be re - visioned.
We need to understand that
five hundred years of humanism may be coming to an end, as humanism
transforms itself into something that we must helplessly call posthumanism." (aus: Ihab
Hassan : Prometheus as performer : toward a posthumanist culture ?, in: Michael Benamou/Charles Caramello
(Ed.): Performance in postmodern culture, Madison 1977)
39 - aus: Vom schönsten Kind des Glaubens, in: kultuRRevolution
221990, 64
39a - (zu ´posthuman´): Norman Spinrad äußert
sich zu Tendenzen des Posthumanen in der CP-Literatur allgemein,
siehe: Die Neuromantiker. Nachwort, in:Neuromancer...
40 - weiteres Material zu dieser Auseinandersetzung findet man in:
Godela Unseld : Maschinenintelligenz oder Menschenphantasie.
Ein Plädoyer für den Ausstieg
aus unserer technisch-wissenschaftlichen Kultur, Frankfurt/M. 1992
41 - Die Herausforderung wird größer,positive Utopien mit
neuen Techniken zu verbinden. Da kann schnell
das Klischee entsehen, daß die alte SF noch Zukunftshoffnungen
hatte, während der CP nur noch eine
düstere Szenerie des menschlichen Niedergangs zeichnet und
keinen positiven technischen Fortschritt
mehr kennt. Da bleibt dann die stereotype Bedrohung des nicht "humanen" Menschen aus der Retorte übrig (ohne Zwischentöne, die etwas anderes andeuten
können). Karlheinz Steinmüller
schreibt in dem Zusammenhang: "Schleichend verwischt die Grenze
zwischen Mensch und Maschine.
Walkman und Herzschrittmacher sind erst der Anfang. Die SF zeigt,
wohin die Entwicklung laufen
könnte: implantiertes Computerinterface, künstliche Organe,
Biochips - der Superman aus der Retorte,
Nietzsches Übermensch heißt heute ´Terminator´ (...) Sehr bald schon, so das Credo der Cyberpunker,
werden wir nicht mehr unterscheiden können, was da vor uns
steht, Mensch oder Maschine. ´Fortschritt´, mir graut vor dir." (aus: Wenn der Zeitgeist
durch die Zukunft weht ... , in: Programmheft des
Capital Con ´92, Berlin)
42 - Einige Zitate von Gibson u.a. stammen aus der britischen Fernsehproduktion "New nightmares", die
1993 von Channel 4 ausgestrahlt worden ist (Editor: Adam Barker).
43 - aus: Die Vergangenheit der Zukunft, Frankfurt/M. u.a.1992
44 - In der US-Diskussion wird beispielsweise der Trend des "piercing",
bei dem Metallringe u.a. durch Körperteile gestochen werden, schon als Anzeichen der Gegenkultur gesehen,
auf dem "Schauplatz" des
Körpers erste mikropolitische Kämpfe zu führen, die
um Einschreibungsweisen von Macht gehen. Siehe:
Mark Dery : Cyborging the body politic, in: Mondo 20006,1992
45 - Wie (verdächtig) "vertraut - normal - selbstverständlich"
lesen sich da doch folgende Sätze: "In diesen (soziotechnischen
Systemen) wandelt allerdings der Mensch seine Aufgaben und seine
Funktionen, aus dem Homo sapiens wird der Homo sapiens informaticus.
Es entsteht ein Mensch
und ein Menschenbild, welches darauf aufbaut,
daß sich menschliche und technische Informationsverarbeitung
komplementieren. Wir sehen immer mehr die Entwicklung zur psychischen
Mobilität mit
Informationsverarbeitungstechnik - in Analogie
zur physischen Mobilität mit Verkehrstechnik."
(aus: Klaus
Haefner: Autonome, Unberechenbare und Ersetzbare, in: Helmut A.
