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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Wolfgang Sterneck:

 DAS UTOPIA DER LUST
- Drogen und Sexualität -
 
- Der innere Fluss
- Von Dionysos zu den Doors
- Der Sex des Alkohols
- Das Gras der Venus
- Die Liebe auf Ecstasy
- Der Psychedelische Orgasmus
- Die weißen Linien der Begierde
- Die Erotik der Spritze
- Die Realität Utopias


Der innere Fluss
 
Es sind die Erfahrungen des inneren Fließens, die immer wieder als besonders herausragende Momente des Lebens beschrieben werden. Die Wege in derartige Zustände sind vielfältig. Sie können erfahren werden, wenn zwei Menschen eine besondere Nähe erfahren oder in einem erotischen Rausch miteinander verschmelzen. Für andere ist es der trancehafte Tanz, eine bestimmte körperliche Extremerfahrung oder der zielbewusste Gebrauch psychoaktiver Substanzen. Manche dieser Wege eröffnen ihr eigentliches Potenzial erst im gemeinschaftlichen rituellen Kontext. In anderen Situationen bedarf es keiner besonderen Technik, vielmehr entwickeln sich die Erfahrungen aus der psychischen Struktur der entsprechenden Person heraus.
 
Gelingt es einen dieser Wege zu beschreiten, so eröffnet sich losgelöst von äußeren repressiven Strukturen und inneren emotionalen Blockaden dabei jeweils in der subjektiven Erfahrung die konkrete Möglichkeit eines anderen Lebens. Bezeichnungen wie der aus der Bewusstseinsforschung stammende Begriff der "Ozeanischen Selbstentgrenzung" können ebenso wie "Samadhi" als mystische Beschreibung oder das Verständnis von "Freiheit" in einem psychologischen oder auch soziokulturellen Zusammenhang nur Annäherungen an diese Wahrnehmungsebenen sein. Die Sehnsucht nach dem Eintauchen in derartige transzendente Zustände gleicht der Suche nach einem inneren Utopia. Ein Utopia, welches im Alltag meist unerreichbar erscheint, sofern überhaupt ein Bewusstsein über dessen Existenz besteht, und dann in bestimmten Momenten doch zur konkret erlebbaren Realität werden kann.
 
Verschiedene Studien sprechen inzwischen von einem menschlichen Grundbedürfnis nach Rausch, Ekstase und Transzendenz als Überschreitungen der im Alltag vorgegebenen Grenzen.(1) Gerade in christlich und muslimisch geprägten Kulturkreisen wurde dieses Bedürfnis jedoch bis in die Gegenwart vielfach unterdrückt, sodass es in der allgemeinen Wahrnehmung zumeist weitgehend verdrängt ist. Offensichtlich ist allerdings auch das teilweise hohe Gefahrenpotenzial von Erfahrungen, die sich dem herkömmlichen Weltbild und damit auch den erlernten Mustern der Bewältigung entziehen. Entscheidende Faktoren bilden der persönliche und der soziale Kontext wie auch die individuellen Fähigkeiten der Reflexion und der Integration des Erlebten in den Alltag. Die Sehnsucht nach der konkreten Entfaltung des inneren Utopias hat dabei neben der individuellen immer auch eine gesellschaftliche Dimension. Es geht letztlich um eine Überwindung von Oberflächlichkeit und Entfremdung unter dem Diktat der Konsum- und Konkurrenzprinzipien. Diesen steht unterschwellig das Ideal einer Gesellschaft gegenüber, die eine selbstbestimmte Entfaltung im Rahmen gemeinschaftlicher Strukturen ermöglicht.
 
In kaum einem anderen Bereich wird die innere, natürliche Sehnsucht nach Transzendenz deutlicher als in der gelebten Sinnlichkeit der Erotik. Im Idealfall ist es gerade hier möglich, im Moment aufzugehen und sich selbst wie auch einen anderen Menschen in einer ansonsten kaum möglichen Nähe und Tiefe zu spüren. Eine erfüllte Sexualität ermöglicht die Überwindung der ansonsten in fast allen Bereich vorherrschenden zwischenmenschlichen Distanz. Es geht nicht länger darum sich durchzusetzen oder egozentrisch auf den eigenen Vorteil zu achten, sondern um das gemeinsame Erlebnis der Lust. Ausgehend vom Prinzip der Freiwilligkeit kann der Sex dabei unterschiedlichste Ausprägungen haben, der klassische Geschlechtsakt steht neben der tabulosen Überschreitung herkömmlicher Grenzen, das zärtliche Element neben dem sinnlichen Schmerz als Aspekt der Luststeigerung. Längst gehört das Verständnis von Sexualität als reines zweckgebundenes Mittel der Fortpflanzung in weiten Bereichen der Gesellschaft der Vergangenheit an. Wenn jedoch eine Entfaltung nicht möglich ist, so kommt es zwangsläufig zu Blockaden. Wie eine organische Zelle, die sich nach innen zusammenzieht und verkümmert, wenn sie nicht pulsieren kann, so verkrampfen sich wechselwirkend auch Psyche und Körper. Zahlreiche psychosomatische Erkrankungen bis hin zum Krebs lassen sich in weiten Bereichen im Verhältnis von Blockade und Fluss verstehen.
 
Autoritäre Gesellschaftssysteme basieren auf der Unterdrückung einer freien persönlichen Entfaltung als ein zentrales Mittel der Kontrolle. Das Ziel liegt in der Erziehung von Menschen, die ihre eigentlichen Bedürfnisse bereitwillig unterordnen. Die moderne Konsumgesellschaft geht noch einen Schritt weiter indem sie Menschen heranzieht, die ihre Sehnsüchte nicht selbst erfüllen, sondern in den Scheinwelten eines gigantischen Warenangebotes befriedigen. Die Versuche die Bedürfnisse und das Bewusstsein der Menschen zu beeinflussen beziehungsweise der sinnbildliche Kampf um deren Träume ist allgegenwärtig. Er wird auf der gesellschaftlichen Ebene genauso geführt wie im Innern jeder und jedes Einzelnen.
 
Mit der Liberalisierung der Sexualität in der westlichen Welt kam es nicht nur in wesentlichen Bereichen zu einer Befreiung derselben, sondern auch zu einer völligen Vermarktung sexueller Bedürfnisse. Im Rahmen ständiger unterschwelliger oder offen dargestellter erotisierter Bezüge in den Medien der Werbewelt wird immer mehr die eigentliche Erfahrung der Sexualität durch Bilder und Images ersetzt, während gleichzeitig auch die PartnerInnen oftmals nicht mehr erlebt, sondern konsumiert werden. Hinter dem Schein der Verkaufsklischees verbergen sich jedoch Sehnsüchte nach Nähe und Tiefe. Die ihnen zu Grunde liegenden eigentlichen Träume eines anderen Lebens sind jedoch zumeist längst verdrängt oder bereitwillig vergessen. Der vorgegebene Lebensweg lässt kaum Raum sich ihnen anzunähern, wobei all diejenigen, die es versuchen, einem ständigen Druck auf unterschiedlichsten Ebenen ausgesetzt sind.
 
Psychoaktive Substanzen werden seit Jahrtausenden genutzt, um aus den Erfahrungswelten des Alltags auszubrechen. Menschen unterschiedlichster Epochen und Kulturen dienten Drogen zur Erlangung entspannender oder anregender Gefühlszustände, sowie oftmals in Verbindung mit Ritualen zur Veränderung des Bewusstseins. In einem angemessenen Rahmen eingesetzt ermöglichen sie bis heute die Erfahrung anderer Ebenen der Wirklichkeit, wie auch die Entfaltung eines neuen Gemeinschaftsgefühls. Sie können zur Heilung von Krankheiten dienen, zur Freisetzung verschütteter Fähigkeiten oder zur Entwicklung eigenständiger künstlerischer Ausdrucksformen. In zahlreichen Fällen werden die entsprechenden Substanzen jedoch unreflektiert und äußerst risikovoll gebraucht oder im Sinne einer Flucht genutzt. Die Gründe hierfür sind vielfältig, wobei mangelnde Informationen, individuelle Defizite und auch eine oberflächliche Konsumhaltung wesentliche Aspekte bilden. Zu den strukturellen Ursachen gehören gesellschaftspolitische Faktoren, wie soziale Missstände, aber auch die Erfahrung zwischenmenschlicher Entfremdung als Folge eines Systems, welches Leistung und Profit über den einzelnen Menschen stellt.
 
Die vorherrschende Drogenpolitik basiert im Wesentlichen auf der Forderung nach Abstinenz gegenüber den gesetzlich als illegal definierten Substanzen. Gleichzeitig werden dabei diejenigen Personen kriminalisiert, die sich dieser Vorgabe verweigern. Offensichtlich ist jedoch, dass diese Politik weder den Konsum von Drogen noch die Zunahme der Zahl der Abhängigen einschränken konnte. Besonders deutlich wird die Widersprüchlichkeit der gegenwärtigen Politik am Beispiel der Drogen Alkohol und Nikotin, die trotz ihrer gesundheitlichen Auswirkungen und ihres Suchtpotenzials legal sind. Voraussetzung für einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit psychoaktiven Substanzen ist der Zugang zu umfassenden Informationen über deren Zusammensetzung und Wirkung. Eine Drogenpolitik, die an den realen Bedingungen, den eigentlichen Bedürfnissen und nicht zuletzt an der Mündigkeit der Menschen ausgerichtet ist, muss darüber hinaus die legale Möglichkeit einer selbstbestimmten Entscheidung über den Gebrauch von Drogen beinhalten.
 
Die Verbindung der Sexualität mit dem Gebrauch psychoaktiver Drogen entspricht potenziell der Verbindung von zwei außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen. Das Spektrum der möglichen Erfahrungsbereiche ist dabei äußerst vielfältig. Es reicht von Gefühlen der Blockierungen über Intensivierungen der sinnlichen Wahrnehmung bis hin zur völligen Ekstase, von drogenbedingter Impotenz oder der Freilegung völlig egozentrischer Verhaltensmuster bis zur Erfahrung einer neuen Zärtlichkeit und dem viel beschworenen kosmischen Orgasmus. Es kann zu einer Verschmelzung mit dem Partner oder der Partnerin kommen, möglicherweise sind jedoch auch beide in ihren eigenen Welten gefangen, ohne einen direkten Bezug zu finden. Fernab von einem Automatismus, der allein durch die Einnahme einer Substanz sofort eine bestimmte emotionale oder körperliche Wirkung erzielt, nehmen zahlreiche innere und äußere Aspekte eine wesentliche Rolle für den besonderen Charakter der Erfahrung ein. Neben dem Wirkungsspektrum der ausgewählten Droge und ihrer spezifische Dosierung sind es die umgebenden Bedingungen und insbesondere eine Reihe subjektiver Faktoren, wie das Grundgefühl und die Erwartungen der Beteiligten.
 
Bei den meisten gängigen psychoaktiven Substanzen werden moderate Mengen als anregend beschrieben, während hohe Dosierungen zumeist eine erotische Situation schnell in ihr Gegenteil verkehren. Schon eine leichte Überschreitung einer im spezifischen Fall anregenden Dosis kann die Empfindungen völlig verändern. So wirken alkoholische Getränke auflockernd und enthemmend, die Grenze zu einem mit Erektionsproblemen verbunden Rauschzustand oder gar zu einem übergriffigen Verhalten wird jedoch oftmals schnell überschritten. Cannabis kann in bestimmten Dosierungen in einer erotischen Situation sehr entspannend und anregend wirken, eine Überdosierung führt jedoch oftmals zu einer passiven Haltung oder schlichtweg zur Ermüdung. Einige Psychedelika haben das Potenzial eine völlig veränderte Ebene der Sinnlichkeit zu eröffnen, sie können aber auch die PartnerInnen in unterschiedlichen Erfahrungswelten gefangen nehmen oder Gefühle der Verunsicherung und tiefer Angst freisetzen. Charakteristisch für alle Substanzen ist in Folge des Gebrauchs oftmals die Vernachlässigung schützender Safer-Sex-Aspekte.
 
Ein Merkmal der modernen Leistungsgesellschaft ist die profitträchtige Entwicklung von Substanzen durch die Pharmaindustrie, deren Einnahme die individuelle Anpassungsfähigkeit an die sozialen und ökonomischen Bedingungen steigern soll. Ritalin, Prozac und Valium sind nur drei der bekanntesten von unzähligen Medikamenten, deren Inhaltsstoffe und Wirkungsmechanismen sich teilweise nur unwesentlich über die Definition von verwandten illegalisierten Drogen unterscheiden. So bedeutsam und hilfreich die angesprochenen Substanzen für den Einzelnen berechtigterweise auch sein mögen, sie dienen letztlich der Stabilisierung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. In ihrer Wechselwirkung können diese Substanzen unter anderem zum inneren Ausgleich und zur Behebung psychischer Symptome führen, während sie im gesellschaftlichen Kontext zur Verhinderung eines Ausfalls oder eines Ausbruchs aus den sozialen Rahmenbedingungen beitragen. Darauf aufbauend erhalten oder steigern sie die Verwertbarkeit des Einzelnen. Unhinterfragt bleiben dabei zwangsläufig die komplexen gesellschaftlichen Ursachen für die zunehmende Zahl psychosomatischer Erscheinungen, die gerade im Zuge der neoliberalen Globalisierung zu beobachten sind.
 
Im Kontext der Sexualität entspricht Viagra diesen Entwicklungen. Das durch den Pharmakonzern Pfizer mit gigantischen Gewinnen vermarktete Medikament erzielt hinsichtlich der angestrebten Behebung von Erektionsstörungen enorme Erfolge. Charakteristisch ist dabei, dass ein rein medikamentöser Ansatz im Vordergrund steht, der auf eine rein körperliche Behebung der Problematik abzielt. Psychische Zusammenhänge oder gar das grundsätzliche Verständnis von Sexualität bleiben in der Regel ausgeklammert. Ganz im Sinne der Leistungsgesellschaft geht es im intimsten persönlichen Bereich wie im Arbeitsleben um das Funktionieren.
 
Die Psychopharmaka der Gegenwart bilden dabei nur eine Etappe auf einem Weg, der eine immer perfektere Beeinflussung auf individueller Ebene ermöglicht. Längst zeichnet sich ab, dass die gegenwärtigen technologischen Entwicklungen neue, in ihrer Dimension bisher nur ansatzweise erkennbare Möglichkeiten eröffnen. Das Bild eines zukünftigen Menschen, der subjektiv glücklich ist, problemlos im sozialen Sinne funktioniert und im Arbeitsleben beständige Leistung bringt, ist längst nicht nur ein Bild pessimistischer Anti-Utopien, sondern eine reale Zielvorgabe für die Laboratorien der Pharma- und Gentechnologie.
 
 
Von Dionysos zu den Doors
 
Ausgehend von den menschlichen Grundbedürfnissen nach Sexualität, Ekstase und Transzendenz lässt sich über Epochen hinweg eine historische Bezugslinie erkennen, die vom Dionysos-Kult über die Rituale der Hexen bis zu einigen Tendenzen innerhalb der psychedelischen Bewegungen der Gegenwart reicht. Verbindendes Element sind Feste und Rituale, zu deren wesentlichen Merkmalen im Rahmen der entsprechenden kulturellen Ausprägungen der trancehafte Tanz, die erotische Sinnlichkeit und der Übergang in andere Ebenen des Bewusstseins mit Hilfe psychoaktiver Substanzen gehörten. Zum Ausdruck kommt dabei keine direkte organisatorische Tradition, sondern beständig die konkrete Entfaltung einer inneren Sehnsucht. Die einzelnen Tendenzen entwickelten immer dann eine besondere Kraft, wenn sie nicht nur zu einem zeitweilig individualisierten Ausstieg genutzt, sondern die Erfahrungen gemeinsam in die ansonsten oftmals als entfremdet erfahrene gesellschaftliche Realität integriert wurden.
 
