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KRIEG GEGEN DIE UNGERECHTIGKEIT
Gerd Meuer im Gespräch mit Nobelpreisträger Wole Soyinka
(2002).
Gerd Meuer:
Du erinnerst dich: fünf Tage vor dem 11. September sind wir zusammen
in Düsseldorf aufgetreten. Dann hast du versucht, in die USA
zu fliegen, und da hat dich der 11. September im Flugzeug über
dem Atlantik eingeholt und dann sind wir genau fünf
Tage nach dem Ereignis im WDR in Köln aufgetreten. In deinem
Vortrag in Düsseldorf hattest du gesagt, wenn ich dich zitieren
darf, die brutalste Manifestation von Macht heutzutage ist ohne
Zweifel die theokratische Form der Machtausübung, die sich manchmal
auf die lächerlichste Art und Weise manifestiert, wie etwa der
Pulverisierung der Bhudda-Statuen in Afghanistan. Dies darf jedoch
nicht unsere Aufmerksamkeit dafür verwischen, dass die Opfer
des Terrorismus in vörderster Linie greifbare, lebende Wesen
sind. Natürlich nimmt der Fundamentalismus vielerlei Gestalt
an, und er kann in allen Religionen und Sekten angetroffen werden.
Nun möchte ich gerne dieses Zitat verwenden ... und zwar jene
Passage, in der du von der Pulverisierung der Statuen
sprichst ... und dann haben wir also nur wenige Tage später die
Pulverisierung der Twin Towers in New York erlebt... Was
empfindet man, wenn man sich so gleichsam als Prophet vorkommen muß?
Wole Soyinka: (lacht)
Nun ich nenne das nicht Prophet sein. Ich würde eher
sagen, dass ich die Zeichen der Zeit richtig lese. Und zwar schon
viele, viele Jahre zuvor, lange Zeit vor diesem 11. September des
letzten Jahres, jenem Datum, das für viele Menschen zu einer
Wasserscheide zu werden scheint. Und selbst bevor die FATWA gegen
Salman Rushdie ausgesprochen wurde, habe ich bei einem Treffen von
Nobelpreisträgern, das vom damaligen Präsidenten Mitterand
ausgerichtet wurde,kategorisch ausgesagt, dass der religiöse
Fundamentalismus, der Extremismus sich zum größten Problem
der kommenden Jahrzehnte entwickeln werde.
Und wenn ich davon spreche, die Zeichen der Zeit richtig zu
lesen, dann hat das damit zu tun, dass ich die Ereignisse holistisch
zu sehen pflege. Ich sprach damals nach dem Zusammenbruch der kommunistischen
Welt, und ich stellte einfach fest, dass es im menschlichen Zusammenleben
nun mal diese Tendenz gibt, den hegemonistischen Raum, der einst existierte
und der jetzt leer ist, zu füllen. Und unter allen Wettbewerbern
für diesen Raum wollte mir der religiöse Extremismus als
der wahrscheinlichste und offensichtlichste erscheinen. Mehr habe
ich dazu nicht zu sagen...
Gerd:
Deiner Ansicht nach war also das, was viele Menschen als eine Wasserscheide
in der Geschichte ansehen, also dieser 11. September nicht wirklich
eine Wasserscheide?
Soyinka:
Nein, keineswegs! Es gab ja doch viele Anzeichen... angefangen mit
der bloßen Vorstellung, dass es völlig okay sein, ein Flugzeug
voller Unbekannter zum Absturz zu bringen. An Bord Menschen, die du
nie gesehen hast, auf die du noch nie deine Augen gerichtet hast,
und zwar zugunsten eines Anliegens, der Heiligkeit eines Anliegens.