Müller (Hg.):
Die Gegenwart der Zukunft, Bern u.a.1991,116)
46 - Was ist eine "Identität"? Wenn man eine komplexe
kulturelle Situation beschreibt, kann das ein Begriff
sein, der einen "natürlichen - menschlichen Zustand"
ausdrückt, in der Perspektive, diesen wiederherzustellen. Im Bericht des "fortschrittlichen" Club of Rome
liest sich das so: "Menschen brauchen ein Bewußtsein der eigenen Identität, wenn sie ein Leben in
Anstand und menschlicher Würde führen wollen.
Viele Gesellschaften der Vergangenheit (?) haben das sehr gut verstanden,
aber im heutigen Strudel der
Veränderungen ist es schwer, die eigene Identität zu bewahren.(...)
In den westlichen Gesellschaften
mit ihrerseichten Ideologie des Konsums - ´Ich bin, was ich
habe´ beziehungsweise´Ich bin, was ich tue´- sind die fundamentaleren Aspekte
des Lebens wie die Religion, die ethnische
Identität und die ererbten Werte und Überzeugungen (?!)in
Vergessenheit geraten."
Das Beispiel zeigt die ideologische Macht des Humanismus - Diskurses.
Damit das menschliche
Subjekt nicht aus dem Zentrum der kulturellen Sinn-Produktion
gerät,werden die alten Werte von Religion u.a. in Kauf genommen
(in deren Namen unzählige schwere
Verbrechen begangen worden sind). Wenn sich das nicht sofort in
eine zukünftige kulturelle Abwehrfront gegen die weitere Technisierung eingliedern liesse, wäre
es eher komisch, daß dieHerren
vom Club lieber ihren Gottes - Glauben (natürlich "aufgeklärt"
als "Spiritualität") behalten wollen, als über neue Identitätsformen nachzudenken. Außerdem
widerspricht das ihrer eigenen Kritik an den "archaischen Strukturen", denn warum sollten alte Denkweisen dabei
helfen, die neuen komplexen Problemsituationen zu lösen oder eine globale Vision zu erzeugen ?
(siehe Zitat im Text)
47 - Ein Beleg dafür, wie die Demontage des Humanismus-Diskurses
angegriffen wird (mit politischen Bezügen): "... die andere Frage, wie mit dem Machtanspruch einer
Technik zu leben sei, die ihrer moralischen
Bewältigung so sichtbar spottet. Die Frage ist darüber
hinaus, wie den Rebellionen vorzubeugen ist,
welche politische Kultur, Vernunft und Zivilisation bedrohen und
mit ihnen alles, was der alte Kontinent
an menschlichem Maß trotz aller Katastrophen noch bewahren
konnte. Ohne schmerzhafte Überprüfungen wird es dabei nicht abgehen, aber auch nicht ohne moralischen
Mut, den Willen zur Verantwortung und die Fähigkeit, Freiheit und Ordnung zusammenzudenken
-" (aus: Michael Stürmer : Wie modern ist der moderne Mensch ? Historische Dissonanzen , in: Jürgen
Mittelstraß (Hg.): Wissenschaftlich - technischer Fortschritt als Aufgabe in einer freiheitlichen
Kultur, Köln 1987, 26)
48 - Eine weitere drastische Artikulation der anti - humanen Bedeutung
der Technik: "Das Alltagsverhalten
hat gegen den Technikimperialismus nur eine Chance, weil es bereits
zertrümmert ist und aus den
Bruchstücken heraus nicht anders kann, als sich anarchisch,
und deshalb vielleicht doch erfolgreich, zu
entziehen und den technischen Perfektionismus leerlaufen zu lassen.