In der griechischen Antike galt Dionysos als der Gott der Vegetation und des Theaters sowie nicht zuletzt als Gott orgiastischer Festlichkeiten. Die zu seinen Ehren gefeierten Mysterien entsprachen einem Durchbrechen der Grenzen des Alltags wie auch der Grenzen der eigenen Erfahrungswelt. Die "Ek-stase" fand hier im ursprünglichen Sinne des Wortes als Heraustreten aus der eigenen Person eine Entsprechung. Wenn heute bei zahlreichen Festen Dionysos als Symbolfigur für rauschhafte Besäufnisse dient, so wird dabei zumeist ignoriert, dass dem Wein der Antike mit Fliegenpilzen und Nachtschattengewächsen psychoaktiv wirkende Substanzen beigemengt wurden. Zudem lag das ursprüngliche Ziel des Rausches nicht in einer dumpfen Abkehr von der Welt, sondern gerade in der tiefen Erfahrung derselben.
 
Auch in Rom fand Dionysos unter dem Namen Bacchus zahlreiche AnhängerInnen, die in ihren Festen nach neuen Wegen der Erfüllung und der Gemeinschaft suchten. Der römische Senat sah darin eine zunehmende Infragestellung der bestehenden Ordnung und ließ den Bacchus-Kult um 200 vor Christi verbieten. Trotz der blutigen Verfolgung seiner AnhängerInnen bestand der Kult im Untergrund jedoch noch lange weiter. In seinen Aufzeichnungen verurteilte der römische Geschichtsschreiber Livius die Bacchanalien als ausschweifende Feste: "Seitdem die Mysterien gemeinschaftlich sind und die Ungebundenheit der Nacht dazukam, ist keine Schandtat dort unterblieben. Männer weissagen unter ekstatischen Hin- und Herwerfen ihres Körpers, als wenn sie von Sinnen wären. Verheiratete Frauen laufen mit aufgelöstem Haar und brennenden Fackeln umher. Es gibt mehr Unzucht von den Männern untereinander als mit den Frauen. Nichts für unerlaubt zu halten, das ist das höchste Gebot unter ihnen."(2)
 
Auch bei den Festen der Hexen ging es im Mittelalter wie in der frühen Neuzeit darum, die Begrenzungen einer restriktiven Welt zu verlassen. Bis heute ranken sich unzählige Mythen um die trancehaften Tänze zu monotonen Rhythmen um ein der Nacht aufleuchtendes Feuer. Die so genannten Hexensalben, die speziell für Rituale angefertigt wurden, beinhalteten Überlieferungen zufolge Nachtschattenpflanzen wie Bilsenkraut, Stechapfel und Tollkirsche sowie Cannabis und in einigen Fällen vermutlich auch Opium. Die Salben haben das Potenzial intensive Wahrnehmungsveränderungen auszulösen, wobei die Übergänge zwischen beglückenden Visionen und verstörenden Erfahrungen bis zu psychotischen Zuständen und lebensgefährlichen Vergiftungen fließend sind. Teilweise kommt es zu Visionen, die von starken erotischen Gefühlen geprägt sind, wodurch sich die ausschweifenden Beschreibungen von orgiastischen Feiern in der Walpurgisnacht erklären.
 
Zu den wenigen erhaltenen authentischen Dokumenten über die Kultur der Hexen gehören die Beschreibungen der florentinischen Hexe Aradia, die über Generationen hinweg weitergegeben wurden. Dabei bildet in den Anrufungen der Hexengöttin Diana die radikale Negation bestehender Verhältnisse und die rituelle Erfahrung einer anderen Welt eine Einheit: "Und die Seelen der Unterdrücker sollst du fesseln mit deiner Macht. Und du sollst all jene vergiften, die sich große Herren über alles dünken. Ja, in ihren Palästen sollst du sie sterben lassen … Zu deinen Ehren will ich dieses Fest abhalten, will feiern und den Kelch bis zum letzten Tropfen leeren. Wir wollen tanzen und wilde Sprünge machen. Und dann, wenn der Tanz am Höhepunkt, dann sollen all die Lampen erlöschen und in freier Liebe wollen wir uns ergehen!"(3)
 
Im Zuge der Inquisition und der Hexenverfolgung fielen Millionen Menschen dem patriarchalischen Machtanspruch der christlichen Kirchen zum Opfer. Das in Europa verbreitete Wissen über Praktiken und Rituale der Ekstase wurde größtenteils verdrängt. Zeitweise war sogar der Tanz als angeblicher Ausdruck dämonischer Kräfte verboten, während der Gebrauch psychoaktiver Substanzen ohnehin in vielen Bereichen zunehmend verfolgt und die Sexualität völlig tabuisiert wurde. Abgesehen von einzelnen Ansätzen im Verborgenen lässt sich in Europa erst seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts eine erneute Annäherung an ekstatische Zustände erkennen. Eine herausragende Rolle nahm dabei die Hippie-Kultur als Teil der Protestbewegungen der späten sechziger Jahre ein, die ein betont offenes Verhältnis zur Sexualität praktizierte. Daneben kam es über den Gebrauch psychedelischer Substanzen zu einer Auseinandersetzung mit anderen Ebenen des Bewusstseins, wobei die Musik als eine die Bewegung umschließende Ausdrucksform diente.
 
Neben vielen anderen war es insbesondere Jim Morrison, der als Texter und Sänger der Rockband The Doors das inzwischen längst zum Klischee verkommene Leitbild des "Sex and Drugs and Rock’n’Roll" verkörperte. Dabei verfing er sich nicht in den Illusionen der Flower-Power-Romantik, sondern fasste auch die dunklen Seiten der menschlichen Existenz poetisch in Worte. Morrison selbst durchlebte die Höhen ekstatischer Erfahrungen wie auch den Absturz in psychedelische Wahnvorstellungen und die Egozentrik der Alkoholabhängigkeit. Gemäß seinem Selbstverständnis standen die Auftritte der Doors in der Tradition schamanischer und dionysischer Feste. "Das Ziel ist es, die Langeweile zu überwinden, die Augen zu reinigen und einem kleinen Kind gleichend wieder in den Fluss des Lebens einzutauchen. Das wichtigste Bestreben besteht darin, zur Erkenntnis zurück zu finden. Es geht darum, alle Sinne des Organismus anzusprechen und dadurch all die traditionellen Künste zu ohrfeigen, welche die Wahrnehmung auf einige schmale Eingänge reduziert haben."(4)
 
 
Der Sex des Alkohols
 
Ursprünge alkoholischer Getränke lassen sich in zahlreichen Kulturen finden. So waren der Wein in der griechischen Antike und das Bier bei den germanischen Stämmen weit verbreitet. Der Gebrauch war jeweils in den Alltag, aber auch in besondere Feste und in mystische Rituale eingebettet, wobei den Getränken zum Teil psychoaktive Pflanzen beigemengt wurden. In Europa nahm im Zuge der Industrialisierung der Alkoholkonsum stark zu. Damit verbunden war ein rapider Anstieg der negativen gesundheitlichen wie sozialen Begleiterscheinungen. Gegenwärtig ist der Alkohol die in der westlichen Welt am weitesten verbreitete Droge. Der alltägliche Konsum zum Genuss, zur Auflockerung oder zur Berauschung gilt nahezu als Selbstverständlichkeit. Er stellt einen bedeutsamen wirtschaftlichen Faktor dar und trägt mit seinen Steuereinnahmen beträchtlich zum Staatshaushalt bei. Seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Verankerung zeigt sich bei Eröffnung von Bierfesten durch führende PolitikerInnen genauso wie beim Sponsoring von Sportveranstaltungen durch Alkoholkonzerne. Gleichzeitig ist der Alkohol für viele Menschen ein Mittel der Ablenkung, das potenziell suchterzeugend wirkt. Allein in Deutschland haben rund 4 Millionen Menschen Alkoholprobleme. Mit etwa 40.000 Personen sterben jährlich mehr Menschen an den Folgen ihres Alkoholkonsums als an den Folgeerscheinungen aller illegalen Drogen zusammen. Zudem steht ein hoher Prozentsatz krimineller Handlungen im Zusammenhang mit Alkoholkonsum.
 
Ein maßvoller Alkoholgebrauch kann zur Entspannung und Geselligkeit beitragen. Das Körpergefühl wird fließender und angenehm wärmer, zudem kommt es zu einer Steigerung des Selbstwertgefühls. "Wenn ich etwas getrunken habe, bin ich gleich gut drauf. Dann bin einfach lockerer und witzig. Oft kann ich mich dann endlos unterhalten und genieße die Beachtung, während ich sonst eher etwas schüchtern bin."(4) Der bei weiterem Alkoholkonsum einsetzende Rausch ist von einer labilen, teilweise schwankenden Stimmungslage gekennzeichnet. Sie kann von Glücksgefühlen über Depressionen bis zu aggressiven Ausbrüchen reichen. Leichte zeitweise Lähmungsprozesse im Gehirn bewirken daneben ein starkes Nachlassen der Konzentrations- und Sprachfähigkeit. Zudem werden die Reaktionsgeschwindigkeit und das Schmerzempfinden herabgesetzt. Später verschwimmt die Wahrnehmung, alles scheint zu schwanken, es kann zu Blackouts beziehungsweise späteren Gedächtnislücken kommen. Im Vollrausch setzt zunehmend ein körperliches Unwohlsein ein, das zum Erbrechen oder sogar zur Bewusstlosigkeit führen kann. Langfristig bewirkt ein hoch frequenter und übermäßiger Alkoholgenuss schwere körperliche Schädigungen, während das Wirkungsspektrum eines moderaten Gebrauchs auf den Körper gleichermaßen gesundheitsfördernde wie auch beeinträchtigende Elemente einschließt.
 
Die Veränderung der subjektiven Empfindungen durch Alkohol kann auch nachhaltige Auswirkungen auf die Kontaktfreudigkeit und auf das sexuelle Erleben haben. Ein geradezu klassisches Beispiel ist die verkrampfte Betriebsfeier, die durch einige Gläser Sekt aufgelockert wird. Im Zuge eines gruppendynamischen Prozesses werden Probleme überdeckt, während mit steigendem Alkoholkonsum zunehmende Heiterkeit einsetzt, die Gespräche ungezwungener werden und Hemmungen abfallen. In vielen Fällen steigt auch das Bedürfnis nach Nähe und Körperkontakten, was sich oftmals in ansonsten eher unüblichen Umarmungen ausdrückt. Die wachsende Offenheit erhöht dann in vielen Fällen auch die Bereitschaft sich auf eine sexuelle Ebene einzulassen.
 
Bei gezieltem Gebrauch kann Alkohol kann über das veränderte Körpergefühl und die Enthemmung sehr anregend wirken. Im Gegensatz zu den meisten anderen Drogen ist es keineswegs verpönt, sich seiner Schüchternheit mit Hilfe einiger Getränke zu entledigen. "Und dann tranken wir zusammen etwas Whisky. Bald fühlte ich mich noch gelöster, war offen für alles, was kommen möge. Er hat mich dann in mein Zelt begleitet. Es passt gerade ein Schlafsack rein, was die Kontakte fördert. Und der Whisky verhilft einem dazu, dass man sich in seiner Haut wohl fühlt. Seine Hände sind zart, lang und erfahren. Auch sein Mund, der behutsam meinen erforscht. Und die kleine Spießbürgerin, die ich um ein Haar geworden wäre, gibt sich diesem Spiel hin und findet es hinreißend."(6)
 
Die gesellschaftliche Akzeptanz spiegelt sich nicht zuletzt in der Werbung für alkoholische Getränke wider, wobei vielfach mit erotischen Bezügen gearbeitet wird. So vermitteln zahlreiche Kampagnen, dass bestimmte Biersorten Kontakte erleichtern. Auf anderen Werbeflächen nippten legere Männer oder laszive Frauen sinnlich an einem Drink, während stilisierte Werbespots ausgelassene Parties an sonnigen Stränden zeigen. "Taking it easy with Bacardi. Just another lucky day. Summer sun, it’s time to play. Loving makes you feel so good. Bacardi sets the move. Bacardi feeling, never been so easy."(7)
 
Die Grenzen zwischen einer anregenden und einer blockierenden Wirkung in einem sexuellen Kontext sind jedoch äußerst fließend. Schon die Einnahme von ein oder zwei zusätzlichen Gläsern eines alkoholischen Getränks kann eine Situation völlig wandeln. So verändert sich bei einem überhöhten Konsum das Erleben des Orgasmus, der weniger intensiv wahrgenommen wird, sofern er überhaupt noch möglich ist. Bei Frauen kommt es zu einer verminderten Scheidenbefeuchtung, während Männer Schwierigkeiten mit der Aufrechterhaltung ihrer Erektion haben, selbst wenn große Lust verspürt wird. Vielfach verliert sich die Einfühlsamkeit und die gemeinsame Sinnlichkeit innerhalb eines leichten Rauschzustandes geht in die Fixierung auf die eigene Befriedigung über. Schwer alkoholabhängige Männer leiden oftmals unter einem Verlust sexueller Bedürfnisse, wie auch körperlich unter Impotenz. Süchtige Frauen erleben kaum noch Gefühle der Lust, zudem kommt es teilweise zu einem Ausbleiben der Menstruation. Daneben treten im Zuge der Alkoholabhängigkeit zwangsläufig auch Beziehungsprobleme auf, die sich wiederum auf die Sexualität auswirken können.
 
Gerade in ländlichen Gegenden spielt Alkohol eine wesentliche Rolle bei ersten sexuellen Kontakten von Jugendlichen. Alkohol dient auch hier vor allem zum Abbau von Unsicherheiten und Hemmungen. Er wird aber teilweise von Männern ebenso gezielt eingesetzt, um Vorbehalte zu brechen und Frauen gefügiger zu machen. Die Enthemmung durch einen starken Alkoholkonsum mündet dabei vielfach in eine egozentrische Rücksichtslosigkeit, während die Frauen sozialisationsbedingt eine eher ertragende Haltung einnehmen. "Wir haben dann irgendwo gehalten und zwei Six-Packs Bier gekauft. Das dunkle Bier schmeckte sehr stark, doch Kirk sagte nur, dass ich einen weiteren Schluck nehmen solle, es sei alles eine Gewöhnungssache. Abseits der Straße haben wir dann beim Fluss geparkt und ich wurde von Kirks Armen umschlossen, so friedlich, und wir küssten uns wie sie sich auf der Kinoleinwand küssten. Und nicht viel später versuchte ich seine Hände zurückzuziehen, die schon in meinen Kleid waren und er öffnete seine Hose wie all die anderen Typen es taten. Und mir war etwas schlecht, und ich sagte, ich weiß nicht, lassen wie es lieber sein, aber er hörte mir schon nicht mehr zu, sondern drückte sich an mich, und seine Hände waren auf mir, und wir brauchten nicht einmal mehr nach hinten auf die Rückbank zu gehen."(8)
 
Zahlreiche Studien belegen das enge Verhältnis von Alkoholkonsum und risikoreichem Sexualverhalten hinsichtlich der Verhütung und der Übertragung von Krankheiten, das generell für alle Drogen gilt. Umstritten sind jedoch verschiedene US-amerikanischen Studien, die bei Frauen einen Zusammenhang zwischen einem ausgeprägten Alkoholkonsum und der Häufigkeit wechselnder Sexualpartner sehen. Neokonservative Positionen vermitteln dabei unterschwellig ein Weltbild, welches Lust und Rausch tabuisiert, während es die eigentlichen psychosozialen Zusammenhänge ignoriert.(9)
 
