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Michael Friedrich:
WER VERDIENT AN DER ZERSTÖRUNG VON LEBENSRÄUMEN VON
MENSCH UND NATUR ?
- DER KAHLSCHLAG AN DEN REGENWÄLDERN -
Am 5. April 1998 wurden 18 Aktivistinnen und Aktivisten der Umweltschutzorganisation
Greenpeace zu Bewährungsstrafen verurteilt, eine Aktivistin
muß sogar für drei Wochen ins Gefängnis. Ihr "Verbrechen":
Gemeinsam mit den Nuxalk-Indiandern aus dem kanadischen Gebiet British
Columbia haben sie gegen den dramatischen Kahlschlag in Kanadas
Regenwäldern protestiert.
Über die Hälfte der gemäßigten Regenwälder
der Welt sind bereits zerstört. Mehr als ein Viertel des verbleibenden
Bestandes befindet sich an der Westküste Kanadas, in British
Columbia. Dieser Regenwald bedeckt nur etwa 1,2 Prozent der Gesamtfläche
des Landes. Nur in Rußland, Brasilien und Kanada ist noch
bedeutende Bewaldung zu finden. Ebenfalls bedroht sind die gemäßigten
Regenwälder Neuseelands, Tasmaniens und Chiles. In Norwegen,
Schottland, Irland und der Türkei sind sie bereits abgeholzt.
- WARUM KAHLSCHLAG? -
Kahlschlag ist ein kommerzielles Verfahren der Holzgewinnung, bei
dem der gesamte Bestand eines Waldgebietes flächendeckend gerodet
wird. Danach gehen die Arbeiter dazu über, wenige Sorten -
oft nur eine - Setzlinge zu pflanzen. Untersuchungen belegen, daß
97 Prozent der gesamten Holzgewinnung weltweit durch Kahlschlag
in den Regenwäldern erfolgt.
Von den 335 ursprünglich vorhandenen Waldtälern an der
Westküste Kanadas sind nur noch 69 intakt. Aber auch sie sollen
in den nächsten zehn Jahren ausgebeutet und zum größten
Teil abgeholzt werden. Die kanadische Firma Western Forest Products
hat bereits damit begonnen, eine Zufahrtsstraße nach Ingram
Lake zu bauen, um einen weiteren bisher unberührten Regenwald
mit der Größe von zwei Millionen Hektar zu vernichten.
Vor den dort lebenden Menschen, unter anderem die Indianer des Nuxalk-Stammes,
machen sie nicht halt. Die Menschen werden einfach zwangsumgesiedelt.
- DER "GREAT BEAR"-REGENWALD -
In British Columbia an der Westküste Kanadas liegt ein schmales
Gebiet, das aus gemäßigtem Regenwald besteht, der "Great
Bear"-Regenwald. Dieser Jahrtausende alte Wald bietet einer
Vielzahl verschiedener Pflanzen-, Vögel- und Tierarten eine
üppige Heimat. Dort sind 1 000 Jahre alte Zedern und bis zu
100 Meter hohe Sitka-Fichten zu finden. Die Flüsse, die sich
durch das Gebiet schlängeln, sind reich an Lachsvorkommen und
bieten somit Tieren wie Orca-Walen, Adlern sowie Grizzlys und Schwarzbären
Nahrung. Etwa 50 Prozent der Bären Kanadas sind in dieser Region
heimisch. Und nur hier leben die schneeweißen Kermodebären,
auch Spiritbären genannt.
British Columbia macht von seiner Fläche etwa zehn Prozent
der Gesamtfläche Kanadas aus, doch leben dort 74 Prozent der
heimischen Tier- und Pflanzenarten, viele sind dem Menschen noch
gar nicht bekannt.
Das Ausmaß des Kahlschlags in British Columbia wird schon
jetzt immer deutlicher: 764 Lachsschwärme sind bereits ausgestorben.
83 Prozent der Flüsse, die sich durch die Provinz ziehen, haben
keine Uferböschung mehr. Das Abholzen bis an die Ufer der Flüsse
und Bäche ist zwar offiziell verboten, wird aber kaum kontrolliert.
Der ungeschützte Boden rutscht ab, trübt das Wasser und
zerstört so den Lebensraum der Lachse. Weniger als sechs Prozent
der Urwälder stehen unter dem Schutz der Regierung. Ein Artenschutzgesetz
gibt es nicht in Kanada.
- DIE PROFITEURE DES KAHLSCHLAGS -
Die kanadischen Konzerne Interfor und Doman Industries, eine Tochtergesellschaft
der Western Forest Products, zählen zu den schlimmsten Umweltzerstörern
im British Columbia. Vor kurzem vereinbarten Manager von Interfor
und des finnischen Papierkonzerns Enso eine engere Zusammenarbeit
sowie das gemeinsame Angebot ihrer Produktpalette. Damit haben sich
der größte Raubbaukonzern Kanadas und der größte
Papierhersteller Europas zusammengetan.