Das ist es, was ich meine. Wenn du dich ein wenig rückbesinnst
- wenn du dich an das erste terroristische Bombenattentat erinnerst,
damals als das erste Flugzeug zum Absturz gebracht wurde ... Ich denke,
wenn ich mich recht erinnere, handelte es sich damals um eine SWISSAIR
Maschine, die zum Absturz gebracht wurde, und zwar als Folge einer
Tat, als Folge einer geheiligten Aktion.... ich denke,
diese Tat damals bildete tatsächlich die Wasserscheide, wenn
wir uns mit dem Verhalten verschiedener Teile der globalen Gemeinschaft
zueinander beschäftigen. Viele Leute waren damals der Überzeugung,
hierbei habe es sich um einen isolierten Zwischenfall gehandelt, doch
für mich war das keineswegs so...
Gerd:
Und wir können den Hörern auch ruhig die volle Wahrheit
sagen, dass du dich nämlich eigentlich überhaupt nicht zu
diesem Thema, dem 11. September, äußern wolltest. Und dass
die Tatsache, dass du dieses Interview gewährst, lediglich ein
freundschaftlicher Akt mir gegenüber ist...
Soyinka:
Ganz genau so ist es, obwohl es nicht nötig ist, das so deutlich
zu sagen... doch, wenn du das so hören möchtest, nun ja:
das ist die Wahrheit. Denn ich finde diesen ganzen Diskurs über
vor dem 11. September - nach dem 11. September einigermaßen
künstlich und übertrieben.
Gerd:
Aber dieser 11. September war dann doch - um es mal ganz zynisch zu
sagen - ziemlich nützlich für einen Menschen namens George
W. Bush, denn erstens hat der ja den Ausdruck verwendet Jetzt
müssen wir einen Kreuzzug führen. Ein Ausdruck, der
dann aber von denen, die man im Amerikanischen die Spinmeisters
nennt, wieder zurückgenommen wurde. Die nämlich erklärten
flugs: das war kein glücklich gewählter Ausdruck, den der
da verwendet hat. Aber seither läuft eben doch einiges ab...
Soyinka:
Nun, zunächst einmal muss ich erklären, dass ich die ganze
Aufregung über George Bushs Verwendung des Ausdrucks Kreuzzug
für völlig übertrieben hielt. George Bush verwendet
nun mal Sprache auf alle nur erdenklichen Arten und Weisen. Und das
Wort Kreuzzug hat doch längst alle religiösen
Bezüge verloren. Wir haben doch z. Bsp. den Kreuzzug für
die Rechte des Verbrauchers durch den amerikanischen Verbraucheranwalt
Ralph Nader gehabt; dann hatten wir den Kreuzzug der Umweltschützer,
dann haben wir den Kreuzzug der Anti-Zigaretten-Fundamentalisten,
der mit jedem Tag irrsinniger wird. So dass also das Wort Kreuzzug
ein ganz geläufiges-beiläufiges Wort geworden ist. Und deshalb
war ich der Ansicht, dass sich angesichts der Verwendung dieses Wortes
die political correctness überschlagen hat.
Gerd:
Aber die Tatsache bleibt doch, dass die Moralische Mehrheit
in den USA, das heißt die christlichen Fundamentalisten, ihn
(George Bush) an die Macht gebracht hat ... So dass es hier doch eine
gewisse Konnotation im Wort gibt...
Soyinka:
Nun er (Bush) wurde nicht allein von den christlichen Fundamentalisten
an die Macht gebracht, er wurde von den Konservativen an die Macht
gebracht. Ich ziehe es vor, dies in ganz strikten politischen Bezügen
zu sehen, denn wenn du dir die Koalition ansiehst, die George Bush
an die Macht brachte, dann findest du eben heraus, dass nur eine winzige
Fraktion dieser konservativen Koalition wirklich in der Moralischen
Mehrheit (Zitat) festgemacht werden konnte.