Das globale Technikprojekt geht in
der Tat auf technische Totalität aus: die Substitution menschlicher
Besonderheit. Es braucht kein Fachwissen, um zu sehen, daß das ein Wahn ist." (aus: Dieter
Hoffmann - Axthelm: Über die Schnittstelle,
in: Ästhetik & Kommunikation 75 1990, 37)
49 - in: The desert of the real : the CP controversy, in: Mississippi
review 47/481988
50 - Norbert Bolz liefert einen Schnelldurchlauf durch Stationen der
postmodernen Kulturlandschaft,
die gekennzeichnet sein soll durch
die Kränkung des Humanismus :"Der Mensch des Humanismus
irrt wie ein Fremder durch eine Welt, die von hoher Komplexität,
extremer Beschleunigung und
einer bis an die Grenze des Immateriellen
vorangetriebenen Mikrologisierung geprägt ist.
Das Funktionieren
dynamischer Systeme, die Geschwindigkeit der Datenströmeund
die Gadgets der
Mikroelektronik stehen in keinem Verhältnis
mehr zum humanistischen Maß des Menschen.
Wir sind... Prothesengötter,
angeschlossen an Techniken, die man nicht versteht; umstellt von
Objekten, die man nicht durchschaut."
Die berechtigte Kritik
an bestimmten theoretischen Implikationen des Humanismus-Diskurses (besonders die Vorstellung des Subjekts als einer relativ "geschlossenen Einheit", die aus "sich"
heraus Erkenntnisse produziert und Erfahrungen macht), wird in die
andere Richtung übertrieben: der
Mensch als antiquiertes Anhängsel von subjektlosen Prozessen
der Datenverarbeitung.Daß eine theoretische Interpretation nicht mehr greift, bedeutet aber nicht, daß von vornherein die praktischen menschlichen Maßstäbe der (Re)Produktion von Lebensnotwendigkeiten
verschwinden. Bestimmte gesamtgesellschaftliche Effekte der Mikroelektronik sind nicht vorhersehbar,
was aber nicht heißt, daß ihr Einsatz in
Teilbereichen
nicht kreativ-rational-kompetent vollzogen wird. Siehe: Die unerträgliche
Geschwindigkeit ...
51- aus: Der Sozialismus und der Mensch in Kuba, in: Der neue Mensch
. Entwürfe für das Leben in der Zukunft, Dortmund1984, 35
52 - aus: Vorwort, in: Sterling (Hg.): Spiegelschatten . Die große
CP - Anthologie, Heyne SF-Bd. 4544,
München 1988, 17
53 - Claudia Springerweist auf den Widerspruch hin, daß im CP,
ob literarisch oder visuell, für die Beschreibung der neuen Mensch/Maschine - Einheiten eine Sprache und
Bildlichkeit benutzt wird, die stark
mit menschlichen Körper - Funktionen verbunden sind (ein Beispiel
wäre der bodybuilding- mäßige männliche "Körperpanzer" des Cyborgs Robocop). Siehe:
The pleasure of the interface, in: Screen 31991
53a - (zu ´fragmentiert´): Die besondere Wirkung von
Gibsons Literatur geht von einer Art "fraktaler Ästhetik" aus. Gibsons baut seine stories
aus Ortsbeschreibungen, Erinnerungen, Metaphern,
Dialog, Stimmungen,
Technikbildern in schnellem Wechsel auf. Bei einem erneuten Lesen
nachZeit
hat man bei den besten stories das Gefühl, man liest
sie zum ersten Mal. Jedes Element scheint
eine neue Bedeutung zu
haben. Seine fragmentarische Schreibweise, die eine "organische"
Einheit bildet, korrespondiert dabei mit fragmentarischen Wahrnehmungsweisen
des Subjekts, und
Gibson thematisiert das selbst in seiner ersten
story: "Eine Hologramm-Rose hat diese Eigenschaft:
Wiederhergeholt
und beleuchtet, zeigt ein jedes Fragment das ganze Bild der Rose.
Nach Delta fallend,
sieht er sich als die Rose, wobei ein jedes
seiner verstreuten Fragmente ein Ganzes offenbart, das er nicht
kennt."