Die Wechselbeziehungen zwischen sozialer Verelendung und Alkohol beschrieb unermüdlich Charles Bukowski. Voller Realismus begegnen sich in seinen Kurzgeschichten die Verlierer des "American Dream", wobei aber niemals ein Bestreben thematisiert wird, das diesen Zustand hinterfragen oder gar in einem Maße verändern könnte, das über die Hoffnung eines Gewinns bei einer Pferdewette hinausreicht. Zumeist geht es vielmehr um die Banalitäten eines Alltags, dessen vorrangige Bezugspunkte "Saufen" und "Ficken" sind. Vorstellungen einer romantischen oder ekstatischen Liebesnacht haben dabei längst ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. "Ich zahlte ihr einen Drink und dann noch einen und dann gingen wir hinter der Bar die Treppe rauf. Es gab mehrere große Räume da oben. Ich war scharf wie nur was. Sie hängte mir die Zunge rein und wir fummelten auf dem ganzen Weg bis nach oben. Ich genehmigte mir den ersten, im Stehen, kaum dass wir durch die Tür waren. Sie schob einfach ihren Slip auf die Seite, und ich steckte mein Ding bei ihr rein. Dann gingen wir ins Schlafzimmer. Auf einem Wandregal standen einige Flaschen Wein. Wir tranken und palaverten einige Zeit. Einfach so ein bisschen lockerer Small Talk. Dann knipste sie das Licht aus und wir schoben noch eine Nummer."(10)
 
Der Verkauf des eigenen Körpers ist insbesondere für Frauen oftmals ein letzter Weg zur Finanzierung ihrer Drogenabhängigkeit. Die entsprechenden Substanzen sind dann längst nicht mehr Mittel, um sich bestimmter Hemmschwellen zu entledigen und einer genussvollen Sexualität zu öffnen. Vielmehr dient Sexualität nun dazu, an den "Stoff zu kommen" und die Sucht vorübergehend zu befriedigen. Dies kann für professionell betriebene Prostitution gelten wie für ein abhängiges Beziehungsverhältnis, in dem Sex gegen materielle Absicherung eingetauscht, oder für eine kurze Begegnung, in der sexueller Kontakt sofort mit Alkohol aufgewogen wird. "Inzwischen tauchte Lisa auf. Sie war so etwas wie das Groupie dieser Bande. Sie trieb es mit jedem, wenn nur ein Bier für sie dabei heraussprang. Niemand fragte sie, ob sie je etwas dabei fühlte, aber wahrscheinlich dachte nicht einmal sie selbst darüber nach. Sie schmiegte sich an Eppstein und legte eine Hand auf seine schmutzige Jeans, dort wo er sich eben noch gekratzt hatte. Er selbst griff ihr von hinten zwischen die Beine und packte zu."(11)
 
Zunehmender Alkoholkonsum entkräftet generell Mechanismen, die das eigene Gefühlsleben ansonsten kontrollieren. Daneben vermindert sich das Einfühlungsvermögen, während die Tendenz zur Überschreitung zwischenmenschlicher Grenzen steigert. Kriminalstatistiken zeigen in diesem Zusammenhang eine deutliche Verbindung zwischen Alkoholkonsum und Gewaltverbrechen. Offensichtlich ist zudem auch ein enges Verhältnis zwischen Alkohol und Vergewaltigungen. Statistiken sprechen davon, dass bis zu 50 Prozent aller von Männern verübten Sexualverbrechen unter dem Einfluss von Alkohol begangen werden. Über die Enthemmung hinaus wird die Frau zum reinen Objekt der Befriedigung männlicher Bedürfnisse. Demütigung und Machtgefühl verbinden sich mit einer durch den Alkohol freigesetzten, triebgesteuerten Gier, wobei selbstverständlich die Verantwortung für entsprechende Taten nicht bei der Droge, sondern immer bei der handelnden Person liegt.
 
In Hubert Selbys legendären Roman "Letzte Ausfahrt Brooklyn" wird die Prostituierte Tralala letztlich nicht mehr als eigenständige Persönlichkeit, sondern nur noch als ein zu benutzendes Objekt wahrgenommen. In einer sozialen Atmosphäre, die von Gewalt und Verelendung geprägt ist, verliert sie sich auf der verzweifelten und doch völlig unbewussten Suche nach Liebe und Anerkennung in oberflächlichen Kontakten und im Alkohol. Der Rausch hilft Tralala ihre Lebensrealität zu ertragen, er dient ihr als Flucht und Schutz vor schmerzenden Emotionen, während er gleichzeitig ein wesentliches Element ihres inneren Verfalls ist. Am Ende wird sie zum Opfer einer Massenvergewaltigung, die sie in einem völlig alkoholisierten Zustand als solche kaum mehr wahrnimmt. "Und die 10 oder 15 Betrunkenen schleppten Tralala zu einem Autowrack auf dem unbebauten Grundstück und rissen ihr die Kleider vom Leibe und stießen sie hinein und ein paar prügelten sich um den Vortritt und allmählich bildete sich eine Art Schlange und alle brüllten und lachten und einer schrie den am Ende Stehenden zu sie sollten Bier holen und sie gingen und kamen mit Bierdosen zurück die in der Schlange weitergereicht wurden und Tralala trank Bier während sie geknallt wurde und Blut tröpfelte ihr übers Kinn und einer wischte ihr mit einem biergetränkten Taschentuch über die Stirn und man gab ihr eine neue Dose Bier und sie trank und brüllte und lachte und trank und trank und bald war sie gänzlich hinüber und sie schlugen sie ein paar Mal ins Gesicht doch es gelang ihnen nicht sie wieder zu sich zu bringen und so fuhren sie fort sie zu vögeln doch bald waren sie das leblose Stück leid und die Schlange löste sich auf und sie gingen zurück."(12)
 
Eine zerstörende Wirkung hat Alkohol bis in die Gegenwart in vielen indigenen Kulturen, wenn es nicht gelingt angemessene Gebrauchsformen zu entwickeln. Vielmehr dient er in Anbetracht von Ausbeutung, Armut und kultureller Entwurzelung aufgrund seiner berauschenden und betäubenden Wirkung vielfach als Flucht. So beschreiben die Nordamerikanischen Schriftstellerinnen Jeanette Armstrong und Mary Crow Dog eindringlich die entsprechende Bedeutung des Alkohols in den indianischen Communities der Gegenwart. In Alan Duffs "Once were Warriors" steht der Alkohol synonym für den Verfall der Maori-Kultur in Neuseeland, der sich im aggressiven Ausleben innerer Leere genauso widerspiegelt wie in der sexuellen Entfremdung. "Und die Partys tobten, sie tobten überall. Und die Leute dachten, das muss das Leben sein, weil es das Leben ist, weißt du? Und trotzdem stimmte irgendetwas nicht. Und gleichzeitig schrieen manche Frauen oder nahmen ihre Schläge in Schweigen hin. Oder den Sex ohne Gefühle. Und sie hassten ihn dafür … Aber wen kümmert das alles schon wirklich? Trink aus und sei fröhlich. Und wenn du dich prügeln willst, na, dann tu’s, Mann. Ich mach vielleicht sogar mit."(13)
 

Das Gras der Venus

Seit über 8.000 Jahren wird Cannabis in verschiedenen Kulturen genutzt. Es dient bis in die Gegenwart als Heilmittel für verschiedene Krankheiten beziehungsweise zur Schmerzlinderung, wird als Rohstoff für Textilien oder Papier genutzt sowie nicht zuletzt als Genuss- und Rauschmittel gebraucht. Eine besondere religiöse Bedeutung nimmt Cannabis im Hinduismus und innerhalb der Rastafari-Bewegung ein. Zu einem internationalen Verbot kam es 1925 nachdem der Gebrauch in der westlichen Welt stark zugenommen hatte. Bis heute sehen die VertreterInnen einer restriktiven Position den Gebrauch als Synonym für einen Verfall gesellschaftlicher Werte, wobei vorgebliche negative gesundheitliche und soziale Folgeerscheinungen betont werden. Dem gegenüber steht die Legalize-Bewegung, die darauf verweist, dass beispielsweise in Deutschland rund vier Millionen Menschen regelmäßig Cannabis gebrauchen, ohne unter problematischen Begleiterscheinungen zu leiden.
 
Aus den getrockneten Blättern und Blüten der Cannabis-Pflanze wird das Marihuana ("Gras") gewonnen, während aus dem Harz der weiblichen Pflanze das Haschisch hergestellt wird. Beide Zubereitungen enthalten in unterschiedlicher Konzentration als psychoaktiv wirksame Substanz das Tetrahydrocannabinol (THC). Die Cannabisprodukte werden zumeist mit Tabak als Joint oder in Pfeifen geraucht, zum Teil auch gegessen oder als Teemischung getrunken. Die wesentlichen psychischen Erscheinungen liegen in einer entspannenden und beruhigenden Wirkung in Verbindung mit leichter Euphorie und oftmals Heiterkeit. Zumeist werden die Sinneseindrücke verstärkt, zudem verändern sich die Wahrnehmungen von Farben und Klängen wie auch das Zeitempfinden. "Ich liebe es einfach mit Freunden abzuhängen und zu kiffen. Wir sind dann immer relaxed und witzig drauf. Alltägliche Sachen sind plötzlich völlig abgefahren und wir denken irgendwie um die Ecke. Nur wenn ich zuviel geraucht habe, dann hänge ich mit einem breiten Grinsen nur noch ab und bin zu nichts mehr in der Lage."(14) Unterschätzt werden oftmals die möglichen psychedelischen Wirkungen, welche die Wahrnehmung verändern und im ungünstigen Fall auch Ängste oder gar psychotische Zustände mit auslösen können. Problematisch ist zudem insbesondere ein hoch frequenter Cannabiskonsum während der Pubertät, der sich einschränkend auf die Lern- und Erinnerungsfähigkeiten auswirkt.
 
Im Wechselspiel von Grundgefühl, Umgebung und Dosierung kann die Steigerung der sinnlichen Empfindungen durch Cannabis auch zu einer Intensivierung sexueller Empfindungen führen. Zumindest unterschwellig tritt ein verändertes Körpergefühl auf, das es ermöglicht, Berührungen feinfühliger wahrzunehmen und sich auf die eigene Lust einzulassen. Hinzu kommt vielfach eine die Fantasie anregende Wirkung und ein verändertes Zeitgefühl, welches in der subjektiven Wahrnehmung insbesondere Momente des Genusses verlängern kann. "Wenn wir etwas zusammen rauchten und intim wurden, dann war es so, als ob unsere Grenzen dahin schmelzen würden. Anfangs machte es uns etwas Angst, aber dann genossen wir es. Auch wenn mein Orgasmus ein wenig stärker war, nahm mein Bedürfnis zu kommen eher ab. Ich wollte noch lange in diesem Gefühl bleiben und einfach seine Hände und Lippen auf meiner Haut genießen. Wenn ich die Augen schloss, war es nicht schwarz, sondern ich sah lauter farbenfrohe Lichter."(15)
 
Ein wesentlicher Aspekt ist die körperliche und psychische Lockerung. Cannabis erleichtert dem KonsumentInnen, ablenkende Gedanken auszublenden und sich auf die Erfahrung des Augenblicks einzulassen. Ein Grundgefühl kann sich entfalten, welches gleichzeitig von einem Gefühl der Entspannung wie auch der erhöhten Konzentration getragen ist. Cannabis ist in diesem Sinne eine öffnende und anregende Substanz, aber kein Aphrodisiakum im engeren Sinne, das zu einer direkten Erregung führt. "Wer nur wie eine Schildkröte auf dem Rücken liegt und einen Erektionsmechanismus erwartet, könnte enttäuscht werden. Die Liaison von Hanf und Lust wirkt sich primär nicht ’zwischen den Beinen’ aus, sondern dort, wo alle sinnlichen und auch die sexuellen Wahrnehmungen eigentlich stattfinden: in unserem Bewusstsein."(16)
 
Wie bei allen psychedelisch wirkenden Substanzen kann Cannabis jedoch nicht nur angenehme Empfindungen intensivieren, sondern auch problematische Emotionen wie Druckgefühle oder beklemmende Erinnerungen an frühere sexuelle Erfahrungen verstärken. Zudem spielt der Aspekt der Kontrolle in einer vom Verstand bestimmten Gesellschaft eine wesentliche Rolle. Ein Person kann ihre Schwierigkeiten sich fallen zu lassen mit Hilfe von Cannabis überwinden, unter Umständen können sich bestehende Blockaden und Ängste aber weiter verstärken.
 
Geradezu klassisch ist die immer wieder auftauchende Diskussion der Frage, ob der Gebrauch von Cannabis im sexuellen Kontext die entsprechenden Gefühle im Innern in besonderer Weise freisetzt oder sie von Außen künstlich erzeugt und diese damit ihrer Authentizität beraubt. In seinem Film "Der Stadtneurotiker" bringt Woody Allen die Problematik zwischen den beiden Hauptpersonen ironisch auf den Punkt. Während Annie gerne vor dem Sex einen Joint raucht, um sich in gelöstere Stimmung zu bringen, verweist der eher kopflastige Alvy darauf, dass man sich durch Drogen nicht näher kommt, sondern entfernt. Er könne sich als Komiker auch nicht darüber freuen, wenn jemand, der high ist, über seine Witze lacht, da derjenige sowieso ständig lachen würde. Im Verlauf der Diskussion verliert Annie ihre Lust, woran sich auch nichts ändert als Alvy mit gutem Willen, aber letztlich völlig unbeholfen, versucht wieder eine erotische Atmosphäre aufzubauen. Völlig klischeehaft hängt er dabei ein rotes Tuch über die Nachttischlampe. Die Frage nach der Künstlichkeit von Situationen wird dadurch mit einem Augenzwinkern noch einmal auf die Spitze getrieben.
 
Insbesondere in Indien und Persien lassen sich zahlreiche historisch Bezüge hinsichtlich des anregenden Gebrauchs von Cannabis nachweisen. In der traditionellen ayurvedischen Medizin wie in den Liebeslehren des Tantrismus wird Cannabis ausdrücklich als Aphrodisiakum aufgeführt, und auch in den "Geschichten aus tausendundeiner Nacht" wird von den stimulierenden Wirkungen auf Fantasie und Sexualität gesprochen. Die heutige Gesetzgebung im Iran, die zum Teil schon geringe Verstöße gegen die Drogengesetze mit drakonischen Strafen belegt und sexuelle Kontakt außerhalb der Ehe kriminalisiert, zeigt drastisch wie sehr der Umgang mit Drogen und Sexualität immer wieder fundamentalen Wandlungen unterworfen ist. Der weiterhin stattfindende Gebrauch illegalisierter Substanzen verdeutlicht zugleich, wie wenig sich die Grundbedürfnisse nach rauschhaften und ekstatischen Erfahrungen unterdrücken lassen.
 
Im Westen prallen beim Thema Cannabis seit Jahrzehnten gegensätzliche Positionen aufeinander. Gerade in den sechziger Jahren entsprach die Verbindung von Drogengebrauch und Sexualität der Verknüpfung von zwei mit zahlreichen Tabus belegten Themen, auf welche große Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit mit Bestürzung reagierte. Die sensationslüsterne Berichterstattung in den Massenmedien und auflagenstarke Trivialromane, die auf ihren Covern spärlich bekleidete junge Hippie-Frauen im Zusammenhang mit Drogen abbildeten, verdeutlichten eine Doppelmoral, die weite Teile der Gesellschaft bis heute durchzieht. Einen wichtigen Beitrag zur Analyse der Alternativkultur leistete eine Forschungsarbeit von Barbara Lewis, die 1970 unter dem Titel "The Sexual Power of Marijuana" erschien. Lewis hatte rund 200 Personen hinsichtlich ihrer Erfahrungen befragt und in der überwiegenden Zahl positive bis überschwängliche Antworten erhalten. Dabei konzentrierte sie sich ausdrücklich nicht auf Personen aus den Protestbewegungen, sondern bezog sich auf ein breites Spektrum von Personen aus der etablierten Mittelschicht. Auch wenn viele Aussagen und Analysen aus heutiger Sicht zu undifferenziert erscheinen, so bleibt die bis in die Gegenwart von vergleichbaren Untersuchungen gestützte Grundaussage bestehen, dass der Gebrauch von Cannabis das sexuelle Empfinden nachhaltig bereichern kann.
 