Nun will ich damit keineswegs sagen, dass der christliche Fundamentalismus
in sich selbst nicht eine Gefahr darstellt. Da brauchst du dir ja
nur die Situation anzusehen, in der gewisse Anti-Abtreibungsaktivisten,
eben nicht nur ein Individuum sondern eine ganze verschworene Truppe
von Anti-Abtreibungsaktivisten für sich das Recht in Anspruch
nehmen, andere Menschen zu töten. Indem sie auf Abtreibungskliniken
schießen, und dabei sowohl Ärzte, Schwestern als auch Unschuldige
töten, und diese religiösen, diese frommen Kriminellen,
werden dann von einem eigenen Netzwerk von Fundamentalisten geschützt.
Das ist für mich viel ernster als die bloße Verwendung
des Wortes Kreuzzug. Das lenkt doch nur vom Kern der Sache
ab... dieses ganze Charade bezüglich der Unangebrachtheit des
Wortes Kreuzzug.
Der Fundamentalismus, der den Kern der globalen Krise bildet, der
findet sich in den Handlungen und in der Geisteshaltung bestimmter
Leute und nicht in der Verwendung eines bloßen Wortes, das zudem
längst seinen Stachel verloren hat.
Gerd:
Dann kommen wir halt zu einem anderen Ausdruck ... wenn du schon sagst:
Na ja, das Wort Kreuzzug wird halt heutzutage für
alle nur denkbaren Kreuzzüge verwendet ... durch Wal-Mart, MacDonalds
usw. ... wie steht es dann um die Verwendung des Ausdrucks Evil
Empire (Reich des Bösen)... Denn wir erleben doch heutzutage
die Wiederbelebung des Konzepts vom Reich des Bösen ...
Soyinka:
Nun, das zeigt doch bloß, wie un-originell Bush ist! Achse
des Bösen ... er wollte dem früheren Ausdruck vom
Reich des Bösen noch einen Dreh geben ... er wollte sich als
sein eigener Mann geben ... er wollte seine eigene Sprache sprechen,
mit anderen Worten: alles was er in Wirklichkeit tat, war, das zu
wiederholen, was Ronald Reagan bereits zum Ausdruck gebracht hatte,
und es war eine wirklich dummer Ausdruck. Vor allem in der Phase,
in der ihn verwendete. Wir befanden uns ja gerade in einer Situation,
in der Präsident Khatami von Iran, zusammen mit der UN und UNESCO
den Versuch anführte, zu einem Dialog der Kulturen zu kommen.
Ich hörte Khatami damals in der Un-Vollversammlung zu ... der
hielt eine hervorragende Rede, wirklich hervorragend räsonierend,
historisch ausgewogen. Und kurz danach schließt der (Bush) Iran
in die Achse des Bösen ein!
Also, es ist wirklich lange her... es ist lange her, seit ich ein
derart armseliges, unsinniges timing erlebt habe, einen
derartigen Mangel an Bewusstein für die Lage der Dinge, einen
derartigen Verrat an jeder nur denkbaren Form von Verantwortungsbewusstsein
(awareness), Verrat an jenen Kräften, die gerade daran arbeiteten,
die Beziehungen zwischen den Menschen zu verbessern. Ich war schockiert!
Gerd:
Du hast den Clash of Civilizations erwähnt... der
war ja ein zentrales Thema in den weltweiten Diskussionszirkeln vor
dem 11. September. Nun haben wir also diesen Clash. Ist
dieser Clash nun von den USA erklärt worden, gegen den Rest der
Zivilisationen Welt? So im Sinne von: Wenn Ihr nicht mit uns
seid, dann seid ihr gegen uns?
Soyinka:
Das ist eine andere Dichotomisierung der Welt, die mich zutiefst abstößt.
Ich setze George Bush auf die gleiche Ebene wie Osama bin Laden ...
der in seinem Interview ja bekanntlich sagte: dass die Welt sich heutzutage
in Gläubige und Ungläubige aufteile. Nun für mich sind
Menschen wie diese Feinde der Menschheit ... genauso wie George Bush
es ist, wenn er versucht, die Welt in Uns und die
da zu teilen.