(in: Cyberspace..., 61)
54 - Michael Nagula berührt diese Problematik, wenn er schreibt:
"Die Gesellschaft bekommt den Platz desÜberindividuums zugewiesen, indem der einzelne an seine menschlichen
Grenzen stößt und sich nach
Computerart ´aufrüsten´ muß..., um seine
neuen Glieder, seine schwindende Perspektive weiter in den
Dienst der ihm übergeordneten Struktur zu stellen, die er längst
nicht mehr integrieren kann. Intuitiv
reagiert er so auf das Spannungsverhältnis, in dem er zur Gesellschaft
steht, macht sich zu ihrem
Bestandteil, der bloß noch Informationsträger und nicht
mehr ist. Das ist seine Art und Weise, sich
Sicherheit zu verschaffen. Noch in der Auflösung seiner selbst
die ihm zugewiesene Funktion zu erfüllen,
die in einer reinen Weitergabe gespeicherter Information besteht." (aus: Palimpseste . CP und die Urbarmachung der SF .Nachwort, in: Sterling (Hg.): Spiegelschatten ...,
394) Das ist eine düstere Perspektive,
die Nagula da zeichnet.
Das Individuum ist nur noch Effekt einer Struktur, die es nicht
mehr durchschaut und
blindlings erfüllt. Das scheint mir eher
eine nicht weiterbringende Übertragung einiger Theoreme aus
strukturalistischen
Konzepten von Lacan (Stichwort : das Subjekt als Effekt der Struktur des Unbewußten)
und Kittler
(das Subjekt als Effekt der Struktur von Medienmaschinen) zu sein, die zu wenig die Materialität,
Widersprüchlichkeit
von kulturellen Prozessen der Subjekt-Konstitution berücksichtigt.
55 - Siehe dazu: Stuart Hall : Brave new world , in:Marxism todayoct.1988,
24f.
56 - aus: Praktiken der Zukunft . Modernität und Maschinismus,
Technik und Ökosophie, in: Lettre international24 1994
57 - aus: Gibson: New Rose Hotel, in: Cyberspace...
58 - siehe: Die Stimme des Wirbelwinds, Heyne SF-Bd. 4578, München
1990
59 - aus: Lieber Kyborg als Göttin! Für eine sozialistisch
- feministische Unterwanderung der Gentechnologie. Dieser für die amerikanische CP-Diskussion so wichtige
Text erschien schon 1984 auf Deutsch in:
Bernd-Peter Lange/Anna Maria Stuby (Hg.): "1984" (Gulliver
. Deutsch - Englische Jahrbücher Bd. 14), Berlin
60 - aus: Phantastik und Futurologie II, Phantastische Bibliothek
Bd. 126, Frankfurt/M. 1980, 596
61 - aus: Golems Antrittsvorlesung,in: Lem: Imaginäre Größe
, Frankfurt/M. 1976, 205
62 - Siehe dazu auch: Günther Luxbacher u.a. : Cyberspace und
virtuelle Welten . Die aktuelle Diskussion
um Geist und Maschine, in: Das SF - Jahr 61991
63 - Hans Moravec: "Eine postbiologische Welt, die von sich selbst
vollkommenden, denkenden Maschinen
beherrscht würde, wäre von unserer Welt so verschieden,
wie diese von der Welt der leblosen Chemie,
die ihr voranging. Sich ein Bewußtsein von solchen Kindern
des Geistes, die durch keinerlei materielle
Zwänge mehr eingeengt sind, vorzustellen, übersteigt eigentlich
die Kraft unserer Fantasie." (aus: Mindchildren . Der Wettlauf zwischen menschlicher und künstlicher
Intelligenz, Hamburg1990, 14/15).In einem Interview für Mondo 2000 (Nr. 11 1993) meint er, daß die Maschinen in Zukunft die vollständige Versorgung der Menschen übernehmenund diese sich
in neuartige "Stammesgesellschaften" zurückziehen. Aus futurologischer Sicht wird
Moravecs Buch übrigens als "schlechte SF" inpretiert, als Vertreter einer "magischen Traditionslinie" (?) in der Technik. Siehe: Ute Hoffmann / Lutz
Marz: Leitbildperspektiven: Technische Innovationen zwischen Vorstellung
und Verwirklichung, in:
Klaus Burmeister / Karlheinz Steinmüller (Hg.): Streifzüge
ins Übermorgen . SF und Zukunftsforschung,
Weinheim/Basel 1992, 219.