Innerhalb der Hippie-Kultur fand die enge Verbindung von Drogen und Sexualität zeitweise auch organisatorisch in der Kerista Consciousness Church und der Psychedelic Venus Church einen Ausdruck. Die Zusammenschlüsse traten öffentlich gleichermaßen für die freie Liebe wie für den Gebrauch psychedelischer Substanzen ein und veranstalteten für ihre Mitglieder sexuelle Zusammenkünfte mit spirituell-rituellem Charakter. "Die Anwesenden stellen sich in einem Kreis auf, halten sich an den Händen und chanten Om. Danach beginnt eine Zeremonie, bei der alle von den Genitalien einer Frau und eines Mannes warmen Honig lecken. Cannabis wird dabei gesegnet und geraucht. Anschließend werden einige Körperübungen angeleitet, die zu einer weiter erhöhten Sensibilität führen. Dies geht über in gemeinsames Tanzen, dann in Ficken, Lecken, Blasen und Unterhaltungen."(17)
 
Jane Gallion erzählt in ihrem Roman "Stoned" von einer Frau, die ihren auf Ehe und Haushalt ausgerichteten Lebensentwurf zunehmend als Gefängnis begreift und daraus ausbricht. Es ist die Erfahrung des Kiffens und einer damit verbundenen Sexualität, die das Gerüst der bisherigen Weltsicht zum Einsturz bringt und verdrängte Sehnsüchte offenbart. Erstmals 1969 erschienen gilt das Buch heute im angloamerikanischen Raum als ein wichtiger literarischer Bezugspunkt der frühen Frauenbewegung. "In der Dunkelheit des Schlafzimmers öffnete Elaine vorsichtig ihre Augen. Es war früh am Morgen. Irgendwann hatte sie aufgehört zu zählen, wie viel sie geraucht hatten. Ein Joint nach dem anderen. Doch sie fühlte sich in Ordnung. Eigentlich ging es ihr sogar richtig gut! Sie blickte auf die Uhr. Zehn nach sieben. Zehn nach Sieben? Randy muss los … Sie schreckte auf - und lehnte sich dann doch wieder zurück."(18)
 
Rund fünfundzwanzig Jahre später stellen sich der weiblichen Hauptfigur des postfeministischen Romans "Baise-moi – Fick mich" von Virgine Despentes vergleichbare Fragen nach dem eigenen Selbstverständnis nicht mehr. Als Protagonistin eines Rollenbildes, das zumindest einen Teil der jüngeren Generationen prägt, befriedigt sie sich selbst, während sie mit Hilfe eines Joints entspannt und sich dabei von einem Pornofilm anregen lässt. Fernab von übergeordneten moralisierenden Bewertungen macht sie aus ihrem momentanen Lebensgefühl heraus das, worauf sie gerade Lust verspürt und verweigert sich dabei vorgegebenen Rollenzuweisungen: "Sie zündet den Joint an, bemüht sich, den Rauch so lange wie möglich zu inhalieren, dreht die Musikanlage voll auf und stellt den Videorecorder ohne Ton an. Sie spürt die Distanz zwischen sich und der plötzlich friedlich gewordenen Welt, nichts bringt sie aus der Ruhe und über alles könnte sie lachen. Sie lässt sich ganz tief in den Sessel sinken, zieht die Hose aus und streichelt über den Slip. Sie betrachtet ihre Hand, die zwischen den Schenkeln gleichmäßig kreist, beschleunigt die Bewegung und spannt das Becken an. Sie wendet den Blick wieder zum Bildschirm. Das über das Treppengeländer gebeugte Mädchen bewegt den Kopf hin und her, hebt den Hintern, will das Geschlecht des Mannes endlich verschlingen."(19)
 
Aus einer vergleichbaren Grundhaltung heraus formulierte Jolayne Marsh ein Flugblatt, das den Drogengebrauch und das sexuelle Selbstverständnis von jungen Frauen thematisiert. Auch hier geht es nicht mehr defensiv um eine Auseinandersetzung aus Sicht des Opfers oder um behütende Warnhinweise hinsichtlich des Gebrauchs von Drogen. Marsh verweist vielmehr aus einer selbstbewussten Position der Stärke auf die Möglichkeit, sich eigenständig für einen Weg zu entscheiden, der den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht, ohne dabei den Aspekt der Verantwortung gegenüber sich selbst und anderen zu vernachlässigen. "Ich gehe raus in die Welt. Ich will Spaß haben. Ich will meinen Weg gehen. Ich will leben. - Überall treffe ich dabei Leute. Manche Orte und manche Leute sind offener für Sex als andere. Und manchmal passt es. Und ich bin darauf vorbereitet: Ich habe Kondome und Gleitcreme bei mir - und ich benutze sie! (…) Es ist in vielen Situationen sehr hilfreich, wenn man nicht völlig in kalte Wasser geworfen wird, sondern schon eine Ahnung davon hat, was passieren könnte und wie man darauf reagieren will. Gerade dann, wenn Drogen und Sex sich vereinen. Nur wenn wir innerlich stark sind, dann können wir auch selbst entscheiden. Ansonsten ist die Gefahr zu groß, dass wir zum Spielball der Bedürfnisse anderer werden oder die Drogen uns benutzen anstatt umgekehrt. Wir können selbst bestimmen, wie wir mit unseren Grenzen umgehen, du kannst sie verfestigen, neu setzen, aufbrechen oder auch erweitern. Du kannst dies aber nur, wenn du dir darüber im Klaren bist. Es liegt an dir …"(20)
 
 
Die Liebe auf Ecstasy
 
Ecstasy setzt körperlich die stimmungsaufhellende Substanz Serotonin frei, wodurch es zu einem intensiven Glücksempfinden und zu einer Öffnung tiefer Gefühlsebenen kommt. Zumeist wird die Umgebung positiver und sensibler wahrgenommen, anderen Menschen wird offen entgegengetreten und Probleme erscheinen unbedeutend. "Dein Herz geht auf und du empfindest zu dir und deiner Umwelt ein Gefühl tiefer Liebe und Harmonie. Du entdeckst einen geheimen Gang in einem Raum deines Hauses, der dir bislang verschlossen war und alles fühlt sich richtig gut an."(21) Teilweise wandeln sich durch den Konsum auch die visuelle Empfinden und das Zeitgefühl. So können traumartige Bilder auftreten und sich die Wahrnehmung völlig auf den Moment konzentrieren. Darüber hinaus scheint Ecstasy Energiereserven freizusetzen und ermöglicht dadurch ein stundenlanges Tanzen beziehungsweise einen leichteren Übergang in einen tranceartigen Zustand. Tatsächlich werden dabei aber im Wesentlichen Signale des Körpers wie Erschöpfungserscheinungen oder Durstgefühle überdeckt, was zu Kreislaufproblemen und zur Überhitzung des Körpers führen kann.
 
Ecstasy erzeugt dabei keine neuen Gefühle, vielmehr werden bereits bestehende Empfindungen freigelegt oder verstärkt. Ausgeprägte Probleme überdeckt Ecstasy höchstens kurzzeitig, meist setzt trotz des Glücksgefühls schnell eine innere Verkrampfung und Unruhe ein. Ein Gefühl der Leere entsteht oftmals am Tag nach den Konsum, wenn der körpereigene Serotoninspeicher für kurze Zeit beinahe vollständig geleert ist. Zu den möglichen vorübergehenden körperlichen Nebenwirkungen gehören Übelkeit, Durchfall und ein Anstieg des Blutdrucks. Überdosierungen und hoch frequenter Konsum können zu schwerwiegenden Nieren- und Hirnschädigungen, im Extremfall sogar zum Tod führen.
 
Die Ecstasy-Ursubstanz MDMA wurde 1912 patentiert, dann aber wegen ungewöhnlicher Nebenwirkungen nicht weiter vermarktet. Als Überbegriff für mehrere psychoaktive Substanzen mit ähnlicher Wirkung nahm Ecstasy auf Grund seiner spezifischen Wirkungsweisen in den neunziger Jahren großen Einfluss auf die Entwicklung der Techno-Kultur und fand dort massenhafte Verbreitung. Die Verbindung eines euphorischen und sensibilisierten Grundgefühls mit der körperlich aufputschenden Wirkung entsprach den hedonistischen wie den gemeinschaftlichen Elementen der frühen Techno-Kultur und trug gleichzeitig zu deren spezifischer Ausprägung bei. In Kombination mit den sich wiederholenden Rhythmen und synthetischen Klängen der Musik sowie den besonderen Lichteffekten und Dekorationselementen erwies sich Ecstasy als die Substanz, die den von vielen RaverInnen angestrebten Übergang in einen tranceartigen Zustand am leichtesten ermöglicht. Ecstasy trug aber auch zur Etablierung einer oberflächlichen Scheinwelt bei, in der im überschwänglichen "Alles ist so geil"-Gefühl bestehende Widersprüche nicht mehr wahrgenommen werden.
 
Das Bild von der Techno-Kultur als einer besonders tabulosen Jugendbewegung wurde von vielen Medien im Zusammenhang mit der Loveparade gezeichnet. So kursierten gerade in den späten neunziger Jahren in unzähligen Magazinen Abbildungen von posierenden, kaum bekleideten oder barbusigen Frauen, während Reportagen über die Club-Szene vielfach ausführlich über eine ausgeprägte Körperlichkeit berichteten. Unterschwellig verbunden war damit die Darstellung freizügiger Sexualität, die dem Klischee entsprechend in engen Zusammenhang mit einem ungezügelten Drogenkonsum gestellt wurde. Tatsächlich jedoch prägt die Techno-Kultur in ihrer Hauptströmung bis heute eine eher romantisch, bürgerliche Vorstellung von Liebe und Beziehung sowie darin wurzelnd auch von sexuellen Kontakten. Die Einstellungen unterscheiden sich dabei nicht wesentlich von Jugendlichen außerhalb der Techno-Kultur. Experimente im Sinne eines tiefer gehenden Ausprobierens eigener Grenzen oder gar ein Verständnis, welches sich an einem offenen Modell von Sexualität und Beziehung orientiert, bilden die Ausnahme. Vielmehr sind sie in den neunziger Jahren - anders als zuvor in den späten sechziger Jahren - infolge des generellen Wertewandels und insbesondere mit der Ausbreitung von AIDS geradezu konservativen Einstellungen gewichen. Eine neue Ausprägung erhielt jedoch das Element der Selbstinszenierung über das Auftreten, die Kleidung und insbesondere über die Betonung des Körpers. "So sehr die tanzenden Körper in feucht-warmen Clubs dampfen und schwitzen mögen, so sehr sich Körperkult, Piercen und Intimschmuck verbreitet hat: die romantische Liebe, die Sehnsucht nach einer Einheit von Freundschaft, Liebe und Sex ohne oder mit Drogen im Nightlife hat sich unter der kommunikativen Oberfläche von Unterhaltungssex nicht geändert."(22)
 
Im direkten zwischenmenschlichen Kontext erleichtert Ecstasy die Kontaktaufnahme, indem es ausgehend von einem euphorisierten und sensibilisierten Grundgefühl, Hemmschwellen und innere Barrieren aufbrechen oder gar beseitigen kann. Dies betrifft sowohl das Ansprechen einer unbekannten Person wie Handlungen in erotischen Situationen. "Ich bin wesentlich offener. Es fallen völlig Verkrampfungen weg, die ich im nüchternen Zustand habe. Ich hab’ zum Beispiel eine Fantasy im Kopf, traue mich aber normal nicht. Bei Ecstasy weißt du zwar auch nicht, wie der andere reagiert, aber es fällt dir leichter, es auszusprechen oder einfach zu machen. Ich hab’ das schon erlebt, dass der andere sagt, das mag ich nicht jetzt und das war völlig korrekt. Das gehört zur Erfahrung von Ecstasy überhaupt und auch beim Sex."(23)
 
Gerade im Zusammenhang mit sexuellen Blockaden können durch Ecstasy beeinflusste Erfahrungen für die einzelne Person einen weit über die konkrete Situation hinausreichenden Charakter haben. Dies zeigen neben den psychotherapeutischen Forschungen auch zahlreiche Beschreibungen erotischer Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Konsum von Ecstasy auf Techno-Veranstaltungen, die einerseits von einer bewussten Erfahrung einer über den ganzen Körper verteilten Sinnlichkeit sprechen und andererseits von einer Überwindung von beschränkenden Hemmungen. So beschreibt Megan, wie es ihr im Zusammenhang mit Ecstasy gelang, innere sexuelle Blockaden zu überwinden und einen Orgasmus in einer ansonsten von ihr kaum erfahrenen Intensität zu erleben: "Normalerweise muss ich mit jemanden stundenlang reden, um eine Nähe aufzubauen oder gar mit ihm ins Bett zu gehen. Aber bei ihm hatte ich gar nicht das Bedürfnis wie sonst, ihn so richtig kennen zu lernen. Es machte einfach Spaß, das zu tun, worauf wir gerade Lust hatten. (...) Ich wurde dann ziemlich erregt und sagte ihm, dass ich ihn in mir spüren möchte. Er zog sich aus und ich schloss meine Augen, als er in mich drang. Ich kam ziemlich schnell, was völlig unüblich ist, wenn ich mit jemandem schlafe. Es war fantastisch. Ich bekomme sonst nur einen Orgasmus, wenn ich mich selbst berühre oder ein Typ sich viel Mühe gibt und es mir mit der Hand macht. Es war wie eine kleine Explosion. Und ich wurde sehr laut, auch dies war ungewöhnlich. Er kam in mir und wir lagen noch lange so da. Bevor ich die Augen öffnete, kam es mir vor, als wäre ich in einem Traum, der sich sicher gleich verflüchtigt. Aber nichts löste sich auf, ich konnte alles berühren und sehen."(24)
 
Das Bedürfnis miteinander zu schlafen taucht meist jedoch erst nach der Hauptwirkung von Ecstasy auf. Zuvor leiden viele Männer unter einer vorübergehenden Impotenz, die mit Durchblutungsstörungen und Veränderungen im Hormonhaushalt zusammenhängt. Unabhängig davon ist jedoch das vergleichsweise starke Bedürfnis nach zärtlicher, aber keineswegs ekstatischer Nähe ein Charakteristikum der Wirkung von Ecstasy, das in der Sensibilisierung von Emotion und körperlicher Empfindung wurzelt. Berührungen können so in einer ansonsten nur selten erlebten Intensität empfunden werden. Da das durch die Substanz eröffnete Glücks- beziehungsweise Liebesgefühl teilweise als äußerst intensiv wahrgenommen wird, empfehlen Basisgruppen aus der Szene äußerst ironisch, dass nach der Einnahme von Ecstasy mindestens sechs Wochen mit der Heirat gewartet werden sollte. Die rauschhaften Party-Nächte werden allerdings oftmals vom so genannten "Day after" begleitet. Die Leerung der körpereigenen Serotoninspeicher in Zusammenhang mit Übermüdung und Schwäche, aber insbesondere auch das Zurückgleiten in die Alltagsrealität bewirken einen depressiven Gefühlszustand. Dieser Prozess kann sich unter Umständen schon beim Nachlassen der Wirkung vollziehen, wenn das folgende Gefühl nicht auf Nähe und Verständnis trifft, sondern auf zwischenmenschliche Isolation oder auf PartnerInnen, die noch ganz in den euphorisierten Ecstasy-Sphären schweben.
 
Ecstasy kann in einer von Kontrolle und Rationalität bestimmten Welt eine Sensibilisierung bewirken, die in der Folge zur zeitweiligen Überwindung von inneren Barrieren führt und im Idealfall zu einer befreienden Veränderung der Persönlichkeit beiträgt. Ein subjektiv aufbrechender Gebrauch von Ecstasy setzt jedoch einen bewussten Umgang voraus. Im Kontrast zum meist äußerst harmonischen Ecstasy-Erlebnis wird gerade die ansonsten erfahrene soziale Kälte, die unter den Maximen der Leistungsgesellschaft alle Bereiche des Lebens bis in die intimsten Sphären prägt, besonders nachdrücklich erlebt. Unreflektiert und auf das persönliche momentane Erleben reduziert wird der Rausch von Party, Droge und Sexualität jedoch nicht zu einer Bereicherung, sondern zum Ausdruck einer Flucht. In diesem Sinne reagierten die Hauptströmung der Techno-Kultur und Teile des Undergrounds auf die sich verschärfende soziale Realität zumeist mit dem Rückzug auf die Dancefloors der Clubs. Die unerfüllte Sehnsucht nach persönlicher Befreiung von repressiven inneren und äußeren Strukturen, die diesem Rückzug zu Grunde liegt, wurde - von einigen gegenkulturellen Ansätzen abgesehen - nicht als gesellschaftliche Fragestellung, sondern nur als individuelles Bedürfnis begriffen. Vor diesem Hintergrund löste sich die Sehnsucht nach ekstatischer beziehungsweise erotischer Transzendenz in den ausgehöhlten Images einer Kultur auf, die sich und ihre Ideale bereitwillig vermarkten ließ.
 