Diese Art von Sprache sollte nie toleriert und akzeptiert worden sein,
egal ob diese nun vom Kopf einer terroristischen Organisation oder
vom Führer der sogenannten Führungsnation der Demokratie
kommt.
Gerd:
Aber mir will scheinen: haben wir uns nicht rückwärts bewegt,
im Sinne von .... vorher (vor dem 11. September) haben wir ja gesagt.
wir müssen mehr über die anderen Zivilisationen lernen,
über die islamische Zivilisation, selbst über die afrikanische
Zivilisation ... haben wir uns seither nicht rückwärts
bewegt?
Soyinka:
Also, wenn du sagst WIR, was soll das heißen...
dann gehst du ja von einem besonderen Gesichtswinkel aus. Wir in Afrika
haben stets gewusst, haben stets klargemacht, dass es Teil der Normen
der Erziehung ist, sich Kenntnisse über andere Religionen, andere
Zivilisationen anzueignen. Der durchschnittliche Nigerianer, der durchschnittliche
Afrikaner weiß mehr von amerikanischer Geschichte, Politik,
Kultur als die meisten gebildeten Amerikaner über Afrika wissen
oder über die asiatische Kultur...
Gerd:
... oder ihre eigene...
Soyinka:
In der Tat! in vielen Fällen geht ihr Wissen nicht über
ihren jeweiligen Bundesstaat hinaus. Ich habe es immer und immer wieder
gesagt. die USA sind eine der, wenn nicht sogar die insularste Nationen
der Welt. Doch das gleiche gilt für die Fundamentalisten aller
Religionen... egal ob wir nun von Hindu-Fundamentalisten reden, jüdischen
Fundamentalisten, islamischen Fundamentalisten, egal welcher Sekte
auch: sie alle sind gekennzeichnet durch das Verschließen des
Hirns gegen andere Kulturen, ihr Weigerung entweder sich Kenntnisse
über diese zu verschaffen oder aber die Möglichkeit zu akzeptieren,
dass auch andere Kulturen ihren Wert haben.
Worum es geht, ist diese Vorstellung das Zentrum der Welt zu bilden,
ob nun materiell, politisch oder spirituell - und der ganze Rest,
das sind ANDERE. Diese Mentalität ist es, die Menschen davon
abhält, das zu studieren und zu analysieren, was wir vielleicht
alle gemeinsam besitzen.
Und du hast völlig Recht, wenn du sagst, dass es nicht immer
so war. Wenn du in der Geschichte ein wenig zurück gehst, dann
findest du ja die Beispiele für die grossen Treffen der Hirne,
etwa der islamischen Denker mit den europäischen Denkern, über
das Mittelmeer hinweg, bevor das ganze dann in eine sehr brutale Form
der Machtausübung und des Überlegenheitsdenkens degenerierte.
Es gab all diese Kontakte auf spiritueller und künstlerischer
Ebene. Insofern hast du also Recht, wenn du sagst, dass wir uns leider
rückwärts bewegen, aber gleichzeitig sollten wir auch nicht
ein zu rosiges Bild der Vergangenheit malen. Der Clash zwischen dem
Christentum und dem Islam ist stets ein sanguinärer, ein bösartiger.
Gerd:
Du hast die anderen Zivilisationen erwähnt, vor allem die afrikanischen.
Im Plural. Und selbst vor diesem Ereignis, diesem realen Clash of
Civilizations, gab es diese Gefahr, dass die mehr unsichtbaren,
die nicht-aggressiven Religionen und Zivilisationen unter
den Füssen der Grossen zermahlen werden, wegen diesem Clash
der Giganten... Ist das heute nicht noch zutreffender, das z.
Bsp. die afrikanischen Religion als nicht-aggressive Religionen
noch mehr unter den Füssen der Giganten zermalmt werden?
Soyinka:
Das ist genau der Grund, weshalb ich es hasse, diesen Ausdruck vom
Clash der Zivilisationen überhaupt zu hören.
