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Wolfgang Sterneck:
DIE PSYCHONAUTISCHE LANDKARTE
Vergleichbar mit einem Astronauten, der sich in die Weiten des Weltraums begibt, reist ein Psychonaut in die Tiefen der eigenen Psyche. Die imaginäre psychonautische Landkarte schließt dabei als Pole eines kaum zu überblickenden inneren Reiches beglückende Bereiche wie auch bedrohliche Abgründe mit ein. Während das Gebiet der alltäglichen Erfahrungen deutlich zu beschreiben und zumeist in weiten Zügen von klaren Strukturen durchzogen ist, erscheinen dagegen die Grenzbereiche, in denen die herkömmlichen Bewusstseinzustände verlassen werden, vielfach verschwommen und undurchdringbar.
Entsprechend sind auch die Wege, die in diese Randbereiche führen, keineswegs geradlinig und einfach zu beschreiten. Zumeist sind sie verschlungen, manche enden in einer Sackgasse, andere scheinen erst lange in ein Nichts zu führen, um dann vielleicht doch einmal an das ersehnte Ziel zu gelangen. Viele eröffnen sich erst durch die Erkenntnis, dass ihr Verlauf nicht etwa zu einem Ort der Außenwelt, sondern tief in das eigene Ich führt. Die Wege, die in dieses innere Reich führen, lassen sich durch verschiedene Praktiken eröffnen. Meditationen können dazu beitragen, genauso wie der trancehafte Tanz, extreme körperliche Erfahrungen, eine ekstatische Sexualität oder auch der Gebrauch psychoaktiver Substanzen wie Meskalin, Psilocybin und LSD in angemessenen Dosierungen.
Manche diese Wege eröffnen ihr eigentliches Potential erst ist einem rituellen Kontext, in anderen Situationen bedarf es keiner besonderen Technik, vielmehr entwickeln sich die Erfahrungen aus der psychischen Struktur der entsprechenden Person heraus. Mehrere Studien sprechen inzwischen von einem von einem übergreifenden menschlichen Grundbedürfnis nach Rausch, Ekstase und Transzendenz als Überschreitungen der im Alltag vorgegebenen Grenzen, wobei dieses Bedürfnis gerade in christlich geprägten Kulturkreisen bis heute vielfach unterdrückt wird.
Der Möglichkeit bereichernder oder gar befreiender Erfahrungen, steht jedoch ein vielfältiges psychisches Gefahrenpotential gegenüber. So können Erfahrungen außergewöhnlicher Zustände zu einer tiefen Verunsicherung führen, da das herkömmliche Weltbild grundlegend in Frage gestellt wird. Daneben bestehen in den Randbereichen der psychonautischen Landkarte als Ausdruck psychischer Probleme oder Erkrankungen vielfältige Bewusstseinsebenen in denen sich einzelne Personen unfreiwillig befinden, ohne sich daraus befreien zu können.
Die Außergewöhnlichkeit transzendenter Erfahrungen erzeugt zumeist das Bedürfnis diese umfassend zu verstehen und zu verarbeiten, teilweise auch auszudrücken und damit verbundene Inhalte weiterzutragen. Die Auseinandersetzung im Rahmen künstlerischer Ausdrucksformen kann eine Möglichkeit sein und wird als solche auch vielfach genutzt. Die Wiedergabe außergewöhnlicher Bewusstseinszustände in künstlerischen Ausdrucksformen ist dabei nicht immer als solche sofort zu erkennen, oftmals sind sie stark abstrahiert oder verschlüsselt dargestellt und nur über bestimmte Kodes zu verstehen.
In vielen indigenen Kulturen besteht eine lange Tradition der Wiedergabe transzendenter Bewusstseinszustände. Beispielhaft ist die Ayahuasca-inspirierte Kunst einiger Stämme des Amazonas, die Wahrnehmungen im Rahmen eines veränderten Bewusstseinszustandes bzw. Elemente einer andere Wirklichkeit wiedergibt, welche im Gegensatz zur Realität des Alltags als die eigentlich wahre verstanden wird. Die Prozesse der Aufarbeitung und Einordnung transzendenter Erfahrungen werden dabei in einen kollektiven Zusammenhang gestellt.
Soziokulturell begründet ist dagegen in der westlichen Moderne zumeist ein stark persönlich ausgeprägter Zugang vorherrschend. Entsprechend groß ist die Zahl der KünstlerInnen, die einen eigenen Zugang in die Randgebiete der psychonautischen Landkarte gefunden haben und sich ebenso individuell damit auseinandersetzen. Zum Teil verweigert sich ihr Werk auf Grund der Eigenständigkeit, oftmals aber auch auf Grund der in vielerlei Hinsicht schweren Zugänglichkeit einer Einordnung in gängige Kategorien. In einigen Fällen stehen vielmehr schon die jeweiligen Name der KünstlerInnen selbst für eine eigene Stilrichtung, sofern es überhaupt einer derartigen Definition bedarf. Bei einer genaueren Betrachtung wird dabei schnell deutlich, dass fernab der Vorgaben bürgerlicher Kunstvorstellungen und den Maßstäben des kommerziellen Kunstmarktes vielfältige eigenständige Ausdrucksformen bestehen.