Weiterhin am Kahlschlag beteiligt sind die Firmen Mac Millan Bloedel,
West Fraser, Timber West und Avenor/PFP. Alle diese Firmen sind
hauptsächlich Papierhersteller und Lieferanten für die
Möbelindustrie und Zellstoffverbraucher.
- DIE ABNEHMER -
Die Hauptabnehmer für Kahlschlagholz aus Kanada sind die USA,
die 48 Prozent des kanadischen Exportes für sich beanspruchen
sowie Japan (13 Prozent). Deutschland ist weltweit der drittgrößte
und Europas größter Abnehmer von Holz und Zellstoff aus
British Columbia. 1996 entfielen 70 Prozent des deutschen Handels
mit dieser Region auf Zellstoff. Mit 492 Millionen kanadischen Dollar
steht Deutschland damit an der Spitze, gefolgt von Italien (254
Millionen Dollar), Belgien (127 Millionen Dollar) und Frankreich
mit 88 Millionen Dollar.
Holz und Zellstoff werden vor allem an die Firmen HomeDepot (USA),
Celanese (USA) und Clariant (Deutschland) geliefert. Celanese und
Clariant sind Ableger des deutschen Chemiemultis Hoechst. Clariant
bezieht ein Drittel der 30 000 Tonnen Zellstoff , die der Konzern
jährlich verarbeitet, von Western Forest Products. Die Firma
stellt daraus hauptsächlich Tapetenkleister, Zahnpasta und
Kosmetikartikel her. Weitere deutsche Großabnehmer des Zellstoffs
sind die großen Papierhersteller Stora, Haindl und MD-Papier.
- PAPIERHUNGER -
An jedem Tag, so rechnet der Kopiergerätehersteller Xerox
aus, werden in europäischen Büros 3,5 Milliarden Papierseiten
beschrieben, 800 Millionen Computerausdrucke aus den Druckern genommen,
wird 300 Millionen mal "eben was kopiert", werden 100
Millionen Briefe verfaßt. Würde diese Menge in Aktenordnern
abgelegt werden, so ergebe sich eine Höhe von 350 Kilometern.
Der Konzern sprach 1990 davon, bis zum Jahre 1995 werde bei Computerausdrucken
ein Zuwachs von 250 Prozent erreicht werden. Der Fotokopien-Berg
solle im gleichen Zeitraum von 140 Milliarden auf 160 Milliarden
anwachsen (Quelle: "Greenpeace-Argumente: Papier").
- PAPIER IN DEUTSCHLAND -
"Die deutsche Zellstoff- und Papierindustrie verwertet die
bei der Waldpflege (Durchforstung) anfallenden Hölzer, für
die es kaum andere Abnehmer gibt. Sie leistet damit einen wertvollen,
ja: entscheidenden Beitrag zur Erhaltung des gesunden Waldes".
Diese Aussage stammt vom "Verband Deutscher Papierfabriken,
VDP) in seiner Broschüre "Der Wald". Wahrheit und
Lüge liegen dicht beieinander: Zwar verwendet die Zellstoffindustrie
sogenanntes Durchforstungsholz. Doch 80 Prozent der Holzfasern,
die im deutschen Papier stecken, kommen aus dem Ausland: aus Skandinavien,
Rußland, Südamerika, USA und Kanada.
"Der Wald" weiter: "Unzerstörte Natur? Wer
darin Ruhe und Erholung sucht, wäre enttäuscht. Ein undurchdringliches
Gewirr von umgestürzten Bäumen, Sträuchern und gefährlichen,
morschen Stämmen würde den Wanderer abschrecken. Was wir
heute brauchen, ist ein gepflegter Wald". Im Klartext heißt
das: einen Normwald, in Reih und Glied stehende Einheitsfichten
und kein "gefährlicher, morscher Stamm" weit und
breit. Doch genau in diesem "undurchdringlichem Gewirr"
leben die meisten Tier- und Pflanzenarten, die auf die Nährstoffe
der faulenden Hölzer angewiesen sind.
- BOYKOTT UND STORNIERUNGEN -
In der letzten Zeit machte die Umweltschutzorganisation Greenpeace
wieder mit vielen Aktionen auf die Vernichtung der Regenwälder
aufmerksam. Vor dem Hoechst-Werkstor in Frankfurt ketteten sich
Aktivisten an, sie entrollten eine Banner mit der Aufschrift "Hoechst-Clariant
- geschlossen wegen Urwaldzerstörung". Im schottischen
Glasgow wurde ein Holzfrachter besetzt. Im Hafen von Brake bei Bremerhaven
verhinderten die Umweltschützer das Einlaufen des kanadischen
Frachters "Saga Wind", der 1 200 Tonnen Zellstoff gelagert
hat.
Aufgrund der weltweiten Proteste von Umweltschützern haben
sich wenige Konzerne und Firmen bereit erklärt, auf Holz aus
den Kahlschlaggebieten zu verzichten. Aufträge an die Western
Forest Products wurden storniert. Nach Angaben von Greenpeace verzeichnet
dieser Konzern Verluste in zweistelliger Millionenhöhe. Doch
Kunden gibt es noch genug. Eine ganze Reihe von Unternehmen hat
erklärt, auf dieses Holz nicht zu verzichten.