Denn erstens ist dieser Ausdruck falsch, und er ist reduktionistisch.
Denn indem man den verwendet, gehen diejenigen, die diesen Ausdruck
verwenden, also Historiker, lokale Philosophen u.a., allein von zwei
Zivilisationen aus. Und sie negieren einfach die anderen, all diejenigen,
die auch Teil der Welt sind, in der wir leben. Es ist einfach so,
dass die beiden selbsternannten Giganten einfach erklären: die
anderen existieren einfach nicht!
Doch die Rettung der Welt liegt vermutlich in dem was ich die unsichtbaren
Religionen, die unsichtbaren Kulturen nenne. Und in ihren Prinzipien
der Koexistenz und der Toleranz, die in den sogenannten Weltreligionen
verloren gegangen sind.
Gerd:
Nun bekommst du fast jede Woche Dutzende von Einladungen allein aus
Deutschland, hierher zu kommen und vor größerem Publikum
zu sprechen. Siehst du darin einen echten Ausdruck des Wunsches (der
Deutschen) mehr von diesen unsichtbaren Zivilisationen
zu lernen, oder geht es den Einladenden lediglich darum einen
Nobel auf der Bühne zu haben?
Soyinka:
Das weiß ich nicht. Und ich kann das nicht beantworten. Ich
bekomme nicht allein aus Deutschland Einladungen, und ich werde ja
nicht eingeladen, um allein zu diesem Thema zu sprechen ... ich werde
ja eingeladen, um mich zu zig verschiedenen Themen zu äußern
... Ich kann zum Beispiel erwähnen, dass ich eine Einladung aus
Italien habe, an einem Dialog anlässlich der Biennale teilzunehmen,
und da soll ich just zu diesem meinem Konzept der unsichtbaren
Religionen reden, zu den unsichtbaren Kulturen.
Es ist also nicht allein aus Deutschland, dass ich solche Einladungen
bekomme.
Ich glaube, es gibt eine verstärkte Neugier heutzutage in vielen
Gesellschaften der Welt ... Es hat mich höchstlich amüsiert
zu erfahren, dass in den USA alle verfügbaren Kopien des Koran
ausverkauft sind, als Lesematerial in Schulen und für Einzelpersonen,
die ihre Interesse jetzt darauf richten, was sie als Gefahr
für die eigene Zivilisation ansehen.
Gerd:
Und was ist mit dem Buch über das IFA Orakel der Yorubas?
Soyinka:
Nun, ich denke mir, dass sich noch niemand die Mühe mit einem
Buch über das IFA gemacht hat ... das ist halt Teil der unsichtbaren
Religionen.
Gerd:
Wole Soyinka ist zerrissen zwischen drei gleichzeitig prioritären
Jobs: da gibt es einmal Wole Soyinka den Schriftsteller, dann gibt
es Wole Soyinka den Weltbürger, der auf internationalen Podien
sitzt, und dann gibt es noch Wole Soyinka den nigerianischen Staatsbürger.
Wie siehst du deine Rolle mit 68 Jahren ? Wo ist deine Priorität,
wenn es denn so etwas wie eine Priorität geben kann?
Soyinka:
Meine Priorität ist die, wenigstens ein wenig Raum zu finden,
wo ich einfach dasitzen und nichts tun kann. Zurückgehen zu meinem
Haus in Abeokuta und ein wenig mehr zu schreiben, will heißen
etwas konsistenter, und der Herr meiner eigenen Zeit zu sein. Das
ist meine Priorität.
Gerd:
Und wenn ich dann meine Ohren weit aufsperre, für das, was einige
meiner nigerianischen Freunde, vor allem die Yorubas links und rechts
sagen, dann höre ich, dass sie dir nicht eine einzige Sekunde
dieser Zeit gewähren werden.
