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Umweltschutz von Unten:
PERSPEKTIVEN EINES RADIKALEN EMANZIPATORISCHEN UMWELTSCHUTZES
Große Teile des Natur- und Umweltschutzes sind immer Verfechter
eines starken Staates gewesen. Die Menschen, seien es die BürgerInnen
im allgemeinen oder Hausfrauen und -Männer, NaturnutzerInnen
usw. im speziellen, sind immer nur die Dummen; die, die per Gesetz
oder Umweltbildung zu etwas zu bringen sind, was sich "oben"
irgendwelche Mächtigen ausgedacht haben. Immer wieder fordern
NaturschützerInnen härtere Strafen oder Polizeieinsatz
gegen UmweltzerstörerInnen. International heben die Machtvisionen
der NaturschutzstrategInnen in wilde Phantasien von Grünhelm-
Kampfeinsätzen, Schuldenerlaß gegen Umweltschutz usw.
ab. Ob Schutzgebiete, Agenda oder die Studie "Zukunftsfähiges
Deutschland" - überall ist die Herrschaftsfrage ausgeklammert
(im Film "Zukunftsfähiges Deutschland" darf Ernst-Ulrich
von Weizsäcker sogar für die Monarchie werben: "Die
heutige Demokratie tut sich schwer mit einer Legitimierung für
Langfristanliegen. Das war in religiösen Gesellschaften viel
einfacher, das war selbst in der Monarchie einfacher"). Das
"Oben" und "Unten" soll unangetastet bleiben,
nur daß die NaturschutzfunktionärInnen gerne oben dabei
wären. Statt vor Ort um gemeinsame Regelungen zu ringen oder
auch gegen Machtmißbrauch (wozu auch die Umweltzerstörung
gehört!) zu kämpfen, fühlen sie sich an runden Tischen
in erlauchter Atmosphäre wohler. Sie hoffen, die Mächtigen
für ihre Anliegen zu gewinnen, damit dann über deren Machtapparate
die eigene Idee umgesetzt wird.
Der Naturschutz hat zudem eine düstere Vergangenheit. Seine
Instrumentarien stammen aus dem Kaiserreich oder der Nazizeit (z.B.
die "moderne Naturschutzgesetzgebung"). Verändert
wurde wenig. Emanzipatorische, d.h. die Mit- und Selbstbestimmung
fördernde, Instrumente fehlen im Naturschutz fast ganz. Die
betroffenen BürgerInnen bleiben außen vor, es ist mehr
ein "Deal" zwischen zwei Mächtigen, der Obrigkeit
und dem/der EigentümerIn der Fläche. Es wäre klug
und, eben wegen der dunklen Vergangenheit, gerecht, wenn gerade
der Natur- und Umweltschutz zu einem Vorreiter einer veränderten
Strategie würde, in der die bisherige Logik politischer Entscheidungen
auf den Kopf gestellt wird.
Umweltschutz als Kampf gegen Ausbeutungsstrukturen
Es gibt keine Alternative dazu, den Umweltschutz als Teil einer
die Gesellschaft insgesamt verändernden Bewegung zu begreifen.
Es sind die gleichen Mechanismen und Strukturen, welche die Natur
(Tiere, Pflanzen, unbelebte Teile der Umwelt) ausbeuten und welche
Menschen unterdrücken, ausbeuten, ausgrenzen und für die
Sache des Kapitals (als verbreitetste Machtform) bzw. anderer Mächtiger
zu instrumentalisieren versuchen. Es wäre unsolidarisch, die
eigenen Ziele mit genau denen erreichen zu wollen, die die Probleme
der anderen schaffen. Aber es ist auch unsinnig, denn die Ausbeutung
der Umwelt ist eine der real existierenden Ausbeutungsstrukturen.
UmweltschützerInnen können sich entscheiden, ob sie einen
Umweltschutz "von oben" oder "von unten" wollen.
Der Weg "von unten" ist grundlegend anders als die aktuellen
Strategien. Ziel ist hier der Abbau von Herrschaftsstrukturen. Nicht
zu verwechseln ist das mit der Strategie, die VerbraucherInnen als
Zielgruppe zu begreifen und ihn ihrem Verhalten die Lösung
der Umweltprobleme zu sehen. "Unten" ist nicht Zielgruppe,
sondern dort sind die AkteurInnen. "Unten" muß nicht
belehrt oder gar gezwungen werden, sondern entscheidet selbstbestimmt.