Diesen Tendenzen entsprechend folgt auch in Lucia Etxebarrias literarischer Beschreibung "Von Liebe, Neugier, Prozac und Zweifeln" dem ekstatischen Rausch einer intensiven erotischen Begegnung auf Ecstasy die persönliche Desillusionierung in der Realität zwischenmenschlicher Kälte. Im Zuge der durch Drogen und Sexualität eröffneten Erfahrungswelten kommt es nicht zum Ausbruch aus der von Etxebarria beschriebenen zwischenmenschlichen Vereinzelung, sondern eher zu einer Verfestigung derselben in einem Urgefühl der Enttäuschung. Die zwischenmenschliche Distanz wird dabei nur in der momentanen Verknüpfung von Party, Sex und Ecstasy aufgehoben, während sie im Alltag unüberwindbar erscheint: "Ich kann sie an ihren Gesichtern erkennen. Ich komme an die Bar und kann in wenigen Sekunden sagen, wie viele sich einsam fühlen. Ecstasy hilft nur für ein paar Stunden. Manchmal nicht einmal das. Sie sind auf E, lassen sich gehen, aber im Grunde bleiben sie einsam. Es gibt keine Droge, die das kuriert."(25)
 
Drogen werden nicht nur genutzt, um das eigene Befinden zu verändern, sondern auch immer wieder um Menschen zu beeinflussen und zu manipulieren. Alkoholische Getränke, aber auch Substanzen wie Ecstasy, werden in bestimmten Situationen gezielt eingesetzt, um andere Personen sexuell gefügig zu machen. Zwangsläufig sind davon in einer patriarchalischen Gesellschaft Frauen besonders stark betroffen. Geradezu klassisch ist die sich in unzähligen Variationen unablässig wiederholende Geschichte des Mädchens vom Lande, das naiv in die Großstadt kommt, dort gezielt von einem Mann unter Drogen gesetzt und dann zum Geschlechtsverkehr verführt beziehungsweise genötigt wird.
 
Oliver Chesler beschreibt mit einfachen Worten eine derartige Begebenheit im zynischen Text seines Techno-Hits "One night in New York City". Es spricht für die gesellschaftliche Doppelmoral, dass der Fernsehsender MTV in der englischsprachigen Ausstrahlung das Wort "fucked" in der letzten Zeile akustisch völlig verfremden ließ, damit es nicht mehr zu verstehen war. "Hallo, mein Name ist Oliver und ich werde dir nun eine Geschichte erzählen. Sie handelt von einem jungen Mädchen. Sie ist erst 15 Jahre alt, und hat blonde Haare und blaue Augen. Sie lebt bei ihren Eltern in New Jersey - und die lieben ihre Tochter ganz besonders. Und eines Abends beschloss sie mit ihren Freundinnen nach New York City ins Limelight zu fahren. (…) So viele Leute. Schau dir die Schuhe von diesem Typ an, sie müssen einen Meter hoch sein. Und sie drehte sich um und stößt an einen wirklich netten Kerl. Sie hatten viel Spaß. Sie tanzten Stunden und Stunden. Und sie trank eine Menge. ’Hey’, sagte er, ’Hast du vielleicht Lust mit zu mir zu kommen. Ich möchte einfach nicht allein sein.’ Und sie sagte ’Ja.’ Und sie nahmen ein Taxi und fuhren zu ihm. Sie gingen rauf und saßen auf seinem Bett. Er sagte: ’Nimm diese Pille.’ Und sie tat es. Und fragte: ’Was hast du mir gegeben? ’ ’Ecstasy’, antwortete er. Dann fickte er sie die ganze Nacht."(26)
 
 
Der Psychedelische Orgasmus

Der Chemiker Albert Hofmann entdeckte 1943 die bewusstseinsverändernden Wirkungen von LSD und begann diese in Folge wissenschaftlich zu erforschen. Dabei zeigte er zahlreiche Parallelen zu psychoaktiven Substanzen auf, die in traditionellen Kulturen zu heilenden, mystischen und visionären Zwecken genutzt wurden. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre fand LSD in der Hippie-Bewegung massenhafte Verbreitung. Als Acid wurde es gezielt genutzt, um sich anderen Ebenen der Wahrnehmung zu öffnen, vielfach aber auch als Mittel zur Flucht aus den gesellschaftlichen Realitäten. Falschinformationen und auf eine Abstinenz ausgerichtete Drogenpolitik führten in Folge zu einem internationalen Verbot, welches jedoch nicht verhindern konnte, dass LSD bis heute starken Einfluss auf Musik und Kunst sowie auf die Entwicklung der Cyber-Kultur hat.
 
Als eine psychedelische ("die Psyche offenbarende") Substanz kann LSD Gefühle und Erlebnisse, die ins Unbewusste verdrängt wurden, wieder freilegen. LSD erzeugt in diesem Sinne weder positive noch negative Gefühle, sondern öffnet im Wesentlichen nur Türen zu Räumen, die in der betreffenden Person bereits vorhanden sind. Das entscheidende Merkmal der LSD-Erfahrung sind die psychischen Wirkungen, während die körperlichen Effekte sind in der Regel nur Randerscheinungen bilden. Schon bei geringer Dosis werden eine Intensivierung der Farbwahrnehmung und eine Veränderung des räumlichen Sehens empfunden. In höheren Dosierungen erscheinen feste Formen oftmals weich oder flüssig und starre Gegenstände pulsierend. Zudem verändert sich das Zeit- und Raumgefühl. Daneben wird die Unterscheidung zwischen Sehen, Hören und Empfinden durch LSD aus dem gewohnten Gleichgewicht gebracht, wobei sich die Verarbeitung und Bewertung der Sinneseindrücke im Hirn verändert. Im Extremfall können sich die Grenzen der persönlichen Identität auflösen, sodass die Wahrnehmung der äußeren Welt und der eigenen Person ineinander übergehen. "Ich tanze auf dem Spiegel meines Bewusstseins und beginne mit der mich durchdringenden Musik zu verschmelzen. Die Farben bewegen sich im Rhythmus der Klänge, die aus ihnen dringen."(27)
 
Hohe LSD-Dosierungen bewirken eine Bewusstseinserweiterung über die oftmals konkret erfahrbar wird, dass verschiedene Ebenen der Wahrnehmung beziehungsweise der Wirklichkeit nebeneinander bestehen. Diese Erkenntnis kann eine persönliche Weiterentwicklung bewirken, sie kann aber auch eine tiefe Verunsicherung auslösen, da sie das gängige Weltverständnis zutiefst erschüttert. Entsprechend wichtig sind das Set und Setting, also die äußere Umgebung, der innere Zustand, die Erwartungen und auch das Wissen über die Wirkungen. LSD birgt kein körperliches Abhängigkeitspotenzial, allerdings setzt schnell eine Toleranzbildung ein. Zu den möglichen Nebenwirkungen gehören Schwindel und eine Erhöhung der Körpertemperatur. Bei einer entsprechenden Veranlagung kann LSD zum Ausbruch von Psychosen entscheidend beitragen.
 
Der Gebrauch psychedelischer Substanzen wie der Aspekt der sexuellen Freiheit waren primäre Merkmale der Hippie-Kultur und Ausdruck des Versuchs eigenständige Lebenskonzepte zu entwickeln. In einem viel beachteten Interview verknüpfte Timothy Leary 1966 die beiden Aspekte und beschrieb LSD als "das mächtigste Aphrodisiakum, das der Mensch je entdeckt hat".(28) Seinen Beschreibungen zufolge setzt auf körperlicher Ebene eine immense Sensibilisierung ein, die dazu führt, dass körperliche Kontakte in einer besonderen Intensität erfahren werden und schon leichte Berührungen erotisch wirken. "Sie streifte mit ihrem Finger leicht über meine Handfläche und sofort explodierten hunderttausend Endzellen in meiner Hand in sanften Orgasmen." Im Sinne Learys liegt dabei das eigentliche erotische Potenzial von LSD in der Veränderung des Wahrnehmung und nicht etwa in einer direkten sexuellen Stimulation: "Sex unter LSD wird wunderbar vergrößert und intensiviert. Ich meine jedoch nicht, dass LSD einfach genitale Energie schafft. Es produziert nicht automatisch eine längere Erektion. Eher steigert es die Sensibilität um tausend Prozent. In sinnlicher und zellularer Vereinigung unter LSD kann man eine halbe Stunde lang mit den Augäpfeln lieben, eine andere halbe Stunde lang mit dem Atem. Wenn man unter LSD liebt, ist es, als liebe jede Zelle des Körpers jede Zelle des anderen Körpers. Meine Hand streichelt nicht die Haut der Frau, sondern sinkt ein und verschmilzt in ihr mit uralten Dynamos der Ekstase."
 
Wie sich eine derartige Herangehensweise konkret in der subjektiven Wahrnehmung ausprägen kann, beschrieb Sharon Rudahl in ihrem 1967 veröffentlichen, wohl stark autobiographisch gefärbten Roman "Rauschtempel". Das unter dem Pseudonym Mary Sativa veröffentlichte Buch gilt als Klassiker der psychedelischen Erotik. Mehrfach wird darin beschrieben wie sich im Zuge rauschhafter erotischer Begegnungen die eigene Persönlichkeit auflöst und auf einer psychedelischen Ebene mit dem Partner verschmilzt. "Ich sehe ihm in die Augen, atme seinen Atem. Er ist ein Spiegel, der eine andere Gestalt von mir reflektiert. Ich bin sein Glied, tief in mir selbst. Ich bin unser verschlungener Körper, der in einem vollendeten Tanz auflebt. Ich streiche über sein funkelndes Haar und fühle meine eigenen Fingerspitzen, spüre die Musik in meiner Muschi spielen. Schauer jagen durch unsere Körper, unbeherrschbar und schön. Ich bin die Erde, aus der er erblüht, er ist der Fluss, der in mich hineinströmt. Jeder Muskel und jede Ader ist eigens für diesen Tanz geschaffen. Die Zeit ist tot. Wir sind das heilige Bild."(29)
 
Verschiedene Untersuchungen belegen nachdrücklich, dass derartige Erfahrungen keineswegs nur übersteigerte Hippie-Fantasien sind, sondern zum Erfahrungsvermögen jedes Menschen gehören, das unter anderem durch bestimmte psychoaktive Substanzen, durch Meditationstechniken oder Trancerituale hervorgerufenen werden kann. Bereits in den fünfziger Jahren hatte Aldous Huxley das Spektrum der Erfahrungen, die durch Psychedelika in hohen Dosierungen eröffnet werden können, in Himmel, Hölle und Visionen unterteilt.(30) Später bestätigten empirische Versuchreihen zur "Phänomenologie außergewöhnlicher Bewusstseinszustände"(31) diese Unterteilung als "Ozeanische Selbstentgrenzung", "Angstvolle Ichauflösung" und "Visionäre Umstrukturierung". Die von Rudahl und Leary beschriebenen Erlebnisse entsprechen der "Visionären Umstrukturierung" im Sinne einer Erfahrung, die von gesteigerten Empfindungen, synästhetischen Veränderungen von Tönen und Farben und äußerst lebhaften Phantasien geprägt ist.
 
Der wesentliche Grund  für die immense Aufmerksamkeit, die das Interview mit Timothy Leary erlangte, war vor allem die darin implizierte Verheißung eines Aphrodisiakums, dessen Einnahme zuvor ungekannte Momente ekstatischer Liebe eröffnete. Wie in vielen Veröffentlichungen der damaligen Zeit wurde jedoch fälschlicherweise vermittelt, dass allein der Konsum von LSD zu einer befreienden Entwicklung führe, ohne dass es einer Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit bedarf. So gab diese völlig überzogene Beschreibung von LSD als bedeutendstes Liebesmittel aller Zeiten nur einen Aspekt der Verbindung von Psychedelika und Erotik wider, der ohnehin in dieser grenzauflösenden und bewusstseinserweiternden Dimension äußerst selten erlebt wird. Vielmehr kann es auch zu Verkrampfungen, Reizüberfluten oder zu Konfrontationen mit problematischen Inhalten des Unbewussten kommen. In einigen Fällen führt die Andersartigkeit dieser Erfahrung zu einer Überforderung oder völligen Verängstigung, die dann nicht zu einem Zustand des Fließens, sondern zu Blockaden führt. Während der Hauptwirkung des Trips bestehen oftmals keinerlei sexuelle Bedürfnisse, da die körperlich-erotische Ebene gegenüber anderen Wahrnehmungsbereichen völlig unbedeutend erscheint. Sofern überhaupt ein Interesse an sexuellen Handlungen vorhanden ist, entfaltet sich eine anregende Stimmung meist erst bei abklingender Wirkung.
 
Verstörende Erfahrungen, die zum Teil von Angstzuständen und Wahnvorstellungen geprägt sind, beschreibt Tiny Stricker unter dem Titel "Trip Generation". Im Zuge assoziativer Wahrnehmungen kommt es immer wieder zu einer Vermengung von tatsächlichen Gegebenheiten und halluzinativen Eindrücken mit einer starken sexuellen Komponente. "Wir schleppen uns hoch bis zum letzten intimen Café, schlagen Rendezvous, Kino und Telefonnummer in den Wind, den ganzen sexuellen Verrat des 20. Jahrhunderts, bestellen den letzten Tee. Ich suche mir den ältesten, fettesten, impotentesten Typen aus, der eigentlich nur zur Schau mit war, kuschle mich an ihn, während er verzweifelt sein Knoblauchsüppchen mampft. Zwei Burschen schnappen sich Simon, diesen hehren, zerbrechlichen Schwulen-Guru, zerren ihn den Steilhang hinauf, lassen ihn blutend verwildert im Felsen zurück. Der Alte verteidigt mich wie ein Wolf, ich entschuldige mich für einen Augenblick, renne aufs Klo, meine letzte Rettung aus diesem Kino, aber mein größter Fehler, denn draußen warten schon wieder zwei, wälzen mich halbnackt aus der unschuldigen Latrine heraus und rauf auf den Berg, oben kriegen sie Krach, wer zuerst ran darf, da reißt mich schon der eine brutal und tollkühn wie ein flüchtendes Pferd den Abgrund hinab, der andere stürzt aus Gram in den Sonnenuntergang. Ich habe ihn nie wiedergesehen, renne noch lange in den Felsen umher wie eine Henne, von ihren Rufen verfolgt, ein graues Harold-Lloyd-Movie ohne Statisten."(32)
 
Es müssen jedoch keineswegs bedrückende oder verzerrte Bilder sein, die eine potenziell erotische Situation ins Gegenteil verkehren. Viel häufiger führt die innere Öffnung zu einer Flut von Gedanken, die sich an einzelnen Punkten geradezu verknoten können und den weiteren Verlauf des Trips bestimmen. Teilweise bewegt sich die Person auf LSD in einer eigenen Welt, ohne mit dem Partner oder der Partnerin zu verschmelzen, sofern es überhaupt möglich ist über den körperlichen Kontakt hinaus eine gemeinsame Ebene zu finden: "Er legte seine Hand wie sonst auf Ilses Brust und bewegte den Daumen leicht über die Brustwarze hin und her. Doch nach wenigen Minuten kam er sich albern vor und zog unsicher seine Hand wieder zurück. Ilse hatte seinen Bewegungen zugeschaut, ohne zu erkennen zu geben, was sie dachte. In seinem gerade verminderten Selbstgefühl glaubte er zu sehen, dass sie ihn für schwach hielt. Das Gefühl der Hilflosigkeit in ihm wuchs immer mehr und zugleich schien ihm die Entfernung zu Ilse immer größer zu werden. Er begann daran zu zweifeln, ob es gut gewesen war, mit ihr einen Trip zu nehmen, und schon fragte er sich auch, ob sie zu ihm passe. Parallel zu diesem Gedanken kam ihm plötzlich noch das Gefühl, ungeheuerlich hässlich zu sein und einen kraftlosen, unnützen Körper zu haben."(33)
 
Insbesondere in den sechziger Jahren wurde in der mit Psychedelika arbeitenden Psychotherapie (Psycholyse) vergleichsweise erfolgreich versucht sexuelle Problematiken aufzuarbeiten. Die Ziele lagen insbesondere in der Eröffnung neuer Betrachtungsweisen, der Auflösung von Blockaden und der Freilegung von Erfahrungen, die ins Unbewusste verdrängt wurden, um dann mit ihnen therapeutisch arbeiten zu können. Gerade die Erfahrung eines inneren Zustandes des Fließens erhielt dabei eine weit über die konkrete Situation hinausreichende Bedeutung. Zu den Schattenseiten gehörte die Pathologisierung der Homosexualität durch einige Vertreter der Psycholyse und das Bestreben sie im Zuge einer Therapie "heilen" zu wollen.
 