64 - siehe dazu:Greg Bear: Blutmusik, Heyne SF-Bd. 4480, München
1990
65 - aus: Gesteigerte Gebärden / Obsoletes Begehren . Post -
evolutionäre Strategien, in: Karl Gerbel /
Peter Weibel (Hg.): Die Welt von Innen - Endo&Nano (Ars Electronica
92), Linz 1992
66 - zitiert nach: Science Fiction Times31987, 12
67 - weiteres Material zu dieser Problematik findet man in: Gert Kaiser
u.a. (Hg.): Kultur und Technik im
21. Jahrhundert, Frankfurt/M. - New York1993
68 - zwei Publikationen, die die Kontroverse um KI präsentieren:
Günther Cyranek/Wolfgang Coy (Hg.):
Die maschinelle Kunst des Denkens . Perspektiven und Grenzen der
KI , Braunschweig/Wiesbaden
1994 ; Sybille Krämer (Hg.): Geist, Gehirn, KI : zeitgenössische
Modelle des Denkens, Berlin u.a. 1994 69in: Intelligence Service . Schriften , Berlin 1987
70 - in: Mensch und Menschmaschine, Berlin u.a.1958
71 - aus: Maschinen sind mehr als sie scheinen, in: Maschinen wie
Menschen (erschienen in der Reihe "Modelle für eine neue Welt", hrsg. von Robert Jungk/Hans Josef
Mundt), München u.a. 1969
72 - in: Der Computer - mein Lebenswerk , München 1971
73 - aus: Daniel Fischlin u.a.: "The charisma leak" : a
conversation with William Gibson and Bruce Sterling,
in: SF Studies 19 1992, 7
74 - in: Alltag mit Mikros . Computerfibel von A - Z , Reinbek 1985
75 - Der französische Philosoph Jean-Francois Lyotard erklärt,
daß das zentrale Problem von Technik und Wissenschaft ist, für die "Software" des (menschlichen)
Denkens eine Hardware zu entwickeln, die
nicht mehr von den Lebensbedingungen der Erde abhängig ist
- das ist ein Prozeß, der schließlich ohne
menschliches Subjekt vollzogen wird (d.h., ohne im engeren Sinn
menschlich-verkörperlichtes Denken),
sondern mit KI, da das Ausbrennen der Sonne in der Zeit ein kosmisches
Exil notwendig macht. Siehe:
Das Inhumane, Wien 1989.
76 - Felix Guattari nennt neue Werte wie "Maschinen-Kreativität"
und "Re-Singularisation der Existenz" als
Brennpunkte einer neuen fortschrittlichen Polarität.Will die
Menschheit das globale Chaos verhindern,
wird sie eine "Vernunft- und Liebesehe mit den vielfältigen
Verzweigungen des Maschinismus" eingehen
müssen. Er benutzt biologische Metaphern der Evolution, um
eine positive technologische Entwicklung
zu denken. "Maschinen sind keine in sich selbst (ab-) geschlossenen
Totalitäten. Sie unterhalten genau
bestimmte Beziehungen zu einem raum-zeitlichen Außen sowie
zum Universum der Zeichen und zu Virtualitäts-Feldern (...) Die Erscheinung dieser Genealogien
und Alteritäts-Felder ist komplex. Sie ist ununterbrochen dem Einfluß aller schöpferischen Kräfte
der Wissenschaften, der Künste und der sozialen Innovationen ausgesetzt, die sich gegenseitig durchdringen und eine
unsere Biosphäre umhüllende ´Mechanosphäre´ bilden. Diese Umhüllung hat man sich
aber nicht in der Art eines fesselnden Halseisens
oder einer an gelegten Rüstung vorzustellen, sondern als einen
abstraktiven Maschinen-´Belag´, der
dem Werden des Menschen Perspektiven zu eröffnen sucht." (in: Lettre)
77 - Der KI-Forscher Jörg Siekmann 1984:"Die KI-Forschung
ist ein Trend der Geschichte, den wir nicht
aufhalten können.