Umweltschutz geschieht dann nicht automatisch (genausowenig, wie
Umweltschutz in Parlamenten gesichert berücksichtigt wird -
die Politik des letzten Jahrzehnts zeigt eher das Gegenteil!), sondern
aus der Willensentscheidung der Menschen heraus, die allerdings
auch die eigene Verantwortung tragen und keine Machtmittel einsetzen
können, um z.B. Umweltbelastungen in andere Regionen und damit
zu anderen Menschen zu verschieben. Es spricht vieles dafür,
daß selbstbestimmt lebende Menschen, deren Umwelt gleichzeitig
ihre Lebensgrundlage darstellt, mit dieser anders umgehen wie Menschen
z.B. in Parlamenten, die Entscheidungen treffen, aber von den Konsequenzen
in der Regel nie berührt werden.
Für einen erfolgreichen Umweltschutz selbst sowie deshalb,
weil die Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse zwischen
Menschen den UmweltschützerInnen nicht gleichgültig sein
dürfen, ist es notwendig, einen Umweltschutz von unten, einen
die Menschen befreienden, Herrschaftsstrukturen abbauenden, d.h.
emanzipatorischen Umweltschutz zu entwickeln. Beispiele:
- Dezentralisierung statt EU und Weltregierung
Zur Zeit stellen viele Umweltschutzorganisationen hohe Forderungen
an die EU, z.T. auch an die UNO, und erwarten von dieser die Durchsetzung
von Umweltschutzstandards. Abgesehen davon, daß auf diesen
Ebenen Umweltschutzinteressen besonders schwach sind, widersprechen
solche Forderungen auch emanzipatorischen Zielen. Danach müßte
eher eine Dezentralisierung politischer Entscheidungsbefugnisse
und die Stärkung direkter Demokratie eingefordert werden.
- Demokratisierung statt ökologischer Steuerreform
Die Ökosteuer soll den Verbrauch in der Idealform den Rohstoff-
und Flächenverbrauch, in der z.Zt. geforderten Variante nur
Teile des Energieverbrauches über eine Verteuerung reduzieren.
Dabei bedient sie sich allerdings marktwirtschaftlicher Mittel,
d.h. in Zukunft entscheidet die Finanzkraft der Unternehmen und
sonstigen EnergieverbraucherInnen, wer wieviel Energie verbrauchen
bzw. durch Investitionen in neue Technik Vorteile erreichen kann.
Der Einfluß der Menschen wird geschwächt. Gegenmodell
wäre eine Demokratisierung des Rohstoff- und Flächenverbrauches
weltweit, d.h. in Zukunft müßten die jeweils betroffenen
Menschen in einer Region allen Nutzungen von Flächen und Rohstoffen
zustimmen.
- Verträge statt Verordnungen
Wo die Menschen bzw. der Staat die UmweltnutzerInnen zu umweltgerechter
Bewirtschaftung bringen will, gelten bislang bevorzugt Verordnungen,
Grenzwerte - und die meist in für den Umweltschutz untauglicher
Form. Künftig werden diese durch freiwillige Vereinbarungen
abgelöst, z.B. durch Verträge, in denen NutzerInnen (z.B.
LandwirtInnen) Flächen und Rohstoffe naturverträglich
nutzen, dafür aber Gegenleistungen erhalten. Das können
Fördergelder von Seiten des Staates (Vertagsnaturschutz) oder
Abnahmegarantien der Menschen in einem Dorf, einer Stadt oder Region
(ErzeugerInnen-VerbraucherInnen-Gemeinschaften) sein.
- Direkte Demokratie statt NGOs
Viele Umweltorganisationen fordern vor allem für sich selbst
bzw. die Nichtregierungsorganisationen im allgemeinen mehr Rechte
sein - bis hin zu einer dritten Kammer neben Bundestag und Bundesrat
oder gar die Idee des ökologischen Rates, eines demokratisch
nicht legimierten, nicht abwählbaren Exekutivrates aus Persönlichkeiten
des Umweltschutzes. Ihr Interesse gilt nicht dem Machtabbau, sondern
der Beteiligung an der Macht. Stattdessen sollte die Verbesserung
der allgemeinen Beteiligungsrechte und der direkten Demokratie gefordert
werden. Umweltschutzorganisationen sollten ihre Rolle darin finden,
die Artikulierung bzw. den Protest der Menschen zu organisieren,
Informationen bereitzustellen usw.Umweltschutz als Teil einer Gesamtbewegung
Umweltschutz ist unverzichtbarer Bestandteil einer herrschaftsfreien
Gesellschaft, denn diese ist nicht organisierbar in einer zerstörten
Umwelt, in der die Menschen nicht mehr aus eigener Kraft überleben
können. Zudem wäre eine Gesellschaft nicht herrschaftsfrei,
wenn sie nur in sich gleichberechtigt ist, nach außen (gegenüber
Tieren, Pflanzen und unbelebter Natur) aber ausbeutet.