Soyinka:
... (zögert) ... nun ja, mit anderen Worten, ich muss mich da
einem gewaltigen Kampf stellen. Das wird die Großmutter, der
Großvater alle Schlachten sein, auch nur ein wenig privaten
Raum für mich selbst zu garantieren.
Gerd:
Aber du wirst nicht verneinen, dass du eine Rolle in der nigerianischen
Politik zu spielen haben wirst?
Soyinka:
Nun, das verneine ich keineswegs. Aber ich möchte diese Rolle
nach meinen eigenen Regeln spielen, in zwar in einerArt und Weise,
die meinen Raum des Friedens nicht angreift.
Die letzten drei Jahre waren einfach hektisch, unerträglich,
und jedes Mal wenn ich meine, jetzt gehe ich das alles etwas langsamer
an, dann wird mir ein neues Interessengebiet, eine neue Verantwortung
aufgebürdet. Doch jetzt ist es an der Zeit, nicht nur zu lernen
NEIN zu sagen - ich hab ja schon oft genug NEIN gesagt - sondern jetzt
ist es an der Zeit zu lernen, mein NEINSAGEN nochzu intensivieren.
Also, Leute, hört: ich brauche einfach genug Raum, um endlich
die liegengebliebene Arbeit wieder aufzunehmen. Ich habe z. Bsp. eine
Lektüreliste, die von hier bis Tschetschenien oder wo auch immer
reicht, zu allen nur denkbaren Sujets in allen nur denkbaren Kulturen.
Ich hab ja nicht einmal Zeit mich in Ruhe hinzusetzen ... Das einzige
was ich mache, ist diese Liste von Buchbesprechungen in Zeitungen
und Zeitschriften, die das Thema von Unterhaltungen bilden, ständig
zu verlängern, und ich finde einfach nicht die Zeit, mich hinzusetzen
unddiese Bücher zu lesen. Also, ich fange langsam an, mich wie
ein Bürger der Dritten Welt zu fühlen... du sagst, ich sei
ein Weltbürger ... ich aber fühle mich wie ein
Dritt-Welt-Bürger.
Gerd:
Das jüngste deiner Bücher, das in Deutschland veröffentlicht
wurde, trägt den Titel Die Last der Erinnerung. Gemeint
war damit das Erinnern von Völkern ... die Bürde, die auf
dir lastet - lass mich dieses Bild ruhig einmal verwenden - das Bild
ist das, dass du in Nigeria ein politische Jungfrau bist.
Im Sinne, dass du nicht durch einen der üblichen Skandale - ob
Geld oder Machtspiele - befleckt bist. Und deshalb wollen die Leute
dich, eine 68 Jahre alte Jungfrau...
Soyinka:
Nun ja, drücken wir es so aus... erstens liegst du falsch, wenn
du sagst nicht befleckt, denn im Moment läuft vor
einem nigerianischen Gericht ein Verfahren wegen Verleumdung case
gegen mich, den ein Agent Abachas (des letzten nigerianischen Militärdiktators)
gegen mich angestrengt hat, ein Mensch, der nicht einmal bereit ist
zu akzeptieren, dass Abacha tot ist und dass sein Zahlmeister und
dessen Anliegen beendet sind. Dieser Mensch fährt fort, dieses
Magazin mit dem Titel Internationales Gewissen zu veröffentlichen,
das er verteilt, wo immer er kann. Und dieses Produkt erinnert mich
an jene skandalöse Nazi-Publikation, die ich las, als ich in
die Schule ging, die Protokolle der Weisen von Zion.
Was dieser Typ da produziert, kann ich allein damit vergleichen ...
Dieser Typ ist ein Vergewaltiger, der sich in den Tagen Shagaris (Präsident
Nigerias Anfang der achtziger Jahre) nach Zahlung einer Kaution in
Washington D.C. auf und davon machte.
Gottseidank gibt es nicht viele Leute, die ihm Glauben schenken, aber
leider ist es so, dass mich dieser Prozess eine Menge Zeit kostet.