Ein beträchtlicher Teil der psychedelischen Bewegung der späten sechziger Jahre öffnete sich zunehmend religiösen Strömungen. Dagegen betrachteten die Yippies als radikal politischer Flügel der Hippie-Bewegung eine befreite Sexualität und einen bewussten Umgang mit psychoaktiven Substanzen als ein Mittel im Kampf um gesellschaftliche Veränderung. Jerry Rubin, einer ihrer Wortführer, beschrieb das angestrebte Utopia in der für die Yippies typischen "marxistischen" Denkweise, welche die revolutionäre Gesellschaftsanalyse von Karl Marx mit dem anarchischen Humor von Groucho Marx verband. "Die Welt wird eine einzige große Kommune werden in der alles geteilt wird. Das Pentagon wird durch eine LSD-Experimentierfarm ersetzt werden. Friseure werden Rehabilitationslager aufsuchen und dort ihre Haare wachsen lassen. Die Menschen werden vormittags Landwirtschaft betreiben, nachmittags Musik machen - und ficken, wo und wann immer sie wollen."(34)
 
Einige linke Gruppierungen kritisierten dagegen den Konsum von Drogen und die Betonung der Sexualität auf dem Weg zu einer befreienden Veränderung als verschleiernd oder gar als konterrevolutionär. Eine differenziertere Position nahm dagegen Herbert Marcuse ein, der das Potenzial psychedelischer Substanzen für eine Sensibilisierung und damit für eine befreiende Veränderung der Wahrnehmung aufzeigte, aber auch die Gefahren beschrieb. "Das Bewusstsein von der Notwendigkeit einer Revolution der Wahrnehmungsweise, eines neuen Sensoriums, ist vielleicht der Wahrheitskern im ’psychedelischen’ Suchen. Es wird jedoch verfälscht, wenn der Rausch nicht nur zeitweilig von Vernunft und Rationalität des etablierten Systems entbindet, sondern auch von jener anderen Rationalität, die das etablierte System verändern soll; wenn die Sinnlichkeit nicht nur von den Erfordernissen der bestehenden Ordnung befreit wird, sondern auch von jenen der Befreiung."(35)
 
Entsprechungen der Grundstrukturen erotischer Erfahrungen auf LSD lassen sich unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen spezifischen Eigenheiten auch bei anderen psychedelischen Substanzen finden. Wie bei LSD liegen gerade bei höheren Dosierungen psychische Abgründe und erfüllende Gipfelerfahrungen eng beieinander. Das Abgleiten in blockierende Gedanken und Empfindungen oder gar in bedrohliche Wahrnehmungen ist im erotischen Kontext genauso möglich wie die völlige sexuelle Verschmelzung in zuvor ungekannte Sphären, sofern diese überhaupt noch als ein Bestandteil des Wahrnehmungskosmos verstanden werden.
 
Eindrücklich beschreibt Theo Rosenfeld eine psychedelische Erfahrung mit DMT, die von einer ekstatischen Auflösung bestehender Strukturen geprägt ist, die in einen neuen Kosmos erotischer Wahrnehmungen übergeht. Dieser wird aber bald darauf von einer verkrampfenden, aus dem Unbewussten aufkeimenden Angst durchzogen, welche die Erfahrung auch rückblickend wesentlich prägt: "Dann wurde alles zu Sex. Wohin ich auch meine Aufmerksamkeit richtete, welches sensorische Organ ich auch benutzen wollte, ich spürte nur noch das körperliche Gefühl des Liebens. Und bald darauf wurde absolut alles zu uns, aus welcher Zeit und von welchem Ort auch immer. Es gab mich nicht mehr, auch keine Sophia mehr, es gab nur noch die Totalität des Liebens. Währenddessen glitten meine unzähligen Penisse durch meine ebenso endlosen Vaginas. Bis dann eine seltsame Angst in mir aufkam. Ich befürchte plötzlich, dass wir das gesamte Universum in unseren Sex eingeschlossen hätten - und dies für immer."(36)
 
Erfahrungen mit dem bei bestimmten Dosierungen psychedelisch wirkenden Narkotikum Ketamin sind oftmals von bizarren Wahrnehmungen geprägt, die zum Teil mit Comics oder Trickfilmen verglichen werden. David Jay Brown tauchte in diese Welt so tief ein, dass er jeglichen Bezug zu seiner menschlichen Existenz wie auch den direkten Bezug zu seiner Freundin verlor und diese nur noch auf einer völlig verfremdeten Ebene als liebende Partnerin wahrnahm. Browns Beschreibungen zu Folge erlebte er seine Umgebung wie einen "nicht-jugendfreien Science-Fiction-Film".(37) Er liebte unterhalb der Wasseroberfläche eine Kreatur, die wie er selbst "tausende Tentakel und merkwürdige Anhängsel" hatte. Als er währenddessen plötzlich in seine menschliche Rolle zurückgeworfen wurde, erschien es ihm wie ein Schock, hatte er doch völlig vergessen, dass er tatsächlich ein Mensch ist.
 
Fernab von derartig bizarren Erfahrungen verfing sich Keely Stahl nach der Einnahme von Meskalin in einem erdrückenden und äußerst beängstigenden Gewirr von Energien und Blockaden. Deutlich wird an diesem Beispiel einmal mehr, welches lösende Potenzial in psychedelischen Substanzen liegt. Es zeigt aber auch, wie schnell sich dieses umkehren kann – gerade wenn unbewusste Empfindungen freigesetzt werden. "Jahre später wurde mir klar, dass ich in meinem Körper haufenweise energetische Blockaden hatte. Heute vermute ich, dass das Meskalin die Blockaden löste, ich aber wieder Blockaden gegen diese Lösung aufbaute. Ich hatte Hemmungen mich zu entspannen und es zu genießen. Ich wusste nicht was ein Orgasmus war. Vielleicht waren es erste, ersatzhafte Orgasmuswellen die mich auf Meskalin durchfuhren. Es war so fremd und neu für mich, dass ich es nicht andauern lassen konnte. Ich fürchtete mich so sehr vor Gefühlen dieser Art und lies meinem Verstand die Kontrolle."(38)
  

Die weißen Linien der Begierde
 
Seit etwa 5.000 Jahren wird die Kokapflanze in den südamerikanischen Anden angebaut. Nachdem sie ursprünglich in religiösen Zeremonien und zu Heilungen verwendet wurde, kam es später zu einer Integration in den Alltag, da die Inhaltsstoffe stimulieren, Hungergefühle unterdrücken und zudem zahlreiche Nährstoffe beinhalten. Heute ist das Kauen von Kokablättern in den täglichen Lebensablauf großer Teile der Bevölkerung eingebettet. Nach Europa gelangte Kokain im 15. Jahrhundert, wo es jedoch erst im 19. Jahrhundert als Betäubungsmittel und Zusatz für verschiedene Getränke an Bedeutung gewann, nachdem der Hauptwirkstoff der Pflanze chemisch isoliert wurde. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts kam es zu einem Verbot der so genannten Nobeldroge, die durch ihre weite Verbreitung angeblich zum moralischen Zerfall der Gesellschaft beitrage. Inzwischen gehört Kokain längst wieder zu den am häufigsten gebrauchten Drogen, wobei es in abgewandelter Form als Crack mit verheerenden psychosozialen Folgen eine neue Verbreitung fand. Kokain ist zu einem bedeutenden internationalen Wirtschaftsfaktor geworden, wobei Drogenkartelle in den Anbauländern einen immensen Einfluss erlangten.
 
Körperlich betrachtet bewirkt Kokain eine Stimulation wie auch eine tendenzielle Betäubung von Teilen des Nervensystems. In einigen Bereichen wird es gegenüber Reizen unempfindlicher, wodurch unter anderem das Schmerzempfinden herabgesetzt wird. Darüber hinaus scheint der Körper endlose Energiereserven zu besitzen, Hunger und Durst werden kaum noch wahrgenommen. Daneben regt Kokain die Ausschüttung von Glückshormonen an und erzeugt einen Zustand der Euphorie. In der subjektiven Wahrnehmung steigern sich Kreativität und Konzentrationsfähigkeit, während sich kaum merklich eine emotionale Schutzkappe über die GebraucherInnen stülpt, die vor Problemen und Angriffen von Außen abschirmt. "Wir fühlten uns absolut wach, alles schien klar und keiner konnte uns irgendetwas anhaben. Ich war unglaublich cool, stand irgendwie über allem und unterhielt mich mit allen möglichen Leuten, als ob ich nie irgendwelche Hemmungen gehabt hätte."(39)
 
Die emotionalen Erscheinungen bei gesteigertem Gebrauch machen Kokain zu einer Ego-Droge. Die UserInnen fühlen sich zumeist besonders cool und fast allmächtig, geben aber oft eher ein bemitleidenswertes Bild ab. Charakteristisch ist ein äußerst extrovertiertes Verhalten, vielfach geht der Konsum mit unablässigem Redebedürfnis und starkem Bewegungsdrang einher. Selbstdarstellendes Auftreten, verstärkte Reizbarkeit und Verlust des Einfühlungsvermögens sind ebenso häufig zu beobachten wie gesteigertes Macho-Gebaren und erhöhte Gewaltbereitschaft bei Männern. Extrem hohe Dosierungen und regelmäßiger Konsum führen oftmals zu psychischen Ausnahmesituationen, die sich in Halluzinationen und Paranoia äußern. Das Abklingen der Wirkung ist von Erschöpfung und Lustlosigkeit sowie teilweise von Depression und Aggressivität geprägt. Das Bedürfnis nach einem neuen Kick ist dann besonders groß und kann einen zwanghaften Suchtcharakter erlangen. Mögliche vorübergehende körperliche Nebenwirkungen beim Sniefen sind ein taubes Gefühl an der Nase und im Rachen sowie eine Erhöhung des Blutdrucks und der Pulsfrequenz. Chronischer Gebrauch führt zu Mangelerscheinungen und Schädigungen verschiedener Organe.
 
Die vielfach beschriebene besondere sexuell stimulierende Wirkung von Kokain ergibt sich aus einer Wechselwirkung von psychischen und physischen Faktoren. Durch die erhöhte Ausschüttung der Botenstoffe Dopamin, Serotonin und Noradrenalin wird ein positives Grundgefühl und weitergehend eine sexuelle Erregung gefördert. Gleichzeitig hat Kokain eine betäubende Wirkung und kann so eine Verlängerung der Erektion sowie ein Herauszögen des Orgasmus bewirken. Auf der psychischen Ebene ist es leichter, sich auf eigene sexuelle Bedürfnisse und deren Ausleben zu konzentrieren, da blockierende Gedanken in den Hintergrund treten und im Zuge der euphorisierenden Wirkung Zweifel einem übersteigerten Selbstbewusstsein weichen. "Wir vögelten stundenlang, schnupften nicht nur, sondern betäubten alle nur möglichen Schleimhäute, das verzögert den Orgasmus um Stunden. Wir hatten kein bisschen Angst voreinander und erzählten uns all die Phantasien, derer wir uns immer geschämt hatten. Wir beide hatten die Liebe in Besitz und sahen mit der Hochnäsigkeit frisch Verliebter auf unsere Mitmenschen hinab."(40)
 
Auf Grund seiner emotionalen und körperlichen Wirkungen kann Kokain zu einer befreienden Enthemmung beitragen und zuvor tabuisierten Wünschen Raum geben. Doch nicht selten mündet der Kokainrausch in der Fixierung auf die eigene Lust, während sich das Einfühlungsvermögen verliert und der oder die PartnerIn nur noch als Objekt eigener Wünsche wahrgenommen wird. Der Umstand, dass das eigene Verhalten während des Rausches oftmals als unwiderstehlich empfunden wird, gehört zu den Merkmalen der mentalen Kokainwirkung. Gerade männliche Konsumenten verbinden Kokain mit dem Image "Ich bin cool, potent und habe Geld" und haben während der Wirkungsphase von sich ein Bild, das oftmals nicht viel mit ihrer tatsächlich verkörperten Erscheinung zu tun hat.
 
Die erhöhte Intensität der Empfindungen führt keineswegs immer zu einem befriedigenden Orgasmus. Vielmehr bewirken die mit dem Kokain einher gehenden Betäubungsprozesse, dass der Höhepunkt nur schwer erreichbar ist. Der sexuelle Akt wird zeitlich verlängert, aber keineswegs emotional tiefer gehend erfahren. "Es verlief symptomatisch für eine Nummer unter der Wirkung von Kokain. Die sexuellen Fantasien dieses Koks-Freiers waren grenzenlos, ebenso wie seine mentale Geilheit. Und auch sein Schwanz (meiner übrigens auch) stand wie eine Eins. Aber im Endeffekt war es ein fürchterlicher Kraftakt, bei ihm einen Samenerguss herbeizuführen. Ich glaube, ich habe annähernd zwei Stunden gebraucht, ehe ich ihm seinen Kolben endlich leer geschüttelt hatte."(41)
 
Ein regelmäßiger und hoch dosierter Kokainkonsum kann zu Orgasmus-Problemen und Impotenz führen, wobei selbst lang andauernder Kokainkonsum keine physische Abhängigkeit im engeren Sinne erzeugt. Die beim Absetzen auftretenden körperlichen Erscheinungen sind im Wesentlichen durch psychosomatische Wechselwirkungen bedingt. Die Gefahr der psychischen Abhängigkeit ist allerdings vergleichsweise hoch. Kokainsüchtige beschreiben immer wieder eine alles andere übersteigende Gier. "Ein Teil von mir fing an zu posieren und ihn scharf zu machen. Meine Hauptsorge aber bestand darin, möglichst viel von dem Koks auf dem Tisch abzukriegen."(42)
 
Wie generell beim Konsum von Drogen ist auch beim Kokain die Bereitschaft notwendig, sich mit den eigenen Abgründen auseinanderzusetzen. Fließend sind die Übergänge zwischen dem Gebrauch der Droge als Möglichkeit sich einer rauschhaften Sexualität zu öffnen und der Gefahr von der damit verbundenen Dynamik verschlungen zu werden. Kokain kann den Raum einer erotischen Ekstase eröffnen, die in ihrer Radikalität herkömmliche Werte weit hinter sich lässt. Das völlige Aufgehen in der eigenen Lust wird dann zum einzig entscheidenden Maßstab, unabhängig davon, ob er gängigen Tabus und Werten entspricht oder nicht.
 