Damit Umweltschutz zum Teil einer emanzipatorischen Bewegung wird,
sind drei Prozesse wichtig. Zum einen müssen UmweltschützerInnen
den Zusammenhang zwischen ökologischen und emanzipatorischen
Zielen verstehen, neue Strategien und Forderungen eines emanzipatorischen
Umweltschutzes entwerfen und den Kontakt zu anderen gesellschaftlichen
Bewegungen suchen bzw. gemeinsame Aktionsformen entwickeln und umsetzen.
Hierbei werden Spaltungen und deutliche Distanzierungen gegenüber
Forderungen und Positionen eines Umweltschutzes von oben sowie der
Unterstützung von Machtstrukturen unvermeidlich sein.
Zum zweiten ist erforderlich, daß es vergleichbare Prozesse
auch in anderen Bewegungen gibt. Genauso wie in der Umweltbewegung
setzen auch entwicklungspolitische, Frauen- und andere Gruppen,
Gewerkschaften und soziale Verbände vor allem für Lösungen
ein, in denen der Staat mit seinen Machtmitteln agiert. Beispiele:
- Internationale Frauenmärsche 1999
In den Forderungen wurde eine Weltregierung gefordert mit Machtmitteln
sowohl gegenüber den einzelnen Staaten und allen Menschen der
Erde, in der zur Häfte Frauen sitzen, die mit der Gewaltanwendung
Fraueninteressen durchsetzen.
-Forderungspapier zum Weltwirtschaftsgipfel 1999 in Köln
Das Papier zu einer Aktion, die sich gegen die Mächtigen dieser
Welt richten und für die Widerstandsbewegungen vor allem in
den ärmeren Ländern eintreten soll, enthält die Forderungen,
daß sich die Politik nach "der Mehrheit der Menschheit"
richten und eine "neue Weltwirtschaftsordnung" geschaffen
werden soll.
- Kreditfonds nach dem Plan der Erlaßjahr-2000-Kampagne
Die Forderungen der Kampagne für einen Schuldenerlaß
der Entwicklungsländer im Jahr 2000 enthält den Vorschlag
zur Einrichtung von Kreditfonds in den armen Ländern, die aus
den nicht rückgezahlten Schulden gespeist werden sollen. Die
Kredite sollen nach der Darstellung in der Erlaßjahr-Ausstellung
an KleinbäuerInnen, Frauenprojekte usw. vergeben werden. Der
Fonds wird von Regierungs- und NGO-VertreterInnen verwaltet. So
würde die Schuldenkrise verschärft, weil nicht mehr die
Staaten, sondern die einzelnen Menschen in die Verschuldung getrieben
würden. Die NGOs dagegen sichern sich ihre Macht über
die Beteiligung an der Kreditvergabe. Schuldenerlaß für
Umweltschutzmaßnahmen Verschiedene Organisationen, z.B. der
WWF, aber auch Regierungsstellen schlagen vor, den Schuldenerlaß
für Entwicklungsländer daran zu koppeln, daß die
Länder ihre Umwelt schützen. Dabei fordern sie, mit in
den Entscheidungsgremien über diese "Debt for Nature Swaps" eingebunden, d.h. an der Macht beteiligt zu sein.
Zum dritten bedarf es einer Akzeptanz des emanzipatorischen Umweltschutzes
in einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung. Zur Zeit werden ökologische
Ideen und Forderungen in anderen Bewegungen als konservatives Gedankengut
oder nebensächlich abgetan. Hier müssen UmweltschützerInnen
um eine Offenheit einer Selbstbestimmung fördernden Stragegie
ihrer Arbeit werben bzw. diese einfordern. Die Bewegungen außerhalb
des Umweltschutzes sind aufgerufen, Umweltschutz als Teil einer
emanzipatorischen Arbeit zu begreifen.
www.thur.de/philo/uvu/uvu.html
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