Die zitieren mich vor Gericht, spielen alle nur denkbaren Spielchen,
erfinden technische Verzögerungen, stellen ständig neue
Anträge ... du kennst das Gesetz und du weißt, wie aufreibend
die Gesetzsprechung sein kann ... Es ist eine Kombination von allen
nur denkbaren Sachen, und ich muss sicherstellen, dass ich verfügbar
bin, um vor Gericht präsent zu sein. Und du kannst dir denken,
dass ich diesen Prozess verdammt ernstnehme, während eigentlich
weit ernstere, interessantere, stimulierendere, herausforderndere
Aufgaben auf mich warten. Doch dieser Prozess nimmt seit geraumer
Zeit enorme Teile meiner verfügbaren Zeit in Anspruch. Ich hab
einfach die Nase voll, um es ganz offen zu sagen.
Gerd:
Ich bin jetzt versucht zu sagen, dass Nigeria wie die USA ein Land
ist, das von Rechtsanwälten am Laufen gehalten wird. Von Leuten,
die sich mit Prozessen wie dem gegen dich eine goldene Nase verdienen...
Aber lass mich noch einmal zur Frage zurückommen, dass du nämlich
eine achtundsechszig Jahre alte politische Jungfrau bist,
und dass du deshalb eine Verpflichtung hast, auf diese Rufe zu reagieren
...
Soyinka:
... nun ich weiß ja, dass ich stets politisch involviert war
... doch zuerst Mal: ich mag deinen Ausdruck von der achtundsechszigjährigen
politischen Jungfrau nicht ... (lacht) ... Jungfrau, ob nun
politisch oder physisch, ich mag schon den Ausdruck nicht! Doch, egal
aus welchem Grunde auch, können wir sagen: Ja! Es gibt einen
schweren Druck auf mich, mich ganz in die Politik hineinzubegeben.
Und es gibteine riesige Anhängerschaft, die bereit ist, sich
hinter mich zu stellen. Und die politische Szene in Nigeria ist so,
dass sich da gerade eine politische Bewegung entwickelt, und ich bin
in dieser Bewegung engagiert, einer Bewegung, die sich darum bemüht
die gesamte politische Szene zu reformieren. Um sicherzustellen, dass
der Wahlvorgang selbst nichtwieder manipuliert wird, so wie dies zur
Zeit praktiziert wird. Um derart zu gewährleisten, dass diejenigen,
die direkt nach Abacha an die Macht gelangten, für immer und
ewig an der Macht bleiben. Und wer sind denn diese Leute? Überwiegend
diejenigen, die die Wahlen fälschten, überwiegend diejenigen,
die mit Sanni Abacha kollaborierten, diesem schmutzigen, mörderischen
Diktator. Diejenigen die mit ihm zusammen ihre Millionen scheffelten,
und die diese Millionen heutzutage dazu verwenden, ihre Art von Politik
innerhalb der nigerianischen Gesellschaft zu verewigen.
Was wir also hier und jetzt benötigen, ist eine Bewegung, die
dieses System in jeder nur denkbaren Art und weise herausfordert.
Ich habe sehr intensiv darüber nachgedacht ... mit gleichsam
null Mitteln eine politische Partei zu gründen ...
Die Leute in unserer Bewegung haben keinen Besitz, die meistensind
im Kampf gegen Abacha bankrott gegangen. Wir haben die Bewegung damals
aus unseren eigenen Taschen finanziert,weil wir sehr, sehr wenig materielle
Hilfe von der Welt draußen bekamen. Und denjenigen, die uns
halfen, denen haben wir auch unseren Dank bekundet. Die echten Reformkräfte
sind somit verarmt, während die Gauner, die Kollaborateure Abachas,
diejenigen, die vor ihm tanzten, ihn anflehten, doch Präsident
auf Lebenszeit zu werden, auch heute noch diejenigen sind, die
über die Mittel verfügen, um Wahlen zu fälschen ...