Derartige Erfahrungen beschreibt Lydia Lunch besonders nachdrücklich in "Paradoxie – Tagebuch eines Raubtiers". Zwischen den Polaritäten ihrer Missbrauchserfahrungen und ihrem Ausbruch aus der Rolle des passiv erleidenden Opfers bewegt sich Lunch immer wieder an der Grenze zur Selbstzerstörung. Dabei entfalten gerade ihre sexuellen Erlebnisse eine tiefe Intensität, die den Schmerz niemals heilender Verletzungen wie auch dessen momenthafte Überwindung in sich trägt. "Er kommt mit einem silbernen Strohhalm zurück. Füllt ihn mit dem weißen Gift. Bläst es mir in den Arsch. Sechs fette Lines später und meine Haut sirrt. Das Gedächtnis kollabiert. Die Zeit löst sich auf. Gedanken werden durch Gefühle ersetzt. Die Moleküle expandieren und werden in eine andere Dimension geschleudert. Ich schwebe in Trance, langsames Kreisen tritt an die Stelle der Apathie. Ich kann nicht mehr stillsitzen. Jeder Muskel zuckt. Er tritt ein paar Schritte zurück und sieht zu, wie ich mich winde. Er steht einen knappen Meter hinter mir, doch ich kann mich nicht mehr an sein Gesicht erinnern. Ich rutsche von der Couch und krieche auf allen Vieren zu ihm. Lecke seine geballten Fäuste. Ich kehre in meinen Körper zurück. Tollwütig. Mache mich über seinen Schwanz her. Lecke, blase. Schlucke ihn."(43)
 
Die Suche nach dem besonderen Kick in einer Welt, die von Oberflächlichkeit und Hedonismus bestimmt wird, gehört zu den zentralen Themen in den Romanen von Bret Easton Ellis. Unwillig ihre Lebensrealität auch nur ansatzweise zu hinterfragen, sind die von Ellis beschriebenen College-Kids, Yuppies und Börsenmakler Gefangene ihrer eigenen Scheinwelten. Vor diesem Hintergrund entsprechen in "American Psycho" die seitenlangen Aufzählungen von Markennamen und die Widergabe völlig belangloser Gespräche einem Abbild wie auch einer zynischen Kritik. Kokain dient der Hauptfigur zur fortwährenden Selbstbestätigung bis es als Ich-Stütze nicht mehr zu ersetzen ist. Letztlich gehen in der Kokainwirklichkeit reale Erlebnisse und psychotische Fantasien in einer Orgie von Machtgier, Sex und Gewalt ineinander über. "Der Gurt reißt, und der Dildo rutscht aus ihrem Arsch, während sie versucht, mich wegzustoßen. Aber selbst ihr Schluchzen erregt mich kaum. Ich fühle wenig, als ich ihren Kopf gegen die Wand schlage. Nachdem sie zu Boden gefallen ist, gehe ich ins Badezimmer und nehme noch eine Line von dem schäbigen Koks, das ich am Vorabend im Nell’s oder in der Au Bar abgestaubt habe. Sie ist kaum bei Bewusstsein als sie mich sieht, nackt über ihr stehend. Ich habe den Körper vor dem neuen Toshiba-Fernseher in Stellung gebracht, im Videorecorder läuft eine alte Kassette, und auf dem Bildschirm erscheint das letzte Mädchen, das ich gefilmt habe. Ich selbst trage einen Joseph-Abboud-Anzug, einen Schlips von Paul Stuart, Schuhe von J. Crew, eine Weste von irgendeinem Italiener (...)"(44)
 
Während Kokain bis in die Gegenwart nicht zuletzt durch die Darstellung in den Medien das Image der Droge der Erfolgreichen und Reichen besitzt, hat sich das aus Kokain hergestellte Crack zur Elendsdroge entwickelt. Die durch das Aufkochen von Kokain mit Backpulver entstehenden Crack-Steine werden geraucht, wobei die Wirkungen wesentlich intensiver, aber auch mit zirka fünf bis zehn Minuten deutlich kürzer sind als beim herkömmlichen Kokainkonsum. Die gesundheitlichen Folgen sind schwerwiegend, so werden unter anderem Lunge und Hirn stark angegriffen, zudem ist das Risiko einer psychischen Abhängigkeit besonders hoch.
 
An den sozialen Rändern US-amerikanischer und einiger westeuropäischer Großstädte vollzog sich in den neunziger Jahren der Übergang von Heroin zu Crack als dominierende Droge. Damit verbunden war auch ein Wandel der Szene, die seitdem durch eine noch weiter verstärkte Verelendung, sowie eine wesentlich aggressivere Grundstimmung geprägt ist. Auch auf die Prostitution, über dies sich viele Crack-abhängige Frauen finanzieren, hat der veränderte Drogenkonsum weitreichende Folgen. "Die Preise sind immer weiter nach unten gegangen, weil noch mehr als beim H die Frauen bereit sind für ein Paar Steine alles zu tun. Zum Beispiel hatten mal innerhalb kurzer Zeit mehrere Frauen aus der Scene eine Glatze. Der Grund war, dass plötzlich ein Freier aufgetaucht ist, der darauf stand Frauen mit Glatze zu ficken, und dann etwas mehr gezahlt hat, wenn sich die Frauen die Haare schneiden."(45)
 
Unter dem bezeichnenden Titel "Vereist" setzte sich Ray Shell in fragmentarischen Aufzeichnungen mit seiner Crack-Abhängigkeit auseinander. Ausgehend vom Verständnis, dass die Droge in seinem Leben "ein riesiges Loch ausfüllte", stellt er detailliert dar, wie die Sucht alle Bereiche seines Lebens bestimmte. Über einen längeren Zeitraum hinweg machte der Crack-Konsum Shell zu einem Menschen, den er kaum wiedererkannte. An mehreren Stellen beschreibt er dabei das Rauchen der Crack-Pfeife mit sexuellen Metaphern. Sie stehen enthusiastisch für die Vorfreude und das Glücksgefühl, welches in den Momenten des Rausches alles andere ausblendet. Demgegenüber stehen die Abgründe einer tiefen, selbstzerstörerischen Depression, die sich mit dem Abklinken des Rausches sofort unaufhaltsam ausbreitet. "Ich hab den ganzen Tag darauf gewartet, drauf zu kommen. Dabei versuche ich mich zusammenzureißen. Ich warte. Die Belohnung fürs Warten ist der jungfräulichste, vollkommenste, heiligste erste Kick! Ich nehme meinen schuldigen Glasschwanz in den Mund, sein erhitzter Schaft führt zu der bauchigen Fotze am Ende, seine Fotzenhaare aus Aluminium enthalten die Weisheit des Geistes, des Körpers – das Seelenheil. Es ist mir scheißegal! Ich nuckle gern dran. Das Gefühl tröstet mich mit elektrischen Hitzenadeln. Manchmal tut es weh. Doch nicht so sehr wie die Wirklichkeit bei Tageslicht."(46)
 
 
Die Erotik der Spritze
 
Auf der Suche nach neuen medizinischen Schmerzmitteln wurde 1874 die Substanz Diacetylmorphin entwickelt und rund 25 Jahre später vom Bayer-Konzern auf den Markt gebracht. Auf Grund seiner vorgeblich heroischen Wirkungen wurde die werbewirksame Bezeichnung Heroin gewählt. Anfangs als Hustenmittel und später als betäubendes Medikament für verwundete Soldaten genutzt, fand Heroin vor allem auf Grund seiner berauschenden Wirkung schnell weite Verbreitung. Verschiedene Gesetze beschränkten jedoch seine Verfügbarkeit, bis es zum internationalen Verbot kam. Erst in den siebziger Jahren wurden neue illegale Vertriebswege eröffnet, während gleichzeitig die Nachfrage anstieg. Das Wirkungsspektrum deckte sich dem Lebensgefühl der jüngeren Generation, das nach der Aufbruchseuphorie der Protestbewegungen zunehmend von Desillusionierungen und Fluchttendenzen geprägt war.
 
Das aus dem chemisch weiterverarbeiteten Opium der Mohnpflanze gewonnene Heroin kann gesnieft, geraucht oder injiziert werden. Als Schmerz- und Beruhigungsmittel erzeugt Heroin ein anfangs angenehm umschließendes, euphorisierendes Grundgefühl. Gleichzeitig scheinen problematische Gedanken und Emotionen im Zuge einer alles überdeckenden inneren Zufriedenheit völlig zu verschwinden. Dabei bildet insbesondere der Aspekt der Verdrängung oftmals eine wesentliche Motivation für den Heroingebrauch, wobei langfristig eine zunehmende Abstumpfung und Gleichgültigkeit einsetzt. "Ich hatte Angst mit cleanen Kopf nicht die Welt zu ertragen. Auf Heroin fühlte ich mich dann so, als wäre ich in Watte gepackt. Ich dachte an nichts mehr, ich fühlte nichts mehr, ich kümmerte mich um nichts mehr."(47)
 
Neben den psychischen Faktoren kann vor allem das hohe körperliche Abhängigkeitspotenzial in eine Sucht führen. Es tritt schnell eine Toleranzbildung ein, wodurch die Dosis in Folge ständig erhöht werden muss, um den erwünschen Zustand zu erlangen. Der Reinheitsgehalt von Heroin schwankt auf dem Schwarzmarkt teilweise erheblich, die Gefahren gesundheitlicher Schädigungen bis zu lebensbedrohlichen Überdosierungen sind deshalb vergleichsweise hoch. Die Kriminalisierung des Gebrauchs und die vielfältigen psychosozialen Begleiterscheinungen führen oftmals in einen Prozess der Verelendung und des körperlichen Zerfalls. Der Lebensinhalt konzentriert sich dann nur noch auf die Beschaffung der Droge, um in das erstrebte Gefühl wieder einzutauchen und die Entzugssymptome zu vermeiden. Oftmals entwickelt sich dabei eine egozentrische Persönlichkeitsstruktur.
 
Den langfristigen Einfluss von Heroin auf die Sexualität beschreiben Junkies zumeist als negativ bis zerstörend. Gleichzeitig nutzen sie oftmals sexuelle Bilder zur Veranschaulichung der durch die Droge ausgelösten Gefühle. So lässt Irvine Welshin seinem Kultroman "Trainspotting" eine der Hauptfiguren erzählen, dass die Intensität der Gefühle selbst einen Orgasmus in den Schatten stellt. Heroin erscheint dabei wie eine Geliebte in einer rauschhaften Nacht: "Ich machte mich an meinen Schuss. Es dauerte ewig, bis ich ne gute Ader fand. Als der Hit einsetzte, genoss ich ihn zutiefst. Ali hatte Recht. Nimm deinen besten Orgasmus, nimm das Gefühl mal zwanzig und du bist noch immer meilenweit davon entfernt. Meine trockenen, knirschenden Knochen wurden vom zärtlichen Streicheln meiner wunderschönen Heldin Heroin weich und flüssig.”(48)
 
Ebenfalls mit sexuellen Bezügen, aber fernab eines derart verklärenden Enthusiasmus, beschreibt Andrea Dworkin den inneren und äußeren Verfall einer Süchtigen. "Sie sah dann so aus, wie andere Frauen aussehen, wenn sie niedergevögelt worden sind, sahnig und verschwollen. Es war die Nadel schließlich, die ihr dies schenkte: Sie selbst löste sich auf."(49)
 
Einzig in bestimmten niedrigen Dosierungen kann das angenehm umhüllende Grundgefühl in Verbindung mit der Sensibilisierung des gesamten Körpers zu einer Intensivierung von Berührungen führen. Die Empfindung scheint sich dann nicht länger auf den Punkt der Berührung zu konzentrieren, sondern breitet sich weit darüber hinaus. Die Entkrampfung des Körpers sowie das Ausschalten der umgebenden Welt ermöglicht ein Aufgehen im Rausch und gegebenenfalls auch in der sexuellen Lust. Allerdings ist im passiven Gefühl der Zufriedenheit und Entspannung die Lust auf den sexuellen Akt an sich meist kaum ausgeprägt. Vorrangig auf sich selbst bezogenen fällt es zudem schwer, angemessen auf den Partner oder die Partnerin einzugehen.
 
Bei einem regelmäßigen Gebrauch von Heroin stumpfen die Emotionen zunehmend ab. Sexuelle Bedürfnisse und Lustgefühle verschwinden unter der Schicht der Betäubung, die alle äußeren Reize wie auch die eigene Persönlichkeit verhüllt. "Ich habe mich manchmal gefragt, ob wir uns lieben sollten. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass wir kurz davor waren. Doch in unserem Verhältnis gab es wenig von dem, was man gewöhnlich Sexualität nennt. Heroin bewirkt, dass jeder körperlichen Begierde der Gedanke an Sex genommen wird."(50)
 
Die betäubenden Effekte von Heroin können bei moderatem Gebrauch dazu führen, dass es zu einer lang anhaltenden Erektion und einer Herauszögerung, unter Umständen aber auch zu einer völligen Verhinderung des Orgasmus kommt. Langfristig bewirkt die Droge jedoch zunehmend Erektionsprobleme oder gar Impotenz. "Ich kriege keinen Ständer mehr. Gestern habe ich gewichst und mir dabei Jerome vorgestellt, eine halbe Stunde lang habe ich meinen Schwanz bearbeitet, aber er ist weich geblieben. Das war das erste Mal, dass er weich blieb, sogar morgens beim Aufstehen. Auch nicht, wenn ich mir ’nen Druck setze, dann hatte ich früher gleich hinterher für fünf Minuten oder länger einen Ständer. Gestern Abend wollte ich’s dann wissen: vorbei. Das Heilmittel hat meinen Schwanz gefressen."(51)
 
Literarisch war es vor allem William S. Burroughs, der mit seinen eigenen Erfahrungen dem Innenleben von Heroin- und KokaingebraucherInnen Ausdruck verlieh, wobei paranoide Wahnvorstellungen und sexuelle Obsessionen teilweise fließend ineinander übergingen. Über die reine Beschreibung verschiedener Zustände hinaus fand er eine eigene, assoziative Sprache, die sich von Konventionen lossagte, und nutzte mit dem Cut-Up-Prinzip eine experimentelle Schreibmethode. "Seine feuchten Sackhaare werden im warmen Frühlingswind trocken wie Heu. Steiles Tal im Dschungel, Schlingpflanzen wuchern durchs Fenster. Johnny’s Schwanz schwillt an, große stinkende Knospen brechen auf. Eine lange Wurzel kriecht aus Mary’s Fotze und tastet sich in die Erde. Ihre Körper zerplatzen in grünen Explosionen. Die Hütte fällt in sich zusammen. Der Junge ist eine Statue aus Kalkstein, eine Pflanze sprießt aus seinem Schwanz, ein Hauch von einem Lächeln liegt auf seinen leicht geöffneten Lippen wie bei einem Junkie im Tran."(52)
 
In einem autobiographischen Text von Corinne Carey gleicht der gemeinsame Gebrauch einer Spritze dem rauschhaften Bekenntnis zur gemeinsamen Liebe, die in diesen Momenten stärker als der Tod erscheint, auch wenn sie ihm zugleich die Tür öffnet. In den Augenblicken der euphorisierten Drogenwirklichkeit entfaltete sich eine dunkle Romantik, die sich in ihr alptraumhaftes Gegenteil gewandt hätte, wäre das Ergebnis des folgenden HIV-Tests positiv gewesen. "Er beginnt über die Innenseite meines Armes zu streifen, um die Venen vorzubereiten und die Nadel anzusetzen. Ein Rausch von Zufriedenheit durchdringt mich, alles ist in Ordnung, ich liebe diesen Mann, ich bin bereit alles mit ihm zu teilen, sein Blut, mein Leben. Er küsst sanft meine Lippen, umschließt mich mit seiner Umarmung, und ich fliese … In stiller Dankbarkeit ziehe ich dann seine Hälfte auf, erwidere die Gunst. Die Bedeutung dessen was wir getan haben breitet sich in uns aus - doch mehr wie ein feierliches Gelübde als wie eine bedrückende Last … Rückblickend erscheint es mir wie zwei eng miteinander verbundene Ereignisse, die sich dennoch trennen lassen. Einerseits die tiefe Intimität des gemeinsamen Gebrauchs dieser Pumpe und des Austausches unseres Blutes. Daneben die Qual der darauf folgenden völlig angespannten und Angst erfüllten Wochen in denen wir auf die Ergebnisse der Tests warten mussten."(53)
 
Auch wenn in der Regel kein direkter kausaler Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch in der Kindheit und späterer Drogenabhängigkeit besteht, sind viele süchtige Frauen von entsprechenden Erfahrungen geprägt.(54) Der Missbrauch führt in ein Geflecht psychischer Problematiken, aus dem sich die Betroffenen zumeist nicht selbst befreien können. Gerade Heroin kann ihnen helfen, die emotionalen Folgen des Missbrauchs zu ertragen. Zwangsläufig führen derartige Prozesse langfristig gerade in Anbetracht der Prostitution vieler abhängiger Frauen zu einer Verschärfung und Verfestigung der Problematiken. Gleichzeitig bietet die Droge beziehungsweise die von ihr verstärkten Verdrängungsprozesse einen subjektiv empfundenen Schutz vor dem bestehenden inneren Schmerz und den in der Prostitution beständig wiederkehrenden Missbrauchssituationen. Das Heroin übernimmt dabei eine widerspruchsvolle Rolle, die ein ansonsten schmerzhaftes Erleben von bestimmten Emotionen und Situationen überhaupt erst möglich macht.
 