- NICHT NUR KANADA -
Doch nicht nur in Kanada nimmt die Vernichtung der Regenwälder
unvorstellbare Ausmaße an. Die monatelangen Brandrodungen
in Indonesien, die den Smog massiv begünstigen, halten weiter
an. Großgrundbesitzer, Konzerne aber auch Kleinbauern dringen
immer weiter in die unberührte Wildnis vor. Die indonesische
Regierung fördert diese fatale Entwicklung auch noch mit einem
"Umsiedlungsprogramm". Bis zur Jahrtausendwende sollen
etwa 65 Millionen Menschen aus dicht bevölkerten Gebieten in
die Regenwaldgebiete Sumatras, Borneos, Sulawesi und West-Neu-Guinea
umgesiedelt werden. Seit Ende der 70er Jahre sind mehr als 40 000
Quadratkilometer Regenwald vernichtet worden.
In Brasilien gilt der Wald gar als Feind der Menschen. In den Seifenopern,
die im Fernsehen laufen, kommen "die Primitiven" immer
aus dem Wald. Für ein Stück intakten Regenwald muß
ein Besitzer mehr Steuern bezahlen als für karges Land. Für
die Abholzung erhält der Besitzer gar Subventionen. Der Ausverkauf
der Region hat längst einen traurigen Höhepunkt überschritten.
So kaufte beispielsweise die malaysische Holzkompanie WTK 300 000
Hektar Regenwald, zu einem Preis von acht Dollar pro Hektar.
Großgrundbesitzer und Sägewerke schlagen kilometerlange
Schneisen in die Wälder und zerstören so die Lebensgrundlage
von Millionen Kleinstlebewesen. Die gefällten Bäume werden
getrocknet und später verbrannt. Die Asche dient dann als Dünger
für den gerodeten Boden. Aber nach zwei Jahren Landwirtschaft
oder fünf Jahren Viehhaltung ist der Boden restlos ausgebeutet.
Im Gegensatz zu den nordischen Wäldern, wo es eine dicke Humusschicht
gibt, gleicht der Boden der tropischen Regenwälder eher einer
Steppe. Im Januar 1997 gab die brasilianische Regierung stolz bekannt,
daß bis dato durch Rodung 470 000 Quadratkilometer Regenwald
abgeholzt worden sind.
- VERLUST DER VIELFALT -
Die logische Konsequenz des Kahlschlags in den Regenwäldern
ist der Verlust der biologischen Vielfalt. Jedes Jahr verschwinden
Tausende von Tier- und Pflanzenarten von der Erde, viele davon konnten
nie erforscht werden. Sie sind unwiederbringlich verloren. Rückgängig
kann der Mensch seine fatalen Fehler nicht mehr machen.
Die Wälder tragen entscheidend zur Stabilisierung der Lebensgrundlage
auf der Erde bei. Sie speichern Wasser und Nährstoffe, vor
allem aber Kohlenstoff. Holz und Rinde sind zu 50 Prozent aus diesem
chemischen Element aufgebaut. Kohlenstoff wird durch die Abholzung
und Brandrodung in Form von Kohlendioxid freigesetzt, ein Gas, das
maßgeblich zur Erderwärmung beiträgt. Allein im
Herbst 1997, als der indonesische Regenwald in Flammen stand, wurde
ebensoviel Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen, wie in
Westeuropa durch das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle.
Das Gewächshausklima der Tropen ist zudem ein "Brutkasten"
der Evolution. Mehr als 500 Baumarten gedeihen auf einem Hektar
Regenwald, in allen europäischen Wäldern sind es zehnmal
weniger. Allein in Südamerika leben 20 Prozent aller bekannten
Vogelarten und 1 500 verschiedene Spezies von Süßwasserfischen.
Auch die Ureinwohner sind auf den Wald angewiesen. Die Indianerstämme
in Nordamerika, die von Jagd und Fischfang leben, sind akut gefährdet,
ihre gesamte Kultur droht unterzugehen. Manche dieser Völker
leben nach Angaben von Archäologen seit 9 000 Jahren in den
Regenwäldern. 44 von 68 Sprachen, die es zur Zeit der Kolonialisierung
gegeben hat, sind praktisch verschwunden.
- MEHR BEWUSSTSEIN IST GEFORDERT -
Leider werden die Proteste gegen die Abholzung der Regenwälder
meist von wenigen Umweltschutzorganisationen getragen. Der Regenwald
ist weit weg, so denken viele Menschen. Die Konzerne, die sich des
Verbrechens an der Natur schuldig machen, werden es schon nicht
zulassen, daß es eines Tages zu einem Klimakollaps kommt,
diese irre Ansicht wird von den meisten Menschen vertreten. Wenn
nicht bald der Kahlschlag der Wälder gestoppt wird, werden
alle Menschen an den Folgen zu leiden haben. Genutzt hat der Raubbau
nur den Profitinteressen des Kapitals.
Michael Friedrichs Politische Homepage
Dank an Michael Friedrich für die Erlaubnis den Text im Archiv Sterneck.net zu veröffentlichen.
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