Zu Zeit bin ich also ganz an der Entwicklung dieser Bewegung interessiert,
die Demokratische Front für eine Bundesrepublik des Volkes,
die gerade versucht ihren Akt zusammen zu bekommen, wie
man im Englischen sagt.
Gerd:
Letzte Frage: du hast von der Selbstverewigung der Herrscher,
der Diktatoren, gesprochen. Die Wirtschaftskommission für
Westafrika ECOWAS hat gerade den Plan verkündet, eine dauerhafte
Truppe zur Wahrung des Friedens, für friedensstiftende Interventionen
zu gründen und präventive Maßnahmen gegen die Selbstverewigung
von Diktatoren zu ergreifen.
Ist das die Richtung in die du die Dinge sich entwickeln sehen möchtest?
Denn schließlich ist ja die Geschichte der westafrikanischen
Interventionstruppe ECOMOG in Sierra Leone und in Liberia nicht allzu
beeindruckend gewesen ...
Soyinka:
Wenn du das erwähnst, dann erinnere ich mich z. Bsp. an den Fall
der kanadischen Friedenssoldaten, die beschuldigt worden sind, Tortur
an Somalis ausgeübt zu haben ...
Gerd:
Deine eigenen Landsleute, nigerianische Soldaten wurden aber auch
beschuldigt....
Soyinka:
Ich wollte gerade dahin kommen ... genauso wie die Nigerianer beschuldigt
wurden ... ECOMOG wurde zu einem Akronym, das für irgend etwas
stand ...
Gerd:
Die Bedeutung werden wir im neuen Roman von Ahmadou Kourouma finden
...
Soyinka:
Ja, das stand für: alles, was sich auf Rädern bewegen lässt,
nehmen die mit ... oder so ... irgendetwas Schmutziges ... und es
war das Verhalten der nigerianischen Soldaten, das dieses Akronym
entstehen ließ.
Ich stimme aber damit überein: die Interventionstruppe ist eine
Notwenigkeit, aber wichtiger noch ist eine präventive Truppe.
Eine präventive Kommission mit Zähnen, die ihrem Handeln
Nachdruck verleihen. Hier geht es nicht allein um Westafrika ... zur
Zeit sehe ich die Gefahr eines lang andauernden Bürgerkrieges
in Simbabwe, wenn der neue Führer dort, Mugabe, der
uns alle enttäuscht hat, als Befreiungskämpfer, den wir
als solchen sehr respektiert haben, bis dieser Selbstverewigungsinsekt
ihn biss, wenn der mit seiner Politik der eisernen Faust, der Politik
der schweren Stiefel gegen dieOpposition fortfährt ... dann sehe
ich durchaus, dass sich in Simbabwe eine Bürgerkriegsatmosphäre
entwickelt.
Wenn also eine Kommission mit einem präventiven Mandat eingerichtet
wird, dann könnte es möglich werden, künftig solche
Brandherde zu verhindern. Die sonst als wirkliche Infernos explodieren.
Und die dann viel, viel Zeit erfordern, um sie wieder zu löschen.
Gerd:
Jetzt muss ich doch noch eine Frage anhängen ... Hat der Krieg
gegen den Terrorismus nicht auch die Verewigung gewisser Herrscher,
Diktatoren bewirkt, weil man deren Missetaten heutzutage einfach vergisst,
weil die der Front im Krieg gegen den Terrorismus beitreten?
Soyinka:
Ich hätte es gerne, wenn der Krieg gegen den Terror
durch einen Krieg gegen die Ungerechtigkeit ersetzt würde.
Und das wäre dann für mich viel inhaltsreicher. Ein Krieg
gegen die Ungerechtigkeit.
Gerd:
Allerherzlichsten Dank.
Gerd Meuer: Langackern 50, 79289 Horben, Tel: 0761 290 99 180. - email: GMeuer@aol.com
Dank an Gerd Meuer.
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