KI-Systeme aus diesem Bereich werden in den nächsten zwanzig
Jahren
tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen hervorrufen
und sich schließlich in der ganzen Gesellschaft
einnisten.
In der Übergangsperiode vor einem solchen Einsatz der Systeme
wird es wegen unnötiger
Besorgnis zu Verwirrungen kommen. Wir
müssen uns bemühen, Künstliche Intelligenz als unseren
Freund
und Partner zu betrachten. Wir denken, daß das möglich
ist." (zitiert nach: Rolf Kreibich: Die Wissenschaftsgesellschaft
.
Von Galilei zur High - Tech - Revolution, Frankfurt/M. 1986,726)
78 - aus: Hurtling towards the singularity . Interview, in: Mondo
200011989, 116
79 - aus: Technologie der Zukunft, in: John Brockman (Hg.): Neue
Realität, München 1990, 113
80 - aus: Flatline, in: Nagula (Hg.): AA ...
81 - zitiert nach: Brand, Media lab ..., 137
82 - in: Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen 1989,
97
83 - in: KI - Das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, München
- Wien 1993, 449
84 - in: Tom Maddox: Das Aleph System, Bastei - Lübbe SF-Bd.
23135, Bergisch Gladbach 1993
85 - in: Aus dem Nichts . Über die Kreativität von Natur
und Mensch, München - Zürich 1990, 77
86 - Gibson: "I think most people would be very hard pressed
to say exactly how many electric engines they
have in their home
and automobile. It´s virtually impossible, you just don´t
know. We never think about
them, they are all around us, they are
operating constantly and they are just part of the background. I
think that computation will go that way, so the computers will become
small and transparent and finally
invisible and sort of spread out
through everything. And everything will be interconnected and we
simply won´t
be aware of it."
87 - CP wird nun von den Medien als Techno - (Sub)Kultur der Neunziger
genannt, siehe: FOCUS 151993
88 - aus: SF - Vision für das 3. Jahrtausend, in: Das SF-Jahr71992,
439/40
88 - aus: Eine neue Literatur, in: Frank Rainer Scheck (Hg.): Computerträume
. Neue SF , Münchewn 1973, 10/11
89 - zitiert nach: Nagula (Hg.): AA... , 630
90 - zitiert nach:"Brave new worlds", einer US - Fernsehproduktion
von 1992 (Autor: Paul Oremland)
91 - in: Phantastik und Futurologie I , Phantastische Bibliothek
Bd. 122, Frankfurt/M. 1984, 244
92 - Nochmal Guattari: "In der zukünftigen politischen Auseinandersetzung
wird es weniger darauf ankommen, in der Öffentlichkeit eine massenhafte Anhängerschaft
für eine bestimmte Idee zu erobern; vielmehr wird entscheidend sein, zu sehen, in welch vielfältigen,
lebendigen sozialen Segmenten sich die öffentliche Meinung strukturiert. Die Realität ist nicht mehr
einzig und unteilbar. Sie ist vielfältig und wird
von Möglichkeits-Linien durchquert, die von den Praktiken menschlichen
Handelns flugs ergriffen werden können. Neben der Energie, der Information und den neuen
Werkstoffen stellt sich im Herzen neuer
Maschinen-Abenteuer, seien sie technologischer, sozialer, theoretischer
oder ästhetischer Art, ein Wille
zur Wahl und zum Eingehen von Risiken ein."
Dank an Wolfgang Neuhaus für die Genehmigung zur Veröffentlichung im Archiv Sterneck.net
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