Im Gegensatz zu den siebziger Jahren spielt die Sexualität in der Therapie von ehemals Abhängigen inzwischen eine untergeordnete Rolle. Trotz der vielschichtigen Bedeutung wird in der Regel kaum auf die entsprechende sexuelle Biographie beziehungsweise die Entwicklung der Sexualität in der Zeit der Sucht eingegangen. Das 1967 unter anderem von ehemaligen Junkies gegründete Projekt Release verfolgte dagegen bis in die siebziger Jahre einen völlig anderen Ansatz, der den Prozess der Abhängigkeit in einen größeren Zusammenhang stellte. Thematisiert wurden notwendiger Weise gesellschaftliche wie individuelle Ursachen und dabei insbesondere auch die Rolle der Sexualität.
 
 
Die Realität Utopias
 
In seinem Roman »Eiland« beschrieb Aldous Huxley eine auf dem Prinzip der Gemeinschaftlichkeit aufgebaute Gesellschaft, die in Einklang mit der natürlichen Umwelt steht. Im Alltag besteht eine betont offene Haltung gegenüber der Sexualität, während im Rahmen bestimmter Rituale der Gebrauch der psychoaktiven Substanz Moksha eine besondere Rolle einnimmt. Diese wird unter Berücksichtigung der psychischen und physischen Risiken zur Entwicklung des Bewusstseins genutzt. Am Ende scheitert das gesellschaftliche Experiment an den Interessen multinationaler Konzerne. Zum Teil als naiv und weltfremd abgetan, erhält der 1962 erschiene Roman gerade in Zeitalter der neoliberalen Globalisierung eine bedrückende Aktualität. Aber auch als Vision einer anderen Welt trägt er zahlreiche konkrete Bezüge in sich. Zudem spiegelt er auf einer literarischen Ebene ein erweitertes Verständnis von erotischer Liebe und beschreibt die Möglichkeiten eines bewussten Gebrauchs psychoaktiver Substanzen. Unterschwellig geht es dabei immer wieder um den Prozess des Fließens auf einer persönlichen wie gesellschaftlichen Ebene.
 
Einen Gegenentwurf bildet Huxleys Dystopie "Schöne Neue Welt", in der er eine von scheinbarer Stabilität und Glück bestimmte zukünftige Welt beschreibt. Die materielle Grundversorgung ist abgesichert, vielfältige Unterhaltungs- und Konsummöglichkeiten sind frei verfügbar, erotische Bedürfnisse werden im Rahmen eines offenen Verhältnisses zur Sexualität befriedigt und nicht zuletzt sind Krankheiten sowie körperliche Alterungsprozesse überwunden. Die Weichen für das spätere Leben in Zufriedenheit werden schon vor der Geburt durch gentechnische Steuerungen gestellt. Zudem wird von staatlicher Seite mit Soma eine jederzeit erhältliche Substanz angeboten, die Glücksgefühle erzeugt und somit Konflikte schon im Ansatz auflöst. Soma ist dadurch im Gegensatz zu Moksha der Prototyp einer Pharmadroge, die Symptome behebt aber die eigentlichen Ursachen unangetastet lässt. Ohne körperliche Nebenwirkungen erzeugt Soma einen harmonisierten Zustand, der gleichzeitig der Ablenkung und Manipulation dient. Ein Hinterfragen der eigenen Persönlichkeit oder der gesellschaftlichen Strukturen findet im Zuge des Gebrauchs nicht mehr statt, während das Bedürfnis nach Tiefe und Entfaltung zugunsten einer oberflächlichen und letztlich entfremdeten Zufriedenheit aufgehoben wird.
 
"Eiland" und "Schöne Neue Welt" beschreiben pointiert Polaritäten, deren Bezug zu den Wirklichkeiten der Gegenwart weit über den literarischen Rahmen hinausgeht. Neben den Warnungen vor der Gleichschaltung von Bedürfnissen und Bewusstsein, sowohl in ihren ökonomischen und kulturellen wie in ganz individuellen Aspekten, setzen sich beide Romane mit der Bedeutung von Sinn und Tiefe in der modernen Welt auseinander. Das Erleben der Transzendenz im Sinne einer befreienden Überschreitung des auferlegten Bewusstseins gleicht vor dem Hintergrund entsprechender Fragestellungen einem Ausbruch aus den inneren Gefängnissen einer repressiven Gesellschaft. Fernab von den Mechanismen ständiger Selbstkontrolle kann dieser Ausbruch unabhängig von den auslösenden Mechanismen phasenweise in ein konkretes inneres Utopia führen.
 
Die Erfahrung der Transzendenz kann dabei den Ausgang für einen Prozess der Transformation bilden. Politik wird dann zu einer Sprache von Körper und Gefühlen, wie auch zum Ausdruck einer Öffnung und Entwicklung des Bewusstseins. Wechselwirkend schließt dies die kritische Reflexion gesellschaftlicher Bedingungen und ein am Ziel befreiender Veränderung ausgerichtetes soziales Engagement ein. Dieses Verständnis steht im deutlichen Gegensatz zu der in weiten gesellschaftlichen Bereichen vorgegebenen Haltung des Konsums, die eine aktive Entfaltung meist nur dann fördert, wenn sie wirtschaftlichen Interessen dient.
 
Im Schein oberflächlicher Glücksversprechungen verfangen ist eine hedonistische, vorrangig an Vergnügen, Unterhaltung und Rausch ausgerichtete Haltung, die in das weit verbreitete Bedürfnis nach dem Vergnügen ohne Ende mündet. Hinter den bunten Fassaden der Spaßgesellschaft verbirgt sich letztlich jedoch zumeist innere Leere und zwischenmenschliche Entfremdung. Gleichzeitig führt allerdings auch ein rein auf die persönliche Weiterentwicklung ausgerichtetes Selbstverständnis, welches die umgebenden Bedingungen ausklammert, genauso in eine Sackgasse, wie die Konzentration auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse, wenn nicht zugleich die verinnerlichte blockierende Strukturen in der eigenen Persönlichkeit in Frage gestellt werden.
 
Die Sexualität hat in diesem Rahmen zumindest das Potential Distanz und Entfremdung als Ausdruck sozialer Entfremdung zugunsten von Nähe und Tiefe aufzuheben. Einige der beschriebenen psychoaktiven Substanzen können unter Berücksichtigung zahlreicher Aspekte im günstigen Fall dazu beitragen die Türen zu den Räumen einer befreienden erotischen Ekstase zu öffnen, wobei jedoch jede Person selbst eintreten und den Raum ausfüllen muss. Dabei liegt es in einem wesentlichen Maße an der entsprechenden Person selbst welchen Weg sie einschlägt. Sie kann sich gleichermaßen für einen risikoreichen Konsum entscheiden bzw. sich längerfristig in die Gefahr einer Abhängigkeit von einer Substanz begeben oder diese ausgehend von einer reflektierten Haltung im Sinne einer Drogenmündigkeit für sich nutzen.
 
Gleichzeitig vollzieht sich weder der Konsum einer psychoaktiven Substanz noch eine erotische Begegnung in einem bezugslosen Raum, so intim der Vorgang auch sein mag. Die Erfahrung steht zwangsläufig immer auch in einem engen Zusammenhang mit den umgebenden Bedingungen und damit mit den gesellschaftlich bestimmten soziokulturellen Vorgaben. Deutlich wird dies im Zusammenhang mit dem Verbot des Gebrauchs psychoaktiver Substanzen genauso wie in der gesellschaftlich vorherrschenden Bewertung der Sexualität. Entsprechend wesentlich ist es, diese Faktoren nicht nur im Zusammenhang mit der persönlichen Erfahrung zu berücksichtigen, sondern auch zu den notwendigen Veränderungsprozessen selbst beizutragen.
 
Stigmatisiert werden bis in die Gegenwart befreiende, transzendente Bewusstseinszustände insbesondere in Kulturen in denen repressive religiöse Vorgaben oder vorrangig marktorientierte ökonomische Werte die wesentlichen gesellschaftlichen Bereiche bestimmen. Gerade in westlichen Gesellschaften ist mit letzterem eine oftmals falsch verstandene Rationalität verbunden, die zu einem Streben nach einer andauernden Kontrolle von sich selbst und anderen führt. Zwangsläufig damit verknüpft sind im Zuge der entsprechenden Blockierungen von notwendigen Entfaltungs- und Erfahrungsmöglichkeiten unterschwellige psychische Probleme und soziokulturelle Konflikte. Entsprechend liegt es an verschiedenen individuellen wie auch sozialen Faktoren, ob beispielsweise die aufbrechenden Erlebnisse einer vereinenden Sexualität und eines trancehaften Tanzes auf kurze Augenblicke beschränkt bleiben oder diese weitergehend zu einer weiterreichenden Veränderung beitragen können. Über die momenthafte Erfahrung eines derartigen inneren Fließens hinausgehend ist ein innerer Freiraum notwendig, der letztlich nur im Kontext entsprechender gesellschaftlicher Freiräume entfaltbar ist. In diesem Sinne offenbart sich die tatsächliche Tiefe der erfüllten Sehnsucht erst in der gelebten Konsequenz.
 
Ein grundlegender erster Schritt auf dem sinnbildlichen langen und hindernisreichen Weg zu einem Zustand des blockadefreien Fließens ist die Erkenntnis, dass es überhaupt möglich ist, sich einem derartigen Utopia anzunähern. Auch wenn dieses Utopia völlig verdrängt und unterdrückt erscheinen mag, so kann es in der vielschichtigen Wechselbeziehung zwischen persönlicher Entfaltung und gesellschaftlicher Veränderung zumindest ansatzweise auch über einen längeren Zeitraum hinweg zur Realität werden. Die symbolhaften Sterne sind dann erreichbar, wenn damit begonnen wird, Vision und Utopie in der Realität der Gegenwart zu verbinden.
 
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Anmerkungen:
(01) Vgl.: a) Erika Bourguignon (Ed.) / Religion - Altered States of Consciousness and Social Change. (1973);
b) Andrew Weil / The Natural Mind (1972).
(2) Titus Livius / Ab urbe condita. Ditzingen, 1991.
(3) Charles G. Leland (Hg.) / Aradia - Die Lehren der Hexen. München, 1988.
(4) Jim Morrison / The lords and the new creatures. New York, 1971.
(5) Aussage eines Alkohol-Gebrauchers im Gespräch mit dem Autor.
(6) Stepanie / Fließende Lust. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(7) Aus dem Song zum Werbespot für Bacardi-Rum (2002).
(8) Joyce Carol Oates / Easy Lay. Boston, 1996. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(9) Vgl. die Studien und Analysen des ”National Center On Addiction and Substance Abuse at Columbia University” unter www.casacolumbia.org.
(10) Charles Bukowski / Trouble mit einer Batterie. Augsburg, 1992. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(11) Robsie Richter / Der Kiosk am Fluss. Essen, 1995. (Siehe den Beitrag in diesem Buch)
(12) Hubert Selby / Letzte Ausfahrt Brooklyn. Reinbeck, 1968. (Siehe den Beitrag in diesem Buch)
(13) Alan Duff / Warriors. Zürich, 1995.
(14) Aussage eines Cannabis-Gebrauchers im Gespräch mit dem Autor.
(15) Aussage einer Cannabis-Gebraucherin im Gespräch mit dem Autor.
(16) Claudia Müller-Ebeling / Hanf und Lust. Breisach, 2001.
(17) Psychedelic Venus Church / Psychedelische Sex Mantras. Berkeley, 1969. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(18) Jane Gallion / Stoned. Hollywood, 1969.
(19) Virginie Despentes/ Baise-moi - Fick mich. Reinbeck bei Hamburg, 1998. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(20) Jolayne Marsh / Es liegt an Dir. Los Angeles, 2000. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(21) Aussage eine Ecstasy-Gebrauchers.
(22) Helmut Ahrens / Party, Party. Berlin 1995.
(23) Aussage eine Ecstasy-Gebrauchers.
(24) Megan / A Blink of Rabbit Fur. In Charles Hayes (Ed.) / Tripping. New York, 2000.
(25) Lucia Etxebarria / Von Liebe, Neugier, Prozac und Zweifeln. Frankfurt am Main, 1998. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(26) Oliver Chesler / One night in New York City. New York, 2001.
(27) Aussage eine LSD-Gebrauchers.
(28) Timothy Leary / She comes in colors. In: Timothy Leary / Politik der Ekstase. Markt Erlbach, 1997. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(29) Mary Sativa / Der Rauschtempel. Darmstadt, 1969. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(30) Vgl. Aldous Huxley / Die Pforten der Wahrnehmung. München, 1970.
(31) Adolf Dittrich, Christian Scharfetter / Phänomenologie außergewöhnlicher Bewusstseinszustände. In: Dittrich, Scharfetter (Hg.) / Ethnopsychiatrie. Stuttgart, 1987.
(32) Tiny Stricker / Die Berge. In: Tiny Stricker / Trip Generation. Gersthofen, 1970. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(33) HighFish-Kommune / Nähe und Ferne auf Acid. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(34) Jerry Rubin / Do it! München, 1977.
(35) Herbert Marcuse / Versuch über die Befreiung. Frankfurt am Main, 1984.
(36) Theo Rosenfeld / Die Grenzen der Unendlichkeit. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(37) David Jay Brown / Sacred Sexuality and the Psychedelic Experience. Ben Lomond, 2001.
(38) Keely Stahl / Die Angst vor dem Orgasmus. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(39) Aussage eines Kokain-Gebrauchers im Gespräch mit dem Autor.
(40) Konstantin Wecker / Uferlos. München, 1992. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(41) Felix K. / Gekauftes Fleisch. Hamburg, 2000. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(42) Aiden Shaw / Brutal. Köln, 1996.
(43) Lydia Lunch / Paradoxie. Bremen, 2000. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(44) Bret Easton Ellis / American Psycho. München, 1993. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(45) Aussage einer Crack-Gebraucherin.
(46) Ray Shell / Verreist. München, 1994. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(47) Aussage eines Heroin-Gebrauchers im Gespräch mit dem Autor.
(48) Irvine Welsh / Trainspotting. Hamburg, 1996.
(49) Andrea Dworkin / Eis und Feuer. Hamburg, 1991.
(50) Alexander Trocchi / Kains Buch. Berlin, 1999.
(51) Denis Belloc / Päckn. Freiburg, 1991. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(52) William S. Burroughs / Naked Lunch. Frankfurt / Main, 1978. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(53) Corinne Carey / Die gemeinsame Nadel. (Siehe den Beitrag in diesem Buch).
(54) Vgl. Sebastian A. Schmidt / Sexueller Kindesmissbrauch und Drogenabhängigkeit. Berlin, 2000.
 
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Aus: Wolfgang Sterneck (Hg.) / Erotika - Drogen und Sexualität. (2005).
Nachtschatten Verlag & KomistA, ISBN 3-928988-05-0.
www.sterneck.net / contact@sterneck.net