In der jüngeren Kunstgeschichte lassen sich Ansätze der Auseinandersetzung mit außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen unter anderem im Surrealismus und seiner psychoanalytisch geprägten Auseinandersetzung mit dem Traum erkennen. Die Begriffe der Art Brut und in Teilbereichen auch der Outsider Art beziehen sich dagegen auf die Kunst von Menschen, die einen weitgehend ungefilterten Zugang auf ihr Unbewusstes haben, darunter insbesondere Menschen in bestimmten psychischen bzw. psychotischen Extremzuständen. Später näherten sich der Wiener Aktionismus wie auch die Industrial Culture unterdrückten Energien und damit oftmals den Abgründen psychischer Extremsituationen. Den zentralen Bezugspunkt der visionären Kunst bildet die Wiedergabe von mystischen transzendenten Erfahrungen, die allerdings vielfach religiös verklärt werden. Daneben beschreiben zahlreiche Kunstwerke, die im Umfeld des weiten Feldes der Cybertribe-Kultur entstanden sind, veränderte Wahrnehmungs- und Bewusstseinszustände mit zeitgemäßen digitalen graphischen Mitteln.
Die Darstellung von außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen, die durch den Gebrauch psychoaktiver Substanzen eröffnet werden, lassen sich bis zu steinzeitlichen Felsengemälden zurückverfolgen. Von einer psychedelischen Kunst wird insbesondere in Bezug auf die Entwicklungen in den späten sechziger Jahren gesprochen. Zu dem Spektrum der psychedelischen Erfahrungen gehören eine intensivierte sinnliche Wahrnehmung und ein direkter Zugang zum Unbewussten, sowie Gefühle des Glücks und der Verschmelzung, aber auch tiefe innere Irritationen bis hin zu psychotischen Zuständen. Dabei tragen psychedelische Substanzen jedoch im wesentlichen nichts von außen in eine Person hinein, sondern öffnen nur Türen in bereits bestehende innere Räume. Nachdem es im Zuge der Kriminalisierung vieler psychoaktiver Substanzen auch zu einer Stigmatisierung entsprechender Darstellungsformen kam, erlebte die psychedelisch-inspirierte Kunst insbesondere im Zuge der Psychedelic-Trance-Culture seit den neunziger Jahren ein Revival.
Keine psychische Erfahrung und selbstverständlich auch kein Übergang in einen außergewöhnlichen Bewusstseinszustand vollzieht sich in einem bezugslosen Raum, so persönlich der Vorgang auch sein mag. Die Erfahrung steht zwangsläufig immer auch in einem engen Zusammenhang mit den umgebenden Bedingungen und damit mit den gesellschaftlich bestimmten soziokulturellen Vorgaben. Besonders deutlich wird dies im Zusammenhang mit dem Verbot des Gebrauchs psychoaktiver Substanzen oder der Verdrängung von Praktiken, die in andere Bewusstseinszustände überleiten. Über die momenthafte Erfahrung hinausgehend ist ein innerer Freiraum notwendig, der letztlich nur im Kontext entsprechender gesellschaftlicher Freiräume entfaltbar ist. Stigmatisiert werden außergewöhnliche Bewusstseinszustände insbesondere in Kulturen in denen die ökonomischen Werte von Leistung, Konkurrenz und Profit nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche bestimmen. Eine überzogene Rationalität und das Streben nach ständiger Selbstkontrolle verschließen den Zugang zu einem Zustand der Transzendenz und ein wirkliches Verständnis des Potentials veränderter Wahrnehmungsebenen. Zwangsläufig damit verbunden sind unterschwellige psychische Probleme und soziokulturelle Konflikte.
Die individuelle Motivation für den gezielten Übergang in einen transzendenten Bewusstseinszustand und damit für eine psychonautische Reise kann sehr unterschiedlich sein. Verbindend ist vielfach auf einer unterschwelligen Ebene die Suche nach dem inneren konkreten Utopia als einem Ort auf der psychonautischen Landkarte, der losgelöst von äußeren repressiven Strukturen und inneren emotionalen Blockaden ein Gefühl des Fließens eröffnet. Ein grundlegender erster Schritt auf dem langen Weg ist die vielfach verdrängte und unterdrückte Erkenntnis, dass es möglich ist, sich diesem Utopia in der Wechselbeziehung zwischen persönlicher Praxis und gesellschaftlicher Veränderung zumindest anzunähern. Die Sterne werden in diesem Sinne dann erreichbar, wenn es gelingt Vision und Realität zu verbinden.
Wolfgang Sterneck
w.sterneck@sterneck.net
www.moksha-research.org
Literatur:
Claude Steiner & Radovan Hirsel (Hg.) / Psychonautische Landkarte.
Wolfgang Sterneck (Hg.) / Psychedelika.
Psychonautic Art:
www.psychonautic-art.ch
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